Hörbuch Auszug

Vorwort


Wenn wir uns beim folgenden Thema beispielhaft dem Katholizismus und nicht seinen religiösen Kolleginnen und Kollegen zuwenden, dann nur deshalb, weil er direkt vor unserer Türe steht und, bei allem Wohlwollen, als eine der dunkelsten und menschenverachtendsten Religionen gelten darf, die je auf diesem Planeten ihr Unwesen getrieben haben, bis hin zum systemischen Kindsmissbrauch. Da mag er heute noch so bemüht sein vorzugeben, ein edles Anliegen zu vertreten. Seine wahren Wünsche und Ziele, bewusst oder unbewusst, haben mit den ethisch vorgeschobenen Ansprüchen des Christentums nichts zu tun oder sind zumindest meilenweit von dem entfernt, was dieser Glaube vielleicht einmal war. Diese Absichten werden sich auch nie ändern oder das dunkle Haus dieser Kirche freiwillig verlassen. Natürlich sind damit nicht die vielen fleißigen und gutwilligen Menschen gemeint, die heute für diese Institution arbeiten, und auch nicht die mit dem elendigen Pflichtzölibat von ihrer Kirche gefangen genommenen Priester, sondern gemeint sind die in den oberen Rängen beheimateten gewissenlosen Strategen, die die Fäden ziehen und immer ziehen werden und die am allermeisten zu verlieren haben. Dieser religiöse Moloch, dieses so wenig gottgefällige Ungeheuer, rekrutiert seine Betreiber dabei aus Gläubigen, die häufig selber nur böswillig Verführte sind. Freilich könnten selbst beim allerfrömmsten Bemühen die allermeisten anderen Religionen kaum zuvorkommender beurteilt werden. Dabei könnte Glaube etwas wirklich Großes sein!




                             Religion und anderer Aberglaube

Religionen im Allgemeinen                                S. 002
Katholizismus im Besonderen                          S. 015
Religion und Wahnerleben                                 S. 087
Religion und Sexualität                                      S. 101
Die Fortpflanzungspeitsche                              S. 131
Alte und neue Seelsorger                                   S. 142
Religiös belagerte Lebensübergänge              S. 144
Gut und Böse                                                       S. 156
Menschenrechte                                                 S. 170
Abschied von der Religion                                 S. 172
Hokuspokus – Aberglaube                                S. 192
Religion und anderer Aberglaube                      S. 221
(ausführliche Gliederung am Buchende)        



                   Religionen im Allgemeinen

Als der amerikanische Präsident Nixon im Jahre 1974 zum Rücktritt gezwungen wurde, jubelte die US-Presse im journalistischen Chor: „You can fool some of the people all the time, you can fool all the people some of the time, but you can never fool all the people all the time (man kann einen Teil der Leute immer für dumm verkaufen, man kann alle Leute einige Zeit für dumm verkaufen, aber man kann niemals alle Leute für alle Zeit für dumm verkaufen).“

Diese Behauptung ist falsch, jedenfalls sofern man sie jeweils auf eine einzelne Religion bezieht! Jede dieser Erlösungsanstalten verkauft sämtliche ihrer Anhänger für alle Zeit für dumm, unabhängig davon, ob an den wahren Gott geglaubt wird, den einzigen, den richtigen, den neuesten oder sonst einen! Was ist schon die bescheidene politische Ausbeutung der Bevölkerung gegen die subtile Plünderung der Gläubigen unter Berufung auf Gott? Diese werden zum einfältigen Mündel einer Gottheit erniedrigt, durch Furcht in den Himmel gejagt und so geschickt seelisch, geistig und materiell ausgeschlachtet, dass sie sich das meist auch noch gerne gefallen lassen!

Weiß doch noch die dümmste Religion, die belämmertste Sekte, der einfältigste Prediger: Ist erst von „gesegnet“, „heilig“, „himmlisch“ oder „göttlich“ die Rede, macht sich bei Gläubigen der Verstand mit Grausen aus dem Staub. Auf der Flucht vor der Vernunft rennen die Menschen den Religionen geradewegs die Türen ein! Merksatz: Wer in sich kein Zuhause findet, erleidet es bei der Religion!

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Wer sich also an das Projekt „Entmachtung der Religion“ wagt, was ja schon vielfach und vergeblich versucht wurde, ja wer am religiös Althergebrachten auch nur ein bisschen kratzen möchte, ist nicht zu beneiden. Adressaten sind ja nun einmal fast ausnahmslos Menschen, denen ihre Religion längst zur zweiten Natur, ja zur DNA wurde und ohne die sie vielleicht noch nicht einmal leben könnten oder wollten. Wir begegnen selbst erschaffenen destruktiven religiösen Monstern, die in letzter Konsequenz nicht nur ihre Gläubigen, sondern letztendlich immer wieder auch ihre Priesterschaft zu verschlingen pflegen, und das unaufhörlich, von Generation zu Generation, von Zeitalter zu Zeitalter. Wird das eine scheinbar gottgefällige Ungeheuer besiegt, oder stirbt es auch nur an Altersschwäche, tritt sofort das nächste angeblich gottesfürchtige Monstrum auf den Plan, in welcher Verkleidung auch immer.

„Seit der Morgenröte der Kultur sind die Völker immer dem Einfluss von Täuschungen ausgesetzt gewesen. Den Schöpfern von Täuschungen haben sie die meisten Tempel, Bildwerke und Altäre errichtet… Es gibt nicht eine einzige unserer künstlerischen, politischen oder sozialen Anschauungen, die nicht ihren mächtigen Stempel trüge. Oft schüttelt der Mensch sie um den Preis furchtbarer Umwälzungen ab, aber er scheint dazu verdammt zu sein, sie immer wieder aufzurichten… Zweifellos sind es leere Schatten, aber diese Töchter unserer Träume haben die Völker gezwungen, all das zu schaffen, was den Glanz der Künste und die Größe der Kultur ausmacht… Wenn man alle Kunstwerke und Denkmäler in den Museen und Bibliotheken, die dem Einfluss der Religion ihr Dasein verdanken, zerstören könnte, was bliebe von den großen Träumen der Menschheit übrig?... Von allen Kräften, die der Menschheit zur Verfügung stehen, war der Glaube stets eine der bedeutendsten und mit Recht schreibt ihm das Evangelium die Macht zu, Berge zu versetzen (Gustave Le Bon, Die Psychologie der Massen)!“

Aber was für ein furchtbarer Preis, der dafür zu entrichten war und zu entrichten ist! Und so wird der Religion vieles, ja fast alles zugutegehalten, ihr zugesprochen, um sie zu rechtfertigen. All die großartigen Leistungen in den bildenden Künsten, in Malerei, Grafik, Bildhauerei, in Architektur und anderem mehr.

Diese grandiosen Schöpfungen konnten nur so entstehen, lediglich hier eingewebt werden, da die Religion das einzige der Kunst zur Verfügung stehende offene Fenster war. All der Glanz kann aber doch nicht darüber hinwegtäuschen, wie viel Geld und Blut von einer ausgebeuteten Bevölkerung erpresst wurden. Was wäre vielleicht erst geschaffen worden, was hätte möglicherweise entstehen können, ohne bevormundende Religionen?

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Im Europa des 19. Jahrhunderts war ein Leben ohne Religion und himmlische Leithammel mit allzu irdischen Gesichtern praktisch unvorstellbar. Schließlich stand an jeder Ecke eine Glaubensvariante herum, weshalb es ganz und gar unmöglich schien, ohne Kirche auszukommen. Wer sich dennoch nichts aus Religion machte, und das auch noch äußerte, musste verrückt sein! Die Psychiatrie zückte in solcher Zeit wieder einmal ein neues Diagnose-Schwert: „völlige Irreligiosität“.

Seiner Religion zu entkommen, ist schwer bis unmöglich! Kirchen und ihren Betreibern gelingt es immer wieder, das Spinnennetz des Glaubens so eng zu weben, dass Gläubige bei einem befreienden Kirchenaustritt fürchten, sie sagten sich von Gott los, obwohl sie doch nur aus ihrer Kirche flüchten. Und so scheuen sie häufig vor diesem Schritt zurück. Dabei ist der bloße äußerliche Austritt nichts gegen die ungeheure innere Anstrengung, der es bedarf, sich seelisch und geistig aus diesem Glaubensspinnennetz zu befreien.

Ein grandioses Beutesystem, auf das muss man erst kommen muss! Und deshalb müssen wir nun etwas ganz und gar Skandalöses tun: Wir spüren der Wahrheit weiter nach, selbst auf die Gefahr hin, dass uns die Kirche dann noch ein bisschen weniger liebhaben wird.

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Religionen sind äußerlich klar erkennbare Unterwerfungsrituale und Demutsbekundungen auffallend wichtig. Je ergebener, desto besser! Dieses fundamentale Grundprinzip durchwirkt alle Religionen. Katholische Hinterbänkler müssen sich Kniescheiben ausrenken, obwohl Gott ihnen einen Hintern zum Sitzen und Füße zum Stehen schenkte. Mancher christliche Orden raubt seinen Mitgliedern sogar die Sprache, kaum dass ihnen dieselbe eine Jugend lang mühsam beigebracht worden war.

In Allahs Namen knien Gläubige fünfmal täglich bis zur Nasenspitze nieder. Im Hinduismus, Buddhismus und anderen fernöstlichen Religionen neigt man gleichfalls dazu, sich auf den Boden zu werfen. Religiöse und weltliche Herrscher schätzen es nun einmal, wenn sich Untertanen gesellig in den Staub begeben. Während dieser Zeit können sie schon nicht mit Steinen werfen! Untertanen wird traditionell lieber mit Autorität als mit Gerechtigkeit begegnet.

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Tiere lassen bekanntlich so etwas nicht mit sich machen! Kein Wunder, dass der Mensch schon früh Götter in ihnen zu erkennen glaubte und sie respektvoll als Tiergötter anbetete. Ob man Tierverhalten gleich nachahmen sollte, ist eine andere Frage! Liegen katholische Priester bei der Weihe wie Schlangen auf dem Bauch, könnte das andere Gründe haben.

Wer später an die Schaltstellen religiöser Macht gelangen möchte, muss genug Gift angesammelt haben, um den Anforderungen des hohen Amtes zu genügen. Und nur wer durch frühes Training hochgiftiger Vorstellungsabläufe ausreichend toxisches Einfallsgut anhäuft, ist für solche kirchliche Positionen qualifiziert und vermag dann bei der Amtsführung ausreichend schleichendes Gift abzusondern.

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Im Staunen über das Sein, das Dasein, sehen viele Denker den Beginn jeder Philosophie. In fast allen Kulturen und Religionen regte sich irgendwann der Gedanke einer regelnden Zentralintelligenz, was ein erwachender Verstand schließlich nahelegt. Für ein solches Verständnis von Religion genüge es „das Haupt zu senken vor jener geheimnisvollen Macht, die die Geschicke lenkt“, meint Wilhelm Raabe (deutscher Schriftsteller). Es reiche „ein frommes Gefühl der Verbundenheit mit dem göttlichen Ursprung“. Religion (von „Religio“ kommend) bedeute, so verstanden, die Rückbindung des Alltagsgeschehens an den Ursprung des Lebens.

Solch metaphysische Bedürfnisse sind freilich bei all den etablierten Religionen gar nicht gut aufgehoben. Schließlich ist und bleibt ein von uns definierter Gott nur ein Konstrukt des menschlichen Verstandes, was über seine wahre Existenz nichts, aber auch gar nichts aussagt. Kirchen hält das freilich nicht davon ab, zu lukrativen Gotteserklärungen zu greifen. Und kostenpflichtig Macht ausüben können sie nur dann, wenn sie dieses wunderbare Grundbedürfnis mit der Einforderung von bedingungslosem Glauben aufpeppen. Dieser macht dann weniger selig als dumm und nur so lassen sich ererbte oder gewählte Religionen noch ertragen! Pech haben jedoch kluge, gottesfürchtige Menschen, die sich nicht mit Glauben betrügen mögen.

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Es ist nun nicht immer ungefährlich nachzufragen, ob der „göttliche Wille“ vielleicht falsch verstanden oder abwegig ausgeübt wird. Mächtige Religionen verfügen über scharfe Schwerter! Private und öffentliche Hinterfragungsversuche werden mit persönlichen Nachteilen, ja nicht selten mit dem Leben bezahlt. Das „Unkraut der Ungläubigkeit“ wird gerne mit der Wurzel ausgerissen!

Natürlich geht es bei Religionen nicht wirklich um Gott, Wahrheit oder Glauben, um gute Beziehungen zur Ewigkeit oder sonstige für Kirchen unwichtige Themen. Vielmehr eröffnen drakonische Strafen für abweichende Meinungen die unangefochtene priesterliche Alleinherrschaft. Kaum eine Bemerkung über Religion und Gott, der nicht zur rechten Zeit die Anklage wegen Gotteslästerung hinterhereilen könnte. Wer sich bei fundamentalistisch orientierten Glaubensbekenntnissen unbeliebt macht, gleich aus welchem Grunde, wird früher oder später über eine unpassende Bemerkung stolpern und von religiösen Strafgesetzen aus dem Weg geräumt. Dabei gibt es kaum Unsinnigeres als den Vorwurf der Blasphemie, der Gotteslästerung: Was wäre das denn für ein Gott, den man beleidigen könnte?

Auch das Strafrecht ist mit einem Schwert bewaffnet; im Vergleich zur Religion verfügt es jedoch nur über dessen stumpfe Seite. Strafrichter fundamentalistischer Staaten, die versäumen, „gotteslästerliche Rechtsverstöße“ angemessen zu ahnden, fallen früher oder später dem religiösen Mob zum Opfer, was für linientreue Richter sorgt.

Dennoch soll hier wenigstens der Versuch unternommen werden, zu verhindern, dass noch länger so wenige so viele so dauerhaft und so gründlich ausnutzen können, wie durch die Religion und die damit verbundene Ausbeutung von Gläubigen.

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„Gott ist die Wahrheit“, verkünden die Religionen. Von der kleinsten Sekte bis zur größten Kirche weiß eine religiöse Organisation besser als die andere, was Wahrheit ist. Da kommen schon so einige Wahrheiten zusammen! Ein interessanter Einfall ist es, sich selbst als Wahrheit auszugeben. „Ich bin die Wahrheit“, sagte Jesus zu Pilatus. Der Römer blieb unbeeindruckt. „Was ist Wahrheit?“, soll er Jesus geantwortet haben und ließ ihn ans Kreuz schlagen.

Die Wahrheit ist eine weiche Währung. Wer nach der Golddeckung fragt, erfährt den echten religiösen Tauschwert und es lohnt sich die Wahrheit von der Religion zu scheiden: Wahr und gut ist, was religiösen Organisationen nützt, unwahr und böse, was ihnen schadet! Kluge Gläubige halten es daher lieber mit den Worten eines erfahrenen dänischen Bischofs, der gesagt haben soll, es gäbe viele Wege zur Wahrheit, einer davon wäre der Burgunder...

Vielleicht funktioniert es besser mit der Liebe? „Gott liebt dich“, „Gott braucht dich“, rufen uns die Religionen zu. Schon nach kurzer Zeit ist zu erkennen, dass der wahre Glaube weniger uns selbst liebt als unsere Zeit, unsere Arbeitskraft, unser Geld, ja unser Leben. Das soll nicht heißen, dass Religionen zu wahrer Liebe unfähig sind. Sie ist in Religionskriegen, heiligen Kriegen oder vergleichbaren Unfreundlichkeiten zu besichtigen, in denen gnadenlose Herrschsucht, die über Leichen geht, zur Sache Gottes verklärt wird.

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Der Betrug von Religionskriegen würde sich Verstandesmenschen leicht erschließen, meint Lawrence von Arabien in „Die sieben Säulen der Weisheit“. Wenn er recht hat, gibt es wohl nur wenige intelligente Personen, zumindest in Amerika, bis hin zum Präsidenten. George W. Bushs Kreuzzug der Moderne im Nahen Osten wurde nicht nur, wie Zyniker glauben, Israels Sicherheitsinteressen oder reichhaltiger Ölvorkommen wegen geführt, sondern auch für Millionen fundamentalistische Christen. Diese sind nicht minder fanatisch als blindwütige Islamisten, wie jene zum Märtyrertod bereit und waren mit ihren Glaubenskämpfern im Windschatten der amerikanischen Truppen im Rachen des Islam unterwegs. Die unerschöpfliche Überzeugung, auf alles die richtige Antwort zu haben, prägt den Fundamentalismus. Ob diese Auskünfte vom Adressaten auch begehrt werden, spielt hingegen keine Rolle.

„Fundamentalismus sei Religion ohne einschränkende praktische Vernünftigkeit“, mahnte Papst Benedikt XVI. zu einer Zeit, als er noch als Kardinal Ratzinger und katholischer Chefideologe ausgerechnet jenes Amt innehatte, mit dessen Hilfe sich die Inquisition jahrhundertelang austoben konnte (und sich eines Tages auch wieder austoben wird, bleibt die Macht der Kirche nicht begrenzt).

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Natürlich träumt jede Religion davon (wie heute etwa noch Realität in manchen Staaten), Religion, Gesetz, Lebensregel und Sitte zugleich zu sein. Anders ausgedrückt: Religionsfürsten möchten als Diktator, Feldherr oder Alleinherrscher zu einer Art Priestergott aufsteigen, getragen von fundamentalistischen Gläubigen, die im Grunde nur Lautsprecher ihrer Religion, nur Sprachrohr ihres „Priestergottes“ sein wollen.

Die dann Einsatz und Opferwillen so deutlich steigernde religiöse Motivation macht Himmlisch-Heiliges zu einer höchst irdischen Waffe, zu einer mit verblendeten, fanatisierten Gläubigen geladenen Kanone, die von einflussreichen Religionsführern zur Verfolgung beliebiger Interessen gegen alles und jedes gerichtet werden kann. Hinter den Kämpfen um den besseren und wahreren Gott, stehen freilich nur knallharte Interessen, ein Wettlauf um Macht, Land und Ressourcen.

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Wie neidisch muss manch zwangserneuerte Kirche auf Kumpel sein, denen solche Geschütze in diesem 21. Jahrhundert noch zur Verfügung stehen? Der Islam ist wenigstens ehrlich: „Die Moscheen sind unsere Garnisonen, die Kuppeln unsere Helme, die Minarette unsere Bajonette und die Gläubigen unsere Soldaten (Ziya Gökalp, türkischer Dichter).“ Nicht alle Religionen wollen aber gleich die Konkurrenz angreifen, auch wenn Angriff die beste Verteidigung sein soll! Protestanten beschränken sich angeblich auf pure Abwehrabsichten und sind schon damit zufrieden, dass ihr Gott „eine feste Burg ist“.

Natürlich schützt vor religiöser Gehirnwäsche kein noch so gutes Schulsystem, zumindest wenn es von der Kirche betrieben oder mit ihr eng genug verwebt wird. Es waren hochgebildete islamische Männer, die daran glaubten, für ihren Todesflug am 11. September 2001 mit dem ewigen Leben im Paradies, 7 Ehefrauen, 77 Jungfrauen und 2.000 Sklavinnen belohnt zu werden. Sollte das nicht reichen, legen Religionen gern noch ein paar sexuelle Anreize drauf! Die gefährlichsten Betreiber der christlichen Hexenprozesse und der Inquisition waren nicht etwa einfältige Bauern, sondern gehörten einem erstklassig gebildeten Personenkreis an.

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Brandgefährlich sind naturgemäß monotheistische, also nur an einen einzigen Gott glaubende sogenannte Offenbarungsreligionen. Ihnen ist der Glaube kein Haus mit vielen Zimmern, sondern starrer Monotheismus. Sie erkennen nur einen einzigen allwissenden, allmächtigen, allgegenwärtigen und unfehlbaren Gott an: Es gibt nur einen Gott, er ist einzig, allmächtig, unnahbar, man verträgt seinen Anblick nicht, man darf sich kein Bild machen, nicht einmal seinen Namen aussprechen. So wird mit dem Glauben an einen einzigen Gott die religiöse Intoleranz geboren, die sich fortan mit einer Schar von kaum übersehbaren Gottheiten, mit Personifikationen von großen Naturmächten wie Himmel und Erde, Sonne und Mond oder mit Abstraktionen wie Wahrheit oder Gerechtigkeit herumzuschlagen hat.

Handelte es sich nun beim Monotheismus nur um eine hoch vergeistigte Religion, mit der Idee einer einzigen, die ganze Welt umfassenden Gottheit, die nicht minder alliebend ist als allmächtig und allem Zeremoniell und Zauber abhold, könnte man sagen, so weit so gut und es dabei bewenden lassen. Das Judentum zeigt jedoch geradezu beispielhaft, wie man eine so bemerkenswerte und vergeistigte Gottesidee durch Auslegungen, Rituale, Zeremonielle usw. seitens der Priesterschaft auf den Stand aller anderen Religionen zurückwirft oder gar noch darunter, und das auch noch mit atemberaubender Intoleranz im Blut.

Die bloße Unterscheidung in korrekte und falsche Götter muss schon den Keim der Intoleranz in sich tragen. Besonders unerfreulich ist es, wenn gleich mehrere große Religionen diesen Anspruch erheben: Das Judentum, das Christentum und der Islam, wobei die beiden letzteren sogar ziemlich flächendeckend fremde Kontinente erobern konnten.

Besonderes Unheil ist somit vorprogrammiert, wenn sich gleich mehrere monotheistische Götter breitmachen, denn die ihnen opfernden Religionen streben immer nach absoluter Macht. Sie könnten gar nicht anders, selbst wenn ihnen ihr Glaube angeblich die Missionierung Andersgläubiger verbietet. Beteuerungen, die nur Teil einer alltäglich verbreiteten Kriegslist sind.

Daran ändert auch nichts, wenn der christliche Monotheismus mit seiner verwässernden Dreieinigkeitslehre (Gottvater, Gottsohn und Heiliger Geist) nicht ganz so konsequent wie etwa der Islam beten lässt: „Es gibt keinen Gott außer Gott!“ Dabei wäre dem Mangel eines „relativen (neben dem Gott des eigenen Volkes die Götter anderer Völker kennenden) Monotheismus“ durch den „absoluten Monotheismus“ leicht abzuhelfen: „Ein Gott für alle!“ Nur die Einigung auf den richtigen fällt halt so schwer. Schließlich geht es ja nicht wirklich um eine Gottesidee, sondern um die Unterwerfung von Gläubigen mit den Mitteln der Religion.

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Wer die apokalyptische Richtung der drei monotheistischen Religionen aufspüren möchte, muss nach Meinung der Autoren des Buches „Krieg der Religionen (Victor und Victoria Trimondi)“ nicht weit gehen. Nur Träumer meinen, dass diese Religionen zum Frieden raten: „Man mag es kaum glauben, welche Orgien aus Feuer und Blut in den drei Heiligen Schriften dieser Glaubensbekenntnisse erscheinen und mit welcher Wut und Genugtuung der energiegeladene Kern der jeweiligen Religion von ihren modernen Verkündern gefeiert und eingefordert würde. Diese drei Todfeinde passten zusammen wie Schlüssel und Schloss an der Tür zum Abgrund. Alle drei seien sich einig, dass der apokalyptische Endkampf im Nahen Osten, speziell im Heiligen Land, stattfinden würde. Darum könne keiner der „religiösen Global Players“ dort auch nur einen Fußbreit Boden aufgeben. In Jerusalem wohnen ihre drei großen Gotteshäuser auf knapp zwanzig Hektar nebeneinander, um keinen Preis der Welt bereit, in einem einzigen zusammenzuziehen (sinngemäß zitiert).“

Das soll beileibe nicht Vielgötterei rechtfertigen, aber zumindest hat es hier in der Regel mit der Abzocke von Gläubigen sein Bewenden, während Monotheismus zum (blutigen) Glaubenskrieg neigt. Und Glaube versetzt Berge, nämlich in Glaubenskriegen Berge von Menschen unter die Erde. Die Schlacht um den wahren Schöpfer wird mit „Soldaten Gottes“ geführt! Wer den überlegeneren Weltenlenker zu besitzen glaubt, kann gar nicht anders, als ihm zum Sieg verhelfen zu wollen, auch wenn damit nur der eigene Vorteil gemeint ist.

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Monotheismus oder Vielgötterei? Man würde jedenfalls annehmen, dass zunächst Gott existieren sollte, bevor Menschen überhaupt anfangen könnten, an ihn zu glauben. Dass es Gott gibt, wie unerklärlich er/sie/es auch immer sein mag, wird ja gemeinhin auch nicht bestritten. Leider verhält es sich aber in dieser Lieferkette genau umgekehrt. Der Gott, den wir anbeten, bedarf erst seiner Erschaffung durch uns selbst, was erahnen lässt, wie wenig Gott mit unserer Vorstellung von ihm zu tun haben dürfte. Dieser Überzeugung war auch Karl Marx: „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen.“

Und wer genauer hinsieht, dem bleibt auch nicht verborgen, wer sich bevorzugt für die „Erschaffung Gottes“ zuständig hält. Er wird entwickelt, gestaltet, ja erzeugt von Schamanen, Zauberern, Medizinmännern, von Propheten, denen er sich angeblich offenbart, von Heiligen, die sich durch Wunder oder Schicksalsschläge zu seiner Erklärung für berufen halten, aber am hartnäckigsten natürlich von den Profis selber, von einer theologisch und geistig bis an die Zähne bewaffneten Priesterschaft.

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So beschreibt beispielsweise Sigmund Freud in seiner Schrift „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“ einen nur für wenige Jahrzehnte Ägypten prägenden Monotheismus. In der Priesterschule des Sonnentempels zu On (Heliopolis) wurde um ca. 1300 bis 1400 vor unserer Zeitrechnung versucht, die Vorstellung eines universellen Gottes zu entwickeln. Der geschichtliche Hintergrund war vermutlich eine Gegnerschaft zum übermächtig gewordenen Gott Amon in Theben.

So wurde ein uralter Name des Sonnengottes Aton oder Atun neu hervorgeholt und in dieser Atonreligion fand der damals regierende junge König eine Bewegung vor, der er sich anschließen wollte. Schließlich war Ägypten durch große Eroberungen zur Weltmacht geworden und dieser Imperialismus, diese Macht, sollte sich nun auch in einer monotheistischen Religion widerspiegeln.

So wie der Pharao der einzige und unumschränkte Herrscher der dem Ägypter bekannten Welt war, so sollte auch die neue Gottheit der Ägypter ein einziger, allmächtiger Gott sein, eben ein monotheistischer, der sich andere Götter neben sich ausdrücklich verbat. Man kann erahnen, mit wie viel geistigem Gift sich eine in diesen Fragen kompromisslos befehdende Priesterschaft wechselseitig bei diesen Gotteskämpfen zwischen alter und neuer Religion bespritzte. Und blutige Gemetzel dürften ebenfalls kaum ausgeblieben sein. Bei Gott verstehen Religionen nun einmal keinen Spaß.

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Was lernen wir daraus? Wir erfahren, dass je nach Bedarf immer wieder neue Gottesideen zusammengebastelt werden, durchaus dem Gesetz von Angebot und Nachfrage folgend, mit denen Gläubige beherrscht und zufriedenstellend gemolken werden können. Und so zwingt man die Menschen, bei entsprechender Notwendigkeit, auch gerne in den Dienst einer neuen Religion, wie damals in Ägypten. Besonders erfreulich (für die jeweils religiös herrschende Oberschicht) ist hierbei, dass, eine entsprechend lange Praktizierung des der jeweiligen Gottheit hinterhergeworfenen Glaubens vorausgesetzt, Gläubige in diesem Netz zappeln und diese Vorgänge irgendwann nicht mehr hinterfragen, ja noch nicht einmal mehr hinterfragen könnten.

Schlechte Gewohnheiten sind wie ein Seil. Wir weben jeden Tag einen Faden und schließlich können wir es nicht mehr zerreißen, meint Thomas Mann. Das gilt erst recht für die schlechte Angewohnheit der Kirchen, bei ihren gläubigen Untertanen über die Generationen die Inhalte ihrer Religion geradezu einem Stahlseil zu weben, das jene im Unbewussten nicht mehr durchtrennen können. Die Bevölkerung wird unrettbar mit religiösen Tabus gefangen genommen und gefangen gehalten, bis es schließlich zur finalen religiösen Entmündigung kommt.

Schließlich bedeutet Religion auch stetes Wiederholen. So verstanden ist Religion „Ritus“! Die Inhalte werden solange wiedergekäut, bis sich die Gläubigen in einer Art schraubstockartiger Umklammerung ihres Verstandes und ihrer Seele befinden. Die Beute wird spinnengleich nicht durch einen Prankenhieb geschlagen, sondern mittels eines sanften Webvorgangs!

Glaube spinnt ein dem Netz der Kreuzspinne gleichendes (Lügen‑)Gewebe, das seine potentiellen Opfer, Gläubige und auf gewisse Weise auch seine Priester, von frühester Jugend an einschließt und ähnelt so weniger einer geistigen als einer mechanischen Abfolge.

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Statt beunruhigender Glaubenskrisen, die die großen Menschheitshoffnungen auf Irdisch-Pragmatisches zielen lassen, werden wir sogar Zeitzeugen einer neuen, um sich greifenden Religiosität. Modische Sinnkrisen lassen immer mehr Individuen wie entlaubte Bäume in der Seelenlandschaft stehen und nach Religionen greifen, denen man den religiösen Auftrag nicht ohne weiteres ansieht. Misstrauisch geworden bedient man sich auch aus dem Warenkorb neuer Fast-Food-Religionen, entscheidet sich für Kirchen, die ein religiöses Rundum-Sorglos Paket vertreiben oder wird ganz einfach und zeitgemäß zum Wellness-Spiritualisten. Die Grundmuster bleiben natürlich immer die gleichen!

Weil etablierte Glaubenseinrichtungen von solchen Entwicklungen kaum profitieren, deuten sie das ausnahmsweise richtig: Weltfluchtbewegung einer sinnentleerten Zeit; ethischer Kassensturz! Dass es die eigene Kasse ist, die gestürzt wird, wird dabei schmerzlich zur Kenntnis genommen.

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In schweren Zeiten heißt es für das religiöse Establishment zusammenzustehen, notfalls mit dem religiösen Erzfeind von gestern. Religionen, die nun plötzlich nichts mehr bedauern als die Spaltung der Religionen und jetzt so gerne wieder nur eine wären, freilich nur die jeweils eigene, einzige und ewig wahre. Man testet sich unter der Tarnkappe der Ökumene (Einigungsbewegung aller christlichen Konfessionen) mit gefrorenem Jenseitslächeln auf wechselseitige Verträglichkeit - selbst wenn man stattdessen lieber einen Becher Gift leeren wollte. Wenn die althergebrachten religiösen Rettungsinseln derzeit in Seenot geraten, heißt das nicht, sie würden auf Dauer aufhören, sich als wärmende Rettungsstationen anzubieten.

Dabei könnten die Seelenfischer bei so vielen Gemeinsamkeiten in Religionsfragen getrost fusionieren. Sie hätten dann wieder Muße, sich verantwortlich mit Fragen nach Gut und Böse auseinanderzusetzen, statt sich in religiöser Hingabe gegenseitig zu zerfleischen. Freilich würde der Abbau wechselseitiger Feindbilder und Glaubensgeschütze manchen Kommandanten überflüssig machen - der schlimmste aller religiösen Albträume.

Dabei gingen unterschiedliche Kirchen bei einer Vereinigung gar kein Risiko ein. Schließlich können sich Krankheiten nicht selbst anstecken. Nur Dritte erkranken an der Pest der Religion, lassen sich vom Glauben infizieren und beherrschen. Dies bestätigt auch eine Lebensweisheit in Mississippi/USA: „Eine Klapperschlange vergiftet sich niemals selbst!“

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Dabei gibt es längst eine Kirche, unter deren Dach sich alle packen ließen: Fußball! Als Altmeister Pele am 19. November 1969 im Maracana-Stadion in Rio de Janeiro sein tausendstes Tor schoss, wollten die Stadiongötter, dass es ein Elfmeter sei. Die Welt hielt den Atem an! Nach dem Tor wurde das Spiel für elf Minuten unterbrochen und die Kirchenglocken läuteten zwanzig Minuten lang! Zu jener Zeit wurden in Brasilien fünfmal so viele Fußballstadien gebaut als Krankenhäuser und Schulen. Warum auch nicht? Krankenhäuser? Auch Fußball heilt, zumindest einfältige Seelen. Er suggeriert den Armen, ein jeder könne wie Pele in die Reichenliga aufsteigen. Schulen? Auch Fußball erzieht! Es gäbe wohl noch weit mehr Kriminelle und Drogensüchtige auf brasilianischen Straßen, wäre der Straßenfußball nicht allgegenwärtig.

Fußball ist nicht nur Weltanschauung, quasi-religiöses Ritual, kulturelle Manifestation oder Spiegel der Gesellschaften, in denen er gespielt wird, sondern wahre Weltreligion, die, wie beispielsweise die Katholische Kirche, Platz für alle Torheiten hat! Gewinnt die brasilianische Mannschaft ein Spiel, ziehen viele Fans beim nächsten Spiel dieselbe Unterhose, denselben Slip ungewaschen wieder an - so lange, bis die Mannschaft verliert. Bei einer längeren Siegessträhne droht Seuchengefahr.

Im Süden Spaniens konnte sich der Fußballgott mit dem heiligen San Pankratius arrangieren. Verliert jedoch die Mannschaft seiner Fans, droht ihm ein eisiges Kühlschrankschicksal bis zum nächsten Spiel. Strafe muss sein! Mexikanische Spieler können sich gar nicht verletzen, wenn ihr Bild auf Hausaltäre gestellt wird. Ein Shinto-Schrein für den Gott der Ballspiele namens Seidaimyojin fehlt zumindest während einer Weltmeisterschaft in keinem japanischen Haushalt. Clevere angolanische Priester hingegen legen vodooartig lieber die Kräfte gegnerischer Mannschaften lahm. Kräuter und Tierhorn werden zu einem Ball geformt, mit Garn umwickelt und mit einem (lähmenden) Schloss versehen.

Bei aller Unterschiedlichkeit in der Verehrung zeichnen den Fußballweltgott aber auch wieder Universalität und Toleranz aus, da die Mehrzahl der Fans in aller Welt vergleichbar schwachsinnige Fußballdevotionalien erwirbt und verehrt. Sie schlüpfen in überteuerte T-Shirts mit den Namen ihrer Lieblingsballtreter, trinken unerschrocken aus Halbzeit-Bechern, besaufen sich aus Flaschen, die mit Fußballköpfen verschraubt sind, lassen sich in Särgen in Form von gigantischen Sportschuhen beerdigen (Ghana) oder wählen ballförmige Urnen in den Vereinsfarben des Bundesligisten Borussia Dortmund (bestellbar bei deutschen Bestattungsunternehmern). Schon bald werden Schönheitschirurgen den Umbau von Patientenköpfen zu Fußballschädeln im Angebot haben.

Selbst die herkömmlichen, traditionell gerne Kriege anzettelnden Religionen könnten letztlich zufrieden sein. Der Fußballgott taugt nämlich sogar zum Kriegsgott! Mit dem runden Leder lassen sich himmlisch unterhaltsame Stellvertreterkriege führen. Mitunter bleibt es nicht dabei und die Kontrahenten fallen mit ihren Armeen übereinander her, wie 1969 beim berühmten Fußballkrieg, als salvadorianisches Militär in Honduras einrückte: 3.000 Tote, 6.000 Verletzte!

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Kompatibilität von Religionen wäre schnell erreicht, was bereits bei der Geburt des Menschengeschlechts beginnt: In der Regel stellte eine riesige Gotteshand die Menschheit fertig auf die Erde oder erfand sie im Zeitrafferverfahren. Solch eine Erklärung ist verständlich! Das menschliche Wesen leidet einerseits sehr darunter, dass es von seiner Tiernatur nur ein schütteres Stück Fell zwischen den Beinen retten konnte. Andererseits möchte es alles sein, nur kein Tier. So verleugnet es seine Herkunft und versucht, das Tier als Bestie um Längen zu übertreffen.

Große Übereinstimmung besteht auch, wie weiter oben schon erwähnt, in Fragen der Religionsstiftung. Religiosität und Wahnerleben sind eng verknüpft. Trifft der Wahn eines einzelnen auf Hirngespinste einer ganzen Epoche, wird eine neue Weltreligion geboren. Sie ist erfolgreich, solange sie die Verrücktheiten des Zeitalters gut bedient. Der kirchliche Verwaltungsapparat ist schließlich meist weniger lebensfremd als der Religionsstifter, was den Fortbestand großer Religionen weit über das Zeitalter der Gründung hinaus garantiert.

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Religionsinhalte sind häufig austauschbar. So beten Männer vieler Konfessionen ihre Schwänze heilig und glauben sich damit bevorzugt im Willen Gottes widerzuspiegeln. Die Juden machen wenigstens keinen Hehl daraus und loben schon im Morgengebet (Schacharit) Gott für die Ausstattung mit einem Penis: „Gelobet seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der mich nicht als Weib erschaffen.“ Wir wüssten in diesem Zusammenhang auch das passende Gebet für die jüdische Frau: „Gelobet seist Du, Ewige, dass ich wenigstens kein solcher Mann geworden bin!“ Kein Wunder, wenn ein zeitgenössischer, angeblich männerfeindlicher Witz spottet: „Warum feiern wir eigentlich Weihnachten? Es kommt doch jeden Tag vor, dass ein Mann geboren wird, der sich später für Gott hält.“

Vor Jahrtausenden könnte dies anders gewesen sein, was archäologische Funde mächtiger weiblicher Gottheiten nahelegen. Auf den geistigen und tatsächlichen Ablauf religiöser Beutezüge hat es natürlich keinen Einfluss, welches Geschlecht gerade angebetet wird und ändert darum auch nichts an den Grundmustern religiöser Dummheit auf Seiten der Geplünderten.

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Wir sind mit der Religion der Auffassung, man sollte sich um sein Seelenheil kümmern. Frömmigkeit stillt uralte Grundbedürfnisse des Menschen. Jede Kultur hat ihre Herrgottswinkel, in die jedermann sein privates Gedenken, etwa Geburts- und Sterbetage seiner Lieben, einwebt in die Reihe der sich im Grau der Vorzeit verlierenden Ahnen. Kinder fühlen in ihren Eltern die sich verdämmernden Stufen der Ewigkeit, als letztes Glied einer Vorfahrenkette, die in letzter Konsequenz bis zu Gott reicht, aber auch Eltern können in ihren Kindern, einer frommen Ahnung folgend, Gott sehen als nächstes Glied dieser langen Ahnenreihe.

Heilige Orte und religiöse Wallfahrtsstätten, die den Geist in Andacht versetzen, gibt es überall auf der Welt. Echte Gottesfürchtigkeit ist keineswegs unsympathisch! Leider bemächtigen sich ihrer die Amtskirchen und Religionen aller Art und entziehen Kraft und Trost der Hausaltäre zum Wohle des Größeren und Ganzen ihrer so frech verkauften Religion.

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Niemand kann von vornherein die Möglichkeit eines wie auch immer gearteten Lebens nach dem Tode bestreiten. Zuverlässiger Einblick fehlt jedoch zweifellos jenen, die mangelnde Kenntnis durch eigennützigen, unverdaulichen Verdammnisbrei ersetzen und milde lächelnd auf all die angeblich bewusstlos Dahinvegetierenden herabblicken, denen das Licht der Erleuchtung noch nicht zuteilwurde.

Der Baum der Erkenntnis trägt bekanntlich bittere Früchte! Die bitterste hält die Einsicht bereit, wie der religiöse Freibeuter vorgeht. Am besten wie ein Brandstifter, der sich vorher zum fachkundigen Löschen selbst gelegter Brände unentbehrlich gemacht hat. Am Beispiel des Katholizismus werden wir dies deutlich machen! Wir fürchten freilich, die nachfolgend vorgelegten Gedankengänge werden kaum Anlass zur Hoffnung geben, dass uns der Vatikan künftig noch mit vollem Wohlwollen ausstatten wird.



             Katholizismus im Besonderen

Ist Religionen schon im Allgemeinen wenig Gutes nachzusagen, so scheint ein Herz besonderer Finsternis in jenen Religionen zu schlagen, aus denen das Christentum und verwandte Konfessionen schließlich vergleichbar finster hervorgegangen sind. Prediger dieser großen Glaubensfamilie neigen traditionell noch heute in den als Gottesdienst verabreichten Vollnarkosen dazu, mitunter Feuer und Schwefel auf die Zuhörerschaft niedergehen zu lassen.

Seit Jahrtausenden fühlt sich die Heilige Katholische Kirche als Wegweiserin der Tugend unserem Seelenheil verpflichtet, lückenlos, von der Geburt bis zum Tod. Sie sorgt sich rund um die Uhr um uns und teilt das eroberte Herrschaftsgebiet weltweit ausnahmslos in Seelsorgeregionen auf, bis ins kleinste Dorf.

Nach dem alten Griechisch-Wörterbuch bedeutet „katholisch“ etwa „im Ganzen“ oder „überhaupt“. Deshalb blieb und bleibt dieser Kirche nichts andres übrig, als „alle Welt umfassend und selig machend“ zu wirken. Sie versteht sich als Sachwalterin dessen, was immer schon geglaubt wurde, was man gegenwärtig glaubt und in Zukunft glauben wird. Das ist die Beanspruchung einer einmaligen sakralen Monopolstellung, die die weltlichen Mächte dieser Erde zu bedeutungslosen Zwergen degradiert.

Glaubensinhalte sind in letzter Konsequenz unwichtig und beliebig austauschbar: Gott oder Teufel, Marienverehrung oder Hexenverbrennung, Weihwasser oder Blutopfer - alles, alles kann bestehen, wenn nur die zu scherenden Schäflein (leeren Blicks) auf der katholischen Wiese weiden: „Der Herr ist mein Hirte und weidet mich auf einer grünen Aue... (besonders empfehlenswert auch für Rindviecher).“ Der Kern der katholisch-christlichen Botschaft ist all das, was diesem Ziel dient und schon wird die Quelle des Glaubens zur allseits beliebtesten Quelle die es überhaupt gibt, zur Einkunftsquelle. Ehrenhalber wollen wir jedoch nicht vergessen, dass jede kleine oder große Religion zur angemessenen Ausweitung ihrer Glaubensinhalte neigt, wenn dies der Gewinnerzielung und Machterhaltung dienlich ist.

Wer dieses Grundprinzip des mit der Dummheit der Menschen gemörtelten Katholizismus nicht kapiert, ist für höhere Weihen gänzlich ungeeignet. Er könnte mit so viel Bosheit auch nicht glücklich werden. Zur Strafe bleibt er für immer auf die grüne Glaubensweide verbannt und wartet brav auf den Auftritt religiöser Großraubtiere. Man kann nur Hammer oder Amboss sein!



Heiligstes des Heiligen

Die katholischen Großräuber kochen aber auch nur mit Wasser und gingen so vor wie andere religiöse Raubtiere. Sie sprachen mit den Schafen über die Unerklärlichkeit des Daseins, über die Existenz eines Wesens, das alles geschaffen hat und darum göttlich sein musste usw. usw. Eines Tages begnügte man sich aber nicht mehr mit der Erklärung, es existiere ein Wesen von außergewöhnlicher Kraft, das dem begrenzten Verstand von Schafen einfach nicht begreiflich zu machen war. Der wahre Kern wurde immer heiliger eingewickelt und religiös verdreht.

Im Unterschied zu diesem heiligen Kern war das Material, mit dem er wieder und wieder eingewickelt wurde, vergänglich, faulte und stank langsam vor sich hin. Weil jedoch die Raubtiere selbst nicht mehr sicher waren, ob der ganze Unrat, der zum Einpacken verwendet worden war, vielleicht doch von Gott selbst stammte, wagte niemand dies auszusprechen. Dabei war lediglich bienenfleißig der eigene geistige Müll verwendet worden!

Damit es nicht bis zu den einfachen Kirchenbänken hinunter stank, musste der gesamte Glaubensballen immer wieder neu übersinnlich umwickelt werden. Eines schönen Tages war er so groß wie heute: ein riesiger, aufgeblasener Ballon, in dem es entsetzlich gärt. Würde er angestochen, überschwemmte herausquellender Unrat sintflutartig die Erde. Inzwischen ist die Haut aber so dick, dass selbst so eine halbwegs natürliche Entleerung des Ballons nicht mehr gelingt. Wir werden mit dem Katholizismus leben müssen, bis er platzt!



Bild Gottes

Die Gefahr, dass das Bild Gottes für Gott selbst gehalten wird, ist so alt wie die Menschheit. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt, glaubte Gott und befahl Moses in den Zehn Geboten: „Du sollst dir kein Bildnis von Gott machen!“ Gott und Moses täuschten sich! Nur wenige Religionen verbieten konsequent die Abbildung Gottes.

Im Gegenteil! Viele Glaubensrichtungen gestatten Malern, Fenster zur himmlischen Welt zu öffnen und Blicke auf Gott freizugeben. Vorsorglich wird allerdings den Malern diktiert, wie Gott auf den Bildern auszusehen hat. Sähe der Allmächtige bei allen Religionen gleich aus, müssten sich diese endgültig zusammenschließen. Das Bild selbst soll freilich nicht verehrt werden, sondern religiöse Achtung erfahren sollen nur die dargestellten Personen oder religiösen Geschehnisse. Graue Theorie! Viele Gläubige beten dennoch Heiligenbilder an.

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Afghanische Taliban sprengten im Frühjahr 2001 die berühmten Höhlen-Buddhas von Bamian, da der strenge Islam Bilder Gottes konsequent untersagt. Die Gestalt zu bilden sei das alleinige Recht des schöpferischen Gottes. Sie gottlos zu schelten, wäre deshalb ungerecht! Schade ist es trotzdem um die einzigartigen Steinmonumente. Sie hätten auf ewig mahnen können, wie viel Bauzeit man nutzlos für Religionen aufwenden kann. Vergleichbar ernst nahm dieses Thema einst auch das Christentum. Angesehene und fromme Kirchenlehrer verdammten jahrhundertelang den Bilderdienst als „abscheulichsten Götzendienst“.

Nicht anders hielten es die Juden, die das mosaische Bilderverbot zu beachten hatten: „Du sollst Dir kein Bild machen!“. Das war mehr als ein Gesetz, es war eine der Grundwahrheiten des Judentums. Wort und Bild schließen einander aus. „Am unsichtbaren Wort hängen? Ist es das Wunderbarste, was es auf der Welt gibt? Wirkt es gestaltlos stärker als jede Gestalt (aus Feuchtwanger, Der jüdische Krieg)?“ Nur der konnte demnach Gottes Wort, das heilige und unsichtbare, besitzen, der es nicht durch sinnliche Vorstellungen befleckte, der aus innerstem Herzen auf den eitlen Tand des Bildwerks verzichtete. Wer dennoch Bilder Gottes zulässt, liefert die Gläubigen an ihr Bekenntnis aus, oder besser an die Interpretationsmacht seiner Religionsführer. Leider bleibt in irgendeiner Form gleichwohl immer Raum für Auslegung - auch im Judentum!

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Letztlich setzten sich jedenfalls fast überall auf Erden die religiösen Bildernarren durch, nicht zuletzt wegen der Einträglichkeit der Anbetung. Mitunter wurden bis zu 1.200 Marienbilder und mehr verehrt. Mancherorts, wie etwa in Loreto, führte das zu erheblichen Sachbeschädigungen. Der Marmor um die Gnadenbilder wurde mit den Knien so „verrutscht“, dass sich förmlich Rinnen bildeten.

Enthielten Gottesbilder früher sinnbildliche Darstellungen, so wurden mit verfeinerter Maltechnik reale Bilder und Gemälde immer beliebter. Keine Geschmacksrichtung blieb unversorgt, solange das Grundanliegen der geistigen Botschaft mit einer angemessenen Wertschöpfung vermittelbar war.

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Der Katholizismus berücksichtigt individuellen Geschmack normalerweise sehr zurückhaltend. Beim Gottesbild können Katholiken jedoch über mangelnde Produktvielfalt kaum klagen. Unentwegt sind teure theologische Fachkräfte mit der Anfertigung himmlischer Gemälde befasst. Für jeden Geschmack das passende Kunstwerk. Jedem sein privates Gottesbild als solide Grundausstattung für den Alltag!

Naiv-bildhafte Darstellungen für Einfältige, theologisch-geistige Gemälde für Intellektuelle. Das Bild liebender Gotteseltern für Kindlich-Unsichere, Gott als Pfadfinder für Sinnsuchende. Folkloristisch-Göttliches für Land und Leute, Mythisch-Verschwommenes für weltfremde Spinner.

Wir empfehlen religiöse Privatwege! Wie klug sind doch Kinder, die sich ihre persönliche Kuschelreligion entwerfen, mit einem individuell zusammengemischten Gottesbild ihr Defizit an persönlicher und gesellschaftlicher Geborgenheit füllend und damit so weise erscheinend wie Mystiker, für die religiöse Wahrheit in kein Gesetz zu gießen ist. Religionsunterricht bessert hier kräftig nach! Am Ende blieben die professionellen Gottes-Anstreicher auf Ladenhütern sitzen.

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Die biblische Warnung vor Gottesbildern kommt nicht von ungefähr. Philosophen haben nachgewiesen, dass sich in jedem Gottesbild der formende Mensch selbst abbildet, anbetet und, in letzter Konsequenz und kaum übersehbarem Größenwahn, Gott selbst sein möchte. Frappierend ist die Erkenntnis, dass es nur menschliche, allzumenschliche Eigenschaften sind, die in verklärter Form Gott zugeschrieben werden: Gott - der ideale Mensch!

Natürlich ist das katholischen Theologen nicht neu, die auch ihren Feuerbach, Schopenhauer und Nietzsche gelesen haben. Allerdings hat diese Erkenntnis keine Konsequenzen für ihr religiöses Gottesbild. Wir wissen bereits: Die Katholische Kirche ist die Sachwalterin dessen, was immer schon geglaubt wurde, was man gegenwärtig glaubt und in Zukunft glauben wird. Ist es der großen Sache dienlich, darf es auch ein bisschen Selbstanbetung sein!

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Vielleicht fällt der Verzicht auf das Bild Gottes so schwer, weil auch hier, auf ganz subtile Weise, der Kampf der Geschlechter ausgetragen wird. Seit Jahrtausenden zum Krieg der Geschlechter verkommen, prägt er die Religionen bis ins Mark, bis ins Gottesbild hinein. Ein ganz mieser Stil prägte die Auseinandersetzungen: Das männliche Geschlecht boxte die weibliche Gegnerin mit einem verbotenen Tiefschlag aus dem Ring, um dann so zu tun, als reiche für einen anständigen Boxkampf ein Teilnehmer. Dies spiegelt sich wider im katholischen Gottesbild, in dem Frau nicht repräsentiert ist. Seither kämpfen die Geschlechter höchst hinterhältig gegeneinander und treten bei jeder Gelegenheit nach.

Das religiös unterlegte Rollenverhalten der Geschlechter kann nicht funktionieren, wenn es von geschlechtsspezifischer Unterdrückung ausgeht, statt von vernünftiger Lebens- und Arbeitsteilung. Was etwa Frauen in orientalischen Schleiergefängnissen an Öffentlichkeit oder durch ihnen oft vorbehaltene schwere Landarbeit entzogen wird, holen sie sich mühelos innerhalb der Häuser zurück, wo sie die Macht ausüben, um sich auf diese Weise schadlos zu halten.

So laufen Frauen zu Recht, und voraussichtlich noch lange, Sturm gegen etablierte Gottesbilder, bis auch sie gleichberechtigt dargestellt sind und die Schuld zwischen den Geschlechtern abgetragen ist. Etwa durch Initiativen wie „Maria 2.0“. Diese richtet sich gegen Machtstrukturen in der katholischen Kirche und fordert den Zugang von Frauen zu allen kirchlichen Ämtern. Generell geht es ganz einfach um die Gleichstellung von Männern und Frauen. Der uralten biblischen Mahnung „Du sollst dir kein Gottesbild machen....“ sollte aus bitterer Erfahrung hinzugefügt werden: „...und schon gar kein einseitig männliches oder weibliches!“



Heilige Schriften sind nur Papier

In einer Runde flüstern sich Mitspieler möglichst wortgetreu unbekannte Sätze zu und staunen Bauklötze, wie sehr sich diese bis zum Ende der Runde verändern: das „Flüsterspiel“, das Kinder gerne spielen!

Mündliche Überlieferung ist unzuverlässig! Die Religion freute die Erfindung der Schrift, die eine zuverlässige Weitergabe von Glaubensinhalten gestattete. Freilich hatte die mündliche Überlieferung auch Vorteile: Glaube, der keinen Sinn mehr machte, wurde sozusagen flüsternd mit neuem Verständnis gespeist oder einfach ersatzlos vergessen.

Dieser Vorzug entfiel, was man religiösen Schriften aller Art ansieht, etwa der Bibel als dem geistigen Fundament des Christentums mit unzähligen, sinnlosen Passagen, die niemand zu streichen wagt, oder dem Koran, als arabisches Literaturdenkmal, der erst nach Generationen über Generationen mündlicher Überlieferung niedergeschrieben wurde. Dabei täte etwas mehr Texthygiene in fast allen Fällen dringend not!

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Mit der Niederschrift des Glaubens schlug auch die Geburtsstunde der Auslegung. Allein der Streit um richtig gedeutete Bibelworte machte der priesterzentrierten Kirche so viel Spaß, dass man Gläubige eigentlich gar nicht mehr brauchte. Damit sich die Kirchenmitglieder wenigstens nicht unbefugt in die knifflige Arbeit der Auslegung einmischten, wurde sie zur Tarnung „Exegese“ genannt. Der freudig geführte Streit darüber, ob der Bibeltext selbst als Offenbarung gilt oder nur Zeugnis einer bestimmten geschichtlichen Situation ist, hallt durch die Jahrhunderte. Zu einer vernünftigen Auslegung kam man kaum noch!

Dadurch trat eine einsichtige Interpretation der Bibel auf der Stelle, der Bibeltext wurde immer angreifbarer, was den unfehlbaren Leittieren des Katholizismus natürlich nicht verborgen blieb. Sie sannen nach und entschlossen sich zu einem lebensrettenden Eingriff: Die Schrift selbst wurde heiliggesprochen und damit unangreifbar. Völlig in Vergessenheit war geraten, „dass der Buchstabe tötet, es aber der Geist ist, der lebendig macht!“

„Ein Blatt Papier zum Urquell der Erkenntnis des ewigen Geistes machen zu wollen, ist ein arm töricht Beginnen (Wilhelm Raabe, Vertreter des poetischen Realismus).“ Die katholische Regierung war aus guten Gründen anderer Ansicht. Sie befand, dass ein großer Vorteil des nun zwischen Buchdeckeln kanonisierten (heiliggesprochenen) Glaubens diesen Nachteil mehr als wettmachte.

Im unauflösbaren Widerspruch zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und Offenbarung des Glaubens wollte die Kirche schon immer ungern von ihrer (eigentlich recht gut verzichtbaren) Deutungshoheit lassen. Wie oft hatten sich Priester über aufmüpfige Gläubige ärgern müssen, die lästige Fragen zum Glauben stellten. Das hatte ein Ende! Früher konnte kaum jemand lesen. Unter Berufung auf die nun heilige Schrift war religiösen Untertanen alles Mögliche weiszumachen - und das tat man denn auch! Selbst wenn mit dem Druck von 2,5 Milliarden Exemplaren der Heiligen Schrift das erfolgreichste Buch aller Zeiten vor uns liegt, das zum Bestseller, ja zum meistverschenkten Buch der Erde wurde, ändert dies nichts daran, dass die Buchstaben, mit denen Gott die Welt schrieb, nicht nur in der Bibel zuhause sind.

Mit dieser Heiligsprechung war man fortan gut gerüstet gegen kritisches Hinterfragen durch noch halbwegs intakten Verstand. Das war fast so gut als hätte Gott die Heilige Schrift direkt vom Himmel gefaxt! Seither gibt es auch im Reich der Schrift eine Zweiklassengesellschaft: die Heilige Schrift und die normale. Und niemand braucht sich über den Zustand heiliger Schriften zu wundern! In keine mündlich überlieferte, in ihrer Verbindlichkeit vom lebendigen Austausch unter Menschen abhängige Sammlung „heiliger“ Worte könnte jemals so viel Unsinn hinein interpretiert werden wie in eine auslegungsbedürftig gewordene „Heilige Schrift“. Das zeigt sich schon an „Heiligen Kriegen“, als logischer Konsequenz „Heiliger Bücher“!

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Wir wollen es mit der Akkuratesse nicht auf die Spitze treiben, aber an manchen Bibelstellen lässt sich größerer Unsinn nicht leicht in ein paar Verszeilen jagen. Allein die Beladung der Arche Noah mit je einem Paar aller Tiere hätte selbst mit modernsten Ladetechniken angeblich 32 Jahre gedauert. Das soll aber nicht heißen, dass es keine vernünftigen Bibelzitate gibt!

Zu denken gibt etwa das Reaktorunglück in Tschernobyl (Ukraine). Es befreite aus insgesamt 190 Tonnen radioaktiven Materials etwa 6,7 Tonnen besonders toxische Anteile, um diese dann auch noch gedankenlos an die Umwelt weiterzureichen. Nach dem Unfall machte ein Bibelvers aus der Apokalypse die Runde, der das Ereignis regelrecht vorwegzunehmen schien: „Und der dritte Engel posaunte: und es fiel ein großer Stern vom Himmel, der brannte wie eine Fackel und fiel auf den dritten Teil der Wasserströme und über die Wasserbrunnen. Und der Name des Sterns heißt Wermut. Und der dritte Teil der Wasser ward Wermut; und viele Menschen starben von den Wassern, weil sie waren so bitter geworden.“ In der ukrainischen Übersetzung klingt der biblische Stern „Wermut“ wie „Tschornobyl“. Für viele Gläubige wurde Tschernobyl daher zum bitteren Symbol der Strafe für das Vergessen begangener Sünden, ja zum Hinweis auf ein nahendes Gottesgericht.

Noch wichtiger erscheint es uns jedoch „Prediger, Kapitel 3, Vers 1“ aufzuschlagen: „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde.“ Vers 2: „Geboren werden und sterben, pflanzen und ausrotten, was gepflanzt ist.“ Solch gebündelter Weisheit vermögen wir uns nicht zu entziehen! Die Religionen hatten ihre Zeit, sie wurden geboren, sie sterben und jetzt sind sie auszurotten, ohne dass neues religiöses, pseudoreligiöses, heidnisch-arisches oder sonstiges Unkraut nachwächst...



Heiliger Geist

Woher stammt das Material, mit dem man Bücher heiligspricht? Die Kirche verwendet „Heiligen Geist“. Sie hat ihn allerdings nicht erfunden oder gar synthetisch hergestellt, nein, sie hat ihn nur über Jahrtausende eingesammelt. Er besteht aus jenem Geist, der den Gläubigen über all die Jahre durch Glauben entzogen wurde. Deshalb hat die Kirche auch die Pflicht, diesen Geist zuverlässig unterzubringen. So hat sie ihn vorsorglich heiliggesprochen und bewahrt ihn kostenlos auf. Durch immer wieder neu entzogenen Geist entstehen freilich immer größere Lagerprobleme. Was nicht mehr in die schon vorhandenen Heilig-Geist-Behälter passt, wird daher von Zeit zu Zeit an die Gläubigen zurückgegeben.

Das ist nicht so einfach, wie man sich das vorstellt. Die Einlagerung des Heiligen Geistes erfolgt oft wenig sorgfältig! Die Unordnung ist groß! Und das obwohl der Heilige Geist keinen Mangel an Hilfskräften hätte. Eine Reihe von Heilig-Geist-Klöstern stehen herum, etliche sogar noch in Betrieb, etwa die „Dienerinnen des Heiligen Geistes von der Ewigen Anbetung“ im Anbetungskloster St. Gabriel in Berlin. Keiner weiß jedoch mehr, welcher Geist von welchen Gläubigen stammt. Häufig sind Beraubte auch schon verstorben. So wird der Einfachheit halber Heiliger Geist en bloc auf die Gläubigen ausgegossen, etwa beim Pfingstfest oder bei anderen passenden Gelegenheiten.

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Keine Sorge! Für den Eigenverbrauch der Kirche bleibt genug! Verbliebenem Heiligen Geist verdankt sie begeisternde Eingebungen, vom Kreuzzug bis zur Hexenverbrennung, von der Jungfrauengeburt bis zu Marias Himmelfahrt, vom Zölibat bis zu Geißelnarrheit, von massenhaftem priesterlichen Kindsmissbrauch bis zur Frauenausbeutung in gefängnisartig organisierten Magdalenenheimen und und und... Aber auch Bücher werden damit heiliggesprochen und Personen, die es vielleicht gar nicht verdient haben. Da stellt sich naturgemäß die Frage, ob den Gläubigen nicht besser ein für alle Mal der gesamte Heilige Geist im Stück zurückerstattet und fortan auf die Einsammlung verzichtet werden sollte?

Wie schmerzlich der Verlust für manche Bestohlene ist, zeigt folgende Erzählung: Ein Bauer pflegte seine Tauben nur deshalb mit allergrößter Sorgfalt, da der Heilige Geist unter ihnen sein konnte, der ja auf unzähligen Bildern als Taube abgebildet war...



Heilige, Selige und Wunder

Heiliger oder Narr

Die Religionen gehen sehr unterschiedlich mit dem Heiligenkult um. Protestanten etwa lehnen die Verehrung von Heiligen ab, da die Ehre Gott allein gebühre und das Vorbild nur Jesus sein sollte. In der katholischen Kirche wird die Heiligenverehrung hingegen gern gesehen, mit unstreitig nicht immer günstig zu nennenden Folgen.

Heilige werden hergestellt, um Gott menschlicher oder etwas nicht Verstehbares verständlicher zu machen. Gerade dies stellt jedoch das heimliche Eingeständnis dar, dass alles, worauf sich Religion richtet, Menschliches, zutiefst Menschliches betrifft. Die Frage nach dem Wesen von Gott selbst lässt dies naturgemäß völlig unbeantwortet. Umgekehrt gibt dies aber auch die Antwort auf die Ausbeutbarkeit des Glaubens.

Man staunt in diesem Zusammenhang über die vielfältige Verwendbarkeit von Heiligen. Kein Lebensbereich in dem sie nicht bestehen könnten. Einander an sich feindlich gesinnte Heilige übernehmen, wenn die Not groß ist, gemeinsam sogar Ehrenprotektorate über schwere und leichte Artillerie, Flammenwerfer oder Panzer, am liebsten in Weltkriegen und ohne zu bedenken, wie leicht sich dabei der Heiligenschein verbiegen könnte. Das ist freilich selten der Fall, da in Heiligen Wunder sozusagen serienmäßig eingebaut sind.

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Zweifellos kommt Gott ohne all die Heiligen und Seligen recht gut zurecht, im Gegensatz zu all seinen Gläubigen und Priestern! Heilige waren irgendwann einmal ganz normale Menschen, bevor sie ihr Leben für den Glauben hingaben oder sonst heroisch tätig wurden. Damit sich religiöses Heldentum lohnt, wurde Heiligen ihre Verehrung ermöglicht. Sie dürfen dabei von den Gläubigen, die ja regelmäßig geradezu besessen sind vom Bedürfnis nach jenseitigen Offenbarungen und Wundern, um Fürbitte bei Gott angerufen werden.

Die Fürsprache dieser Mittler zwischen Gott und Mensch ist in der Regel nicht gebührenfrei! Wer ein gutes Wort eingelegt haben möchte, zahlt dafür. Schließlich lassen sich die Heiligen ja auch nicht lumpen! Sie bremsen Lavaströme aus, bescheren Regen, blasen Stürme um, sorgen für gute Ernten, schützen vor Felsstürzen, gewinnen Kriege, bewahren vor Verkehrsunfällen, setzen abgestorbene Gliedmaßen wieder in Gang usw. Damit der Geldsegen nicht in fremde Hände gelangt, bleibt die Kirche ihrem ewigen Grundsatz treu: „Wer dem Heiligen dient, soll auch vom Heiligen leben!“

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Besonders erfolgreiche Wüstennarren wurden so verehrt, dass man nicht selten auf „Heiligenraub“ ging und sie „wie wilde Affen einfing“. Sonst einsame Wüsten bevölkerten sich wie Städte. Der Arbeitstag von Heiligen bestand aus Seufzen, Winseln, Schlagen des Kopfes auf den Boden, Blut speien, den Körper durch Schläge verwunden, Steine umher schleppen, auf Dornen schlafen, sich einschnüren, nackt ununterbrochen Sonnenbäder nehmen und aus anderen, vergleichbar produktiven Tätigkeiten mehr (sinngemäß v. Corvin, Pfaffenspiegel, 1845, im Buchhandel nur noch in zensierter Form erhältlich).

Über Geißler und Geißlerinnen, die sich so hingebungsvoll bearbeiteten, dass eine Heiligsprechung unausweichlich wurde, wird später berichtet. In summa summarum bleibt festzuhalten, dass die lieben guten Heiligen den Sexualtrieb nur durch Selbstverstümmelung unterdrücken konnten, da sie zweibeiniger Zündstoff immer wieder zur "Sünde lockte“. Das Urteil darüber, ob sie es dafür gleich verdient hatten, heiliggesprochen zu werden, überlassen wir gerne dem Leser.

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Das unter an Anerkennungsdefiziten leidenden Mitbürgern um die letzte Jahrtausendwende wieder in Mode gekommene tage- und wochenlange Sitzen auf Säulen oder Pfählen, dürfte seinen Ursprung in der damals erfundenen „Säulentollheit“ haben. Mancher Heilige brachte Jahrzehnte darauf zu. Wer den Unzuchtteufel damit immer noch besiegt hatte, rottete nicht selten „die Wurzel allen Übels“ an sich selbst endgültig aus (sinngemäß v. Corvin, Pfaffenspiegel).

„Viele der Heiligen waren, wie die Geschichte lehrt, die verworfensten, lasterhaftesten Menschen, ja geradezu Schufte. Selbst die besten waren nicht ganz richtig im Kopf und entweder Schwärmer oder Wahnsinnige. All diese Heiligen, einige Ausnahmen abgerechnet, waren durch die Religion wahnsinnig gemachte Menschen. Es gibt noch heute eine Menge solcher Heiliger unter Protestanten und Katholiken, nur dass man sie nicht mehr anbetet, sondern in Narrenhäuser sperrt...“ (sinngemäß v. Corvin, Pfaffenspiegel, 1845).

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Manchmal ist nicht nur zwischen Heiligen und Narren, sondern auch zwischen Heiligen und Teufeln zu trennen. Selbst die heilige Mutter Kirche hat ihre liebe Not damit. Victor Hugo erzählt im „Teufelsschiff“, dass die Teufel Raguhel, Oribel und Tobiel bis anno 745 Heilige waren, in welchem Jahre Papst Zacharias den Braten roch und sie hinausbeförderte: „Um solche Ausweisungen vornehmen zu können, die zweifellos von großem Nutzen seien, müsse man sich freilich unter den Teufeln gut auskennen.“

Martin Luther hielt bekanntlich auch wenig von der Anrufung Verstorbener als Fürbitter. Kein Wunder, dass er den heutigen Münchner Stadtpatron St. Benno, der in einer heiklen Zeit, nämlich 1523, von Papst Hadrian VI. zum Heiligen ernannt worden war, postwendend zum Teufel erklärte. Obwohl dessen Grab 1539 zerstört und seine Gebeine vernichtet wurden, gelang eine mehrmalige Umbettung der Leiche, die Flucht per Ochsenkarren aus Meißen und ein achtspänniger Triumphzug durch die bayrische Landeshauptstadt. Wenn das nicht mit dem Teufel zuging? Gebeine sind jedenfalls noch vorhanden und wen interessiert schon, ob es die richtigen sind, solange sie Wunder stiften. Sagt doch schon ein chinesisches Sprichwort: Es ist egal, ob eine Katze schwarz ist oder weiß, solange sie Mäuse fängt!

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An der Nahtstelle von Heiligen und Wundern treffen wir stets auf das religionsnahe Feld der Sexualität, das im Unterkapitel „Religion und Sexualität“ ergänzend beackert wird. Im Buch „Immerwährender Heiligenkalender“ von Albert Christian Sellner wird von der Heiligen Katharina von Siena berichtet. Sie soll so rein gewesen sein, dass ihr der Herrgott, bekanntlich ein gebürtiger Jude, während einer ihrer ekstatischen Selbstpeinigungen als Vermählungsring seine Vorhaut schenkte, die seit seiner Beschneidung an einem geheimen Ort aufbewahrt worden war. Nun schmückt sie Katharinas Ringfinger.

Nicht jede Heilige gab sich mit ekstatischen Erlebnissen zufrieden. Die Heilige Maria von Ägypten soll so hingebungsvoll gewesen sein, dass eine Reise ins Heilige Land davon finanziert werden konnte. Wer mehr über die erotischen Viten der Heiligen erfahren möchte, möge die einschlägige Literatur zu Rate ziehen.

Mancher mag es merkwürdig finden, dass so viele weibliche Heilige aus Freudenhäusern stammen, aber vermutlich ist ihr Werk in sexualfeindlichen Zeiten besonders gottgefällig. Der heilige Bischof Narcissus kam bei einer Christenverfolgung im Jahre 304 in Augsburg in einem Freudenhaus unter, das von Afra und deren Mutter betrieben wurde. Als Afra sah, welch ein gottesfürchtiges Leben Narcissus führte, bereute sie ihre Sünden und erbat beim Bischof die Taufe. Weil sie sich aber weigerte, mit körpernaher Tätigkeit weiter dem Kaiser zu opfern, wurde sie verbrannt und die Reste ihre heiligen Gebeine dürfen seither in Augsburg vertrocknen. Ihr Schicksal bestätigt eine Behauptung von Oscar Wilde, nach der „Heilige eine Vergangenheit hinter sich haben, Sünder aber eine Zukunft vor sich.“ Auf eine solche konnte Afra nicht mehr rechnen!

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Wie widersinnig prophetische Sprüche angeblich „heiliger“ Menschen sind, die den Boden bloßer Warnungen verlassen und Anspruch auf Wahrheit erheben, und wie unlogisch es ist, sie zu verlautbaren, zeigen Überlegungen, die nun wirklich nicht neu sind. Ist eine Prophezeiung zutreffend, kann die Verwirklichung ihres Inhalts um keinen Preis der Welt verhindert werden, schon gar nicht durch ihre Verkündigung. Tritt nämlich das prophezeite Ereignis nicht ein, weil man (dank Kenntnis davon) die Verwirklichung zu verhindern wusste, war die Weissagung falsch!

Trotz dieses Widersinns versucht jedermann, mit oder ohne professionelle Hilfe, in die Zukunft zu sehen, um die Verwirklichung ungünstiger Prophezeiungen zu hintertreiben oder dem Eintreten günstiger Vorhersagen alle denkbaren Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Auf diese Weise kann ein Prophet, Weissager, Wahrredner etc., einer nach dem andern, die Kundschaft an der Nase herumführen und wird dafür nicht selten heiliggesprochen. Die Frage, welches die größeren Narren sind, Weissager oder Beweissagte, lassen wir gerne unbeantwortet.



Heiligsprechung

Eine glanzvollere Zeremonie als die Heiligsprechung durch den Stellvertreter Gottes auf Erden kennt die Christenheit nicht. Die religiöse Trophäe der Kanonisation, der Heiligsprechung, erwirbt nur jener Kandidat, der bereits durch eine erfolgreiche Seligsprechung ins Wartezimmer der Heiligen gelangte. Und obwohl Selige nur eingeschränkt verehrt werden können, werden auch sie von Gott erst nach einem aufwendigen Prüfungsverfahren in die Reihe der Seligen aufgenommen.

Dazu hat der Verstorbene neben einem einwandfreien Leumund eine ausreichende Wundertätigkeit nachzuweisen, was einfacher ist, als man denkt. Während die Aufnahme durch Gott erfolgt, wird die Prüfung ja von lebenden Personen abgenommen. Kluge Tote warten daher ein bis zwei Generationen mit dem Antrag, damit keine Augenzeugen oder andere verderbliche Beweismittel mehr vorhanden sind. Die Verklärung von Tat und Täter ist dann schon weit vorangeschritten! So wirkt bei der Heiligsprechung unerbittlich das eingeschaltete Element der Zeit und wird zum Scheidewasser zwischen echt und unecht.

Bekanntlich sind Menschen nie zufrieden! Priester möchten Bischof werden, wer Bischof ist, hofft auf seine Berufung zum Kardinal, und welcher Kardinal wollte nicht eines Tages gerne Papst sein. Und Selige wollen irgendwann Heilige werden! In einer Klassengesellschaft ist das ganz normal.

Die Heiligsprechung erfolgt in einem kirchenrechtlich streng geordneten Verfahren. Aufgrund der großen Bedeutung der Angelegenheit wird ein zuvor selig Gesprochener nur durch eine dem Papst vorbehaltene feierliche Erklärung in die Schar der Heiligen aufgenommen.

Der Knackpunkt liegt nun darin, dass Selige vor ihrer Beförderung zu Heiligen in neuen kirchenrechtlichen Prozessen weitere, erst nach der Seligsprechung geschehene Wunder belegen müssen. Da ist guter Rat teuer! Nach so langer Zeit kennt man nun wirklich kaum jemanden mehr im Diesseits und weiß darum nicht, welche Mirakel gerade gut gehen. Gelingt manchen trotzdem neue Wundertätigkeit, danken die Gläubigen den zu taufrischen Ikonen des Glaubens werdenden Heiligen mit besonderer Hingabe und Gebet. Selbst Atheisten lernen Heilige spätestens dann zu schätzen, wenn für deren Verehrung wenigstens ein arbeitsfreier Tag zur Verfügung gestellt wird.

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Heilige(r) zu werden, war nicht immer so mühsam wie heute! Bis ins 12. Jahrhundert hinein konnten sich interessierte Verstorbene für rund 100.000 Gulden kanonisieren (heiligsprechen) lassen. Die Bereitstellung der notwendigen Wunder war im Preis schon inbegriffen.

Schließlich kam es zu einer solch inflationären Mehrung von Heiligen, dass die Zahl 20.000 weit überschritten wurde. Damit nicht eines Tages mehr tote Heilige herumstanden als lebende Priester herumliefen, wurde die Heiligsprechung zur kräftezehrenden Angelegenheit. Die Verfahren ziehen sich seither durchschnittlich sechzig bis achtzig Jahre hin und in dieser Zeit wechselt sogar mehrfach der Prüfungsausschuss. Wunder dauerten schon immer etwas länger! Bis sich die Situation etwas gebessert hat und auch damit nicht zu viele Heilige, die sich so viel Mühe gegeben hatten, bis dahin in Vergessenheit geraten, wurde der Brauch „Heilige(r) des Tages eingeführt, wo die weniger bekannten nach und nach ausgestellt werden können. Aber bitte nicht drängeln!

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Dass selbst bei aller Sorgfalt bei der Auswahl der Mitglieder des Prüfungsausschusses diese nicht immer und in allen Fällen die notwendige Kompetenz aufweisen, lehrt uns folgender Fall: Im September 2020 nahm Papst Franziskus das Rücktrittsgesuch den Präfekten der Kongregation für Heilig- und Seligsprechungen, Kardinal Angelo Becciu, an. Der Spiegel titelte: „In jeder Ecke eine neue Schweinerei.“ Der Kardinal wurde schlicht und einfach gefeuert!

Er hatte sich in ein tief skandalöses Immobiliengeschäft verstrickt. Unter anderem ging es um eine Luxusimmobilie im schicken Londoner Stadtteil Chelsea, für die sich der Kardinal 200 bis 300 Millionen Euro genehmigt hatte. Eingesetzt wurde dabei auch Geld aus dem sogenannten Peterspfennig, einem päpstlichen Spendentopf für religiöse und karitative Zwecke. Wenn man den Begriff „karitativ“ weit genug fasst, kann man Becciu nicht böse sein, wenn er dabei auch ein bisschen an sich selbst gedacht hatte. Und einen Kardinalfehler sollte man jedermann zugestehen. Zeitgleich erschien, angeblich routinemäßig, das „Europaratsgremium zur Bekämpfung von Geldwäsche und anderen kriminellen Transaktionen“ im Vatikan. Wir empfehlen, das Gremium sollte dort dauerhaft einziehen. Zu tun gibt es in diesem Hause doch immer wieder und das auch noch reichlich.

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So großzügig sich die Kirche bei ihren Altlasten auch verhielt, bei Neubewerbern war sie manchmal umso knausriger. Die 1898 geborene Therese von Konnersreuth war nach mehreren Stürzen bettlägerig und blind geworden. 1923, am Tag der Seligsprechung der „Therese von Lisieux“, konnte sie plötzlich wieder sehen und als jene 1925 heiliggesprochen wurde, löste sich gar die Lähmung. Umgekehrt erlebte sie die Leiden Christi weiterhin so intensiv, dass an ihrem Körper Stigmata bluteten. Die sie daraufhin überrennenden Menschenmassen beteten die christliche Volksheldin im Jahr 1962 förmlich zu Tode.

Kein Wunder, dass die gute Therese seither von Ambitionen auf Selig- und Heiligsprechung geplagt wird! Die Kirche mochte dem gleichwohl erst nicht nachkommen, da der Verdacht geäußert wurde, das am Krankenbett ausgeschiedene Blut stamme nur von geschlachteten Haustieren. Eine Seligsprechung wurde so nicht nur zur zeitraubenden, sondern auch zur kostspieligen, ja kriminalistischen Angelegenheit. Jedenfalls, wenn sich Befürworter und Gegner erbittert bekriegen. Sündteure Gutachten sollten nun beweisen, dass es sich bei dem auf Therese von Konnersreuth gefundenen Blut um ihr eigenes handelte. Aber solche Mühe lohnt sich bekanntlich fast immer! Wie auch an anderer Stelle ausgeführt, eine Selige oder Heilige vor Ort vorzuhalten, ist eine überaus lukrative Investition.

Eine Speichelprobe half nun per DNS-Untersuchung der Wahrheit tatsächlich auf die Sprünge. Obwohl demnach das Blut wirklich von der Bewerberin selbst und nicht etwa von Hühnern, Schafen oder Eseln etc. stammte, äußerte der ungläubige „Wissenschaftsrat der Skeptiker“ weiterhin vorsichtige Zweifel am heiligen Geschehen: „Die auf Fotographien sichtbaren Blutspuren an Kleidung und Augen wirkten nach Form und Lage unnatürlich aufgetupft und wie hingeschmiert.“ Erst lange nach ihrem Tod fand mit der Eröffnung eines Seligsprechungsverfahrens im Jahr des Herrn 2005 zumindest doch noch eine gewisse kirchliche Anerkennung statt. Wir raten Therese sich in Geduld zu üben, was Seligen und Heiligen immer gut ansteht. Nach weiteren 20 bis 80 Jahren könnten nagelneueste wissenschaftliche Verfahren weiter zur Wahrheitsfindung beitragen und letzte nachteilige Zweifel an Augenzeugenberichten beseitigen.

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Während der Inquisitionszeit wurden eindeutig zu viele, freilich nur potentielle Heilige am Markt vorbei produziert! Nur wenigen von ihnen gelang es deshalb bis dato, wirklich in die Heiligenliga aufzurücken, wie etwa Jeanne d’ Arc, die bekanntlich als „Jungfrau von Orleans“ Erhebliches gegen die englischen Besatzer geleistet hatte und trotzdem (Undank ist der Welt Lohn) als Ketzerin auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war. Schon 1920, also nur fünfhundert Jahre später, wurde sie heiliggesprochen.

Aus Gründen der Gleichbehandlung müssten alle Inquisitionsopfer jener Zeit zu Heiligen befördert werden. Obwohl in den letzten Jahren die strengen Vorschriften etwas gelockert wurden, ist mit einer flächendeckenden Berücksichtigung aller Ermordeten kaum mehr zu rechnen. Immerhin schwanken die Zahlen zwischen 70.000 und neun Millionen! Zumindest existiert hier aber noch eine enorme Reserve zur Rekrutierung von Heiligen, sollten sie wieder einmal knapp werden.

Bis 1983 waren für Seligsprechungen bis zu vier, für Heiligsprechungen weitere drei Wunder vonnöten. Damit es Bewerber nicht gar so schwer haben, ließ Papst Johannes Paul II. wenigstens die Zahl der erforderlichen Mirakel reduzieren. Diese werden in den wie Gerichtsverfahren durchgeführten kirchlichen Prüfungen heutzutage mit streng naturwissenschaftlichen Methoden beurteilt. Insider befürchten seit dem Einsatz modernster Diagnosegeräte ein „Heiligengefälle“ zwischen armen und reichen Ländern: „Wer Geld für teure Geräte hat, kann auch eher Wunder nachweisen!“

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Wann immer die USA etwas Verrücktes machen, dann gründlich! Legionen von Gläubigen rennen neureligiösen Glaubensmoden hinterher. In einer Konsumgesellschaft liegt es nahe, auch religiöse Verbraucher durch Marketing zu erreichen. Die Portraits von Heiligen, einschließlich des Religionsstifters selbst, wohnen nun nicht mehr nur auf Werbetafeln oder Autoaufklebern, sondern winken fröhlich von Baseballmützen, Plastiktüten, Badelatschen oder gar Designerkleidung. Armbänder empfehlen, „Live for Him (lebe für ihn)“. Bowling Taschen sind „Inspired by Christ (inspiriert von Christus)“. Gürtelschnallen „Give All the Glory to God (überlasse Gott alle Herrlichkeit)“, während Hundemarken trocken verkünden: „Moses Is My Homeboy (Moses ist mein Kumpel)“.

Ehrlicherweise verrät die christliche Marketingabteilung selbst, was es mit dem Glauben auf sich hat. Er macht high! „PUT DOWN THE DRUGS AND COME GET A HUG (Verzichte auf Drogen und lass’ Dich (von Jesus) umarmen)“. Das wusste bereits Karl Marx: „Religion ist Opium fürs Volk“. Glücklich der, der statt Koks Glauben zu verkaufen hat!

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Als um die letzte Jahrtausendwende endzeitliche Rekordsucht um sich griff, konnte sich selbst die ewigste aller Kirchen dem nicht entziehen. Um den Gläubigen möglichst viele Vorbilder für eine christliche Lebensweise zu geben, setzte sich Johannes Paul II. wieder über die Gefahren einer Heiligenflut hinweg und sprach im Laufe seines mehr als sechsundzwanzigjährigen Pontifikats mehr Menschen selig und heilig als all seine Vorgänger zusammen, zumindest seit der Einsetzung eines geregelten Verfahrens. Schließlich sind in schweren Zeiten wie diesen Fürsprecher bei Gott nötiger denn je! Auf diese Weise wurden in seiner Amtszeit 482 Menschen heilig und 1338 seliggesprochen, einige von ihnen schon nach wenigen Jahrzehnten.

Besonders qualifizierte Antragsteller begaben sich auf die Überholspur! Mutter Teresa, die treue Dienerin Gottes, Ikone des Guten Samariters, war 1997 im fernen Indien verstorben und wurde schon sechs Jahre später seliggesprochen. Ganz wie im richtigen Leben machten sich gute Beziehungen zum Vatikan bezahlt. Die Heilung einer krebskranken Inderin war innerhalb der Katholischen Kirche nicht unumstritten gewesen. Teresa will ihre Wunderkräfte durch ein Medaillon auf den Bauch der Kranken übertragen haben. Kritiker, die nicht stark genug im Glauben waren, schrieben, die glückliche Heilung eines Unterleibstumors sei lediglich verabreichten Medikamenten zu danken. Ein noch größeres Wunder wäre es freilich gewesen, hätte diese Begründung von einer Seligsprechung abgehalten.

Johannes Paul II. kam schon bald selbst in den Lohn seiner guten Tat der bürokratischen Vereinfachung. Schließlich war er „mit der Ruhe eines Heiligen gestorben“, wie Kardinalstaatssekretär Angelo bei der ersten Trauermesse in Rom lobend angemerkt hatte. Die Kirche ist nur konsequent! „Dass die Natur jederzeit gern bereit ist, auf Befehl von Heiligen von ihrer Bahn abzuweichen, versteht sich von selbst, sonst wären sie keine Heiligen gewesen (sinngemäß v. Corvin, Die Geißler).“

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Auch an Heiligen geht das Internetzeitalter begreiflicherweise nicht spurlos vorüber. Einer der ersten Cyber-Heiligen könnte der am 10. Oktober 2020 selig gesprochene Italiener Carlo Acutis werden, der fünfzehn Jahre zuvor schon im zarten Alter von vierzehn Jahren aufgrund einer Leukämie-Erkrankung von uns gegangen ist. Zu diesem Behufe wurde sein Leichnam 2019 exhumiert und mit Kunst und Liebe wieder zusammengefügt, wie es der Erzbischof von Assisi ausdrückte, was ja bekanntlich nicht bei allen Heiligen in der Vergangenheit beanstandungsfrei geklappt hatte.

Im Gegensatz zu älteren Kolleginnen und Kollegen hatte sich Acutis nicht als Märtyrer oder Erleuchteter einen Namen gemacht, sondern als Influencer Gottes oder Patron des Internets. Und Letzteres kann weiß Gott einen Schutzheiligen brauchen, nach alledem was es anrichtet. Das Netz war für ihn ein Geschenk Gottes und Cybermobbing ein gruseliges Gräuel. Priestern half er Websites für ihre Pfarreien einzurichten und besonders gewogen ist ihm der Vatikan dafür, dass er schon als Elfjähriger begonnen hatte, ein Online-Verzeichnis christlicher Wunder anzulegen.

Schon deshalb zweifeln wir nicht an seiner baldigen Beförderung zum Heiligen. Das zur Seligsprechung notwendige Wunder wurde vom Vatikan bereits 2013 bereitgestellt, nämlich die Heilung eines kranken brasilianischen Jungen allein mit seinen Gebeten um himmlischen Beistand. Bitte in der Eile nicht vergessen, auch dieses Mirakel im Online-Verzeichnis einzutragen! Und so wird sich doch auch bald etwas Passendes für den Aufstieg in die katholische Oberliga finden lassen.



Heilige Knochen

Bei Reliquien handelt es sich nach dem lateinischen Wort um „Zurückgelassenes“. Gläubige erhoffen sich davon Hilfe und Segen. Fairerweise sollen sie aber wirksam erfolgtem Beistand nicht dem Gegenstand als solchem zuschreiben, sondern dem sie spendenden Heiligen. Die Reliquie als solche soll nicht als „magisch“ wirkend missverstanden werden. Im Heiligenzirkus ist das freilich nur graue Theorie!

Reliquien im engeren Sinne sind Überreste verstorbener Heiliger oder Seliger, im weiteren Sinne Gebrauchsgegenstände oder Dinge, die von ihren Leibern berührt wurden. Diese Andenken werden nicht um ihrer selbst willen geehrt, sondern wegen der Personen, zu denen sie einst gehörten. Etwas Glaube schadet nicht, schließlich befürchtet der unvoreingenommene Betrachter, es handle sich lediglich um vermoderte Knochen, halbverweste, eingetrocknete und einbalsamierte Leichenteile oder schlichtweg Abfall.

Da man bei der Frage von Heiligkeit und dem damit verbundenen Glauben eher an geistige Prozesse denkt, überrascht es naturgemäß, wie wichtig Gegenständliches in diesem Zusammenhang ist. Das führt dazu, dass für die Anbetung nicht immer ein ganzer Leichnam zur Verfügung gestellt werden kann. Zum Glück besteht aber ein Heiliger aus unzähligen Einzelteilen, in die er bei Bedarf zerlegt wird. Nach dieser Leichenfledderei sollte jeweils zumindest noch ein ganzer Knochen, wie klein auch immer, zur Anbetung zur Verfügung stehen. Selbst wenn man uns insoweit nicht für ausreichend kompetent halten sollte, müssen wir von einer sublimierten Form des Kannibalismus sprechen!

Je berühmter ein Heiliger ist, umso leichter ist es, die Anhängerschaft zufrieden zu stellen. Manchmal genügt für die Verehrung schon ein Zahn, ja ein bloßes Haar. Gott befohlen, das ist echte Frömmigkeit! Die gewonnenen Einzelteile sind zwar allesamt sterbliche Überreste, aber schön angerichtet und diskret beleuchtet, machen sie in dunklen Kirchenschiffen als Reliquien durchaus etwas her. Am liebsten wird natürlich ein insgesamt naturbelassener Leichnam angebetet - das Ganze ist halt mehr als die Summe seiner Teile (Aristoteles)!

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Über den Grabstätten von besonders heiligen Heiligen wurden in Dankbarkeit ganze Kirchen erbaut, so etwa auch der Petersdom in Rom über dem Grab des heiligen Petrus. Später errichtete man für viele der so geehrten Heiligen weitere Filialen und verwendete dafür, gewissermaßen als Grundstein, Portionen ihrer irdischen Überreste. Denn das Wort aus der Apokalypse, dass sich „die Seelen unter dem himmlischen Altar befänden“ (Offb 6,9), führte seit dem Mittelalter dazu, dass unter jedem feststehenden Altar Reliquien von Märtyrern oder anderen Heiligen eingebaut werden mussten. Schließlich sollen sie als Mittler zu Gott für die gläubigen Menschen im wahrsten Sinn des Wortes greifbar und begreifbar sein; denn die Heiligen sind nach der katholischen Lehre in der Reliquie persönlich anwesend. Und so befinden sich heute in fast jeder Kirche ihre verbliebenen Bestandteile im oder unter dem Altar.

Nie wäre man früher mit der geballten Frömmigkeit so vieler Gläubiger fertig geworden, wären für die Verehrung nicht auch weitere Gegenstände in Betracht gekommen, mit denen die Heiligen nur in Berührung gekommen waren. Doch Achtung, Reliquie ist nicht gleich Reliquie. Das legt erneut schon der Aufenthalt in einer Klassengesellschaft nahe. Bei Reliquien erster Klasse handelt es sich um den Leichnam des Heiligen selbst oder wenigstens Teile von ihm, z.B. Herz, Blut etc. War ein Heiliger verbrannt worden, kam insoweit auch dessen Asche in Betracht. Reliquien zweiter Klasse sind Gegenstände, die der Heilige nur berührt hatte, sogenannte Berührungsreliquien, z.B. Grabtücher oder jene Werkzeuge, mit denen der Heilige gefoltert worden war. Und Gegenstände, die von Reliquien der ersten Klasse berührt worden waren, also nicht mehr vom Heiligen selbst, dürfen immerhin noch als Reliquien dritter Klasse durchs Leben der Gläubigen reisen.

Die Heilkraft all dieser Überreste war aber nicht unumstritten. Während das Konzil von Trient (1545-1563) Heilige und deren Reliquien weiterhin für verehrungswürdig hielt und Kirchenlehrer Thomas von Aquin (1225-1274) in der Reliquie sogar die glorreichen Strahlen von Gottes Gnade sich bündeln sah, waren sie für den Reformator Martin Luther kurz und bündig "alles tot Ding", wofür ja auch einiges spricht.

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Bedauerlicherweise kam die christliche Heiligenverehrung erst Jahrhunderte nach dem Tod des Religionsstifters in Mode und stieß schon aus diesem Grunde zunächst auf große Schwierigkeiten. Wer wusste schon nach so langer Zeit noch, wo die Apostel und andere Verdächtige gestorben und begraben waren? Mittels „Offenbarungen“ kundiger Mönche und Geistlicher wurden sie jedoch allesamt gefunden und nicht nur sie, sondern weit mehr Märtyrer als es je gegeben hat. Zum Glück wusste man schon damals: Entscheidend ist nicht das Produkt, sondern erfolgreiches Marketing! Was sind denn schon Ereignisse? Doch nur was Auslegung und Vermarktung aus ihnen machen!

Von manchem Heiligen existieren so viele Körperteile, dass man daraus mehrere vollständige Skelette zusammensetzen könnte. Der heilige Dionysius kann in zwei vollständigen Ausgaben zu St. Denis und St. Emmeran bewundert werden, während Prag und Bamberg nur Köpfe von ihm zeigen. München rühmt sich immerhin noch einer Hand. Der Heilige hatte also zwei vollständige Leiber, fünf Hände und vier Köpfe (sinngemäß v. Corvin, Pfaffenspiegel). Da kann nur noch ein Rechenwunder helfen!

Der Reliquienhandel wurde bald sehr einträglich! Alte Knochen, Lumpen und dergleichen fanden sich schließlich überall, ohne teure Investitionen. Deren Beförderung zu Reliquien (zunächst regional, später mit Roms Segen, das sich auf diese Weise den Löwenanteil am Verdienst sicherte) machte aus Müll Gold. „Die Pfaffen hätten Engel sein müssen, wenn sie die Dummheit der Menschen nicht benutzt hätten (v. Corvin, Pfaffenspiegel).“

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Aufgespürt wurden die „Muttermilch Mariens“, die „Windeln Jesu“, das „Krippenstroh aus Bethlehem“, die „Tränen der Gottesmutter“, ein „Schneidezahn Johannes des Täufers“. Mönche in Charroux stellen selbst die „Heilige Vorhaut“ von Jesus aus. Vom Körper Jesu sollen nach seiner Himmelfahrt ja nur jene Bestandteile auf Erden zurückgeblieben sein, die er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr besaß. Und über seine Vorhaut konnte er schon seit seiner Beschneidung im Alter von acht Tagen nicht mehr frei verfügen. So blieb sie zunächst bescheiden auf Erden zurück, bevor sich im Mittelalter mehrere Kirchen rühmten, im Besitz dieser hochbegehrten Reliquie zu sein. Zumindest jene könnte echt gewesen sein, aus der 1112, nach ihrem feierlichen Einzug in den Liebfrauendom in Antwerpen, nach Auskunft des zuständigen Bischofs drei Blutstropfen herausgequollen sein sollen. Das wurde dann aber auch gleich mit einer eigens für diese Reliquie errichteten Kapelle gefeiert. Eine klare Win-win-Situation!

Besserwisser gibt es freilich immer! Der griechische Gelehrte Leo Allatius soll im 17. Jahrhundert in einem „Vortrag über die Vorhaut unseres Herrn Jesus Christus“ öffentlich darüber spekuliert haben, dass die heilige Vorhaut gleichwohl mit Jesus zum Himmel emporgestiegen sei und sich in einen der Saturnringe verwandelt hätte. Diese Ringe waren im Jahre 1610 mittels eines der ersten Teleskope entdeckt worden. Was könnte man heutzutage erst alles mit Hilfe eines Elektronenteleskops herausfinden?

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Splitter vom Kreuz gab es so viele, dass man aus dem dazu verwendeten Holz hätte ein Kriegsschiff bauen können. Die Nägel vom Kreuz wogen viele Zentner. Von der heiligen Milch der noch heiligeren Jungfrau Maria fand sich mehr als zwanzig Ammen in einem Jahr hätten produzieren können. Gefunden wurde sogar der Stab, mit dem Moses das Meer teilte.

Andere verehrten eine Feder aus dem Flügel des Engels Gabriel, Überbleibsel von Christi Hauch in einer Schachtel, eine Flasche voll ägyptischer Finsternis, den Schall der Jerusalemer Glocken, Brosamen vom Letzten Abendmahl, Stroh aus der Krippe, das Wachs von der Sterbekerze Mariens oder einen Strahl von dem Sterne, welcher den Weisen aus dem Morgenlande leuchtete (sinngemäß v. Corvin, Pfaffenspiegel). Dessen himmlische Leuchtkraft scheint verblasst zu sein, sonst würde etwas mehr Licht in dunkle Gotteshäuser und finstere Gehirne scheinen (eig. Anm.)!

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Im 14. Jahrhundert konnte man bereits von einer industriellen Reliquien-Fertigung sprechen. Unzählige Menschen waren damit befasst, heilige Überreste herzustellen. Nicht gerade überraschend, wenn man bedenkt, welch enorme Gewinne zur Steigerung kirchlicher Einnahmen erzielbar waren. Kuriose Vorgänge blieben angesichts der großen Bedeutung von Reliquien natürlich nicht aus. So gab es beispielsweise bis zur Säkularisation im Kloster Gräfrath bei Solingen den Brauch, den angeblichen Kot des Esels zu verehren, auf dem Jesus an Palmsonntag in Jerusalem eingezogen war. Wäre auch noch all der Boden, auf den der glückliche Esel im Laufe seines Lebens gekackt hatte, zur Reliquie erklärt worden, könnte man wohl heute die ganze Erde flächendeckend mit Altären überziehen und sie mit jeweils einer derartigen Reliquie unterfüttern (eig. Anm.).

Zum Glück befand der verständige Vatikan selbst, dass man es auch übertreiben kann und wandte sich schon im Vierten Laterankonzil 1215 gegen Missbräuche im Reliquienwesen. Neu auf den Markt gekommene Reliquien durften fortan nur noch mit päpstlicher Zustimmung verehrt werden. Der Verkauf war ohnehin schon 1190 untersagt worden. Vielleicht war deshalb etwa zeitgleich der alte Brauch wiederbelebt worden, Reliquien lieber kostengünstig zu rauben oder zu stehlen.

Überliefert ist in diesem Zusammenhang auch „Heiliger Diebstahl“, der in frommen Formen stattfand (vermutlich ein naher Verwandter des „Heiligen Zorns“). Die Räuber, die im Auftrag Karls des Großen die Gebeine der Märtyrer Marcellinus und Petrus in Rom stahlen, fasteten drei Tage lang, ehe sie das Grab aufbrauchen und mit höchster Ehrfurcht die Leiber an sich nahmen...

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Heiligenverehrung wurde schließlich ein so einträgliches Geschäft, dass ein wahrer Kampf um die sterblichen Überreste von Heiligen entbrannte. Mit kleinen Knochen ließen sich große Wallfahrtsorte gründen. Spendenfreudige Pilgermassen rollten an! Selbst die große Politik sah das Wirken von Heiligen mit Wohlgefälligkeit, wurden Mirakel doch gelegentlich zur Waffe in kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Kriegskasse ließ sich nämlich auch durch Anleihen beim wohlhabenden Kirchenbruder füllen. Eroberte man eine Stadt, so suchte man erst nach Reliquien, denn sie waren weit kostbarer als Gold und Edelsteine (v. Corvin, Pfaffenspiegel).

Zu Zeiten, in denen Reliquien so hohes Ansehen genossen, war es nicht ungefährlich, vorzeitig heilig zu werden. V. Corvin berichtet in „Die Geißler“ vom heiligen Romuald in Katalonien, der so „heilig“ war, dass ihm dies bald den Tod gebracht hätte. Eines Tages ging das Gerücht um, er wolle das Land verlassen. Das ganze Volk geriet in Aufregung, da man fürchtete, dessen (künftige) Reliquien zu verlieren und plante den Heiligen zu ermorden, um sich seines Körpers zu versichern. Sankt Romuald war jedoch gescheit genug, sich der ihm zugedachten Ehre bei Nacht und Nebel zu entziehen.

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Der heilige Nikolaus (griech. Nikolaos), ursprünglich ein aus Myra (damals Griechenland, heute Türkei) stammender Bischof, wurde schon früh verehrt. 1087 wurden jedoch seine Gebeine geraubt und in die italienische Hafenstadt Bari überführt, die sich daraufhin zu einem der wichtigsten Pilgerziele (nach Rom und Jerusalem) entwickelte. Ohne die Gebeine des Nikolaus, über die man Öl hatte fließen lassen, das dann als wundertätiger Balsam verkauft wurde, verlor der alte Wallfahrtsort Myra hingegen seine Bedeutung.

Statt dieser Mischung aus Öl und Leichengift erfreut uns seit gut hundert Jahren die zweite Karriere des Nikolaus. Der angelsächsische Protestantismus mit seiner strikten Ablehnung des Heiligenkults verweltlichte ihn kurzerhand zum Weihnachtsmann, einer Kreuzung aus Gartenzwerg und guter Fee. Freilich sind Heilige, die den Glauben so volksnah verkörpern, dass sie sich zum weihnachtlichen Geschenktransport hergeben, dem eigentlichen Anliegen der Katholischen Kirche wenig dienlich. Kein Wunder, dass der heilige Nikolaus schließlich 1969 aus dem Heiligenkalender gestrichen wurde.

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Berühmte Reliquien wurden standesgemäß mit ihrer würdigen Kapellen, Kirchen, Klöstern etc. umstellt, wo fortan ihr Beistand erkauft werden konnte. „Wer zu diesem oder jenem Gnadenorte wallfahrte und - notabene - das bestimmte Geld auf dem Altar opferte, der erhielt Ablass nicht allein schon für begangene Sünden, sondern sogar für Jahre im Voraus (sinngemäß v. Corvin, Pfaffenspiegel).“

Zum Reliquienwahn trug ferner bei, dass ihr Besitz in Ablassjahre umgerechnet wurde. Spitzensammler trugen bis zu 30.000 Objekte zusammen! Kardinal Albrecht von Brandenburg soll um 1500 mit seinem Gnadenschatz über 39 Millionen Jahre Ablass erworben haben. Die zugehörigen Sünden für so viel Erlösung im Rahmen eines kurzen Erdenlebens anzuhäufen, dürfte selbst in jener Zeit für einen Kirchenmann nicht einfach gewesen sein... Dabei war so großer Reliquienbesitz völlig unnötig! Jeder Pilger, der (mittels ausreichenden Zettelkaufs) die „Pforte des Ablasses“ durchschritt, erlangte vollste Vergebung seiner Sündenstrafen, einschließlich der seiner schon verstorbenen Angehörigen.

Besonders einträglich sind jene Reliquien, die (um das Interesse an ihnen zu steigern) nur alle paar Jahre ausgestellt werden. Zumindest diesen ist die Wundertätigkeit nicht abzustreiten! Das Mirakel, damit Gläubigen Geld aus der Tasche zu ziehen, versagt hier so gut wie nie.

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Wollen wir aufgrund zeitgenössischer Narretei gebührende Nachsicht üben mit der Tollheit jener Tage! Als der blutigste Jesusfilm aller Zeiten, Mel Gibsons „Die Passion Christi“ um Ostern 2004 die Kinos stürmte, kamen die Souvenirschrott-Produzenten mit der Herstellung hirnrissigster Andenken kaum noch hinterher: Miniaturnachbildungen von Kreuzigungsnägeln, Reversnadeln, Plaketten mit christlichen Symbolen...

Selbst ein Niedergang der etablierten Religionen würde die Reliquienverehrung kaum beeinträchtigen. Film-, Pop- und Sportwelt produzieren für heilig gehaltene Andenken von der Stange! Besonders begehrt: Finaltrikots von prominenten Fußballspielern, die sintflutartige Tränenströme über verschossene Elfmeter vergießen...

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„Wer kriegt das Herz vom toten Papst?“, fragte die Bildzeitung schon Tage nach dem Ableben dieses potentiellen Reliquien-Organspenders. Polen fühlte sich „um den schönsten Schatz betrogen“, nachdem der herzlose Vatikan nichts vom entsprechenden Wunsch von Johannes Paul II. gehört haben wollte, in seiner Heimat beigesetzt zu werden. Zum Glück existierte ein Plan B! Viele Polen hofften, dass wenigstens dessen Herz in seine Heimat zurückkehren darf. Da für gewöhnlich nur Reliquien von Heiligen aus dem Sarg entfernt und in anderen Kirchen beigesetzt werden dürfen, drängten polnische Würdenträger sofort auf eine (inzwischen erfolgte) schnelle Heiligsprechung.

Wer kriegt also das Herz vom toten Papst? Seien wir barmherzig und belassen es einfach dort, wo die weise Natur sich seinen Verbleib am liebsten vorstellt - beim toten Papst! Vielleicht ist es aber dennoch inzwischen nach Krakau, in die Kathedrale des Wawel (in der Königsburg), gereist. Bei Redaktionsschluss war allerdings noch nichts Näheres bekannt.

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Vermutlich ist keine Reliquie je so weit gereist, wie die der Heiligen Therese, der wir im Zusammenhang mit Therese von Konnersreuth (oben) schon begegnet sind. Die Heilige Therese hatte zuvor die französische Stadt Lisieux nie verlassen. Aber 111 Jahre nach ihrem Tod, im Juni 2008, brach die Karmelitin auf ins All, zumindest jener Teil ihrer sterblichen Hülle, den Ron Garan an Bord der Raumfähre Discovery mitnahm. Der amerikanische Astronaut hatte bei den Karmelitinnen einen Reisesegen erbeten. Im Laufe des Gesprächs kam man auf die Idee, noch besser als ein gemeinschaftliches Gebet für den Reisenden sei es doch, sich des persönlichen Beistands der Heiligen zu vergewissern.

So kam es, dass eine Reliquie der Heiligen Therese von Lisieux neun Millionen Kilometer im All zurücklegte, ohne je zuvor an der anspruchsvollen Raumfahrtausbildung teilgenommen zu haben. Und in der Tat, von irgendwelchen Problemen an Bord ist nichts bekannt geworden.

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So eminent wichtig Heilige für den Fortbestand der Kirche auch sein mögen, so soll das nicht heißen, dass die Kirche gleich alle irgendwo eroberten Heiligen übernehmen kann. Da könnte ja jeder kommen! „Sankt Kümmernis“ zählt zu den unglücklichen Heiligen, die nicht anerkannt wurden. Gut, es handelt sich um eine ans Kreuz geschlagene junge Frau, mit Vollbart im Gesicht und im Gewand Christi (der späteren Eurovision Song Contest Gewinnerin Conchita Wurst möglicherweise nicht unähnlich). Aber ein solches Aussehen ist vielleicht nicht nach jedermanns Geschmack und darauf nimmt eine kluge Religion natürlich Rücksicht. Dass „Sankt Kümmernis“ im bayerischen Burghausen und anderswo immer noch als Volksheilige verehrt wird, hat vor solchen Überlegungen zurückzustehen.

Dies zeigt, dass gerade Wallfahrtsorte, an denen bloße Volksfrömmigkeit Heilige verehrt, die sozusagen auf dem zweiten Bildungsweg und ohne kirchliche Einmischung wirken, magische Kraftorte im kosmischen Gefüge sind, an denen man Energie tanken, aber auch Kraft und Inspiration finden kann. Ein Grund mehr, warum die Katholische Kirche oder andere Religionen diesen alten Orten immer gleich einen neuen Anstrich verpassen wollen, nur damit es so aussieht, als handle es sich um deren Eigenmarken. Unbestreitbar ist jedenfalls, dass Wallfahrtskirchen sehr oft an vorchristlichen Kultorten errichtet wurden, die in bewährter Manier von religiösen Eroberern eingemeindet wurden.

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Wie halten es die Kollegen mit Heiligen? Der Islam kennt zwar den Heiligenkult, den Glauben an Wundertäter und Fürsprecher zählt er jedoch eher zur Volksfrömmigkeit. Ein offizielles Verfahren zur Heiligsprechung, wie in der Katholischen Kirche, gibt es hingegen nicht, was wir sehr sympathisch finden. Fundamentalisten dagegen ist selbst das nicht nur unerwünscht, sondern es gilt ihnen als unislamisch. Zwischen Gott und dem Menschen gäbe es nun einmal keine Fürsprecher. Kein Prophet und kein Heiliger dürfe zwischen Gott und dem Menschen intervenieren. Aber wie könnten je solch kleinliche Überlegungen vom Geldverdienen abhalten, wenn Heilige und ihre Reliquien mit einer lukrativen Mittlertätigkeit zwischen Gott und Menschen betraut werden können - und so erfreuen uns auch im Islam Heilige, um die, und für die, auch gerne einmal ein Krieg geführt wird.

Findigkeit bezeugt eine aus diesem Religionsraum überlieferte Geschichte. Der vierte Kalif Ali, Gatte der Mohammedtochter Fatima, wurde ermordet. Da die akute Gefahr einer Heiligsprechung bestand, klauten Gegner den Leichnam und versteckten ihn im Glauben, er könne dann nicht heiliggesprochen werden. Die Heiligsprechungsmafia wusste sich jedoch zu helfen und gab einen anderen Toten für Ali aus, der statt seiner heiliggesprochen wurde. Ob dieser Körpertausch der Kraft des Heiligen abträglich war, ist nicht überliefert



Wen wundert‘s

Nun zum Wunder, des Glaubens liebstes Kind, die Bühne für alle Heiligen und Seligen! Keine ernsthaft auf materiellen Gewinn bedachte Religion kann darauf verzichten, schon gar nicht der Katholizismus. Er wäre wie ein Konditormeister ohne Torte. Kompetente Fachkräfte der Katholischen Kirche, die aus der Unzahl täglich sich ereignender Rätselhaftigkeiten nach Jahrzehnten und Jahrhunderten „echte“ Wunder herauszufiltern haben, sind um ihre Aufgabe wahrlich nicht zu beneiden. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass nicht einmal alle überlieferten Wunder des Herrn vor den strengen, kirchenrechtlich vorgeschriebenen Regeln Anerkennung finden würden.

Legen wir also strenge Maßstäbe an, wenn wir stellvertretend für unzählige Mirakel aller Religionen, zu allen Zeiten, an allen Orten, nachfolgend von einigen berichten. Vergangene Mirakel sind indessen nichts gegen solche, die sich erst ereignen müssen. Besonders schwierig sind sie zu veranstalten, haben sie sich auf einen bestimmten Zeitpunkt festgelegt - und das alle Jahre wieder!

So etwas gibt es nicht? Das gibt es wohl, alljährlich pünktlich abrufbar, als „Blutwunder von Neapel“, die Wiederverflüssigung einer Blutreliquie. Obwohl Zwang den doch heiligen Wundern grundsätzlich abträglich ist, kann die Kirche von der regelmäßigen Aufführung dieses Blutwunders gar nicht absehen. Verspätet es sich, gerät die Bevölkerung von Neapel in Panik, ein Nichteintreten verheißt großes Unglück!

Über ein bisschen Wahn sollte man also schon verfügen, will man sich erfolgreich an Wundern erfrischen. Zumindest hilft etwas Trug dabei, dass sich neben Heiligenblut nicht auch noch der eigene Verstand verflüssigt.

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Pilgerfahrten und Mirakel hängen bekanntlich eng zusammen! Häufig wurde der Fluch der Kinderlosigkeit auf wunderbare Weise geheilt, was im Volke wohlbekannt war. Nicht wenige Frauen, die bislang unfruchtbar waren, begaben sich auf Wallfahrt und kamen erfolgreich geschwängert von der Reise zurück.

Wer zur Gnadenkapelle in Altötting oder anderswo pilgert, sollte neben seinem eigentlichen Anliegen auch um seine Gesundheit beten. Nach einer 2003 entnommenen Stichprobe enthielt ein Milliliter geweihtes Wasser 100 Millionen Keime, die fröhlich neben Fäden, Sporen, Staphylokokken und anderen, Abszesse, Furunkel und Durchfälle verursachenden Freunden planschten. Proben anderer Kirchen enthielten Hautfetzen, Wollfäden, Rädertierchen, Pilzhyphen, Streptokokken... „Abwasser bester Qualität“, befanden Lebensmittelchemiker und forderten vergeblich täglichen Weihwasserwechsel. Schließlich kann diese Flüssigkeit mit historischen Spitzenleistungen aufwarten, selten trinkt es jemand und mit dem Weihen käme die Kirche dann auch kaum noch hinterher. Frisch gezapftes Weihwasser? Pfui Teufel!

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Nachdem der Herr ans Kreuz geschlagen wurde, wird niemand überrascht sein zu erfahren, dass Kruzifixe besonders gern Mirakel verrichten. Ende des 14. Jahrhunderts zogen die vom Wahnsinn ergriffenen Narrenarmeen der Geißler durch ganz Europa! Eine davon wurde von (dem wiederauferstandenen) „Johannes dem Täufer“ mit solchem Erfolg geführt, dass der arme Papst Bonifatius IX. über den heiligen Mann völlig in Vergessenheit geriet. Sobald Johannes das von ihm mitgeführte Kruzifix dreimal mit „Kruzifix, zeige dein Wunder!“ angerufen hatte, gehorchte es auf der Stelle und vergoss drei Blutstropfen. Schließlich fand man aber heraus, dass das Kreuz hohl war und durch eine besondere Vorrichtung einige Blutstropfen herausfließen lassen konnte. Der Täufer selbst verschüttete keinen einzigen, als er hingerichtet wurde. Man warf ihn nämlich mit der tröstenden Botschaft ins Feuer, an ihn, Johannes den Täufer, wieder zu glauben, sofern er unversehrt dem Scheiterhaufen entkomme.

Ebenso endete die Karriere des „Propheten Elias“, der gleichfalls einen ungeheuren Anhang unter dem Volke gewonnen und unzählige Mirakel mit seinem hohlen Kruzifix vollbracht hatte. Dessen Feuertod ließ die Zahl der auf diese Weise bewerkstelligten Mysterien drastisch schrumpfen. Vergleichbar wunderwirkende Kollegen machten sich schleunigst aus dem Staub (sinngemäß v. Corvin, Die Geißler).

Nicht alle Wunder verlangen so große technische Fertigkeiten! Einfacher war es, die Augen einer Heiligenbild-Madonna auf (bewegliche) Nagelköpfe zu malen, die dankbar rollten, sobald Ablass-Geld im Kasten klingelte (und der hinter einer geheimen Wand verborgene Priester sie bewegte). Selbst die Verflüssigung von Heiligenblut gelingt heute jedem mittelmäßigen Chemiker.

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Wie erbärmlich sähe die Reisebranche heute aus, weit schlimmer als jetzt, zu Corona-Zeiten, hätte uns nicht Pilgern zu heiligen Stätten die andauerndste Reisewelle des christlichen Abendlandes beschert. Und das obwohl schon rechtzeitig davor gewarnt wurde: „Wer viel pilgert, wird selten heilig! (Thomas von Kempten).“ Im Jahre 2008 waren bereits 150 Millionen Menschen unterwegs, „um mit den Füßen zu beten“. Na ja, das mit den Füßen war einmal. In den Buskolonnen, die zum Beispiel täglich Lourdes ansteuern, betet man eher mit Autoreifen.

Selbst das ist manchen noch zu mühsam. Für sie plant der Vatikan künftig Direktflüge von Rom nach Lourdes. „Ich suche Dein Antlitz, Herr“ stand auf der Heckflosse der Boeing 737, die zum Jungfernflug abheben sollte, geschrieben. Nicht unbedingt einleuchtend; denn in Lourdes handelte es sich ja schließlich um keinen Herrn, sondern um eine attraktive junge Frau, die in Zusammenhang mit einer Marienerscheinung gehandelt wird und zu der das kühne Flugzeug abheben wollte. Dabei ist das nur der Anfang! Der Vatikan soll schon die Schwarze Madonna von Tschenstochau in Polen, Jerusalem im Heiligen Land und die Madonna von Guadalupe in Mexiko im Visier haben.

Der Weg scheint bei dieser Form des Pilgerreisens zwar nicht mehr das Ziel zu sein, dafür werden den Wall-fliegern hochbegehrte Artikel beim Bordshopping angeboten: z.B. Devotionalien des jeweiligen Wallfahrtsortes, frisch eingesegnet vom Bordpfarrer.

Wir hätten da auch noch ein paar Geschäftsideen für den Vatikan. Wie wäre es denn mit einer „E-Scooter-Spritztour“ zur Papst-Audienz, einem Abstecher per himmlischem Flugtaxi nach Fatima oder der Erkundung des Jakobsweges aus der Luft per Helikopter?

„Doch wozu noch mehr dieser Wunder anführen? Hier reitet ein Heiliger auf einem Krokodil durch den Nil, dort führt ein anderer einen grimmigen Drachen an einem Bindfaden, hier lässt einer den Schnee anbrennen, dort ein andrer Eisen schwimmen - kurz, diese Heiligen machten nicht allein die Menschen, sondern auch die Natur konfuse. Und all dieser Unsinn wurde geglaubt, denn daran zweifelte kein Mensch (v. Corvin, Pfaffenspiegel).“

Manches Wunder übertraf sich selbst! Ein steinerner Christus stieg vom Kreuz herab, um einen frommen Beter zu umarmen. In einem anderen Fall reichte ein steinernes Marienbild dem Heiligen die Brust. „Wer den ganzen Unsinn der Wunder kennen lernen will, braucht nur eines der von der Katholischen Kirche empfohlenen Heiligenbücher zu lesen (v. Corvin, Pfaffenspiegel).“

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Wir möchten jedenfalls nicht versäumen, auf ein Wunder hinzuweisen, dessen Unerklärbarkeit nicht bezweifelt werden kann. Dass, trotz des geistig-religiösen Schmutzes mit dem der Gebärapparat beworfen wurde und wird, trotz der Verteufelung der Sexualität, trotz der damit verbundenen seelischen Verkrüppelung, noch Kinder zur Welt kommen, ist nicht nur ein Wunder, es ist   d a s   Wunder der Schöpfung!

 
Euer Heiligkeit

Der Papst ist nicht nur das Oberhaupt der katholischen Kirche, sondern als Bischof in Rom auch vor Ort tätig. Die Kirche glaubt nämlich, dass der Apostel Petrus von Jesus Christus zu seiner Nachfolge berufen und zum ersten Bischof von Rom wurde. Deshalb steht der römische Bischof weit über seinen anderen heiligen Kollegen. Mit jener popligen protestantischen Auffassung, die jeglichen Nachfolger Christi ablehnt, wäre dem Katholizismus nicht gedient gewesen, wollte man es doch den römischen Kaisern gleichtun und von Rom aus die Welt regieren.

„Wir sind Papst!“, titelte eine deutsche Zeitung, nachdem seit knapp 500 Jahren wieder ein Deutscher zum Oberhaupt der Katholischen Kirche aufgestiegen war.   W i r   würden hier aus den nachfolgend dargelegten Gründen bei dieser Schlagzeile gerne unberücksichtigt bleiben.

Katholizismus ist keine erbliche Monarchie! Päpste kommen nicht gebrauchsfertig auf die Welt, sondern fangen ganz klein als Priester an. Für erste Irritationen sorgt die Amtseinführung. Sie soll den Priesternachwuchs aus dem natürlichen Lebensbereich herausheben und ihn in besonderer Weise dem Dienste Gottes widmen. Die Weihe wirft Priester zunächst auf den kalten Steinboden ihrer künftigen Mutter Kirche. So entwürdigend müssten sie nicht gerade anfangen, wir fürchten ihre spätere Rache!

Was brachte uns der freundliche Ausbildungsunteroffizier beim Militärdienst bei? „Wer befehlen will, muss gelernt haben zu gehorchen!“ Einige Priester kommen später ja ganz gut auf die Beine. Sie erhalten als Kardinal oder gar Papst höchste Befehlsgewalt und wissen dann, dass sie, gut geborgen in spätfeudalistischen Strukturen, nicht umsonst gelebt haben! Ist es auch keine erbliche Monarchie, die wir hier antreffen, immerhin ist es eine. Unter Papst Gregor VII. (1073-1085) wurde die Kurie nach dem Vorbild eines Königshofes umgestaltet. Sie war sogar so frei, sich unter dem Motto „Freiheit der Kirche“ zu einem großen Herrschaftsapparat auszubauen. Auf diese Weise verfestigte sich die existentielle Schizophrenie jener religiösen katholischen Führungsschicht, die anderen eine strenge Lehre erteilt, selbst aber im Luxus lebt.

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Im Kultfilm „Die Entführer lassen grüßen“ wimmelt es nur so von Päpsten, geradeso wie in der Kindheit der römisch-katholischen Kirche, als sich alle Bischöfe „Papst“ (von Papa, Vater) nannten, viele sogar „Stellvertreter Jesu“. Wem eine solche Papstinflation zusagt, sollte bei einem bekannten Faschingskostümvertreiber im Internet ein Papstgewand (Nummer 41207) bestellen und sich mit dieser „die Religion verhöhnenden Maskerade des Kirchenoberhauptes (Originalton Katholische Kirche)“ unter die Narren mischen.

Nachdem die römischen Papas sich gerne im Glanz des Römischen Reiches sonnen wollten, arbeiteten sie Jahrhunderte lang daran, päpstlicher als andere Papas zu werden, was dank der sogenannten „Petrus-Lüge“ schließlich gelang. Dessen direkte Jesus-Nachfolge wurde solange nach Rom gelogen, bis ein jeder sie glaubte. Seither verwirrt uns (weit überschaubarer) nur noch ein einziger Papa, der sich als Stellvertreter Gottes in seiner Aufgabe als Nachfolger Petri verzehrt…

Insgesamt jedenfalls eine bemerkenswert erfolgreiche Operation der Kirche! Zur Recherche darüber, ob nun die Päpste verbrecherischer waren als einst die römischen Kaiser oder nicht, sehen wir uns aus Zeitgründen außerstande. Vielleicht gab es ja auch gelegentlich etwas brauchbarere Ausfertigungen, die die Beurteilung insgesamt beschönigen könnten. Belegt ist jedenfalls, dass die Schandtaten von Kirchenoberhäuptern von Mord, Zuhälterei, Pädophilie bis hin zu Sodomie reichten. Wir beten, dass die päpstlichen Verbrechen angesichts der Heiligkeit dieser Straftäter wenigstens in der moralischen Gesamtbilanz der Menschheit nicht ganz so „reingehauen“ haben wie etwa jene der römischen Kaiser, sind aber nicht sehr zuversichtlich.

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V. Corvin stellt im Übrigen ausführlich dar, wie das Papsttum historisch gewachsen sogar einen höheren Stand als die weltlichen Herrscher erreichte. Zum Beispiel musste 1077 Heinrich der IV., der letzte König des römisch-deutschen Mittelalters, im Schlosshof von Canossa in Eiseskälte vor seinem Papst zu Kreuze kriechen („Gang nach Canossa“) und das, obwohl er die Legitimation seiner Herrschaft, wie sein Vater, vor allem im Gottesgnadentum begründet sah, er also die Inkarnation Gottes (dessen Sohn oder Beauftragter und nicht nur bloß Stellvertreter) war und kultisch verehrt wurde.

Papst Innozenz III. (1198-1216) war es, der sich als erster Papst als Stellvertreter Christi auf Erden“ verstand und die Christenheit als Einheit, die nur vom Papst geleitet werden könne, definierte. Wie hatte Gott nur so lange ohne Stellvertreter auf Erden, der ihm das Gröbste abnahm, auskommen können? Das betrübt uns, immerhin handelt es sich doch um den Herrn persönlich! Natürlich war die Übernahme einer so verantwortungsvollen Tätigkeit nicht für ein bloßes „Vergelt’s Gott“ zu haben! Unter vielem anderen entwickelte sich ein großartiger Totenkult. Im Lauf der Zeit sollten die päpstlichen Grabmäler jedes römisch-kaiserliche Grabdenkmal übertreffen. Sie sollten völlig frei herumstehen dürfen und das anspruchsvollste Figurenensemble seit der Antike beherbergen.

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Um keinen Zweifel daran zu lassen, wer nun in Rom das Sagen hatte, trug der neue Monarch, also der Papst, von nun an eine Krone, nämlich die erst im letzten Jahrhundert wieder abgeschaffte Tiara. Sobald sich die Zeiten für die religiöse Monarchie wieder bessern, wird dieser schöne Brauch sicher erneut zum Leben erweckt und der Heilige Vater schon aus PR-Gründen (Public Relation = Öffentlichkeitsarbeit) bei der Amtsübernahme wieder gekrönt werden.

Kein Papst, der jedenfalls nicht wüsste, was er auch seiner Bischofsmütze verdankt und deshalb nicht auch Besitz von seiner römischen Bischofskirche ergriffe. Trägt sie doch den Titel: „Mater et caput omnium ecclesiarum urbis et orbis (Mutter und Haupt aller Kirchen Roms und der Welt)“.

„Sic transit gloria mundi (so vergeht der Ruhm der Welt)“ ist ein historisches Zitat. Wenn ein römischer Feldherr im Triumphzug einzog, hatte ein Sklave vor ihn zu treten, vor seinen Augen einen Flocken Wolle zu verbrennen und diesen Spruch zu rufen, damit dieser Heerführer nicht zu übermütig wurde. Dieser Brauch wurde für den ersten feierlichen Einzug eines neu gewählten Papstes bis heute übernommen - aus gutem Grund!

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Seine eigentliche Aufgabe symbolisiert freilich der Fischerring, wenngleich dieser erst seit dem 14. Jahrhundert zu den päpstlichen Insignien (Zeichen staatlicher oder ständischer Macht) zählt. Das Bild auf dem Stein des Ringes zeigt Petrus als Fischer und erinnert daran, dass er von Jesus aufgefordert worden sein soll, ihm nachzufolgen und Menschenfischer zu werden. Während der letzten Jahrhunderte wurde die Kirche freilich eher zum Menschenjäger; derzeit hält man es wieder mehr mit dem Fischen.

Die Wertschätzung, die dem obersten Dealer der religiösen Droge trotz des allgemeinen Wertewandels zuteilwird, hat ihren Grund in der allgemeinen moralischen Leistung, die er für die Schafe und ihre weltlichen Aufseher erbringen soll, nämlich hysterischen, gleichgeschalteten religiösen Massen vorzustehen. Inzwischen müssen diese Kräfte zunehmend vom Fußball wohltätig gefesselt werden.

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Die päpstliche Unfehlbarkeit wurde erst 1870 auf ein ordentliches dogmatisches Fundament gestellt, was lediglich die schwindende Macht des Katholizismus erforderlich machte. Vorher war dies dank faktischer Unfehlbarkeit völlig unnötig. Jeder unbedeutende Abt herrschte über seine „Brüder“ wie ein kleiner Gott; jeder Dorfpfarrer war im Vergleich zu „normalen“ Gläubigen von göttlicher Herkunft!

Pius der IX. hieß der „Unfehlbare“, der sein Primat dogmatisch fixieren ließ. Vorher war die Kirche zumindest rein theoretisch nicht rund um die Uhr unfehlbar gewesen. Dieser von manchen als „Sündenfall“ betrachtete päpstliche Machtzuwachs geschah auf dem Ersten Vatikanischen Konzil vor 150 Jahren. Hoffnung macht uns allenfalls, dass das Unfehlbarkeitsdogma auf dem Konzil gewaltig Gegenwind erfuhr. Mit diesem Wind war aber offenbar nicht der Heilige Geist mit von der Partie, denn es gelang der Konzilsmehrheit alle Gegner von der Abstimmung auszuschließen.

So ging eine teuflisch gute Inszenierung über die Bühne, das müssen wir zugeben, fast so etwas wie ein religiöser Staatsstreich. Die Kirche, sonst um keinen Anlass verlegen zu feiern, war dennoch am 18. Juli 2020 nicht mehr so gut drauf wie 150 Jahre zuvor und verzichtete unter anderem wegen all der Kindsmissbrauchsvorwürfe weitgehend auf Festlichkeiten für dieses Event. Mit diesem „Infallibilitätsdogma (Unfehlbarkeitsdogma)“ war einfach zu viel aus dem Ruder gelaufen, um noch seriös von der Unfehlbarkeit des Papstes sprechen zu können, was nicht heißen soll, dass man es unseriöserweise nicht immer noch tut. Es ist aber auch wirklich ein sehr anspruchsvoller Beruf!

Man äußerte sich also 2020 zu dieser Frage öffentlich lieber zurückhaltend. Kein Wunder, ist es doch ein Konstrukt, das auf Lüge und Intrige aufgebaut ist. Während in ganz Europa Monarchen an Macht einbüßten, machten abenteuerliche Winkelzüge den Papst zum „Ewigen Hirten“. Als auf dem Konzil ein Kardinal Zweifel am uneingeschränkten Primat des Papstes geäußert hatte, wurde er von Pius angeschrien „Ich bin die Kirche“! Wenn wenigstens das gestimmt hätte. Aber Pius der IX. ist längst von uns gegangen, während die Katholische Kirche immer noch unter uns weilt, mitsamt ihrer atemberaubenden Unfehlbarkeit. Als das Dogma am 18. Juli 1870 verkündigt wurde, ging übrigens ein schweres Gewitter über Rom hernieder. Schade, es hätte doch auch ein praktischer Hurrikan, ein unfreundlicher Tsunami oder wenigstens ein rachsüchtiger Vulkanausbruch sein können.

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Leider wird das Unfehlbarkeitsdogma von niemandem gründlicher missverstanden als von der Kirche selbst: Päpste sind nämlich berechtigt, auch „fehlbare Entscheidungen“ zu treffen, sie sind aber hierzu nicht verpflichtet. Fehlbare Entscheidungen sind übrigens auch noch lange nicht falsch! Die Kirche behält sich lediglich vor, gelegentlich Irrtümer zu korrigieren, was praktisch so gut wie nie vorkommt, weil man sich ja auch so gut wie nie irrt. Da kann man nur von Glück sagen, dass die höchste Lehramtsentscheidung seit ihrer Erfindung bislang nur ein einziges Mal, nämlich zur Verkündung der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel, in Anspruch genommen wurde. Nicht auszudenken, was an weiteren nicht gerade intellektuellen Glanzleistungen sonst noch alles hätte erdacht werden können. Umgekehrt aber auch wieder betrüblich: Unfehlbare Entscheidungen hätte diese Zeit nötiger denn je!

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Warum sollte jemand, der gerade nichts Besseres vorhat, nicht Papst werden? Der Job ist angesehen und gut dotiert! Päpste sind meistens tüchtige Leute, die es zweifellos auch in der freien Wirtschaft zu etwas gebracht hätten. Leider wird man sehr spät Papst. Ein Berufswechsel als Seiteneinsteiger bei einer Großbank oder Ähnliches kommt aus Altersgründen kaum mehr in Betracht. So bleibt Unfehlbarkeit auf den religiösen Bereich beschränkt, in dem sie sich besonders schwer produzieren lässt.

Obwohl die Kirche, meist aus höchst eigennützigen Gründen, von einem Irrtum zum anderen taumelt, hält sie unverdrossen am Anspruch auf Unfehlbarkeit fest: verlustreiche Kreuzzüge, blutrünstiges Umpflügen südamerikanischer Kulturen, mörderische Zwangschristianisierungen, flammende Hexenverfolgungen, entehrendes Zölibat... Fehlentscheidungen, die den bloßen Gedanken an Unfehlbarkeit als grobe Beleidigung für denkende Menschen ausweisen! Der Katholizismus sitzt auf einem Thron aus Blut (und befindet sich damit leider in bester Gesellschaft). Das in die römischen Strukturen hineingewachsene Christentum wurde zum würdigen Nachfolger Roms. Den millionenfachen Mord an Menschen verdanken wir christlichen Lebensberaubungen unter dem Deckmantel der Kreuzzüge, Hexenjagd und Zwangskolonialisierung.

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Kein Wunder, dass nicht jedermann die hohe Meinung der Katholischen Kirche vom Papsttum teilt. Luther etwa glaubte, der Teufel habe es gestiftet. Es gab Zeiten, in denen das Wort „Papst“ als Schimpfwort benutzt wurde - und das aus gutem Grunde! Der Unrat manch päpstlichen Lebens würde Bücher füllen, meint v. Corvin im Pfaffenspiegel und hält etwa Papst Johann XXIII. (1410) zugute, dass er nur einen eigenen Harem mit 200 Frauen unterhielt und sich nicht, wie mancher Vorgänger, ständig mit Hurerei, Ehebrecherei, Blutschande, Sodomiterei, Räuberei und Mord befasste.

Die Kirche fühlt sich unverstanden und hält uns wiederum vor, im Glauben nie weiter als bis zur „Schwelle des missverstandenen Katholizismus“ zu gelangen. Das große Menschenwerk dieser spirituellen Gnadenanstalt erliege naturgemäß von Zeit zu Zeit punktuellen Missverständnissen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus! Mitunter erliegt das große Missverständnis „Katholische Kirche“ punktuellen positiven Entwicklungen. Daher beten wir an dieser Stelle mit dem Papst für den Weltfrieden und dafür, dass derselbe schon bald nicht mehr durch Religionen oder Pseudoreligionen gestört wird. Zumindest sollte uns ein fanatischer Glaube lehren, dass wir einen Heiligen Vater nun wirklich nicht verdient haben…

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Neben päpstlicher Unfehlbarkeit foltern religiöse Dogmen den Verstand. Sie formulieren Grundwahrheiten, die außerhalb wissenschaftlicher Nachprüfbarkeit liegen. Trotz der hohen Erwartungen, die man an sie richtet, verblassen jedoch Kirchendogmen vor dem Glanz päpstlicher Regierungskraft. Damit nicht am Ende Dogmen über die päpstliche Entscheidungsmacht siegen, darf sich nur diejenige, von Gott in der Bibel oder durch Überlieferung geoffenbarte Wahrheit „Dogma“ nennen, die vom kirchlichen Lehramt als solche verkündigt wurde. Anders ausgedrückt: Der Papst hat das letzte Wort! Immerhin macht das Dogmen begrenzt entwicklungsfähig. Sie können durch päpstliche Entscheidungen kulturellem Wandel angepasst werden. Darüber hinausgehende, den Glauben zersetzende Betrachtungen über das Dogma werden naturgemäß ungern gesehen.

Obwohl Unfehlbarkeit die Gesetze der Logik beleidigt, hat sie sich in der Praxis bewährt. Einfach ist es, als Glaubensdiktator richtiges Verhalten zu befehlen, mühsam ist hingegen, ethische Grundsätze durch kräftezehrende Überzeugungsarbeit zu vermitteln! Eine Glaubensdiktatur hat aber nicht nur Vorteile, sondern birgt auch Risiken. Wie leicht können die verbogene Persönlichkeit eines Papstes oder eine freudlose Lebensgestaltung dem Heiligen Geist bei der Wahl eines neuen Kirchenoberhauptes verborgen bleiben - und schon wäre wieder einmal ein ganzes Jahrhundert ethisch versaut!

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Nachdem wir derzeit nicht dafür verbrannt werden, riskieren wir ketzerische Nachgedanken. Päpste sind Stellvertreter Gottes auf Erden! Das ist weder neu noch originell, sondern aus dem schon erwähnten und dieser Stellvertretung verwandten Gottkönigtum vieler Länder unzähliger Zeitalter bekannt. Der Herrscher galt als Inkarnation, als Sohn oder Beauftragter Gottes und wurde kultisch verehrt. Diese Form der Volksverdummung nannte sich hierzulande Gottesgnadentum.

So benutzten beispielsweise die Kaiser des Heiligen Römischen Reichs die christliche Vorstellung, dass der Herrscher von Gott über seine Untertanen eingesetzt sei, zur Begründung ihres Machtanspruches. Ein geniales System! Das Neue Testament konkretisiert dieses Gottesgnadentum. Der Brief des Paulus an die Römer (Röm13,1-7, Pflichten gegenüber dem Staat) erläutert die christliche Vorstellung, dass jede staatliche Gewalt von Gott verliehen und Widerstand gegen diese Gewalt ein Verstoß gegen den Willen Gottes sei: „Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt. Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen.

Wir halten hingegen das Widerstandsrecht gegen solch willkürlich begründete Machtansprüche, die wieder einmal den gesunden Menschenverstand auf dem Umweg über die Religion aushebeln, für gottgegeben und beten, dass jedermann, der das bestreitet, schon vorzeitig dem Jüngsten Gericht verfällt.

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Die Vermischung von Mensch und Gott kam während der letzten Jahrhunderte ein bisschen aus der Mode, allerdings nicht überall. Die Katholische Kirche stand noch nie im Verdacht, besonders modisch sein zu wollen. Ihr göttlicher Stellvertreter ist uns bis heute erhalten geblieben!

In jeder Religion fällt göttlicher Glanz auf irdische Würdenträger. Je mehr diese davon beanspruchen, desto weniger verbleibt dem religiösen Endverbraucher. Auf katholischen Hinterbänken ist es traditionell besonders dunkel. Das hat eine leicht erklärbare Ursache! Die Kirche ängstigt sich davor, dass von geistiger Dunkelheit verschlungene Menschen nicht am Ende doch noch erwachen könnten. Jedenfalls hat kompensatorisch jemand zu viel Glanz auf sich vereinigt, womit wir wieder beim Stellvertreter und seiner scheinbaren Unfehlbarkeit angelangt sind.

Je nach Lichteinfall kann Schatten nach allen Seiten geworfen werden. Unfehlbare Stellvertreter verschatten selbst Gott! Wofür würde der Allmächtige noch gebraucht? Schließlich gilt in der Katholischen Kirche auch der Wille Gottes nur als interpretierbare Einzelmeinung. Der Katholizismus drängt sich so zwischen Gläubige und Gott. Eine religiöse Organisation spielt auf unsere Kosten, mit geschickter theologischer Begründung, über unfehlbare Stellvertreter ein bisschen Gott, wie manch andere, vergleichbar unfreundliche Religion auch.

Soweit es unauffällig geht, werden die Machtbefugnisse Gottes immer weiter verkleinert und immer mehr davon unter die eigene Kontrolle gebracht. Dies erklärt, warum sich einfache Katholiken in ein Heer gesichtsloser Lebewesen verwandeln (müssen). Prächtige Tiere, bunte Vögel, schillernde Fische können nur in einer sie schützenden, farbenfrohen Umgebung gedeihen. Im Umfeld der katholischen Religion können, von der Religionsregierung einmal abgesehen, nur graue Glaubenssklaven gedeihen...

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Die geistigen Grundlagen dieser Verschattung finden wir bei Papst Stephan V. (885-891), der nicht damit zufrieden war, nur Mensch zu sein: „Die Päpste werden, wie Jesus, von ihren Müttern durch die Überschattung des Heiligen Geistes empfangen; alle Päpste seien so eine gewisse Art von Gottmenschen, um das Mittleramt zwischen Gott und den Menschen desto besser betreiben zu können, ihnen sei auch alle Gewalt im Himmel und auf Erden verliehen worden (v. Corvin, Pfaffenspiegel).“ Nun, Personen, die einen ziemlichen Schatten haben, können nicht nur auf unsere Zeit beschränkt sein! Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang an einen alten Woody Allen Film in dem er über einen Sektenführer bemerkt: „…hier kommt Gott gerade vom Klo.“

Im Dom zu Siena (Italien) blicken (fast alle) Päpste in Form nebeneinander aufgereihter Büsten vom Kranzgesims auf die Gläubigen herab. Jeder noch so mächtige Papst - nur ein Kopf unter vielen... Zumindest einer unter ihnen soll unentwegt zu sich gesagt haben: „Nimm Dich nicht so wichtig!“

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Nimmt sich ein Papst nicht so wichtig, gibt es genug andere, die das für ihn tun! Schon bei der größten Trauerfeier in der Geschichte der Katholischen Kirche am 8. April 2005 mit ihrer glanzvollen, fast überirdisch anmutenden Inszenierung der Beerdigung von Johannes Paul II., wurden die angeblich von polnischen Gläubigen inszenierten Rufe „Santo subito! (Heiligsprechung sofort)“ laut. Damit machte es sich die „Vox populi (Stimme des Volkes)“ entschieden zu leicht. Zunächst musste sich nämlich die „Vox ecclesiae (Stimme der Kirche)“ um eine vorauseilend notwendige Seligsprechung bemühen.

Und nebenbei mischt hier auch noch Gott persönlich mit! Neben Volk und Kirche muss seine „Vox dei“ als dritte Stimme gehört werden, die sich nach Meinung der Kirche nur durch ein Wunder äußern kann, mit dem Gott sozusagen „sein Siegel unter die Seligsprechung setzt“. Also nicht genug damit, dass Johannes Paul II., wie jeder andere Seligsprechungsanwärter auch, „auf heroische Weise die christlichen und menschlichen Tugenden gelebt haben musste“, sondern im Zentrum der juristischen Verfahren steht das Unerklärliche, das Zeugnis eines übernatürlichen Wirkens.

Die Bereitstellung der dafür notwendigen Wunder schien sich wechselseitig zu überholen. Der Vatikan wurde mit E-Mail-Hinweisen und Briefen derart überschwemmt, dass die schnellste Selig- und Heiligsprechung aller Zeiten ins Haus stand. Wenig überraschend gelang es der Kirche, aus der Flut dieses Basismaterials bereits 2011, also nur sechs Jahre nach dem Tod des Heiligen Vaters, ein geeignetes Mirakel herauszufischen. Der zuständige Monsignore hatte Tag und Nacht erfolgreich am Wunder gearbeitet. Der Seligsprechung stand nichts mehr im Wege!

Es wäre auch das erste Mal gewesen, dass die Kirche, ernsthaften Willen vorausgesetzt, nicht fündig geworden wäre. Eine wunderbar nach dem Gebet zu Johannes Paul II. von Parkinson geheilte französische Ordensschwester stand rechtzeitig zur Verfügung. Normalerweise ist diese schlimme Krankheit so unheilbar wie der noch schlimmere Wunderglaube. Weitere Wunder ließen sich ebenfalls nicht lange bitten. „Auf medizinisch unerklärliche Weise“ soll Johannes Paul II. nach seinem Tod noch zwei weitere Frauen geheilt haben. Dafür wurde er dann 2013 heiliggesprochen.

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Bei anderen potentiellen Heiligen muss man gar nicht erst auf den Tod warten, sondern kann schon zu Lebzeiten ihre Wunder rühmen. Der Kölner Kardinal Meisner hielt die Wahl seines früheren Kollegen Josef Ratzinger zum Papst Benedikt XVI. für „ein Wunder“. Die Kirchengeschichte gibt ihm recht! Noch nie vor Ratzinger ging ein Kardinal als Favorit ins Konklave und kam anschließend als Papst wieder heraus.

Ein Wunder kommt selten allein, das zweite Wunder folgte auf dem Fuße! Das medienwirksame Sterben von Johannes Paul II., die prunkvoll inszenierte Neuwahl von Benedikt XVI. und Amerikas quotenstarke Frömmigkeit erzwangen die Verschiebung der Premiere des provokanten Spielfilms „Our Fathers (Unsere Väter)“, der den größten Skandal der Katholischen Kirche in den USA cineastisch aufrollen sollte. Über Nacht wurde deshalb der massive Kindsmissbrauch durch amerikanische Priester zumindest vorübergehend wieder vergessen. Dutzende von Geistlichen waren zuvor wegen Missbrauchs Minderjähriger verurteilt worden. Die Kirche, die diese Verbrechen über Jahre vertuscht hatte, hatte Schmerzensgeld in Millionenhöhe zu zahlen.

Drittes Wunder: Die Versteigerung eines betagten VW-Golfs, der sogenannte „Ratzinger-Flitzer“, führte zumindest in finanzieller Hinsicht zum nächsten Wunder, als es von einem bekannten Internet-Auktionshaus zum „heiligen Gefährt“ geadelt wurde - vielleicht weil es die passende Farbe „mönchsgrau“ trug. Dass der ehemalige Kardinal Ratzinger gar keinen Führerschein besitzt, tat der Bieterwut keinen Abbruch. Den Interessenten genügte seine gelegentliche Mitfahrt mit dem chauffierenden Sekretär.

Mancher Internet-Nutzer wollte freilich nicht die Katze im Sack kaufen, sondern erkundigte sich vorsorglich beim Verkäufer, ob die Scheibenwaschanlage des Wagens nur mit Weihwasser betrieben werden könne und ob aus dem Auspuff weißer oder schwarzer Qualm komme. Vorwürfe konterte der Verkäufer mit der hintersinnigen Bemerkung: „Wenn Leute Steine versteigern, die beim Papst vor dem Haus lagen, dann kann ich ja ein Auto versteigern, in dem er einmal gesessen hat.“ Stimmt auch wieder!

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Ob das Papsttum gerade in diesen Tagen das Ansehen verdient, das ihm noch oder wieder entgegengebracht wird, möge der Leser selbst entscheiden. Die Katholische Kirche bringt durch ihr Kondomverbot, das trotz unzähliger Aids-Todesfälle gnadenlos durchgehalten wird, Jahr für Jahr zig Millionen Menschen um. Insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent wird Leid in unvorstellbarem Ausmaß verstreut, werden unzähligen Kindern die Eltern geraubt.

Übelgesonnene könnten auf den Gedanken kommen, so grausam könnten nur kinderlose Verbrecher sein, die sich schon mangels ausreichenden Unrechtbewusstseins moralisch nicht zum Papst berufen fühlen sollten. Kein Wunder, dass Päpste von Beginn ihrer Laufbahn an lebenslänglich in Rom weggesperrt werden. Der Erfolg gibt der Kirche dennoch recht, erfreut sie sich doch gerade in Afrika über einen Zulauf an Gläubigen, wie er sich in sonst keinem anderen Teil der Erde abspielt. Wie dumm dumme Menschen doch sind! Nur weil ein alter Mann aus religiösem Machtkalkül und kirchlichem Vorteil die Definition dessen, was Sünde ist und was nicht, was Empfängnisverhütung darf und was nicht, nicht korrigiert, lassen sie sich ihren ganzen Kontinent ruinieren.



Wie senil ist ein Konzil

Wie senil ein Konzil ist, wissen auch wir nicht! Einige Ergebnisse sprechen jedoch für sich. Gealterte Machtträger, Bischöfe und andere hohe Vertreter der Katholischen Kirche versammeln sich manchmal zur Beratung wichtiger Fragen, um neue Erkenntnisse zu produzieren. 1950 biss man zum wiederholten Male lust- und erfolglos an verschiedenen Veranstaltungsthemen herum, ohne sich einigen zu können. Jeder der Beteiligten hatte die Schnauze voll und wollte schleunigst in seine irdische Heimat zurückkehren. Vom Hundertsten zum Tausendsten kommend, gelangte man schließlich wieder einmal am Ausgangspunkt der katholischen Religion an.

Die Jungfrauengeburt und Christi Himmelfahrt waren theologisch schon gut bearbeitet, aber die Himmelfahrt der Gottesmutter ließ sich vielleicht noch nachbessern. Der Glaube an die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel war zwar seit dem 6. Jahrhundert gut bezeugt, aber das konnte ja schließlich ein jeder behaupten. Obwohl nach so langer Zeit kein einziger Augenzeuge mehr aufzutreiben war, der ihre Fähigkeiten als körperlicher Überflieger ernsthaft bestreiten konnte, schien die Zeit reif, das Ganze durch ein Dogma, also durch einen Lehrsatz unter Berufung auf göttliche Offenbarung, zur unwiderlegbaren Tatsache zu machen.

Gott hatte allerdings keine Lust sich wegen einer so abstrusen Behauptung lächerlich zu machen, aber zum Glück kann ein Dogma auch unter Berufung auf die Autorität des kirchlichen Lehramtes in die Welt gestellt werden. Da ließ sich Papst Pius XII. nicht lange bitten und verkündete am 1. November 1950 den entsprechenden kirchlichen Lehrsatz. Diese Verlautbarung war, wie oben schon erwähnt, die einzige Inanspruchnahme der dem Papsttum im Jahr 1870 zugesprochenen Unfehlbarkeit. Dann wird es wohl schon so gewesen sein mit der Himmelfahrt.

So wurde, immerhin eintausendneunhundertfünfzig Jahre nach den natürlichen Ereignissen, die Gottesmutter von einigen älteren Herren endgültig zur leibhaftigen Himmelfahrt genötigt. Das passiert, wenn sich auf einem Konzil vorkonziliare Finsternis und nachkonziliare Düsternis begegnen und aufs Angenehmste vereinigen. Und es bestätigt die von der Psychiatrie beschriebene Beobachtung, dass Wahnerleben ansteckend ist, insbesondere wenn sich viele Menschen in großer räumlicher Enge aufhalten, wie etwa bei einem Konzil.

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Freilich muss nicht jede Himmelfahrt auf Wahnerleben beruhen. Vielleicht weil es Zweifler gibt, ob so etwas überhaupt möglich sei oder auch nur damit sich einfache Gemüter das leichter vorstellen können, findet etwa alljährlich im bayrischen Mittenwald und anderswo ein „Christus-Aufziehen“ statt.

Ein eindrucksvolles Spectaculum, das den Gläubigen immer an Christi Himmelfahrt eine fast lebensgroße Christusfigur zeigt, die zur Kirchendecke hochschwebt, respektive hochgezogen wird, um schließlich durch das „Heiliggeistloch“ im Kirchenspeicher zu verschwinden. Es soll fünf Männer in Schwerstarbeit dafür brauchen, aber vielleicht zieht der Heilige Geist ja auch ein bisschen mit. Von der Idee her, war er bestimmt mit von der Partie!

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Manchmal sollte die Kirche wirklich lieber ein (weiteres) Geschäft aufmachen als den Mund! Während die Vernunft im 19. Jahrhundert für kurze Zeit überraschend große Fortschritte machte, wusste Papst Pius IX. (1846 - 1878) den Glauben an die im Mittelalter zur Geltung gebrachten Dogmen wieder zu erwecken. So wurde von ihm „die wahnsinnige Lehre von der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria am 8. Dezember 1854 in der Peterskirche durch feierlichen Akt zum Dogma erhoben (sinngemäß v. Corvin, Pfaffenspiegel)“.

Pius plagten freilich Sorgen, ob ihm diese nun nicht unbedingt auf den ersten Blick einleuchtende Erklärung einer unbefleckten Empfängnis jedermann abnehmen wollte. Auch die vorherige Einberufung eines Konzils, das vielleicht ausnahmsweise einen längeren luziden Intervall erleiden und aus diesem Grunde seine Beurteilung nicht teilen mochte, empfahl sich nicht unbedingt. So bedrohte er stattdessen lieber alle katholischen Opponenten mit der Exkommunikation.

Die geistigen Wurzeln reiner, unkörperlicher Zeugung sind leicht freizulegen. In der Schöpfungsgeschichte kommt die Frau, insbesondere als Schwangere, nicht gerade gut weg. Die unvollkommene biblische Überlieferung wurde theologisch sorgfältig ergänzt: Weibliche Sexualität gilt als besonders sündig und schmutzig. Dem eigenen Religionsgründer, Jesus Christus, war nun kaum zuzumuten, so schmutzig gezeugt und produziert worden zu sein. So kam es zu diesem genialen Konstrukt, dessen Qualität zumindest bei dieser Religion nicht überrascht: unbefleckte Empfängnis - Jungfrauengeburt!

Nun ist nicht jeder, der auf die Welt kommt, gleich ein Gott. Gestattete man die Jungfrauengeburt allen Müttern, käme man mit der Stiftung von Religionen kaum noch hinterher. Daher bleibt es im Zeugungs- und Geburtskanal im Regelfall bei der Benutzung beider Richtungsfahrbahnen! Schade, dass die Kirche bis heute nicht auf das verstorbene Oberhaupt einer politischen Partei hört, die das Christentum sogar im Namen führt: „Das Mögliche tun, das Unmögliche lassen (Franz Joseph Strauß, CSU, Christlich-Soziale Union)!“

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Was die Faust dem Auge ist, ist die unbefleckte Empfängnis dem Verstand. Um welche Flecken könnte es sich bei der normalen Befruchtung, sogenannte befleckte Empfängnis, handeln? Zeugungsflecken könnten beim heutigen Stand von Forschung und Philosophie rückstandslos chemisch und geistig entfernt werden. Ist die Jungfrauenempfängnis nur gleichnishaft gemeint, stellt sie noch immer eine saftige Beleidigung gebärender Frauen dar. Trotzdem wird diese geistig-seelische Körperverletzung strafrechtlich nicht verfolgt!

Die unbefleckte Empfängnis ist das eine, die unbefleckte Geburt das andere. Köstlich stritt sich jahrhundertelang die Geistlichkeit, ob eine Jungfrau, die unbefleckt empfängt, auch unbefleckt gebären könne. Schließlich sei „bei Gott kein Ding unmöglich“. Das finden wir auch, noch nicht einmal ein Schwachsinn, der ausreicht, den Grand Canyon zu füllen. Eine wahrlich kritische Masse erreichte schließlich der Disput darüber, ob das auch für die „Nachgeburt Christie“ zu gelten habe. Kein Wunder, dass Maria von Mädchen und Frauen zeitweise weit mehr verehrt wurde als Gott selbst!

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Irgendwann erfüllt sich die schwärzeste Prophezeiung! Unaufhaltsamer medizinischer „Fortschritt“ ließ unbefleckte Empfängnis und unbefleckte Geburt gleichermaßen in greifbare Nähe rücken. Veraltete Vorgehensweisen, wie bei der künstlichen Besamung von Rindviechern, müssen nicht Maßstab aller Dinge sein. Nachdem der Nachwuchs immer häufiger aus mütterlichen Bäuchen geschnitten wird (unbefleckte Geburt), wird die künstlich-operative Befruchtung durch Bauch-Katheter nicht mehr lange auf sich warten lassen (unbefleckte Empfängnis). Eine Benutzung solch neuzeitlicher Empfängniskanäle ließe das Hymen unverletzt, jedenfalls dann, wenn veraltete Formen des Geschlechtsverkehrs gar nicht erst versucht würden. Heutzutage könnte sich Gott sogar im Rahmen einer In-vitro-Befruchtung einer Leihmutter bedienen, um jedenfalls im Hinblick auf die eigentliche Mutter unbefleckt auf die Welt zu kommen. Freilich ruft auch dies wieder sofort Neider auf den Plan, die Embryo-Transfer für Satanszeug halten.

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Zum Glück wurden Konzile schon mit ganz anderen Problemen fertig! Erlöser hatten es ja noch nie einfach, so brauchte Jesus sogar mehr als vier Jahrhunderte, um sich endgültig Respekt zu verschaffen. Das Konzil von 451 in Chalcedon (heute Istanbul) brachte schließlich den Durchbruch. Der oströmische Kaiser Markian hatte die christlichen Oberhirten damals zu einem der wenigen Ökumenischen Konzile (= von katholischer, evangelischer und orthodoxer Kirche anerkannt) zusammengerufen, vor allem um die wichtige theologische Frage zu klären: Wer war Jesus Christus, Gott oder Mensch? Oder gar beides? Eine ganz strittige Frage der Theologie in den ersten 500 Jahren der Kirche. Noch 449 hatte eine Bischofsversammlung in Ephesus die theologische Meinung vertreten, Jesus besitze nur die göttliche Natur. Das lehnte der damalige Papst Leo der Große ab und bezeichnete jenes Konzil in Ephesus als „Räuberhöhle“. Wir freuen uns über diese eher unerwartete aber gleichwohl zutreffende Einordnung durch eine kirchliche Institution.

Jedenfalls traf es sich gut, dass die Kirche schon früh ihre Heiligenverehrung betrieben hatte. Die Legende erzählt nämlich, dass die Konzilsväter bei ihren Beratungen der Hilfe einer Heiligen bedurften: Demnach wurden zwei Schriftstücke in den Sarkophag der heiligen Euphemia gelegt, in deren Kirche das Konzil tagte. Auf dem einen Papier stand die Position, dass Christus nur eine (die göttliche) Natur besitze. Auf dem anderen die Aussagen der Zwei-Naturen-Lehre (Gott und Mensch). Es ist überliefert, dass aus dem Grab der Heiligen auf wundersame Weise nur eines der beiden Dokumente zurückgegeben wurde. Man kann davon ausgehen, das gewünschte! Eben jenes, das später vom Konzil als Dogma verabschiedet wurde: Die Lehre von den zwei Naturen in Christus, Gott und Mensch. Erneut eine klare Win-win-Situation, da auf beiden Seiten Mehrwert generiert wurde. Heilige sind von Gott abhängig und Gott von Heiligen.



Menschwerdung Gottes - Gottwerdung des Menschen

Gott kann glaubensstarken Katholiken wenig mehr bieten als seine Kirche auf Erden den Gläubigen ohnehin schon garantiert. Das ewige Leben ist verbürgt! Klappt es mit dem Paradies nicht, wartet ein dauerhaftes Fegefeuer. Reißen alle Stricke, garantiert der katholische Geschäftsbereich „Jenseits“ eine endlose Hölle. Wer so hoch oben wohnt, streckt hurtig die Hand aus nach der Gleichheit mit Gott und postuliert: Gott kam als Mensch auf die Erde! Ein wenig Größenwahn muss schon sein, sonst hielte sich eine Religion wie der Katholizismus gar nicht aus!

Wenn nun Gott zu allem Unglück gar nicht existierte? Schnell wäre es vorbei mit seiner Apotheose, also mit der Erhebung des Menschen zum Gott. Katholiken plumpsten hart auf die Erde zurück. Ohne Gott keine Menschwerdung Gottes - ohne Menschwerdung Gottes keine Gottwerdung des Menschen, keine Gleichheit mit Gott! Diese Gefahr wurde früh erkannt. Gott hatte zu existieren, ob er wollte oder nicht! Seine Existenz wurde denklogisch, theologisch und philosophisch so gut bewiesen, dass es nun völlig egal sein kann, ob es ihn wirklich gibt oder auch nicht!

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Dies beschäftigte viel klerikalen Sachverstand und kostete noch mehr Geld, aber wenigstens nicht das eigene. Wird Gläubigen schon bewiesen, dass das, was sie glauben, auch noch richtig ist, muss ihnen das schon ein paar Kreuzer wert sein. Schade, dass kaum ein „Philosophischer Brosamen“ aus dem gleichnamigen Werk des Theologen Sören Kierkegaard für den katholischen Endverbraucher abfällt. Kierkegaard befand bereits im 19. Jahrhundert sinngemäß: „Was man versteht, kann man nicht glauben, was man glaubt, kann man nicht verstehen.“ Sagt doch schon der kluge Volksmund: „Glauben heißt nicht wissen!“

Weise, weise, hielten sich die Religionen nur daran! Gläubige müssen stattdessen das glauben, was ohne weiteres als atemberaubender Unsinn verstanden werden kann. Die Katholische Kirche vergaß, dass das, was geglaubt werden soll, zumindest glaubhaft sein sollte! Wenigstens hin und wieder sollte Glaubbares zur Verfügung gestellt werden, damit die Fähigkeit zu glauben nicht völlig verkommt.

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Ein Gott, der sich von Menschen beweisen ließe, wäre doch wohl kaum einer, jedenfalls kein ernstzunehmender. Trotzdem können sich unsere theologisch inspirierten Gottesbeweiser freilich gar nicht genug dieser spannenden Fragestellung widmen. Solch Unfug konnten Kirchenfürsten freilich nur zu Zeiten treiben, in denen die Bevölkerung zu erfolgreich ausgeplündert wurde. Die religiösen Häuptlinge wussten einfach nicht mehr, was es heißt, produktive Hand- oder Kopfarbeit zu leisten, was wir als mildernden Umstand berücksichtigen wollen. Persönlichkeitsdefizite wie diese wären durch vermehrten Einsatz des Kirchenadels bei der Feldarbeit leicht reparabel gewesen.

Gottesbeweise sind uns einfachen Menschen unmöglich! Zum einen können wir nicht so fein denken wie die Kirche, zum andern fehlt uns das nötige Kleingeld zur Beschäftigung von Theologen. Wir haben aber zwei Augen im Kopf, die in der Kindheit nicht schlecht staunten über das, was ist und wie es ist. Manchmal fanden wir alles wunderbar! Unsere Großeltern versicherten glaubhaft, weder sie noch ihre eigenen Großeltern hätten hohe Berge auf weite Ebenen gebaut oder Löcher für riesige Ozeane ausgehoben. Jemand anders musste das alles und vieles mehr geschaffen haben! Wie schreibt schon Heinrich Heine in „Die Harzreise“: Gott hat den Menschen erschaffen, damit er die Herrlichkeit der Welt bewundere!“ Aber was ist das schon gegen einen theologischen Gottesbeweis?

Eines Tages berichtete man von einem paradiesischen Himmel, der über uns sein sollte. Wir selbst befänden uns bestenfalls in einem Jammertal! Das wollten wir nicht glauben. Ein schwerer Fehler! Man zwang uns auf der Stelle bei der Demontage unseres Erdenparadieses so tatkräftig mitzuwirken wie zuvor unsere Eltern und Großeltern. Heute vermuten auch wir, dass der Garten Gottes gar nicht hier ist, sondern Millionen von Kilometern entfernt, mindestens so weit wie der Mars, wo er ja unter anderem auch gesucht wird.

Selbst unsere einfache Gottesfürchtigkeit hat sich gewandelt. Heute glauben wir an Kirchen- und weltliche Fürsten. Wer etwas so Gewaltiges wie diese Erde zerstören kann, muss eine wahrhaft mächtige Gottheit sein, mindestens so furchterregend wie der indische Zerstörungsgott Shiva. Wir geben an dieser Stelle ausnahmsweise der Religion mit ihrer Satansdeutung recht. Das Wesen des Teufels ist auf immerwährende Zerstörung jedes Lebens, welches die Schöpfung Gottes hervorbrachte, ausgerichtet. Er muss folgerichtig direkt im Herz der Religion sitzen!

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Den kleinen Ausrutscher der Gleichheit mit Gott würden wir Katholiken verzeihen, hätte die Menschheit nicht dadurch einen ernst zu nehmenden Weltenlenker verloren. Wer Gott gleich ist, nimmt diesen nicht mehr für voll. Damit dennoch das seit Jahrtausenden erfolgreiche Geschäftsmodell „Glaube“ erfolgreich bleibt, werden seither in rascher Abfolge Ersatzgötter in wechselnden Verkleidungen erfunden!

Die Amerikaner kennen das Phänomen „Second to none“ - Zweiter zu niemand. Keine dumme Sache! Ein Sportler, der Weltmeister wurde und damit keinen Gegner mehr vor sich hat, denkt sich einen imaginären Sportsmann aus, der noch besser ist als er. Fortan eifert er diesem nach und hat wieder ein Ziel. Das erfolgreichste Bankunternehmen der Welt erfindet nach jedem Geschäftsjahr eine fiktive Bank, die die Kunden noch besser hereinlegen kann als sie selbst. Diese erdachte Bank ist im nächsten Jahr der Gegner, den es einzuholen gilt. Solche Geschäftspolitik schützt davor, so abzuschlaffen, dass eines Tages reale Konkurrenten den eigenen Erfolg übertreffen.

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Geradeso könnte man das bezeichnen, was sich in der Welt des Glaubens abspielt. Nach der Gleichstellung mit Gott hat die Menschheit keinen Gott mehr einzuholen. Deshalb macht sie auf „Second to none“ und denkt sich unentwegt neue Anforderungen, Ersatzreligionen, Lebensformen und Produkte aus, die angeblich weit besser sind als die Schöpfung. Überall, wo der göttliche Baumeister versagt hat, wird gründlich nachgebessert! „Fortschritt“ verschont nichts, nicht einmal die Produzenten selbst. Der nagelneue gentechnologische Ansatz verspricht eine erfreuliche Selbstdemontage.

Je strahlender die äußere Erscheinung, umso weniger wird innere Wurmstichigkeit wahrgenommen. Die Fäulnisbildung im Vergleich zum Ausgangsprodukt ist unübersehbar. Verfaulen wir völlig, können immer noch blutlose Ebenbilder aus Plastikteilen, Elektroleitungen und Metallplatten zusammengeschraubt werden. Und in der Tat, die Leistungen von Computern sind heute schon erstaunlich. Sie werden mithilfe künstlicher Intelligenz gesteuert und agieren anhand von Erfahrungen und nicht mehr nur aufgrund per Logik programmierter Vorgaben. Sie sind - mit einem Wort - lernfähig geworden. Jedenfalls, wenn wir je Götter waren, wir sind keine mehr!

In Zeiten so großer Gleichheit mit Gott, wird sicherlich die Forderung nach Gleichberechtigung aller Menschen im religiösen Bereich endlich Berücksichtigung finden. Schließlich sind die Grundrechte in der Katholischen Kirche und bei anderen religiösen Menschenrechtstretern hoffnungslos unterbelichtet (siehe Unterkapitel „Menschenrechte“)!



Kreuz und Kreuzigung

Katholische Sakramente sind Zeichenhandlungen, die Gläubigen die Gnade Gottes vermitteln sollen. Kreuzigen dieselben Christen stattdessen schon zu Lebzeiten, kann das auch am falschen Vollzug der Sakramente liegen. Was steckt hinter dem Kreuz? Als religiöses und symbolisches Zeichen bereits der vorchristlichen Welt bekannt, hat es sich keinen guten Namen gemacht.

Lange schon vor Christus Tod wurde das Kreuz seiner praktischen Form wegen zur Kreuzigung verwendet. Kreuzzüge besserten sein Image wenig auf, immerhin starben Unzählige. Sie entwickelten sich aus bewaffneten Wallfahrten, die unternommen wurden, um die Macht des Islam in Asien zurückzudrängen. Die Implosion des Römischen Reiches hatte verheerende wirtschaftliche Auswirkungen gehabt. Westeuropa war arm, während im Nahen Osten, etwa in Kairo, Bagdad oder Alexandrien, Wohlstand herrschte.

Die Katholische Kirche wurde zum bekanntesten Terroristen jener Tage. Papst Urban II, wohl ein geistiger Ahnvater von Bin Laden, rief 1095 zum gerechten, zum „Heiligen Krieg“ gegen die Reichen, sprich „Ungläubigen“, auf: „Wer in der Schlacht sterbe, gelange sogleich ins Paradies und finde sein ewiges Glück.“ Welch gelungene Parallele zum islamischen Dschihad dieser Tage. Der hierfür erfundene Ablass erhöhte die anfangs fehlende Teilnahmefreude erheblich! Alle Sünden, mochten sie auch noch so groß sein, wurden vergeben.

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Der zweite der Kreuzzüge - diese großartige Narrheit, kostete sieben Millionen Menschen das Leben. Sie entvölkerten die Städte von Männern, so dass in mancher kaum einer für sieben Weiber zurückblieb, denn „alles was die Wand bepisst, nahm das Kreuz“ (sinngemäß v. Corvin, Pfaffenspiegel).

Das Kreuz war sich nicht einmal zu gut, überflüssige Kinder zum Kinderkreuzzug aufzusammeln und unter die fremde Erde zu bringen. In der jüngeren Geschichte wurde es als „Hakenkreuz“ besonders unglücklich. Einst heilbringendes Zeichen indischer Kultur, konnte jetzt von Glück sagen, wer nicht an Haken brauner Kreuze baumelte.

Warum sich das Christentum das Kreuz aneignete, lässt sich nicht mehr ermitteln. Sollte es darum gegangen sein, Gläubige durch Glauben stabil ans Kreuz zu schlagen, darf die Wahl als gelungen gelten. In vom Katholizismus eroberten Gebieten machte sich das bittere Sprichwort breit: „Manchmal gibt es im Leben von Menschen eine gute Stunde, weil das Unglück nicht immer und überall sein kann.“

Es handelte sich keineswegs um ein Nullsummenspiel! Den Verlierern standen durchaus Sieger gegenüber: „Und seit jener Zeit, da die Herrschenden erkannt hatten, dass es sich maskiert mit dem Idealismus eines gewissen Gekreuzigten bedeutend erhebender, edler und belustigender rauben, morden und betrügen ließ... (aus „Sechsunddreißig Stunden“, Ödön von Horváth).“

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Irgendwann tendierte man dann zu größeren Kreuzen. Zum Gedenken an den 500. Jahrestag der christlichen Eroberung Amerikas wurde 1992 in der Neuen Welt ein Riesenkreuz errichtet. Das lässt neues Unheil ahnen! Grundsätzlich war die Errichtung eines so großen Kreuzes der Bedeutung der Angelegenheit jedoch angemessen. Die hautnahe Ausbildung ansässiger Amerikaner in Sachen Primitivität, Grausamkeit, Raub, Mordlust usw. darf inzwischen als weitgehend abgeschlossen gelten.

Obwohl eigentlich nur Großkreuze den im Namen des Christentums angerichteten Verbrechen genügen, existieren Kreuze jeder Größe. Sie stehen auf Berggipfeln, hängen in Kirchen, treiben sich in Gerichtssälen oder Schulen herum...

Wer den Sonntag mit strafpredigtbewehrten Kirchenbesuchen entehren hilft, wird entgegenkommenderweise wenigstens durch ein Kreuz abgeschreckt. Vielleicht wagt er dann alternativ, diesen würdigsten Gottestag zu heiligen und durch respektvolle Ruhe in stiller Umgebung zu ehren.

Das Bildungswesen verlangt durchaus nach unterrichtsbegleitender Anbringung von Kreuzen in Klassenzimmern. Insbesondere im Geschichtsunterricht soll der Nachwuchs vor der Religion gewarnt werden. Kreuze in Gerichtssälen sind hingegen entbehrlich. Hier werden nur kleine Ungerechtigkeiten ausgestritten, damit große unbehelligt bleiben. Das ist Kreuz genug!

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Wie schwierig ist es doch, all die Glaubenszutaten, die sich in den Alltag mischen, zu verbieten: Kreuz raus, Kopftuch runter, Schleier weg, Judenhut ab, Turban nieder... Am sogenannten „Kopftuchstreit“ wird dies deutlich! Jahrzehntelang war kopftuchtragenden, türkischen Mitbürgerinnen gestattet, ihre militante Gesinnung bei der Bekämpfung von Schmutz des Gastlandes abzuwetzen. Kaum setzte eine Lehrerin ihr Kopftuch auf, wurde ein Politikum daraus. Weit einfacher wäre daher, jede gottgefällige Verkleidung ohne Ansehen von Konfession und Person zu gestatten, zumindest wenn die so Verkleideten danach noch ihr Antlitz zu besichtigen erlauben. Beim gegenwärtigen Konsumfasching fiele das auch kaum auf! Die eingesparte Energie könnte dafür verwendet werden, die Veranstalter all des religiösen Karnevals umso sorgfältiger auszurupfen.



Gräuel zum Grauen

Ende des 15. Jahrhunderts plagte die wohlhabenden Stände in der Alten Welt wieder einmal die Geißel der Reichen: Langeweile! Hexenverfolgungen liefen erst an, die paar Kriege vor der Haustür sorgten zu selten für Abwechslung. Die Versorgung sadistischer Grundbedürfnisse war gefährdet! Erfreut hörte man, dass der Haudegen Kolumbus potentielle Kriegsschauplätze in Amerika entdeckt hatte. Ein neuer Wettlauf der Grausamkeiten konnte beginnen.

Nichts Gutes, außer man tut es, dachte die Kirche und übernahm gerne den Part der Eroberung heidnischer Seelen vor Ort. Die Mutter aller Religionsschlachten hat sich auch auf diesem Kriegsschauplatz tapfer geschlagen! Im Namen des Christentums wurde der amerikanische Kontinent gedemütigt und gekreuzigt. Kirche und Staat folterten und mordeten die indianische Bevölkerung in einer Weise, dass in den Augen der Indios mitunter noch heute unstillbarer Hass auf „Weiße“ aufblitzt - selbst nach so vielen Generationen.

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Auf Kuba etwa schlossen die christlichen Eroberer Wetten ab, ob Einheimische mit einem einzigen Hieb durchtrennbar wären. Der spanische Bischof und spätere Dominikanermönch Bartolomé de Las Casas berichtet in „Brevísima Relación (Kurzgefasster Bericht)“ mit schon fast sadistisch anmutender Detailfreude vom Völkermord an den Indios, begangen an 20 Millionen Menschen - ein Bestseller seit dem 16. Jahrhundert. Kaum eine Seite ohne abgeschnittene Nasen, abgehackte Hände, zerschmetterte Säuglingsköpfe, in Strohhütten lebendig verbrannte Familien. In der Not verspeiste der weiße Mann auch gebratene Indio-Kinder und die eingeborenen Zwangsarbeiter wurden mit dem königlichen Brandzeichen abgestempelt wie Vieh.

Perlenfischer versenkte man im Meer, wo sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang ständig baden durften, wenn sie nebenbei auch Muscheln losrissen. Diese abscheuliche Lebensart wurde nicht allzu lange vertragen. Die Opfer spien Blut, bekamen Durchfall und starben. Ihr Haar, von Natur schwarz, wurde brandrot und aus ihren Rücken schlug Salpeter aus - sie wurden zu Ungeheuern in Menschengestalt. Die Argentinier fassten die Erschließung des Kontinents durch die Spanier in dem Sprichwort zusammen: „A Dios rogando y con el mazo dando (zu Gott betend und mit dem Knüppel dreinschlagend).“ Es geht halt nichts über ein gottgefälliges Leben!

Als der amerikanische Kontinent zufriedenstellend geplündert war, kam das Grauen in Afrika zu seinem Recht. Wir fassen uns kurz: Wie weise waren doch primitive Stämme Afrikas, die auf der Flucht vor christlich-abendländischer Zwangsbekehrung die Kinder, die sie nicht tragen und retten konnten, lieber töteten, als sie Missionaren in die Hände fallen zu lassen.

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Katholiken tragen wir nicht nur nach, dass europastämmige Reisende in Lateinamerika und Afrika aus diesem Grund bei der Urbevölkerung auch heute noch auf Vorbehalte stoßen. Wir werfen der Katholischen Kirche vor allem die Unverschämtheit vor, „im Namen der Menschheit“, statt im eigenen Namen, bei der Dritten Welt um Verzeihung zu bitten, für all ihre Gräueltaten!

Eine Kirche, die nicht beleidigungsfähig ist, kann sich nicht selbst entschuldigen! So bitten wir im Namen der Katholischen Kirche die Ermordeten, Gefolterten und Verbrannten sowie deren Nachkommen um Vergebung. Wir bitten nicht im Namen der Menschheit um Verzeihung, sondern bitten die Menschheit um Vergebung für all das, was das Gesamtverhängnis Katholische Kirche, diese Prüfung für die ganze Menschheit, anderen Erdenbewohnern und ihren eigenen Mitgliedern, ja der gesamten Kreatur angetan hat und weiterhin antut.

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Was diese Kirche, außerhalb der vorgenannten Schilderungen, mit ihren geistig kasernierten Befehlsempfängern durch die Jahrtausende sonst anstellte, wissen Religionswissenschaftlicher besser als wir. Zeitgenössisches wollen wir abschließend jedoch nicht vorenthalten! Afrikas wachsende Armut treibt Menschen haufenweise in die Arme fundamentalistischer Christen und Muslime. Im März 2000 verbrannten die Anführer der katholischen „Bewegung für die Wiedereinführung der zehn Gebote“ in einer ugandischen Kirche fünfhundert ihrer Anhänger dafür, dass die Welt nicht, wie prophezeit, am 1. Januar 2000 untergegangen war. Strafe muss sein!

Die Umgangsformen dieser Bewegung waren von Anfang an gewöhnungsbedürftig! Wer trotz des allgemein bestehenden Sprechverbots sprach, hatte tagelang zu hungern. Kam jemand in der „Jerusalem Church“ zu spät zur Messe, musste er stundenlang vor der Kirchentüre im Dreck liegen. Der auf dem Kontinent vermehrt Fuß fassende radikale Islam findet es hingegen durchaus zeitgemäß, Frauen unehelicher Kinder wieder zu steinigen. Der Glaube war eben schon immer eine besonders mörderische Waffe.



Großgrundbesitz und Großvermögen

Geben ist seliger denn Nehmen! Deshalb predigt die Religion die Vergänglichkeit und Nichtigkeit irdischer Güter, derer man sich frühzeitig entledigen sollte - sonst wird es ja nichts mit der schönen Seligkeit. Nähme keiner etwas, könnte freilich niemand geben und selig werden. Selig werden sollen aber möglichst viele Gläubige und genau da beißt sich die schwarze Kirchenkatze in den Schwanz! Sie muss dafür sorgen, dass verschenkter schnöder Besitz auch Adressaten findet.

Weil so viele Menschen selig werden wollen, entstehen gehörige Engpässe auf Seiten der Beschenkten. Allen Grundbesitz kann die Kirche schon aus organisatorischen Gründen nicht übernehmen. In einigen Ländern fiele das auch auf! So etwa im Mexiko des vorletzten Jahrhunderts, als sich die Katholische Kirche, Wegweiserin der Tugend, die Hälfte des Grundbesitzes einverleibt hatte. Seither wird wieder mit anderen Landräubern geteilt, vor allem mit Adel und Geldadel!

Mit Vorwürfen sollte man zurückhaltend sein! Die Kirche wusste es eben nicht besser, da sie im eigenen Land gleichermaßen gut betucht war. Schließlich soll dem Vatikan noch heute jedes dritte bis vierte Haus in Rom gehören und in anderen italienischen Städten verhält es sich ähnlich. Der Wert dieser Immobilien ist schier unschätzbar! Als religionsferne Unruhestifter weisen wir unaufgefordert darauf hin, dass der Vatikan nicht nur auf Grundbesitz, sondern auch im Geld schwimmt: Aktien von Erdölgesellschaften, Rüstungskonzernen, Kraftwerken, Zinngruben, Gummi- und Stahlfabriken, Eisenbahnlinien, Banken und vieles, vieles mehr auf der Welt (Deschner, „Abermals krähte der Hahn“). Gläubige, die nach Rom reisen und dennoch von dieser Religion um Spenden angebettelt werden, sollten bedenken, dass diese nicht vorrangig dem religiösen Wohlergehen der Kirche dienen müssen. Die Kirche möchte lediglich nicht für überheblich gehalten werden: Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert!

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Wie verleibt man sich Vermögen (vor allem Grundbesitz von einer Größe, die zum obersten Indianerhäuptling befähigt) ein, ohne auffällig zu werden? Nun, die Kirche verstand schon immer etwas vom Geld! Während der Kreuzzüge rüstete sie unzählige Kreuzritter aus und ließ sich als Gegenleistung deren Besitz überschreiben. Kamen die „bewaffneten Wallfahrer“ nicht zurück, fiel deren Eigentum an Klöster. Papst Alexander der III. setzte auf das klassische Erbrecht und verfügte 1170, „kein Testament sei gültig, das nicht in Gegenwart eines Priesters gemacht worden sei“. Vielleicht war er nur übertrieben vorsichtig! Schon in der Frühzeit des Christentums wagte kaum jemand zu sterben, ohne der Kirche zuvor ein Legat vermacht zu haben (v. Corvin, Pfaffenspiegel). Erbschleicherei wurde von der Kirche gezielt gefördert! Die Vererbung privaten Vermögens an die eigenen Kinder statt an die Kirche bezeichnete dieselbe schon früh als „moralisch verwerflich“.

Besonders fruchtbar wurde das Vermögen zu Zeiten der Inquisition umverteilt. Der Besitz von „Ketzern“ oder „Hexen“ musste allerdings mit dem Staat geteilt werden, den es bei der dieser Verfolgung auch bei Laune zu halten galt. Zum Glück speiste sich das System selbst! Wer zu helfen versuchte, landete oft gleichermaßen im Folterkeller. Erbmassen sind das eine, Urkunden das andere! Manche Klöster waren regelrechte Fälscherwerkstätten, die der Kirche riesige Ländereien durch gefälschte Urkunden erwerben halfen. Zusätzliche Einnahmequellen waren: Kreuzzugssteuern, Ablasshandel, Verkauf kirchlicher Ämter, Einnahmen aus päpstlichen Bordellen... Die Geschäftstüchtigkeit des Vatikan im 20. Jahrhundert durch dunkle Geschäfte, in die auch Kontaktpersonen der Mafia verwickelt waren, war geradezu legendär (www.jubeljahr2000.de/betrug.html).

V. Corvin weist im Pfaffenspiegel in diesem Zusammenhang auf einen weiteren, nicht unbedeutenden Vorteil des Zölibats hin: „War es den Priestern hingegen erlaubt zu heiraten, so fiel auch ihr Nachlass an ihre rechtmäßigen Kinder, und alles, was mit List und Betrug zusammengescharrt worden war, ging der Kirche verloren.“

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Seligmachen bereitete der Kirche viel Arbeit. So blieb ihr verborgen, dass Grundbesitz, den sie nicht selbst übernehmen konnte, vergleichbar ungerecht aufgeteilt wurde. Niemand wagte den Vatikan darüber zu informieren, sonst hätte dieser sofort etwas unternommen. In Lateinamerika ist es so schlimm, dass viele Bewohner zärtlich „Hemdlose“ genannt werden. Selten gehört ihnen der Boden unter ihren Füßen. Fast alle nennen ein zerschlissenes Hemd auf dem unterernährten Körper ihr eigen und leiden kaum unter unmäßigem Besitzstand. Seligkeit ist ihnen gewissermaßen auf den Leib geschrieben! Lieber lassen Großgrundbesitzer den größten Teil ihres Grund und Bodens verkommen, als Hemdlose zu ordentlichen Arbeitsbedingungen zu beschäftigen. Am Ende würden diese reich und um die verdiente Seligkeit gebracht!

Außerdem hat unsere Erde Platz für alle, auch für Hemd- und Besitzlose! Im Urwald soll es immer ein paar unbewohnte Ecken zum Brandroden geben, jedenfalls noch! Sobald diese urbar gemacht sind, wird man sich auch hier der Verpflichtung nicht entziehen, die Bewohner durch freundliche Landübernahmen selig zu machen. So komplizierte Zusammenhänge zwischen Besitz und Seligkeit begreifen leider nicht alle. Bei Uneinsichtigen klappt es dafür mit der Seligmachung umso schneller! Sie werden bei feindlichen Landübernahmen liquidiert.

Gerade die Ärmsten der Armen sind gefragt! Die Kirchenbauten in Mittel- und Südamerika haben dicke Bäuche, die sonntags zur Strafpredigt gefüllt sein wollen. Hemdlose hören so gerne, dass sie an ihrem Unglück selbst schuld sind und verdauen Standpauken nutzbringend in den Eingeweiden ihrer Seele. Wer hingegen eigene Paläste baut, lässt sich selten in Kathedralen locken und bleibt lieber zu Hause. Dass er an seinem (materiellen) Glück selbst schuld ist, weiß er sowieso.

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Diese Kirche verdient Bewunderung! Was für ein Spagat, einerseits mit vermögenden Landbesitzern in einem Boot zu sitzen, andererseits trotzdem Sprachrohr des landlosen Bettelvolks zu bleiben. Ein wahrer Teufelsbraten, unsere Katholische Kirche! Das möchten wir auch lernen. Obwohl es eigentlich verboten ist, schauen wir kurz hinter den Tabernakel - und sind ein bisschen enttäuscht. Darauf hätten wir selbst kommen können! Die beste Revolution ist immer noch die eigene, die hausgemachte. Das weiß heute jede mittelständische Firma, die betriebsinternes Aufbegehren sachgerecht von eigenen Vertrauten vertreten lässt. Niemand aber steuert die eigene Opposition besser als die Religion. Oft kopiert und nie erreicht!

Am Beispiel lateinamerikanischer Befreiungs-Theologie kann studiert werden, wie klug der religiöse Machtapparat die Revolution in den eigenen Reihen hält. Der Gegner kommt nicht an den Ball. Bevor sich systemfremde Kräfte zum Sprecher der Unterdrückten, zum Rächer der Enterbten machen, setzen sich eigene religiöse Mitspieler als scheinbare Gegner an die Spitze des Aufruhrs. Mit Geduld und Geschick wird dafür gesorgt, dass alles Aufbegehren in geistiges Koma zurückfällt.
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Leser der Bildzeitung oder vergleichbarer Druckwerke, die Neider für „unsägliche Verdummungsblätter“ halten, haben es sofort verstanden, ihr täglich Brot! Bild macht sich tagein, tagaus zum Sprachrohr der Rechtlosen und Ausgebeuteten. Heißt es heute, „Jetzt ist Schluss, der Staat will uns noch mehr nehmen“, mahnt die Zeitung morgen, „Benzin wird nochmals teurer - das lassen wir uns nicht gefallen“. Übermorgen wird neues Fehlverhalten unnachsichtig angeprangert; die Forderung von vorgestern ist bereits vergessen!

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Durch diesen Exkurs intellektuell gut gerüstet, analysieren wir die Praxis religiöser Rebellion. An der langen Leine des Vatikans durften es junge, mutige, lateinamerikanische Priester sonderbar finden, dass sich eine Handvoll Landbesitzer fast allen Boden teilt, ihn oft verderben lässt, während sich die Masse Landloser um ein paar unfruchtbare Quadratmeter schlägt. Unter begeisterter Anteilnahme sich endlich angemessen vertreten glaubender Menschen, verlangten diese Geistlichen von der eigenen Kirche tätige Nächstenliebe. Streitbar und christlich forderten sie Land für Landlose, Hilfe für Elende, Wiedergutmachung für Unterdrückte.

Es hätte die Befreiungstheologie früh gelähmt, die Begeisterung besitz‑ und hemdloser Massen vorzeitig gebremst, wäre nicht priesterliches Märtyrerblut vergossen worden. Auf solchem Blut gedeiht Glaube besonders fruchtbar! Die jungen Priester ahnten, dass ihre Bitt- und Streitschriften in den dunklen Gängen des Vatikans versickerten und zogen mit ihren Gläubigen in den bewaffneten Kampf. Der war zwar aussichtslos, aber auf ein wenig Priesterblut kam es der Kirche noch nie an, solange kein Kardinal angezapft wurde. Purpurfarbene Kardinäle versprechen der Kirche, für sie mit ihrem Leben einzustehen! Aber nur, wenn keine unteren Ränge mehr zur Verfügung stehen, für die sich Sterben lohnt. Für junge Seelenhirten lohnt es sich allemal, das Privileg zu erhalten, als Märtyrer für die Heilige Katholische Kirche sterben zu dürfen. Was ist schon ein mächtiger Kardinal gegen einen kleinen Priester, der zum großen Märtyrer wird und sich Hoffnungen auf die Beförderung zum Heiligen machen darf? Wie sagte James Bond: „Live and let die (leben und sterben lassen)!“

In einer tausendjährigen Kirche brauchen Veränderungen Zeit und Zeit besänftigt Wut. Um verwundbare Flanken abzusichern, warf der Vatikan, vertreten durch seine sich für unersetzlich haltende Kurie, den streitlustigen Priestern vorsorglich ein paar von ihr schon lange selbst schmerzlich vermissten christlichen Kerntugenden an den Kopf: Gerechtigkeit, Mäßigung, Klugheit, Mut (und vor allem „zweite Wange hinhalten“ und so). Unbelehrbare bekamen ergänzend die vollen zehn Gebote übergebraten. Auf diese Weise verloren die jungen Wilden ihre christlichen Zähne und wurden sachte ausgebremst. Wie jung sie sind, wie wenig sie vom Leben wissen und über das religiöse Haus, in dem sie weilen, sagten die erfahrenen Leit-Hammel in Rom: Großgrundbesitzer und Großkirchen lassen sich alles nehmen, außer einem Quadratmeter Land und einem Quadratzentimeter Macht.

Wir stellen hier wie auch andernorts nicht in Abrede, dass es immer wieder Priester gab und geben wird, die gegen Armut und für mehr Gerechtigkeit, gegen Grausamkeit und für mehr Menschlichkeit kämpften und kämpfen - und das verdient höchstes Lob! Leider wird dabei exakt ebenso oft das folgende Gefälle sichtbar: Es handelt sich um einzelne Priester und wir finden umso weniger, je gründlicher in der Kirchenhierarchie in Richtung oben nach ihnen gefahndet wird. Der Organisation insgesamt solches Bemühen zu unterstellen, wäre allerdings nicht nur eine absolut falsche Verdächtigung, sondern vorwerfbares Abdriften in dem menschlichen Verstand nicht mehr zugängliche Gefilde!

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Greift sich die Kirche zu viel Land und anderes wertvolles Gut, greift sich manchmal der Staat die Kirche und organisiert eine Säkularisation. Darunter versteht man die gegen den Willen der Kirche erfolgende Überleitung kirchlichen Eigentums in die Verfügungsgewalt des Staates, vor allem des Grundbesitzes. Das gab es immer wieder einmal, hierzulande zuletzt Anfang des 19. Jahrhunderts.

Zunächst freute sich die Kirche. Schließlich war sie so fett geworden, dass sie selbst um ihr Seelenheil bangte. Die Säkularisation war eine einmalige Chance, das ganze zusammengestohlene Vermögen geschickt loszuwerden, um dauerhafter Verdammnis zu entgehen. Nur weg mit dem ganzen Plunder, dachte sie. Schließlich handelt es sich beim göttlichen Heilsplan um ein heilsgeschichtliches Geschäft auf Gegenseitigkeit: Der Arme ist auf den Reichen angewiesen, um seine irdische Existenz zu fristen. Der Reiche ist auf den Armen angewiesen, weil er nur durch karitative Tätigkeit sein Seelenheil erlangen kann. Deshalb konnte auf Dauer christliche Nächstenliebe in dieser Frage auch das Staatswesen nicht verschonen. Was wäre, fragte sich die Kirche, wenn der Staat mit all dem Besitz nun unglücklich würde und um sein Seelenheil fürchten müsste? So begann sie aus reiner Barmherzigkeit immer wieder mit der Rückeroberung des eingezogenen Besitzes.

Die Rückgabe aller bei der letzten Säkularisation vom Staat vereinnahmten Güter an die Kirche wurde bislang nicht abgeschlossen. Verschiedene Staatsleistungen (z.B. die Kirchensteuer), die ihre rechtliche Grundlage in Art. 140 des Grundgesetzes haben, erinnern daran!

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Einfache christliche Schäfchen sind leicht zu scheren. Leider fehlt es ihnen an Großgrundbesitz! Schafe mit mehr Wolle sind weniger leicht vom jenseitigen Seelenheil zu überzeugen, selbst wenn man sie auf ausgedehnte, überirdische Ländereien hinweist. Schließlich haben sie im Diesseits etwas zu verlieren! Ihren Großgrundbesitz haben sie meist nicht rechtmäßiger erworben als die Kirche und sind deshalb gewitzt. Sie wissen, Ganovenehre erreicht selten einen hohen Stand. Diebe und Kirchen trachten immer danach, erworbenes Beutegut einander abzujagen.

Die feisten Wollschafe durchschauen aber nicht, dass die Kirche Gewalttätigkeit sehr subtil einsetzt. Die innere Sicherheit potentieller Opfer wird über Jahrzehnte destabilisiert. Notfalls nimmt sich die Religion ein ganzes Menschenleben Zeit. Letztlich werden Gläubige auch ohne Zutun der Kirche älter und griesgrämiger. Mit der Nähe zum Tod plagen das schlechte Gewissen und aufopfernd von der Religion draufgesattelte Schuldgefühle.

Zwischen letzter Ölung und Einsargung lässt sich besonders gut wildern; mitunter so erfolgreich, dass mancher Großgrundbesitzer seine Grundflächen schneller loswerden möchte, als die Kirche sie annehmen kann. Dafür geht der Sterbepriester bis zum Äußersten! Wenn es sein muss, wird dem Erlösten „auf täglich und ewig“ eine Messe versprochen. Das rechnet sich. „Ewig“ ist eine sehr sehr lange Zeit! Wer klagt ein diesbezüglich gebrochenes Versprechen nur hundert Jahre später noch ein?

Das Unternehmen „Katholische Kirche und Freunde“ konnte noch nicht alle weltweit zur Verfügung stehenden Grundflächen übernehmen. Zum Glück sind Religionen einander ähnlich, besonders im Besitzstreben! Viele Nachbarreligionen erlösen ebenfalls durch Übernahme irdischer Besitztümer von ewiger Verdammnis, um dafür die eigene zu erlangen. Vielleicht gelingt so dieses große fromme Werk! Beten wir aus tiefem Innersten, mit ganzem besitzlosem Herzen, Gott möge sich aller irdischen Verdammnisschleudern erbarmen und deren Trachten nach ewiger Verwünschung erfüllen.

Die einfachen Leute an der Nase herumzuführen, ist das eine, die weniger einfachen einzuseifen, das andere. Aber religiöse Profis stellt auch so etwas nie vor unüberwindliche Hindernisse. Mit dem Versprechen eines sicheren Platzes im Jenseits, wurde der Adel, vom Markgrafen bis zum Kaiser, überredet, sich als „Spender“ zur Verfügung zu stellen, vor allem wenn die Kirche gerade wieder einen neuen Dom oder andere religiöse Wohnstätten zu brauchen glaubte, die ja nicht gerade aus der Portokasse zu bezahlen sind. Die Kirche war dann ihrerseits auch nicht knausrig und stellte die edlen Spender schon im Diesseits in Lebens- oder Überlebensgröße als Stifter im Chorraum der Kirchen an vorderster Stelle aus, eben dort, wo sonst nur die Heiligen wohnen. So religiös geadelt, dürfte dann im Jenseits auch nicht mehr viel schief gegangen sein.

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Auch Gottes Geldwäsche darf in diesem Kapitel nicht fehlen. Der Kirche wird ja gerne eine zu große Nähe zur Mafia nachgesagt. Der Vergleich ist ungerecht. Sie ist weit tüchtiger als dieselbe! Kein Wunder bei diesen Möglichkeiten. 2010 gewährte ein italienischer Journalist, Gianluigi Nuzzi, in seinem Buch „Vatikan AG“, Einblicke in das delikate Finanzgebaren des Vatikans. Ein Buch, das, wie der Name des Autors „Nuzzi“ schon nahelegt, von großem Nutzen ist. Ein Insider hatte ihm zwei Koffer voller Informationen zugespielt, die er nach dessen Tod 2003 ausgehändigt erhielt und die er, auf ausdrücklichen Wunsch des Verstorbenen, dann verwerten sollte.

Schon 1982 war die 1942 gegründete Vatikanbank IOR (Institut für die Werke der Religion) in Verruf geraten. Diese verwaltete damals ca. fünf eher unehrenhafte Milliarden und, man kann ja nie wissen, vorsorglich hatte sich der Vatikan auch ein bisschen Gold zur Seite gelegt, so an die eineinhalb Tonnen. Ein gar buntes Völkchen aus Finanzjongleuren, Strohmännern und Geschäftemachern tummelte sich im Dunstkreis dieser Vatikanbank.

Wie unfair Vorwürfe sein können! Das Geldinstitut hatte doch nur ihren Kunden paradiesische Konditionen geboten: Steuerfreie Kapitalerträge und totale Anonymität (zweifellos eine erste Adresse für mafiös gepolte Anleger). Nachdem es sogar in Italien korrupte Politiker geben soll, war es dem italienischen Staat darüber hinaus auch ein besonderes Anliegen, jenen für ihr hart erarbeitetes Geld einen sicheren Hafen zu bieten und den bot halt in besonderer Weise gerade die Vatikanbank.

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An solchen Konditionen hätten wir auch unsere Freude und würden liebend gern ein vergleichbares Konkordat mit dem italienischen Staat schließen. Aber Italien mag uns nicht so gern wie den Vatikan und so ist es nach wie vor nur die Kirche, die ihren Kunden, Gerechten wie Ungerechten, Schutz vor richterlichen Nachstellungen bieten kann. So weiß könnte noch nicht einmal Persil schmutziges Geld waschen wie diese Bank und wenn dann als Zugabe noch ein bisschen päpstlicher Segen obendrauf gesattelt wird, dann blitzt schon fast Heiligkeit durch. Achten Sie einmal darauf, wenn Geld besonders verräterisch glitzert, wo es vielleicht herkommen könnte.

Gab es Pannen, erinnerte sich die Kirche an ihr über so viele Jahre praktiziertes erfolgreiches Schweigen bei Kindsmissbrauchsfällen aller Art. Die Täter wurden bekanntlich diskret versetzt, um an anderen Orten gleichermaßen wohltuend wirken zu können - und geradeso hielt es die Vatikanbank über viele Jahre mit ihren gottgefälligen Managern. Nach dem Enthüllungsberg von 2010 durch Herrn Nuzzi hätte es nun plötzlich mit alledem vorbei sein können. Ein wahrhaft garstiger Gedanke!

Da weiß man aber wieder, was man an guten Freunden hat. Aufgrund der erstklassigen Beziehungen des Vatikans zu öffentlich-rechtlichen und sogar zu privaten Medien, mochte nun einfach niemand über all die Enthüllungen des Herrn Nuzzi berichten. Und dennoch stürzte diesmal die Mauer des Schweigens ein! Seinen Erfolg verdankt das gut recherchierte Buch einzig einer überwältigenden Mund-zu-Mund-Propaganda. Und zwar so schnell, dass sogar Bannstrahlen schleudernde Kuttenträger nichts mehr ausrichten konnten. Ja selbst eine neue Todsünde, die alle Gläubigen der Katholischen Kirche am Lesen hätte hindern können, kam nicht mehr schnell genug auf den Markt. Bevor noch alle Kardinäle zu einem entsprechenden Konzil befohlen werden konnten, um so eine frische Sünde der Extraklasse zu gebären, war das Buch schon in aller Munde.

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Wie heißt es so schön: Immer wenn über eine Sache Gras gewachsen ist, kommt ein Esel und frisst es wieder runter. Das wird sich auch der Vatikan gedacht haben und insbesondere Papst Franziskus, der sich zumindest in der Frage finanzieller Exzesse etwas wackerer zu schlagen versucht als manche Vorgänger. Der Diener des damaligen Heiligen Vaters, Paolo Gabriele, der diesbezüglich vertrauliche Vatikan-Dokumente schon 2012 weitergegeben haben soll, starb 2020. Durch seinen Tod gerieten diese „Vatileaks“, jene Enthüllungen die seinesgleichen suchen, wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Es ging und geht um Seilschaften, Korruption und Intrigen unter den mächtigsten Kirchenmännern der Welt.

Wir würden nun nicht so weit gehen, der Vatikan habe aus durchsichtigen Gründen Corona in die Welt gesetzt, um den Ball wenigstens ein bisschen flach zu halten. Er darf aber zweifellos als Corona-Gewinner gelten, als die weiteren Ermittlungen derzeit eben nur im Windschatten dieser Pandemie gedeihen.

Wir fassen uns wiederum kurz: Warum macht es sich diese Kirche nur so schwer? Sie ist und bleibt eben eine sehr irdische Institution, eine Männerwelt mit den in dieser Liga üblichen Ingredienzien wie Geld, Macht und Sex. Würde nun diese eher unter- als überirdisch zu bezeichnende Institution künftig auf alles religiöse Gehabe verzichten und sich nur dem widmen, was ihr zugegebenermaßen immer schon am besten gelang, könnte endlich (fast) alles gut werden.



Kampf gegen die Mafia

In Italien wurde Anfang der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts eine brandneue kriminelle Organisation enttarnt. Die Kirche war völlig überrascht, als sie von der „Mafia“ hörte, deren Name üblicherweise mit „Anmaßung“ oder „Überheblichkeit“ übersetzt wird. Ein unerhörter Eingriff in angestammte Rechte der Kirche, die in der Frage von Anmaßung doch nun wirklich mustergültig wirkt.

Das Spitzelsystem der Katholischen Kirche, die priesterliche Ohrenbeichte, hatte völlig versagt. Die Mafia war so geschickt vorgegangen, dass nicht einmal ortsansässige Priester in Sizilien oder Neapel bemerkt hatten, dass schwerstkriminelle Strukturen entstanden. Als der Kirche bekannt wurde, diese Organisation treibe seit Anfang des 19. Jahrhunderts ihr Unwesen, zögerte „Il Papa“, der Papst, nicht eine Sekunde, um mit markigen Worten gegen das verhängnisvolle Treiben dieser Gangsterorganisation zu protestieren.

Endlich bot jemand dieser satanischen Gruppierung die Stirn und nahm den Kampf auf gegen immer und überall gegenwärtige Teufel. Wir werden wieder gläubig angesichts dieses späten Wunders eines hochanständigen und heldenhaften Priestertums, auf das wir nur zwei Jahrhunderte warten mussten. Einmal mehr hatte sich die Kirche ihrer selbsternannten Weltzuständigkeit für Arme, Schwache, Kranke, Gedemütigte, Mühselige und Beladene erinnert. Eben immer dann, wenn es halt gar nicht mehr anders ging, sich der symbiotische Filz einer lukrativen Zusammenarbeit zwischen Religion und Ausbeutung um keinen Preis mehr aufrechterhalten ließ.

Jahrhundertelang starben unzählige Einzelkämpfer im Kugelhagel der Mafia. Kaum waren Strafverfolgungen mutiger italienischer Ermittlungsrichter und Staatsanwälte Anfang der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts durch nichts auf der Welt mehr zu verhindern, schon sprang die Kirche auf den hintersten Waggon des Zuges der Mafia-Gegner auf. So betrachtet machen ehrliche Mafiosi gar keine schlechte Figur gegen verlogene Priester!

Sollte eines Tages die Vernichtung dieser verbrecherischen Mafia-Organisation trotz des kirchlichen Beistandes, der sie behütet, gelingen, braucht niemandem bange zu sein. Hinter der Organisation „Opus Dei“, deren frommes Wirken wir erst im Kapitel „Machteinstieg von oben“ gebührend bewundern können, verbirgt sich eine Art „katholische Mafia“, die sich gerne mit freigewordenen Tätigkeitsfeldern beschäftigt.



Theodizee-Gedanke

Was versteht man eigentlich unter dem sogenannten „Theodizee-Gedanken“? Weil er geheimnisvoll und nach Gott klingt, schlagen wir im Lexikon nach und werden nicht enttäuscht. Er hat viel mit dem vorstehend beschriebenen Elend auf der Welt zu tun. Wenn Gott trotz seiner Allmacht und Güte so viel physisches Übel, moralisch Böses, Leid und Elend geschehen lässt, kann man versucht sein, ihn rechtfertigen, ja „retten“ zu müssen. Wie kann Gott nur all das zulassen? Damit sind wir beim „Theodizee-Gedanken“ angelangt, mit dem große Weltreligionen versuchen, Gott zu rechtfertigen. Dies ist ihr bescheidener Dank dafür, dass sie zur schlimmsten Strafe Gottes werden durften. Sich mit dem tieferen Warum dieses göttlichen Willens zu befassen, ist der Schrecken ehrenwerter, gottgläubiger, religiöser Denker.

Natürlich wäre es vernünftiger, sich weniger damit zu befassen, wie Gott das alles zulassen kann, sondern wie er das alles vermeiden könnte. Aber, wir haben gelernt, ohne Elend keine Kirche, ohne Kirche keine Religion, ohne Religion kein Gott; jedenfalls kein einträglicher. Was vernünftig wäre, muss nicht unbedingt auch klug sein! Klüger war es für die Kirchen allemal, sich weniger mit der Elendsvermeidung als mit Elendserzeugung und Rechtfertigung eines wie oben beschrieben wirkenden Gottes zu befassen.

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Der Theodizee-Gedanke unterscheidet zur Rechtfertigung Gottes drei Antworttypen. Der erste Typ hält die Welt, und mit ihr alles Übel, lediglich für „Maya“, für bloße Illusion. Der Dualismus hingegen hat die Vorstellung zweier opponierender Gottheiten, einer guten und einer bösen Gottheit. Natürlich wird letztere für alles Böse verantwortlich gemacht. Der dritte Antworttyp geht vom Monotheismus, also einem einzigen Gott aus. Zum Glück konnte sich der alte Kirchenlehrer Augustinus im vierten Jahrhundert hierzu verständlich äußern. Augustinus glaubte, das Böse existiere nicht als solches, sondern stelle einen bloßen Mangel an Gutem dar. Seiner Meinung nach liegt hier sozusagen eine Art Schöpfungsdefekt vor.

Dieser Ansatz gefällt, ja inspiriert uns! Darauf aufbauend können wir vielleicht die Artenvielfalt des Theodizee-Gedankens auf eine brauchbare Antwort verkürzen. Darüber freut sich das dicke Lexikon, in dem wir nachgeschlagen haben. Ganz gegen den Zeittrend darf es schlanker werden!

Vielleicht ist das Böse ja auch gar nicht der Mangel, sondern der Überfluss an Gutem. Wir leiden einfach an zu viel Gutem! Alles und jedes will gut sein, jede Frau, jeder Mann, jeder Arbeiter, jeder Angestellte, jeder Arzt, jeder Patient, jeder Richter, jeder Politiker. Selbst Pflanzen wollen keinesfalls böses Unkraut sein, sondern brave Nutzpflanzen. Tiere möchten nicht als böse Raubtiere, sondern lieber als angesehene Haustiere durchs Leben gehen. Neuerdings will sogar der Strafvollzug gut sein und nicht mehr strafen, sondern heilen. In den USA und anderswo werden sogar Henker mit der Heilung durch die Todesstrafe beauftragt.

Das ist des Guten zu viel! Wir müssen uns notgedrungen von manch liebgewordenem Guten trennen, auch wenn's schwerfällt. Wen werfen wir über Bord? Erraten! Wir trennen uns von dem, das dem Gutsein die Krone aufsetzt. Wir schicken die Religionen zum Teufel! Schließlich verwirklicht niemand das Gute geistloser, unnachgiebiger, herzloser, ja mörderischer als die Religionen.

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Die Ausgangsfrage „Wie konnte Gott all das Elend auf der Welt zulassen?“, war falsch gestellt. Sie muss richtig lauten: „Wie konnte Gott nur das Übel von Staatskirchen und insbesondere monotheistischen Weltreligionen zulassen?“ Verzichten wir auf sie, haben wir voraussichtlich den Schöpfungsdefekt, den Augustinus beklagte, behoben und ein so verstandener Monotheismus kann steinalt werden. Man muss ja nicht gleich eine Kirche damit betreiben!



Ohrenbeichte

Abhörmethoden werden unaufhörlich verbessert! Der Lauscher an der Wand hört die eigene Schande inzwischen elektronisch per Wanze, Richtmikrophon, großen Lauschangriff oder Telefon- und Internetüberwachung. Den „großen beobachtenden Bruder“ aus Orwells „1984“ freut der Einzug in unsere lauschigen Wohnungen. Vor solchen Erfolgen verblasst die eleganteste Abhörmethode, die es je gab. Die katholische Ohrenbeichte sammelte zuverlässig und preisgünstig alle wichtigen Informationen beim Volk ein, während dieses sein Gewissen auskämmte, speiste damit kirchliche Datennetze und machte aus der allwissenden auch eine allhörende Kirche.

Das Beichtgeheimnis war von Anfang an ziemlich porös angelegt. Der Katholizismus machte sich zu eigen, was früher Eltern vorbehalten war: die Gedanken ihrer Kinder zu kontrollieren, bis sie jene für reif genug hielten, sich selbst damit auseinanderzusetzen oder der Nachwuchs sich geistig nicht mehr bevormunden ließ.

Dieses Abhörsystem wiese erhebliche Lücken auf, könnte man schon ohne zu Beichten von seinen Sünden befreit werden. Dabei weiß Gott doch ohnehin alles, warum sollte man es auch noch einem Priester verraten? Da bevorzugen wir die evangelische Variante! Evangelischen Gläubigen wird allein durch den Glauben an Gott vergeben. Obwohl, wir finden auch hier, dass man es sich damit vielleicht entschieden zu einfach macht! Man sollte lieber abwarten, wie Gott das eines Tages handhabt!

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Es wäre ungerecht, diese Abhörmethode als „Spitzelsystem“ zu diffamieren. Ein solches stützt den Machterhalt auf die Mitarbeit von Kundschaftern, Agenten und Spionen. Die Katholische Kirche war ein Machtapparat, der nur aus Spitzeln bestand und keine weiteren Kundschafter mehr benötigte. Ohrenbeichtspitzel erhielten nicht nur Gottes Lohn, sondern blieben als Beichtväter erotisch-sexuell und anderweitig auf dem Laufenden. Sie waren berechtigt, deftige Strafen zu verhängen, bis hin zur Geißelung. Unkeusche Gedanken oder unmoralische Handlungen wurden in der Regel mit einer beträchtlichen Zahl zu betender Ave Maria etc. geahndet. Gebeichtete Seitensprünge zogen unzählige Vaterunser und dergleichen nach sich usw.

Natürlich spielte das von der Kirche gern vorgezeigte Beichtgeheimnis bezüglich der Weitergabe von erlangten Kenntnissen innerbetrieblich keine Rolle! Und dieses Abhörsystem wurde auch innerhalb des Vatikans eingesetzt. Neuerdings setzt man aber auch dort lieber auf Elektronik. Im Vatikan wimmle es nur so von Wanzen und Mikrophonen, behauptet zumindest der Chef der Vatikan-Bank, Angelo Caloia. Natürlich wissen sich die Hohen Priester zu helfen! Kardinäle, die nicht belauscht werden möchten, gehen im Garten des Vatikans spazieren (zumindest solange ihnen dort noch nicht per Richtmikrophon nachgestellt wird).

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Die Beichte war keineswegs immer von solcher Geheimniskrämerei umrankt wie heute. In der Anfangszeit der christlichen Kirche mussten diejenigen, welche wegen grober Verfehlungen aus der Gemeinde ausgestoßen worden waren, all ihre Sünden und Vergehen öffentlich vor der Gemeinde bekennen, wollten sie in dieselbe wieder aufgenommen werden. Als die Pfaffen mächtig wurden, verwandelten sie dieses öffentliche Bekenntnis in ein geheimes, um ihre Macht zu erhöhen.

Neben frömmelnden Fegefeuerpredigten und ähnlichen Erfindungen war die Ohrenbeichte eines der vielen Mittel, durch welche sich die römische Kirche die Herrschaft über die Menschen erwarb. Mit Hilfe derselben hat sie lange die Welt regiert, ohne große Kosten und Beschwerden. Dieselbe der Kirche zu nehmen, hieß zumindest damals „ihr die Augen auszustechen“; denn die Ohrenbeichte war unzweifelhaft ein paar Augen wert.

Das eine Auge brauchte der Katholizismus, um von allen Heimlichkeiten und verborgenen Anschlägen auf Könige und Fürsten dieser Welt zu erfahren und mit diesem Wissen kam die Kirche in den friedlichen Besitz von Regierungen und Herrschaften. Insbesondere die Jesuiten machten sich als Beichtväter regierender Fürsten oder sonstiger, sehr einflussreicher Personen verdient und gaben wichtige Informationen an ihre Vorgesetzten weiter (sinngemäß v. Corvin, Pfaffenspiegel). Das andere Auge benötigten die Priester, um damit in die Busen der jungen Mädchen und betrübten Frauen zu sehen und zu tasten, um dadurch deren Heimlichkeiten zu ergründen und zu erfahren.

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Wer nicht wenigstens einmal jährlich beichtete, wurde von der Kirche ausgeschlossen und erhielt kein christliches Begräbnis! Auf diese Weise erfuhren die Priester von den Gläubigen die geheimsten Dinge, die sie zu ihren Zwecken benutzen konnten. Und ein Geschäft wurde es obendrein, als man begann die Freisprechung von Sünden per Ablass zu verkaufen. Die Festlegung der Preise war flexibel und zeigte durchaus Feingefühl hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der einzelnen Sünder (sinngemäß v. Corvin, Pfaffenspiegel).

Die Ohrenbeichte genoss deshalb schon früh, insbesondere im 15. Jahrhundert, bei den Geißlern oder Kreuzbrüdern ein gar geringes Ansehen. In ihrer Lehre vertraten sie nämlich die Auffassung: „Wer einem Pfaffen beichtet, wird nicht reiner, als wenn er sich an einer unflätigen Sau reibt (v. Corvin, Die Geißler).“ Statt der Beichte versuchte man durch Geißelungen Buße zu tun und Vergebung zu erlangen.

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Für die richtigen Leute ist so eine Beichte freilich eine tolle Sache! Man behauptet einfach, unter durch nichts zu begründender Berufung auf Gott, das Recht, die Vergebung vor dem Allmächtigen und den Menschen bewirken zu können. Schon kann über religiöse Fachleute für alles Verzeihung erlangt werden, bis hin zum vielfachen Mord! Kommen noch der Vorsprung des Insiderwissens und gute Beziehungen von Kollegen zu Kollegen hinzu, kann eigentlich gar nicht mehr so viel angestellt werden, wie einem zu sühnen ermöglicht wird. Dies erklärt, warum sich die Kirche und ihre Betreiber hinsichtlich unzähliger ihrer Verbrechen erst gar nicht so richtig schuldig fühlen.

Dass die Ohrenbeichte allen Beichtkindern zuträglich war, glauben wir kaum, aber jedenfalls war sie für viele Priester von unschätzbarem Wert! Kardinal Domiani (1058 berufen) zeichnet vom Schandleben der Pfaffen im „Gomorrhinaus“ ein trauriges Bild. Er beklagt ihre Hurerei, widernatürliche Unzucht, Sodomiterei, Unzucht mit Knaben, Unzucht untereinander und mit Beichtkindern, und führt an, wie die gemeinschaftlichen Verbrecher, um ungestört fortsündigen zu können, sich einander in der Beichte absolvierten.

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Außergewöhnlich feinsinnige Beichtväter machten ihren Beichttöchtern weis, dass der Körper durchaus befleckt werden dürfe, wenn nur der Geist rein bliebe. „Der Geist gehöre Gott; der Körper der Welt, von diesem letzteren selbst mache der Himmel auf die obere Hälfte, die Welt auf die untere Anspruch.“ So blieb man vom Nabel an aufwärts bekleidet und rein und trieb es nabelabwärts dafür umso bunter.

Die Jesuiten gossen solche Geisteshaltung sogar in theologische Bücher, die uns unter anderem folgenden intellektuell-erotischen Leckerbissen genießen lassen: „Die Hände oder die Brüste einer Frau zu berühren, mit den Fingern zu kneifen und zu zwacken, das sind in Betreff der Keuschheit lässliche Sünden, wenn es zur bloßen Ergötzlichkeit ohne weitere Absicht oder Gefahr der Befleckung vorgenommen wird (v. Corvin, Pfaffenspiegel).“ Gar manches Weib, dem in oder nach der Beichte die priesterliche Hand segnend auf den Busen gelegt wurde, befand sich gar bald in „gesegneten Umständen“ (sinngemäß v. Corvin, Pfaffenspiegel). Die theoretische Rechtfertigung, mit der so mancher Psychologe die Kundschaft bespringt, schimmert bereits durch.

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In einer mobilen Welt liegt der Gedanke eines mobilen Beichtstuhls nahe, der nicht nur Verkehrssündern die Inanspruchnahme dieses Sakraments anbietet. Wenn der Sünder nicht zum Beichten kommt, wird er gnadenlos mit dem der „Kirche in Not“ gehörigen Beichtmobil verfolgt; jedenfalls solange, bis die größere Not wieder auf Seiten der Sünder ist. Das ist gut so, denn immer mehr zu Putzkammern umfunktionierte Beichtstühle von Pfarrkirchen nehmen gerade noch eingestellten Besen die Beichte ab.

Nun ertauben zumindest hierzulande die großen Ohren dieser Religion, weil immer weniger Priesteröhrchen nur mehr diejenigen abhören können, die sich noch belauschen lassen. Zum Trost verraten wir der Katholischen Kirche, dass in den unzähligen Internet-Chatrooms so freizügig laut gedacht wird, dass man mitunter am liebsten ein virtuelles Hausverbot erteilen wollte. Sorgfältiges Studieren dieser Aufzeichnungen verrät alles, was Menschen heute denken. Man weiß damit zwar noch nicht, wer was denkt, aber wenigstens wieder was gedacht wird.

Übrigens, gut ausgebildete priesterliche Abhörtechniker konnten es selbst dann nicht lassen, wenn sie damit dem kommunistischen Erzfeind in die Hände arbeiteten. Nach Schätzungen von Historikern waren zehn bis fünfzehn Prozent der polnischen Priester nach dem zweiten Weltkrieg dem SB, dem polnischen STASI, zu Diensten.

Die neue Ohrenbeichte nimmt die Psychoanalyse ab, deren Arbeit im Buch „Billa S., Sterbehilfe für Planeten, Kapitel 12 (Gezeiten der Vernunft), Untertitel „Gekaufte Freunde“, verständnisvoll gewürdigt wird.



Machteinstieg von oben

Unter Laizismus versteht man die strenge Trennung von Kirche und Staat. Kein neuer Gedanke! Schon Christus empfahl: „Gebt dem Staate, was des Staates ist!“ Der Verdacht, religiöse Allzuständigkeit behindere die seelsorgerische Arbeit, ist nicht unbegründet, weshalb die Aufgaben des Staates und der Kirche zumindest streng getrennt sein sollten. Die Religion ist in ihrem tiefsten Innern freilich gegen eine solche Aufteilung, da sie Regieren weit unterhaltsamer findet als Seelsorgen.

Kirche und Staat sind seit Anfang des 19. Jahrhunderts in vielen Nationen scheinbar getrennt. Anfangs war das nicht so bedeutsam, weil jenseitige Schrecken diesseitige Staatsbeamte ausreichend disziplinierten. Erst als allerlei neumodisches Zeug erfunden wurde, wie Kommunismus oder Atheismus, änderte sich das. Schon wieder einmal bedurfte Gott also der schützenden Hand seiner Kirche. Strömungen musste gegengesteuert werden, die den Bestand der Kirche bedrohten. Und wer könnte die Quelle der Macht Gottes besser verteidigen als Geheimbünde? Kurz, der Katholizismus brauchte eine Lobby! Kirchen unterhalten aber nicht gerne Geschäftsstellen am Regierungsort oder gehen bei Parlamentariern betteln wie andere Lobbyisten. Am Ende denken die Leute, die Kirche sei von der Regierung weit abhängiger als von Gott.

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Damit ist der geschichtliche Hintergrund grob umrissen, aus dem heraus vor knapp hundert Jahren eine geheimnisvolle Organisation geboren wurde. Sie kümmert sich diskret um die (eigenen und die) Interessen der Kirche! Ohnehin überzeugt, dies sei eine gute Sache, nannten sich die Geheimbündler vorsorglich „Opus Dei“, Werk Gottes. Warum, sagten sie sich, sollen wir uns die Mühen einer Parteigründung aufbürden, wenn man bei der Führungsschicht der Gesellschaft auch so zum gern gesehenen Gast wird?

Das „Werk Gottes“ vertritt eine katholisch-fundamentalistische Richtung und betreibt auf Erden, neben einer Fülle von Wirtschaftsunternehmen und Stiftungen, zum Beispiel auch die spanische Universität de Navarra in Pamplona. Mit faschistischen und rechtskonservativen Eliten und Regierungen ist man weltweit befreundet.

Natürlich wäre es unklug, diese einfachen Zusammenhänge so darzustellen wie sie sind. Offiziell führt Opus Dei seine Mitglieder zu christlicher Vollkommenheit. In unerreichter Interessenwahrung der Kirche werden Industrielle, Bankiers, Politiker, Wissenschaftler und andere einflussreiche gesellschaftliche Eliten angesprochen. Die christliche Kampforganisation Opus Dei probt sozusagen den „Machteinstieg von oben“. Aber natürlich ist dem Werk Gottes auch an ausreichend Fußvolk gelegen.

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Wer nun wirklich Mitglied ist, darüber gibt es eher Vermutungen. Wenig überraschend in Religionsangelegenheiten, ist Transparenz auch hier ein Fremdwort. Die oberste Maxime ist „Schweigen“. Obgleich nun die Ähnlichkeit bei Opus Dei bezüglich der Rekrutierungs- und Haltungsmethoden der Mitglieder zu jenen der Scientology Church (siehe unten, „Sekten und Sektierer“) frappierend ist, gilt Opus Dei nicht als Prototyp einer demokratiefeindlichen, totalitären Sekte.

Da macht es sich eben wieder einmal bezahlt, dass dieses „Werk Gottes“ nicht am esoterischen Rand der Gesellschaft operiert, wie das bei den Scientologen der Fall ist, sondern dass es sich dabei um ein Herzensanliegen der kurioserweise immer noch angesehenen moralischen Institution der Katholischen Kirche handelt. Und es hilft auch nicht unbeträchtlich, dass die Elitegruppierung „Opus Dei“ der Bevölkerungsmehrheit, trotz einer beachtlichen Anzahl kritischer Veröffentlichungen, immer noch weitgehend unbekannt ist. Natürlich wird ein so heiliger Verein, knapp unterhalb Gottes residierend, auch nicht vom Verfassungsschutz überwacht. Schon ein Vorschlag in diese Richtung würde auf hohes Unverständnis stoßen bei manchen Politikern, obwohl sie es besser wissen müssten.

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Vielleicht kommt es auf das militante Opus Dei-Glaubensnetz (oder eine religiöse Schlangengrube mehr oder weniger) schließlich auch nicht mehr an! Opus Dei tut alles, um nicht mit einer anständig operierenden Lobby verwechselt zu werden. Es hält auf Unterordnung, strikten Gehorsam, Männlichkeitswahn, Führerkult, weibliche Minderwertigkeit und schreckt weder vor saftigen Finanzskandalen noch sektenähnlichen Werbepraktiken zurück.

Der Alltag der Mitglieder ist bis ins Kleinste geregelt! Geißel und Bußgürtel helfen zur „Abtötung des Fleisches“ nach dem organisationsintern erprobten und anerkannten Wort: „Du machst nur so viel Fortschritte, als du dir selbst Gewalt antust.“ Um das Triebverlangen auszutricksen, werden der Genitalbereich mit Kaltwasserstrahlen bearbeitet oder nach innen gewendete und mit Noppen versehene Schmerzgürtel getragen. Wohin sich die Begierde dann wendet, gibt nicht weniger Anlass zur Sorge als bei den Geißler-Vorfahren der Organisation, über die im Unterkapitel „Die Geißler“ mehr zu erfahren sein wird. Schlimm ist, dass sich bei Opus Dei die hausinterne Begierde nicht nur auf gequälte Körper, sondern auch auf die Gesellschaft insgesamt richtet, der man gerne vergleichbare Gewalt antun möchte. Beschränkten sich Abtötungs- und Tötungsgelüste doch immer nur auf sich selbst und die eigenen Kollegen!

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„Gehorcht wie ein Werkzeug in der Hand des Künstlers gehorcht, das nicht danach fragt, warum es dies oder jenes tut”, heißt es in Nr. 617 im Hauptwerk des Gründers, “Der Weg“. Bloßer militärischer Drill erscheint vor solchem Hintergrund allenfalls etwas für Weicheier. Wir begegnen einer perfekten Gehirnwaschmaschine! ”Nr. 62: Ein Führer, du brauchst ihn, um dich hinzugeben, dich zu verschenken, im Gehorsam.“ Die Nationalsozialisten hätten sich hier nachschulen lassen sollen, vielleicht hätte es dann zum Endsieg gereicht: „Ein Führer, der dein Apostolat kennt und weiß, was Gott will.” Jugendliche Aspiranten, welche die Absicht haben, dem Opus Dei beizutreten, dürfen nicht mit ihren Eltern darüber sprechen. Sie können, wenn sie erst beigetreten sind, an familiären Festlichkeiten (etwa Hochzeiten der Geschwister) nicht mehr teilnehmen. Die Bluts- oder Herkunftsfamilie existiert sozusagen nicht mehr, dafür wird die Gemeinschaft des Opus Dei zur eigentlichen Heimat.

Dieselbe stärkt die Verbundenheit mit der neuen Familie mit den in einem totalitären System üblichen Methoden der psychischen Verfolgung mit Angstparolen. Furcht macht Menschen gefügig! Den Rest besorgen geeignete Personen fast von selbst: Sie wollen von den eingeredeten Sünden loskommen, so kasteien sie sich, peitschen sich, legen Bußgürtel an, baden in Unterwerfungssehnsucht, um jenes Maß an Gefolgschaft zu vermitteln, das den “Führer” befriedigt, was aber dann letzten Endes doch nie genügt. Kaum anzunehmen, dass sich die oberen Ränge ähnlich dümmlichen Prozeduren aussetzen. Wir vermuten eher geheime Orgien, in denen man sich über all die Idioten, die das mit sich machen lassen, totlacht.

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Um bei Papstwahlen mitwirken zu können, ist man seit Jahren um Schadensbegrenzung und Imagepflege bemüht und sucht sogar das Licht der Öffentlichkeit: „Das Werk Gottes greife weder nach der Macht, noch verfolge es wirtschaftliche Interessen unter dem Deckmantel der Frömmigkeit. Es sei nicht geheimbündlerisch, sektenähnlich, mafiaähnlich, ultrakonservativ und erziehe auch nicht zu blindem Gehorsam. Es existiere keine Zensur, sondern nur eine Lektüreberatung. Selbstzüchtigungen mit Bußband und Geißel spielten nur noch eine untergeordnete Rolle und seien medizinisch völlig unbedenklich.“

Solche Vorzeige‑ und Leistungsreligiosität der Kadertruppe Gottes spornt selbst eine schwerfällige Kirche zur Eile an! Die Kirche weiß, wie man Legenden schafft, und, wenn es denn sein muss, dies in Rekordzeit. Der Gründer von Opus Dei, Josemaria Escrivá de Balaguer y Abbas, wurde schon 2002 in der Rekordzeit von nur 17 Jahren nach seinem Tod selig- und nach weiteren 10 Jahren Jahre heiliggesprochen. Erst Johannes Paul II. gelang es, diese Rekorde zu knacken.



Religion und Moderne

Alles wird unaufhörlich einfacher! Deshalb steht immer mehr Menschen immer weniger Zeit zur Verfügung. Selbst gläubigste Katholiken beklagen nicht selten ein bedrückendes Beicht-Defizit in ihrem religiösen Leben. Viele Wege führen zu Gott, aber keiner belagert sie erfolgreicher als religiöse Einrichtungen. Die kirchennahe Lazarusgesellschaft in Köln bietet dem eiligen Katholiken im Rahmen lebensnaher Soforthilfe eine CD-Beichte an. Dieser elektronische Beichtstuhl erlaubt im PC-Menü „Bekennen“ per Mausklick eine Auswahl aus einer Sündenliste mit 200 Einträgen samt Auflistung der redlich verdienten Buße.

Dies sei aber kein vollwertiger Ersatz für ausreichende innere Einkehr, mahnt die Lazarusgesellschaft den eiligen Digital-Beichter. Bloße Mausklicks können das offline geführte, priesterlich beschnüffelte Sündenbekenntnis nicht ersetzen. Gleichwohl wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis unter dem Joch des Fortschritts sämtliche heiligen Sakramente durch die Datennetze hecheln. Die Kirche befindet sich mancherorts auf bestem Wege zum Hightech-Schamanentum!

Bei Fernsehgottesdiensten geht die spirituelle Transzendenz nicht minder verloren als beim Online-Beichten. Sinnigerweise besteht die Gefahr angeblich nicht darin, dass die Religion zum Inhalt von Fernsehshows wird, sondern im Umstand, dass Fernsehshows „mediengeiler Pfarrer“ selbst zum Inhalt der Religion werden (sinngemäß Neil Postman, „Wir amüsieren uns zu Tode“, 1985).

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Es fehlt ganz einfach immer häufiger an einer nachhaltigen Kundenbindung. Ganz einfach ist es ja nun wirklich nicht mehr, religiösen Nachwuchs zu rekrutieren, wenn er sich vermehrt nur noch in Chatrooms, sozialen Netzwerken und auch noch in Computerspielen herumtreibt. Aber man bleibt dran: In Neapel kam man 2008 auf die Idee, die Gläubigen an der „Oberfläche“ abzuholen. Ein umtriebiger Pater veranstaltete Schönheitswettbewerbe für Nonnen mit der Begründung: „Äußere Schönheit ist ein Geschenk Gottes - und wir dürfen sie nicht verstecken.“ Das finden wir aber auch! Schade, dass man über all die Jahrhunderte so viel Jugend und Anmut in Klöstern vergraben hat.

An der Adria wurde etwa zur selben Zeit eine Kirchen-Hüpfburg aufgeblasen. Vielleicht ein bisschen schwierig, dann zeitgleich noch etwas über Jesus zu erzählen. Aber immerhin, ein Anfang ist gemacht, wenn etwas gläubiger gehüpft wird.

Religion lässt sich auch gut als Erlebnis vermarkten. Das wissen wir spätestens seit der Zeit der Hexenverfolgungen, die vielen Betroffenen zur unvergesslichen Erfahrung wurde. Im Erlebnishotel Santa Isabel im Europapark Rust wird das Frühstück von Kuttenträgern serviert und im Foyer hält sich ein Beichtstuhl bereit. Wer gerade die im Fachbereich Religion eher seltene frische Luft und Helligkeit vorzieht, kann sich im hoteleigenen Freien, zwischen Zuckerwattebude und Achterbahn, von geschulten Seelsorgern zum Glauben werben lassen.

Seit sich Fernseh-Serien immer häufiger in Containern verstecken, kommen offenbar auch religiös orientierte und an frequentierten Plätzen aufgestellte Blechbehälter beim Kunden gut an. Oder wie wäre es mit ein bisschen „Gospel-Aerobic“ bei der dehnbaren Pastorin Dawn Harvey vor einer Washingtoner Kirche. Hier trainiert man gemeinsam, „um Gott unsere Leiber als Tempel anzubieten“. Das kann man zwar auf jeder gottgefälligen Wiese auch, aber manche brauchen halt gleich eine Kirche dazu. Dabei sollte man bedenken, was Albert Schweitzer zu diesem Thema meinte: „Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er eine Kirche besucht, irrt sich. Man wird ja auch kein Auto, nur weil man in eine Garage geht.“

Der englische Pfarrer Michael Elfred ging bis zum Äußersten. Er zieht mit der ersten aufblasbaren Kirche durchs Land. In ihr finden sich aufblasbare Kirchenbänke, ein aufblasbarer Altar und, besonders wichtig, sogar eine aufblasbare Kanzel. Sobald auch der in solchen Kirchen wirkende Pastor aufblasbar sein wird, rechnen wir mit dem baldigen Erscheinen des Jüngsten Gerichts. Leben sollte doch immer Gottesdienst sein, ohne all die schmerzlichen religiösen Verrenkungen. Leider wird das von 99,999999999999… Prozent der Menschheit dauerhaft vergessen.

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Anfang der Neunziger Jahre wurde die Stimme des Heiligen Vaters wohlmoduliert im Telefonverkehr übermittelt. Keine gute Idee, diese täglich erneuerte Konservenstimme von den Gläubigen grob tarifsteigernd ausgerechnet am anderen Ende der Welt, in Australien, abrufen zu lassen, nur weil beim Ortsgespräch kaum etwas verdient war! Der Vatikan profitierte von den gottgefälligen Gewinnmargen nicht allein. Ein Joint-Venture-Unternehmen mit einem nicht unbekannten Telefonunternehmen teilte die Einnahmen brüderlich‑christlich.

Wahrhaft Gläubige, der lebenslangen Verabreichung religiöser Gehirnwäsche bedürftig, wurden bedauerlicherweise nach der heiligen Stimme süchtig. Wegen hoher Telefonrechnungen kamen manche in finanzielle Schwierigkeiten. Der Vatikan geriet in Verruf! So musste die Telekom das Abkassieren für Telefonstimmen schwerpunktmäßig auf den Geschäftsbereich Telefonsex verlagern, wozu die richtig verstandene finanzielle Entkleidung der Kundschaft thematisch auch besser passt.

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Wir missgönnen Religionen durchaus nicht, auf der schönen neuen Welt der Datenautobahnen mitzufahren. Auch die Frage, ob sich ein zu Absolutionszwecken auf CD‑ROM plattgedrückter kirchlicher Segen wirksam entfalten kann, beunruhigt uns keineswegs. Dafür sorgt schon die Namensgleichheit „ROM“, auch wenn nicht jede kirchliche CD‑ROM vom Vatikan in Rom hergestellt worden sein muss.

Ganz im Gegenteil! Der abwegige Versuch der Religion, modern zu sein, lässt uns in Zuversicht schwelgen. Modische Entwicklungen nach der Devise, „man braucht nicht langweilig zu sein, um fromm zu sein“ oder vergleichbar originelle Versuche, den Zeitgeist in Gotteshäuser zu pressen, lässt den Katholizismus zum eigenen Totengräber werden. Gerade (und nur) das jahrtausendealte Brimborium mit all ihren Verkleidungen und Ritualen verführt (vor allem einfach gestrickte Gemüter) zum katholischen Glauben.



Eierlegende Wollmilchsau des Glaubens

Siegreiche Religionskrieger zerschmettern die Glaubenstempel unterworfener Völker, um die religiösen Symbole der Verlierer zu zerstören. Tempel zu verwüsten ist allerdings nichts im Vergleich dazu, sich die seelischen Kräfte einer besiegten Religion einzuverleiben. Kluge religiöse Gewinner bürgern eroberte „heidnische“ Götter ein, vereinnahmen deren Festtage, Feierlichkeiten und kraftspendende Traditionen. Der Kampf um die Eroberung heidnischer Seelen wird mit den Mitteln der „Inkulturation“ geführt. Jesus trägt einen indianischen Poncho, Maria wird zur Negerin... Das seelische Erbe unterworfener Völker verschmilzt auf diese Weise untrennbar mit der neuen Religion. Solchermaßen okkupierte Völker vermögen sich kaum mehr aus dem Netzwerk des neuen Glaubens zu befreien! Wenig machte die Machtausdehnung der Katholischen Kirche erfolgreicher als die geschickte Beachtung dieser Grundregeln.

Heidnisches, zu allen Zeiten, in allen Varianten, bei allen bekehrten Völkern, war immer willkommen, solange der Führungsanspruch der neuen religiösen Machthaber nicht in Frage gestellt wurde. Die Katholische Kirche hatte stets Plätze zur Eingemeindung heidnischer Heiliger frei! Wir erinnern erneut daran: Die Katholische Kirche versteht sich als Sachwalterin dessen, was immer schon geglaubt wurde, was man gegenwärtig glaubt und in Zukunft glauben wird. Genial! Eine wahrhaft eierlegende Wollmilchsau im Reich des Glaubens, bekannt als fiktives Tier der Volkswirtschaft: hervorragender Fleischlieferant, der Eier legt, Milch gibt und Wolle spendet!

Seien wir gerecht! Unternehmensziel und handwerkliche Ausführung außer Acht gelassen, begegnen wir im Katholizismus einer großen Religion. Die katholische Kirche ist die wahrscheinlich erfolgreichste kriminelle Vereinigung der letzten beiden Jahrtausende! Ein starker Auftritt der katholischen Großraubtiere, jedenfalls aus Sicht der schon weit zurückliegenden Machtergreifung! Erst heute, im Niedergang befindlich, wird der Eindruck erweckt, man glaube den Schwachsinn, den man verbreitet, sogar selber!

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Die sich selbsterfüllende Prophezeiung der Behauptung, Leben sei Schuld, ist dem Katholizismus und seinen Vorgänger-Religionen wahrlich gelungen. Dank einer Jahrtausende währenden, gebetsmühlenhaften Wiederholung der Schuld am Dasein, wurde Leben zur Sünde! Es ist unmöglich geworden, ohne Schuld das Wasser zu trinken, das wir verschmutzen, Lebensmittel zu essen, die wir auf ruinierten Äckern anbauen oder Fleisch von Tieren zu verzehren, die wir quälen oder vergiften.

Der zugrundeliegende Glaubensentwurf, allem voran eine unhaltbare „Schöpfungsgeschichte“, hat schon vor Tausenden von Jahren die Brücke beschädigt, die Mensch, Tier und Pflanze verband. Diese Brücke stürzt ein! Die Menschheit überwuchert die Erde wie ein Krebsgeschwür, dessen unorganisches Wachstum sofort ins Auge springt und jedes natürliche Schönheitsgefühl beleidigt.

Das ist die wahre Vertreibung aus dem Paradies, das negative Meisterstück des Christentums samt seiner religiösen Wurzeln! Die kollektive Seele verlor die harmonische Einbettung in ihr erdhaftes Dasein, hörte auf, Teil einer durchgängigen Schöpfung zu sein. Die Menschheit hat keine Eltern und Ahnen mehr, allenfalls gut erlogene „Gotteseltern“ im Himmel.

„Wer soll die immer an alles Neue glaubende und so leicht verführbare Jugend noch korrigieren, bremsen, zurückhalten, wenn es nur im Geiste der Kindheit befangene Menschen gibt?“ Franz Werfel meint in „Stern der Ungeborenen“, 1946, mit „wieder zu werden wie die Kinder“, hätte Christus nicht im Sinn gehabt, wir sollten kindlich werden, sondern sollten das irdische Abbild göttlicher Zeitlosigkeit hinzugewinnen, das kein Vorher oder Nachher kennt. Dass die Religion kindliche Glaubensschafe vorzieht, denen statt ehrfurchtgebietender nur noch lächerliche Götter angeboten werden, sollte nicht überraschen.

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Falsches, die gesamte abendländische Kultur prägendes religiöses Denken vertrieb die Menschheit aus Traumzeit und Zauberwelt. Gleichwohl werden immer noch maßgebliche Menschheitsfragen von religiösen Machthabern mitentschieden, denen der Fortbestand der Menschheit scheißegal sein kann und es allem Anschein nach auch ist. Sonst könnten sie gar nicht, nur um die eigene Futterkrippe zu schützen, eine so menschenverachtende Haltung zu zukunftsentscheidenden Fragen, wie etwa zur Fortpflanzung, einnehmen. Daran wird sich auch nichts ändern, jedenfalls so lange nicht, wie die maßgebende Öffentlichkeit jeden Furz aus Rom begeistert analysiert.



               Religion und Wahnerleben

Das Fundament geistiger Erkrankungen

Kein Wunder, dass es weltweit Kirchen gibt. Auch der unter dem Deckmantel der Religion gelebte Wahnsinn der Gläubigkeit braucht schließlich sein Zuhause. Zumindest der Katholizismus lässt zwar die „Kindlein gerne zu sich kommen“, verleugnet beim Wahnsinn aber hartnäckig die Vaterschaft. Dabei ist der Beweis, dass Religion wahnsinnig machen kann und häufig auch macht, leicht zu führen: Zwangshandlungen Geisteskranker ähneln verblüffend stark religiösen Ritualen.

Bei alledem wird gerne die Geschichte von der Henne und vom Ei vergessen, die in diesem Zusammenhang eine große Rolle spielt. Wir bekennen, noch nicht im Entferntesten die notwendige Fachkunde zu besitzen, um solch schwierigste psychologisch-philosophisch-religiöse Fragen bezüglich der Größe des Wahnsinnspotentials von Religionen auch nur annähernd befriedigend zu beantworten. Hingegen ist es einfach zu belegen, dass Religion und Wahnerleben mit großem Erfolg einander wechselseitig zuarbeiten. Verdient macht sich hier insbesondere die Katholische Kirche mit ihren geistlichen Ingenieuren des Irrsinns.

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Kann dem Wahnsinn der Spiegel trefflicher vorgehalten werden, als dies v. Corvin 1845 im Pfaffen-Spiegel tat: „Die Welt ist schon oft mit einem Narrenhause verglichen worden. Der Vergleich ist für uns nicht schmeichelhaft, aber leider ist er passend. Schauen wir um uns! Dort erblicken wir hochmütige Narren, die sich für die Herren der Welt halten und steif und fest glauben, Gott habe dieselbe mit allen Menschen nur zu ihrem Privatvergnügen geschaffen; vor ihnen liegen Millionen noch größerer Narren im Staube, die ihnen glauben und demutsvoll gehorchen (...). Dort knien Tausende vor einer Bildsäule, dort vor einer Schlange, dort vor einem Ochsen. Jene beten die Sonne an, diese den Mond, andere das Wasser (...). Ihr findet unter ihnen Wahnsinnige von allen Graden, vom rasend Tollen bis zum armen Blödsinnigen, der unter Zittern und Zagen seinen Rosenkranz betet und beständig fürchtet, der Teufel möchte ihn holen (...). Papst Alexander VI. sagte: Jede Religion ist gut, die beste aber - die dümmste (...). Rom kann nur herrschen, wenn die Welt dumm ist...“

Noch jeder Gläubige, gleich welcher Religion, ist in der einen oder anderen Form wahnsinnig. Wer zweifelt, abstrahiere alles heilige, eigenständiges Denken verbietende Gehabe und betrachte dann unvoreingenommen, was Religionen und pseudoreligiöse Ideologien aus Menschen machen. Es sind einfach zu viele von Göttern, Pseudogöttern oder Idolen besessene Menschen auf Erden antreffen. Dass hinter all dem wahnsinnigen Treiben, das die Religionen dreht, weit tiefere, unbewusste, wirklich heilige und unheilige Kräfte wohnen, liegt auf der Hand. Wer sich jedoch erdreistet, sie mit dem Anspruch auf Wahrheit zu deuten, wie es noch jede Religion tut, macht sich in der Tat der Gotteslästerung schuldig.

Letztlich ist es aber auch egal, ob, wie und warum jemand verrückt ist, solange er nur die Kirchen und andere Irrenhäuser füttert! Erfreulicherweise gibt es wenigstens immer mehr Zeitgenossen, die vor dem Gerichtshof der Vernunft „die religiöse Manie als vorherrschende Form der Geisteskrankheit anschwärzen“.

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Ob jemand zum Heiligen wird oder im Irrenhaus vergessen, ist manchmal purer Zufall oder auch nur eine Frage der Vermarktung. Die Phänomene, die dazu führen, sind dieselben. Göttliche Stimmen werden gehört, religiöse Erscheinungen gesehen, ekstatische Zustände erlebt. Die Jungfrau von Orleans und andere Heilige warteten vergebens auf das Erscheinen göttlicher Heere in wichtigen Schlachten. Gott hält sich nicht an Verabredungen!

Ohne die wackeren Religionen wäre es um Wahnsinn wirklich schlecht bestellt! Vom Schweigegelübde bis zur Rosenkranzkanonade, von der Kasteiung bis zur Genitalienverstümmelung, vom Bewegungsverbot bis zum Blutopfer, von der Ketzerverbrennung bis zum Höllenfeuer, kaum eine Geistesstörung, die Religionen nicht erfänden oder zumindest kanalisierten.

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Wir können gerne weitere Beweise auf diese Behauptung nageln! Um enge Beziehungen zwischen Religion und Wahnsinn machten sich u.a. Säulenheilige verdient, mit denen wir uns bereits im Kapitel „Heilige, Selige und Wunder“ näher befasst haben. Besonders berühmt wurde der syrische Asket Simon (5. Jahrhundert n. Chr.), der Jahrzehnte auf einer 20 Meter hohen Säule stand. Berühmt geworden durch exzessive Askese, zog er auf diese Säule, damit ihm die Pilger nicht mehr ständig Fäden, denen man wundertätige Eigenschaften zusprach, aus seiner Kutte ziehen konnten. Sein Beispiel fand bis ins 10. Jahrhundert, ja bis heute Nachahmer.

Auf den Philippinen begnügt man sich in der Karwoche nicht mit fröhlichem Palm-Gewedel. Drastische Rituale, etwa blutige Kreuzigungsszenen, bei denen sich Männer ihre Hände und Füße tatsächlich mit Nägeln durchschlagen lassen, gehören ebenso dazu wie ausdauernde Selbstgeißelungen.

Es gibt Religionen, die weibliche Gläubige selbst in traditionellen Hitzeländern zum Tragen von Kopftüchern zwingen, ja zur vollständigen Verschleierung. Andere verlangen von männlichen Untertanen, nie ohne Hut oder Käppi zu erscheinen. Eigentlich sonderbar, dass sich solche Zumutungen verlangende Glaubensbekenntnisse wechselseitig oft nicht ausstehen können.

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Ganz unglaubliche Wege zur Erleuchtung finden indische Heilige oder Sadhus. Erlaubt ist, was gefällt! Die einen stehen zwölf Jahre am Stück, andere heben einen Arm, bis er verdorrt. Die einen befassen sich mit Schweige-, andere mit Schimpfgelübden, die einen bestehen Feuerprüfungen, die anderen überleben nackt im ewigen Eis...

Man muss aber nicht bis nach Indien gehen, um nach geistiger Umnachtung zu fahnden! Das Verhalten unzähliger Geißler-Orden etc., die über Jahrhunderte in Europa Millionen von Menschen mit religiösem Wahnerleben heimsuchten, spricht Bände (siehe Kapitel „Die Geißler“, unten).

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Die überaus gläubigen Bewohner von Sri Lanka sind überzeugt, eine Spende des Augenlichts stelle nach dem Tod einen Platz in Buddhas allernächster Nähe sicher. Nach dem Ableben erhellt Buddhas Glanz möglicherweise blinde Seelen! Offen bleibt, warum sich Gläubige schon im Diesseits mit Dunkelheit umgeben. Wir bewegen uns hier nicht mehr im Reich des Glaubens, sondern im Hoheitsgebiet des Wahnsinns. Gäbe es solch buddhistische Wahnvorstellungen nicht, müssten sie glatt erfunden werden. Sri Lanka wurde zum wichtigsten Lieferanten der internationalen Augenbank! Könnte es auch sein, dass Sri Lankas buddhistische Tempel ihren goldenen Glanz nur „versilberten“ Augen verdanken und findige Religionsführer den hierzu passenden Wahnsinn ins Leben riefen?

Es soll keineswegs der Eindruck entstehen, nur Amtskirchen brächten um den Verstand. Im brasilianischen Pernambuco ragt in einer Senke, einer riesigen Kanzel gleich, ein einzelner Felsblock empor: Pedra Bonita - der schöne Felsen. Einem religiösen Schwärmer war er nicht schön genug. Gläubig lauschendem Volk verkündete er 1837 die baldige Wiederkehr eines verwunschenen Königreiches, sobald der Fels zertrümmert sei. Nicht durch Hammerschläge, sondern durch Kinderblut, das als Sühneopfer darüber verspritzt werden müsse. Die glaubensstarken Mütter konnten ihre Kindlein an dem grausigen Altar gar nicht schnell genug loswerden und gerieten mitunter gar in Streit im Vortritt um die Opferung. Das Blut strömte in solchen Mengen vom Felsen herab, dass der Aufenthalt an dem verseuchten Ort unmöglich wurde.

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Wer glaubt, wenigstens in Asien eine vertretbare Religionsbewältigung anzutreffen, wird eines Besseren belehrt. Zur Religion im weitesten und zugleich ältesten Sinne zählt auch die rituelle Totenverehrung, die vor allem im asiatischen Raum noch Hauptbestandteil der Volksreligion ist. Verkürzt dargestellt, wird der Tod als eine Art Schlaf gesehen, aus dem der Mensch wieder erwachen kann. Rituale, Opfer und Orakel erlauben die Seele des Toten zu rufen und mit ihr in Verbindung zu treten. Es ist freilich kaum anzunehmen, dass dieser Kult in grauer Vorzeit so dämlich praktiziert wurde wie dieser Tage, in denen nur der Sohn den Ahnenkult fortsetzen kann, welcher die „gute Existenz im postmortalen Leben gestattet“. Mit anderen Worten: Ohne Sohn bleibt der gläubige Chinese für immer ins Totenreich verbannt! Noch nicht einmal der Kommunistischen Partei gelang es, diesen Glauben auszurotten. Die von der Obrigkeit verlangte „Ein-Kind-Ehe“ wurde von vielen Chinesen nur dann berücksichtigt, wenn das erste Kind ein Sohn war.

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Religionsausübung kann nicht nur individuell, sondern häufig auch kollektiv gelebter Wahnsinn sein: Witwen-Einäscherung im Hinduismus, Hexenverbrennung im Christentum, Kinderverstümmelung hinduistischer Bettlerkasten, gottgefällige Menschen- und Tieropfer usw. Kollektive Wahnsysteme schützen vor persönlichem Wahnerleben! Priesterlicher Freispruch entlastet religiös anerzogene Schuldgefühle. Abnehmende Religionsausübung begünstigt daher individuellen Wahnsinn!

Besessene Gläubige glaubten zur Zeit der Inquisition geheimnisvolle Flammenzungen über der portugiesischen Hauptstadt Lissabon schweben zu sehen. Totenladen über dem Königspalast kündeten von drohendem Unheil und hoch in den Lüften erschienen prozessionsartig dahin marschierende Mauren. Sollten die Gläubigen allerdings damit visionär die riesigen Waldbrände Portugals seit Beginn des neuen Jahrtausends vorhergesehen haben, nehmen wir den Vorwurf religiösen Irreseins auf der Stelle zurück!

Religionen schöpfen nicht nur geschickt individuelles Wahnerleben ab, sondern schwärmen geradezu von kollektiven Halluzinationen. Echt religiöse Zeiten lassen Unsichtbares leibhaftig werden. Eine dörfliche Gemeinschaft halluziniert Marienerscheinungen auf einem Kirchturm, religiöse Eiferer erleben die Himmelfahrt eines Heiligen, Weltuntergangsjünger versammeln sich zum kollektiven Ableben auf einer Bergspitze. Niemand wollte die betroffene Bevölkerung auf Dauer ins Irrenhaus sperren, obwohl das unter Anlegung herkömmlicher psychiatrischer Maßstäbe durchaus angezeigt wäre.

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Verglichen mit den Anforderungen, die das orthodoxe Judentum an Gläubige stellt, sind all dies vielleicht nur lästige Kleinigkeiten. Zum Trost sei verraten, dass noch jede Religion zu jüdischer Erstarrung neigt. Am Sabbat, der dem jüdischen Volk als „Tag der Freude“ verkauft wird, verwandelt es sich in ein Volk von Halbgelähmten!

Selbst die Anforderungen der modernen Welt werden dort mühelos göttlichen Vorschriften unterworfen. Angeblich koscheres Brot wird an diesem heiligen Tag dadurch hergestellt, dass der Rabbi in großen Backfabriken die Teigknetmaschine in Gang setzt, um ein Beispiel zu nennen. Wenig überraschend ist die Katholische Kirche weit unflexibler und wehrt sich schon gegen Versuche, statt Messwein Schnaps, Alcopops oder Cola zuzulassen.

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Produzieren Religionen Wahnsinn, könnte ihr Fundament auf Geisteskrankheiten beruhen! Wir fahnden bei einem gut bekannt gewordenen Religionsstifter nach der Symptomatik einschlägiger Wahnerkrankungen. Wer auf Erden einen leiblichen noch lebenden Vater hat, redet wirr, wenn er sich nur einem himmlischen Vater zugehörig wähnt. Christus hielt sich für den einzigen Sohn Gottes. Das klingt nach Größenwahn. Auch wir halten uns für systemrelevant! Kinder Gottes sind wir schließlich alle, wie Meister Eckhart dies schon zu Zeiten der Scholastik postuliert hat: „Die Frucht ist Zeugnis ihres Baums und der Baum trägt die Frucht in sich, also sind sie eins. Der Mensch - das Fleisch gewordene Wort Gottes.“

Jesus soll im Zorn auf die Geldwechsler im Jerusalemer Tempel eingeschlagen haben. Hierbei könnte es sich um einen erst Jahrzehnte später religiös verklärten psychotischen Schub des Erlösers gehandelt haben. Vergebliches Warten auf das Eintreffen des die Römer besiegenden himmlischen Heeres bezeugt auch nicht gerade übermäßigen Realitätssinn. Dass Jesus die Menschheit retten, ja erlösen wollte, und sei es nur im Wahn, ehrt ihn. Wer sich so etwas zumutet, muss jedoch ziemlich verrückt sein!

Immerhin erstaunlich, dass die von ihrer Religion geknebelten Juden, unter denen Jesus lebte, in ihm nicht den Messias, den Erlöser, erkennen wollten, sondern ihn deftig verspotteten. Sie warten noch immer auf ihn: „Messias gesucht. Für die Position eines Messias suchen wir eine kommunikationsstarke Persönlichkeit mit Führungskompetenz und Überzeugungskraft. Er (Sie) sollte in der Lage sein, Menschen für seine (ihre) Visionen zu begeistern und Konflikte zu schlichten. Gefordert wird übermenschlicher Einsatz zum Aufbau einer neuen Gesellschaft. Wunder und Überstunden im göttlichen Auftrag werden nicht extra vergütet.“

Geisteskrankheiten wurden jedenfalls schon immer streng bestraft! Die Jerusalemer Bevölkerung erkannte auf Kreuzigung. Im eisernen Griff ihrer Religion befindlich, erwartete sie von einem Messias keinen lieben Vater im Himmel, sondern eine die Römer hinwegfegende Macht auf Erden. Beten also Christen nur einen geschlachteten Wahnkranken an? Mancher unbegabte fernöstliche Tourist fragt angesichts solcher Anbetung: „Wieso klebt denn dieser Mensch am Kreuz?“

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Was wissen wir schon von Jesus Christus? Wenig mehr als das, was erstmals der Apostel Paulus und andere, nur achtzig Jahre oder vier Menschengenerationen später, angeblich vom Hörensagen aufgeschrieben haben. Nach so vielen Jahren kann ein Wahnkranker ebenso leicht zum Gott aufsteigen, wie ein Gott wahnkrank werden.

All dies bereitet uns keine besondere Unruhe! Erfahren wir doch nur ein weiteres Mal, dass es bei dieser Kirche und Religion auf alles ankommt, nur nicht darauf, wer gerade Gott ist. Übrigens handelt es sich hier um einen durch und durch geeigneten, wahnkranken Gottessohn für all die armen gläubigen Seelen, die zu eben diesem Zweck so lange in seelische Schuldgefängnisse gesperrt wurden, bis religiös bedingte Geisteskrankheiten zum einzigen Tor wurden.

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Zu Zeiten Jesu wurde Menschen die religiöse und staatliche Schlinge besonders würgend um den Hals gezogen. Sie bedurften dringend der Befreiung, was den Beruf des Erlösers attraktiv machte. Es wimmelte nur so von Gottessöhnen, die Erlöser werden wollten. Da die Position nur einmal zu vergeben war, mussten beim Predigen schon erstklassige Gedanken unters Volk gestreut werden!

Fehlten sie, ging man in die erhabene Geistesverwirrungen erzeugende Einsamkeit der Wüste, um dort durch freiwilliges Fasten in Grenzzustände zu geraten und durch Hungerhalluzinationen Gottes Anweisungen aus erster Hand zu erhalten: „In die Wüste gehen, auf dass das Fleisch verwahrlose und man die Stimme seines Gottes vernehme...“ Zum Glück waren damals Wahnvorstellungen nicht so verrufen wie heute! Wer halluzinierte und dabei Stimmen hörte, wanderte nicht geradewegs in die Psychiatrie, sondern kam als Religionsstifter oder wenigstens als Prophet in Betracht.

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Bröckeln Fundamente, läuten bei verantwortungsbewussten Hausbesitzern die Alarmglocken. Nicht anders verhält es sich bei geistigen Grundlagen, die bei der Katholischen Kirche schon seit langer Zeit nachhaltig krümeln. Der oben schon erwähnte, erst 1928 gegründete Orden „Opus Dei“ besserte nach: „Nie solle der Mensch vergessen, dass er schmutziger, herabgefallener Staub sei und dass die Schule des Leidens ihn retten könne“, schrieb Josemaria Escrivá, der Gründer des Ordens. „Der Leib sei dein Feind und Feind der Verherrlichung Gottes“, so das Credo seiner Schmerzensmystik.

Wenig galten ihm die paulinischen Worte: „Wisset ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist.“ Obwohl man Tempel nicht schänden soll, bearbeiten sich Mitglieder und Sympathisanten des Ordens seither nach dem Vorbild der Geißler mit Dornenkette und Rute. Alle solche Übungen fallen unter die Rubrik „Abtötung“. Katholiken sollen täglich Buße tun und täglich verzichten. All damit sind die Voraussetzungen für eine solide Geisteskrankheit geschaffen: „Das Ich kann pausieren, damit Christus eintreten kann.“ Schließlich geht Wahnerkrankungen immer eine massive Ichschwächung einher.

Religionen, die auf Wahnerleben beruhen, produzieren zwangsläufig Wahn bis in unsere Tage! Mitte 1992 sperrte ein Jerusalemer Gericht zwei junge Leute für neun Tage in eine psychiatrische Anstalt. In einer Kirche der Heiligen Stadt hatten sie ein Kreuz beschädigt und trugen bei ihrer Festnahme in einer Hand ein Neues, in der anderen ein Altes Testament. Die Psychiatrie, selten weit wo Religion nahe, erklärte, auch diese beiden Straftäter seien vom „Jerusalem-Syndrom“ befallen und hielten sich für biblische Gestalten. Besonders beliebt sei bei irr werdenden Touristen Johannes der Täufer, deutlich abgeschlagen folgten Jesus, Maria und Satan.

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Der Saum von Wüsten scheint sich wie kaum ein anderes Gebiet für Religionsstiftungen geeignet zu haben (sinngemäß aus „Die sieben Säulen der Weisheit“, Lawrence von Arabien, 1936). Gemeinsamer Grundgedanke aller semitischen Religionen, der erfolgreichen und der erfolglosen, war die immer gegenwärtige Idee von der Nichtigkeit alles Irdischen. Das Leben nahmen sie als unproblematische Gabe, die keiner Rechtfertigung bedurfte.

Der arabische Raum ist mit Trümmern von Glaubenslehren übersät, die sich auf Behauptungen, nicht auf Beweisgründe, stützten und daher eines Propheten zur Verbreitung bedurften. Es wird behauptet, es habe 40.000 Propheten gegeben, die leidenschaftliches Sehnen in die Wüste hinaustrieb. Dort lebten sie längere oder kürzere Zeit in Betrachtung und Einsamkeit, gerieten in religiöse Ekstase und kehrten von dort mit einer Botschaft zurück, deren Gestammel mitunter die herrschende Priesterschaft geschickt zum eigenen Vorteil zu deuten wusste. „Es gibt gewiss erhabene Geistesverwirrungen, welche die Einsamkeit erzeugt.“ (Victor Hugo in „Das Teufelsschiff“). Hat man Glück, dann fallen die Betroffenen nur in eine Art heiliger Stumpfsinn, hat man aber Pech, kann man sich wieder einmal mit einer neuen Religion herumschlagen.

Die Semiten schienen geradezu ein Monopol auf Offenbarungsreligionen zu haben, also Religionen, die sich in ihrem Selbstverständnis darauf berufen, von Gott eine (manchmal sogar schriftlich festgehaltene) Offenbarung erhalten zu haben. Dabei wäre es doch viel schöner, wenn Menschen, denen solche Erfahrung zuteilwurde, immer die einzigen Interessenten ihrer ganz persönlichen Meditations- und Fastenergebnisse blieben und nicht immer gleich Propheten für alle werden wollten.

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Ist es schon schwer genug, Wahnerleben dingfest zu machen, das sich an äußerlichen Symbolen orientiert, so sind Religionsfestungen, die sich nur noch hinter geistige Mauern zurückziehen, praktisch uneinnehmbar, wie etwa jene des Judentums. Nach dem Verlust ihres Tempels 70 n. Chr. an die Römer, verschanzte es sich in rein spirituellen Bastionen: „Unser Tempel ist jetzt die Schrift, deren Bücher sind unsere Provinzen, ihre Sätze unsere Städte und Dörfer (Jüdischer Glaube)“. Das so nach dem Fall des Tempels in Jerusalem neu aufgebaute Judentum war heimlicher, geistiger, geschmeidiger und doch fester als zuvor. Es genügte den Juden, „die sechshundertdreizehn Gebote aufzuzeichnen auf gutem Pergament, wo sie anfangen und wo sie aufhören, sie zu umzäunen und ummauern, auf dass Israel für die Ewigkeit darauf stehen kann“.

Während die Römer im eroberten Tempel allerlei Reichtümer vermuteten oder wenigstens einen Esel, fanden sie das Allerheiligste leer wie ein verlassenes Schneckenhaus. Nur der gläubige Verstand vermochte Gott dort hineinzuprojizieren. So feinsinnig der unsichtbare Gott der Juden auch gedacht sein mag, er kreiste das jüdische Volk in kollektiv-religiöses Wahnerleben ein, worauf im Kapitel „Abschied von der Religion“ noch einmal zurückzukommen sein wird.

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Auch das Christentum hatte es nicht immer leicht und besonders schwer hatte es diese Religion im 19. Jahrhundert! Das Buch „Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet“ von David Friedrich Strauß, erregte 1835 ungeheures Aufsehen. Es holte die Bibel vom Podest absoluter, geoffenbarter Wahrheit herunter auf den Boden eines gewöhnlichen historisch-literarischen Textes. Man kann es auch einfacher formulieren: Ein Hauch gesunden Menschenverstandes hielt Einzug, wer immer denselben, sollte er je vorhanden gewesen sein, ausgetrieben haben mochte. Albert Schweitzer würdigte dieses Buch als wissenschaftliche Weltliteratur: „Über vierzehnhundert Seiten, und kein Satz zu viel!“

Karl Marx forderte wenige Jahre später, 1843, dass aus Religionskritik endlich Gesellschaftskritik werde: „Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“

Es kam noch schlimmer! Charles Darwin setzte mit seiner Abhandlung über den Ursprung der Arten, die den Menschen zum nackten Affen und den biblischen Schöpfungsbericht zum Märchen machte, zum wissenschaftlich-literarischen Todesstoß an. Und dann auch noch Friedrich Nietzsche, der sich 1882 in der "Fröhlichen Wissenschaft" die Bemerkung gestattete: "Gott ist tot!" Wir kommen später noch einmal darauf zurück!

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Das 20. Jahrhundert begann aus Religionssicht auch nicht gerade vielversprechend! Für Sigmund Freud war Religion schlicht eine Geisteskrankheit, ja eine massenpsychotische Veranstaltung. Wir fühlen uns seinen Gedankengängen aus all den vorstehend dargestellten Überlegungen sehr verbunden! Bis zu seinem Freitod hoffte Freud leider vergeblich, die Menschheit könnte diesen Irrsinn besiegen.

Auch v. Corvin hielt für noch unerklärlicher als die Entstehung von Epidemien wie Pest und Cholera die Epidemien des Geistes, „deren Vorkommen so alltäglich ist, dass wir gar nicht mehr darauf achten und sie am allerwenigsten für eine geistige Störung halten“.

Vor diesem kritisch und überzeugend gut gedüngtem Hintergrund sollte man eigentlich erwarten, das Christentum und seine religiösen Kolleginnen und Kollegen wären damals kurz und bündig zerschmettert worden. Wir begegnen hier aber eben jener religiösen Katze, die beim Sturz immer wieder auf die Füße fällt. Und dafür sorgt wiederum das bereits zitierte Spinnengleichnis: Viele Gläubige sind, selbst nach einem vermeintlichen Abfall vom Glauben, zu eingewebt in dieses Netz, als dass sie sich nachhaltig befreien könnten.

Die These „Religion als Geisteskrankheit“ wird bis heute hoffnungsvoll weitergetragen. Zum Beispiel 2006 im Buch „Der Gotteswahn (englisch The God Delusion)“ von Richard Dawkins, in der er sich gegen theistische Religionen und insbesondere gegen die drei abrahamitischen Weltreligionen wendet. Es gilt seither als einer der Haupttexte des „Neuen Atheismus“. So sehr uns das freut, wir fürchten, auch das wird nur ein alter Dauerbrenner. Dasselbe Anliegen wird voraussichtlich irgendwann einmal bedient werden vom „Modernen Atheismus“, dann vom „Postmodernen Atheismus“ oder vom jeweils allerneustem Atheismus, ohne an der Grundsubstanz viel Schaden anzurichten.

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Wenn nun aber, nach all den vergeblichen Versuchen, die Macht destruktiver Religionseinflüsse zu brechen (Atheisten, die es mit Logik versuchen, Naturforscher, die zwingende Forschungsergebnisse vorlegen und Psychologen, die der Religion freundlich „Wahnsinn“ bescheinigen), dann müssen wir beklagen, dass offenbar immer noch nicht tief genug geforscht und ausreichend gründlich nachgedacht wurde.

Wir legen folgenden Vorschlag vor: Warum halten sich Diktaturen wohl gegen die Interessen des jeweils beherrschten Volkes oft so hartnäckig und erfolgreich am Leben? Weil eine Unzahl von Günstlingen von ihrem Unterdrückungssystem profitiert und davon großartig leben kann. So ähnlich müssen wir uns das auch mit der Religion vorstellen. Profiteuren begegnen wir aber nicht nur im Äußeren, sondern auch im Inneren, also mitten in uns selbst! Im Außen treffen wir auf einen riesigen Machtapparat, der unzähligen Menschen Einfluss und Brot garantiert und die schon aus diesem Grunde kein gesteigertes Interesse daran haben können, auf eine so organisierte Religion zu verzichten. Im Inneren, in uns selbst, leben hingegen, salopp ausgedrückt, Geister und Dämonen, zerstörerische Mächte jedenfalls, die uns fest im Griff haben und uns auf ihre Weise beherrschen, ausbeuten und berauben.

Das was gern als primitiver purer Geisterglaube abgetan wird, könnte viel wahrer sein, als wir uns das träumen lassen. Diese bösen destruktiven Kräfte sind nicht außer uns, wohin wir sie so gerne projizieren, in Hexen und Zauberern, in anderen Völkern mit fremden Glaubenssystemen usw., sondern mitten in unserem Inneren, in unserer Seele. Kräfte, die uns Entscheidungen und Verhalten nahelegen, die uns schaden statt nützen. Wie sollten wir uns erfolgreich mit ihnen auseinandersetzen können, wenn wir sie noch nicht einmal ernst nehmen? Sollte jemals ein Weg zur erfolgreichen Beschäftigung mit diesen zerstörerischen Kräften führen, so sind wir überzeugt, dass wir den Schlüssel hierzu in der Aufarbeitung der Psychosen von so vielen Menschen finden. All das, was hier an destruktiven Seeleninhalten ausgeschieden, ja ausgespien wird, all das was so fremdartig ist, so bösartig, so irrational und so zerstörerisch, beinhaltet unserer Meinung nach, was es zu sichten, zu analysieren und zu überwinden gälte…

 

Religiös aufgearbeitete Mordlust

Damit so richtig Freude aufs Jenseits aufkommt, gilt für wahre Christen: Je elender man verreckt, umso ehrenvoller! Zumindest, solange es andere betrifft! Ein Grundsatz, der unaufgefordert auch religiös nicht linientreuen Nachbarn weitergereicht wird. Bis weit in die Sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts hinein, sorgte die von der christlichen Leidensreligion beeinflusste Medizin dafür, dass selbst bei größten Qualen kaum schmerzlindernde Mittel zur Verfügung gestellt wurden - zumindest soweit Otto-Normal-Kranke betroffen waren! Bereits dahinter verbergen sich die natürlichen Geschwister der Mordlust. Aber diese tritt noch weit offener zutage!

„Der Zottelbär A überfiel die Zottelbärin B und tötete sie mit einem vorsätzlichen Biss in die Halsschlagader.“ „Die Python P würgte ihre Tante T auf grausame Weise zu Tode.“ Wenig glaubhaft, nicht wahr? Tiere ein und derselben Art töten einander selten und schon gar nicht so grausam! Arbeitet der Mensch an sich, erreicht er eines Tages den hohen kulturellen Stand des Tieres. Bis dahin ist ein weiter Weg zurückzulegen, den religiöse Stolpersteine säumen. Archaisch orientierte Religionen nageln die Menschheit in dieser Hinsicht auf den Stand der Steinzeit fest!

Destruktive Seeleninhalte sind zweifellos in der Lage, sexuelle Lust „umzuspiegeln“. Genitale Lust wird zur analen, die Lust zur Zeugung wird zur Lust am Quälen usw. Sexuelle Lust ist nicht exklusiv an die Zeugung gekoppelt, sondern kann sich, entsprechende, hauptsächlich der Religion zu dankende psychotische Seeleninhalte vorausgesetzt, durchaus auch aufs Töten richten.

Man wird also Mörderisches durchaus mit destruktiv gewordener Sexualität in Verbindung bringen können - und wer könnte dieselbe besser deformieren als Religionen wie das Christentum? Wie schön, wenn zur Aufarbeitung dann inquisitorische Folter- und Mordtechniken zur Verfügung stehen, die von religiös-intellektuellen Geisteskranken auch noch überzeugend begründet werden.

Eine verfehltere Bewältigung der göttlichen Trieb‑ und Schubkraft der Sexualität, eine widernatürlichere und destruktivere Kanalisierung ins Verborgene, Dunkle, Schmutzige, Schmierige, Widerwärtige ist nicht vorstellbar! Naturgemäß hat von alters her eine solchermaßen religiös erzogene Bevölkerung die legale Befriedigung ihrer Mordlust besonders nötig.

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Deren Geschichte reicht weit zurück! Abraham, der Stammvater Israels, hörte eine Stimme, die Stimme Gottes. Sie befahl, seinen einzigen Sohn Isaak zu opfern. Abraham, ein gehorsamer Diener, bereitete den Mord sorgfältig vor. Das Schicksal war jedoch Vater und Sohn günstig gesonnen: Eine beiden geneigtere Stimme befahl Abraham, statt des Sohns einen zufällig herumstehenden Widder zu opfern. Isaak nahm keine Rache für den Mordversuch! Die Jugend war damals nicht so renitent wie heute und es gab auch noch keine Psychiatrie, die bei Abraham und dessen Stimmenhören zweifellos Wiederholungsgefahr bejaht hätte. Pech hatte nur der arme Widder!

Rief hier Gott oder brach sich menschliche Mordlust die Bahn? Der Leser entscheide selbst unter Berücksichtigung zeitgenössischer psychiatrischer Literatur. Jedenfalls lohnte sich der strafbefreiende Rücktritt vom Mordversuch. Abrahams Samen wurde gesegnet. Er sollte sich mehren wie die Sterne am Himmel. Scheint geklappt zu haben!

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Mordlust wird aber nicht nur im Christentum religiös erschaffen und bedient: In seinem überdachten Heiligtum machte es sich der religiöse Bandenchef gemütlich. Prunkvoll blau gewandet, maskiert und unbeweglich, mimte er den Regengott. Schreie und Tränen der geopferten Kinder klangen angenehm in seinen Ohren. Vielleicht stimmten sie den Gott des Regens traurig und führten zu fruchtbaren, über dem Land als Regen niedergehenden Tränen.

Dieses religiöse Zeremoniell bestimmte die alljährliche Bitte der Inkas um Regen. Weitere überzählige Kinder wurden nicht vor Ort umgebracht, sondern hohen Anden- und Vulkangipfeln geopfert oder in steilen Felswänden bestattet, um die furchtbaren Berggötter gnädig zu stimmen. Die Götter konnten mit den Opfern wenig anfangen, religiös maskierte und befriedigte Priester- und Gläubigen-Destruktivität dafür umso mehr.

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Steinigung für Ehebruch erfreut sich hohen Ansehens, wenn neidische Priester und Gläubige ungestraft wahre Liebe durch Steinhagel auslöschen. Selten machen sich Priester dabei selber die Finger blutig. Gläubige Familienangehörige, geschickt abgerichtet, besorgen oft die Dreckarbeit selbst und töten konfessionell abtrünnige Verwandte im Namen Gottes.

Besonders wehrlos sind in religiös-archaischen Ländern junge Frauen, denen Gewalt, falsche Versprechungen oder ganz einfach eine übermächtige Liebe außerhalb der Ehe Nachwuchs beschert. Sofort finden sich Priester und Gläubige von einer Heimtücke, die nicht einmal davor zurückschreckt, den neugeborenen Kindern die Mutter zu töten.

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Manchmal holt die den Religionen innewohnende Zerstörungswut zum Doppelschlag aus, beispielsweise wenn muselmanische Frauen aus kriegstaktischen Gründen vergewaltigt werden müssen. Kommen sie mit dem Leben davon, dann oft nicht lange. Ihnen droht die Ermordung durch eigene Angehörige zur „Wiederherstellung der islamistischen Familienehre“!

Geht es um Mord, steht kaum eine Religion zurück! Während ihrer Karriere öffnen die Sadisten der Nächstenliebe immer wieder das Ventil für religiös motiviertes, sozialverträgliches Töten. Destruktiv-mörderischem Verhalten widerfährt normalerweise große soziale Abscheu. Umgekehrt winkt jedoch hohes Ansehen, vermag es sich hinter religiösen oder pseudoreligiösen Ritualen zu verstecken und, so verdeckt, blutige Bedürfnisse gläubiger Serientäter zu befriedigen. Die Liste religiös motivierter Gewaltverbrechen in Vergangenheit und Gegenwart ließe sich endlos fortsetzen. Straflose Morde waren es allesamt. Das freut die Lust am Töten und verbittert den Staatsanwalt!

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Dem Niedergang der Religionen folgt leider nicht das Siechtum mörderischer Triebe. Lediglich die Richtung der Triebbefriedigung wechselt! In pseudoreligiös oder ideologisch ausgerichteten Gesellschaften verlieren Menschen nicht mehr nur bei religiösen Kulthandlungen oder heiligen Kriegen ihr Leben, sondern auch auf dem Umweg über das Rechtswesen. Kleine Vergehen - große Strafen! Bloße Zweifel am Endsieg beförderten in Nazi-Deutschland rasch vom Leben zum Tod.

Mörderischen Trieben ist das Motiv gleichgültig, Hauptsache sie werden befriedigt. Der Intellekt wird je nach Bedarf vom Guten bzw. Bösen der anvisierten Straftat überzeugt. Das flammende Schwert der Religion tötet für „das Gute“, Satanisten und andere morden im Namen „des Bösen“; beide befriedigen gleich abartige Triebe. Wer daran zweifelt, dass sich mörderische Triebe in Glaubensfragen besonders wohl fühlen, denke an die traditionell schwer zu befriedenden Religionskriege. Manche, wie etwa der Dreißigjährige Krieg in Europa, mussten regelrecht ausbrennen.

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Wir möchten ungern missverstanden werden, wir halten trotzdem (und jenseits der Religion) viel vom Glauben an etwas Heiliges, Höheres, Ewiges: „Daher kommt es, dass die Zeiten, die den göttlichen Sinn des Universums leugnen, vom kollektiven Wahnsinn blutig geschlagen werden, mögen sie in ihrem Selbstbewusstsein sich auch noch so vernunftvoll und erleuchtet dünken (Franz Werfel in „Das Lied von Bernadette“).“



                Religion und Sexualität

Grundstein des Glaubens

Religion ist schwerpunktmäßig dort anzusiedeln, wo sie auf den ersten Blick nicht vermutet würde: nicht beim Glauben an Gott, nicht bei der Sublimierung natürlich-religiöser Gefühle, nicht bei der Beantwortung letzter moralisch-ethischer Fragen, sondern bei der Sexualität. Das muss man sich nicht so primitiv vorstellen wie manche Sekte, deren Religion sich in der liturgischen Gestaltung des Beischlafs erschöpft, während göttliche Orgasmen für Gottesdienst gehalten werden.

Der Sexualtrieb und der in ihm verborgene Befehl zur Fortpflanzung bestimmen in letzter Konsequenz das Leben. Wer diesen gewaltigen Trieb kanalisiert, ja kontrolliert, ist fast übermächtig und kann gläubige Untertanen aushebeln, wann und wo immer er will. Dies in der Frühzeit der Menschheit erkannt und von alters her überliefert zu haben, ist die eigentliche Leistung großer Religionen, wenngleich sie dieses Wissen nur zum Vorteil weniger verwendet haben.

Am Grundstein des christlichen Glaubens wird dies deutlich! Während beim Sündenfall die verbotene Frage nach Gut und Böse gestellt worden sein soll, ist der sexuelle Bezug unübersehbar: Nacktheit, ein Liebesapfel, Geschlechtsteile bedeckende Feigenblätter, Bewusstwerdung sexueller Zusammenhänge überhaupt. Diese träge heraufdämmernde Erkenntnis wurde von der Religion zum Sündenfall aufpoliert, entzweite die Menschen mit ihren Urtrieben und machte sie zu melkbaren Schuldtransportern.

Welch eine Sünde, einen so heiligen Augenblick wie die körperliche Liebe als Schandtat zu deuten. Fairerweise lassen wir nicht unerwähnt, dass die Versuchung, Sexualität so zu erläutern, nicht auf das Abendland beschränkt bleibt: „Und auch die Glieder, welche sich berühren, um Menschen zu machen zur Freude der Großen Erde, sind sündig (aus „Der Papalagi, „Die Reden des Südsee-Häuptlings Tuiavii aus Tiavea“, S.21).“

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Religion dreht sich um Sexualität, Sexualität um Religion! Während sich die Religion in der Überzeugung sonnt, die Sexualität im Griff zu haben, verhält es sich genau umgekehrt. Wohin freilich der christlich-religiöse Umgang mit Sexualität führt, zeigt besonders anschaulich die Nekrophilie, das auf Leichen gerichtete, sexuelle Triebverlangen. Solche Perversionen werden von Religionen hervorgebracht, die das Tote lieben, statt des Lebendigen, die das Jenseitige preisen, anstelle des Diesseitigen, als ob Gottes Liebe nicht im Wunsch bestünde, lieber zu sein als nicht zu sein.

Was wollte man erwarten von einer Religion, die als sakralen Höhepunkt ihrer Messe (sinnbildlich) einen Leichnam verzehren, dessen Blut trinken lässt... Wie sollte sie anderes hervorbringen als Totes? Für Christen ist (durch den Kreuzestod von Jesu) der Tod besiegt. Wer genauer hinsieht (und nicht nur auf die barocke Lebenslust saufseliger Katholen blickt), kann leicht erkennen, dass das Leben besiegt wird.

Christliche Religionen sind im besonderen Maße mit der „Krankheit zum Tode (Existenzphilosophie)“ belastet. In ihrer unseligen Fixierung auf den Unterleib durch Verdammung natürlichster Triebe verbreiten sie sexuelles Leichengift! Vergeblich versuchen wohlwollende Existenzphilosophen das Christentum mit der Empfehlung zu retten, Tod, Schuld und Leid durch wahren Glauben zu besiegen. Wie sollte christlicher Glaube eine „Krankheit zum Tode“ heilen, die er unaufhörlich selbst hervorbringt?

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Die Blutsverwandtschaft von Religion und Sexualität gab es gestern, sie existiert heute und so wird es morgen sein. Strikte Ablehnung von Sexualität bestätigt das. Wir besuchen zur Veranschaulichung das Kloster Auerbach in der Oberpfalz (Bayern) mit dem Orden „Schulschwestern von Unserer Lieben Frau“. Diese Filiale trägt, wie andere auch, das Gedankengut des fundamental-katholischen Engelwerks in sich.

Die Auerbacher Klosterfrauen wurden im Sommer 2001 bekannt, als sie Realschülern harmlose Aufklärungsbücher vorenthielten und Kindern den Satan einzureden versuchten. Die Ordensfrauen plagte er bereits! Mehr als einmal die Woche zu duschen war untersagt. Die eigenen Körper durften nicht im Spiegel betrachtet werden und das Tragen von Büstenhaltern war verboten, um der unzüchtigen Erforschung weiblicher Körper Einhalt zu gebieten.

Damit der Teufel nicht kraftlos wurde, hatten sich die Betroffenen Vorträge ihres Exerzitienmeisters anzuhören. Nicht alle Nonnen überlebten dessen Zumutungen, manche flüchteten in den Freitod. Eine ehemalige Schwester erinnert sich: „Er hat ständig von Sex gesprochen, kannte nur dieses Thema und wurde nicht müde zu sagen, wie teuflisch Leiblichkeit ist.“

Man hat sich eben so oder so, positiv oder negativ, mit Sexualität zu befassen; denn gegen den „Satan der Fleischeslust“ ist nun einmal kein Kraut gewachsen. So ist die Geschichte des religiösen Fanatismus gleichzeitig jene des gehemmten Geschlechtslebens. Ständig über das Fleisch errungene Pyrrhussiege des Geistes führen zwangsläufig nur zur Vernichtung beider. Die Wichtigkeit des Geschlechtstriebes bezweifelnde Religionen fördern lediglich die schmutzige Phantasie des Publikums.

Der oben erwähnte Exerzitienmeister hasste nicht nur, er liebte auch: z.B. schnelle Autos, Zweitwohnsitze im Ausland und Sühneexerzitien für Frauen und Mädchen, bei denen neuer Nachwuchs anstelle der abgelebten Klosterschwestern rekrutiert werden konnte. Obwohl der Name des Engelwerks nichts mit wirklichen Engeln zu tun haben soll, beten wir, dass dieselben nichts von diesen Vorgängen erfahren. Sie werden schwer genug unter dem zu leiden haben, was ihnen das folgende Unterkapitel an Kenntnissen über das sexuelle Klosterleben zumutet.



Klöster und Friedhöfe

Nicht dass wir grundsätzlich gegen klosterähnliche Einrichtungen wären, jedenfalls wenn sie es mit den Menschenrechten etwas genauer nähmen als deren viele Vorgänger, beispielsweise als Rückzugsraum für Menschen, die Gott, aus welchen Gründen auch immer, für ein Familienleben für ungeeignet hält. Im Auge behalten sollte die Gesellschaft dennoch alle, die sich dorthin zurückziehen. Wird aber auch noch versucht, von den Klöstern heraus die Gesellschaft zu regieren und es läuten nicht alle Alarmglocken, sind die ansässigen Zeitgenossen zu blöde, um eine Narrenkappe zu tragen.

Auf die drei Mächte der Welt (Geld, Macht und Sex) sollen Klosterschwestern und -brüder durch ihr Gelübde (Armut, Gehorsam und Keuschheit) verzichten, jedenfalls soweit es sich um die unteren Dienstgrade handelt. Wie nachfolgend gezeigt werden wird, scheint dabei der Verzicht auf Sex am wenigsten durchzuhalten zu sein.

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In manchen Orden werden über neu eintretende Nonnen oder Mönche Leichentücher ausgebreitet, die Totenglocke wird warnend geläutet. Nonnen schneidet man ergänzend die Haare ab. So werden sie früh im Leben zu schon für den Tod geschmückten Gottesbräuten befördert. Verbleibt ein bisschen Restleben, kann immer noch versucht werden, sich an Kolleginnen oder Kollegen schadlos zu halten. Ein besserer Nährboden für unter dem Deckmantel der Unterwürfigkeit kriechende Ränke und Heimtücke ist kaum vorstellbar.

Von nun an soll der Klosternachwuchs nur noch „in Gott“ leben. Neulinge wissen jedenfalls jetzt, woran sie sind und vor allen Dingen, wo sie sind: schon auf dem Friedhof, aber noch nicht unter der Erde. Jedermann ist bekanntlich zu raten, um einen gnädigen Tod, eine gute Sterbestunde zu beten. Dass dies in den Klöstern besonders ernst genommen wurde, dürfte kaum ein Zufall gewesen sein... Manche Klöster überlassen Novizen, all dies selbst und zu spät herauszufinden. Gewiegte Kapuzineräbte verwöhnten im 19. Jahrhundert anfangs ihre Novizen und ließen sie mit keinem der Pater sprechen, bis sie ihr „ewiges Gelübde“ abgelegt hatten. Bald wussten die Neuankömmlinge warum...

Sie wurden, wie bei der schlimmsten Sekte, ständig auf Kurs gebracht und bewacht. Gehirnwäsche besorgte systematisch Ängste vor dem Verlassen des Klosters. Der Wille von Novizen wurde in einer Weise gebrochen, wie sie aus der indischen Elefantenabrichtung bekannt ist! „Ein Novize darf keinen Willen haben, er muss auf den Wink der frommen Väter aufpassen, wie ein Pudel in der Dressur. Er muss auf Befehl krank oder gesund sein, sich in Wasser und Feuer stürzen und die unsinnigsten Dinge vornehmen, wenn sie ihm geheißen werden. Die Novizen sind die Hofnarren der Patres (...). Die gewöhnliche Beschäftigung der Novizen war sehr geeignet, den Menschen in ihnen zum Vieh herabzustufen (...). Sie mussten in der größten Hitze dürsten, bis sie fast verschmachteten; den Abspülicht der Geschirre essen (...). Kapuziner haben ihren Novizen Heu und Stroh vorgesetzt oder sie aus Sautrögen essen lassen (v. Corvin, Pfaffenspiegel).“

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An sich sollte man meinen, Klöster, in denen man ohnehin lebenslänglich eingesperrt war, wären Gefängnis genug. Gleichwohl gab es darin eigene Gefängniszellen, sozusagen Kerker im Kerker, in denen mancher Insasse ein Leben lang einsaß, wenn er vom Abt zu „Lebenslänglich“ verurteilt worden war - wohlgemerkt ohne Gerichtsverfahren und Urteil!

Und was für Gefängnisse waren es, in welchen die Ärmsten oft wegen geringer Vergehen einsitzen mussten. An einem feuchten und grauenhaften Orte, nicht heizbar, bei schlechter Nahrung. Mancher arme Pater wünschte sich, die Eltern hätten ihn schon bei der Geburt lieber ersäuft als ins Kloster geschickt (sinngemäß v. Corvin, Pfaffenspiegel).

Kein Wunder, dass sich manche Mönche so kleiden wie Leichen und sie nur noch von ekstatischen Tänzen, wie etwa die türkischen Derwische, zum Leben erweckt werden können. Wenig überraschend, wenn Glücksgefühle, die dieses Spannungsfeld erzeugt, dann für Geschenke der Schöpfung, ja für die Begegnung mit Gott gehalten werden.

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Während Erwachsene zumindest scheinbar „freiwillig“ die Ordenstracht wählten, hatten ins Kloster eintretende Kinder überhaupt keine Wahl. Noch bis ins vorletzte Jahrhundert übernahmen Klöster mitunter Kinder bereits im Alter von drei bis vier Jahren „zur Erziehung“. Mit salbungsvollen Worten wurden leichtgläubige Eltern überredet, ihnen ihre armen Kinder anzuvertrauen. Zu den Trappisten, den „allerwahnsinnigsten Mönchen“ erklärt v. Corvin im Pfaffenspiegel: „Es wäre ihnen (den Kindern) besser gewesen, ihre Mütter hätten sie gleich bei der Geburt erstickt! Diese wären wahnsinnig geworden, hätten sie gesehen, wie die Trappisten mit den unschuldigen Kindern umgingen (...). Die Kinder, meist im Alter von vier bis zehn Jahren, lebten in düsteren Zellen, deren ganzes Gerät ein Strohsack, ein Totenkopf, Spaten und Hacke war, womit sie ihre Kartoffelfelder bearbeiteten (...). Sie durften nicht reden und die ganze Anstalt glich einem Taubstummen-Institute. Wenn solch ein armes Kind zur Unzeit sprach, lachte, aß oder sonst einen kleinen Fehler machte, wurde es bis auf Blut gegeißelt (...). Die fürchterlichsten Strafen schreckten von ferneren Fluchtversuchen ab. Klagen konnten die Ärmsten niemandem; denn die Eltern durften ihre Kinder nicht sprechen und diese waren bis zum 21. Lebensjahr Eigentum des Klosters (...). Der Ex-Jesuit Le Clerc schrieb öffentlich gegen diese Kindermordanstalt...“

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Volksmund und Aberglaube wissen um das Leid lebendig begrabener Menschen. Mancher fürchtet sich anzustecken und glaubt, das Unglück begegne ihm sprichwörtlich in der Gestalt von Klosterschwestern. Lebendig begraben in Klöstern zu existieren, fördert nicht gerade eine unbeschwerte, heitere Lebensart. Betrogenes Leben setzt viel Bosheit frei, die im traditionellen Klosterleben nicht immer ausreichend an den Mann (an die Frau) gebracht werden kann. Insbesondere unteren Rängen fehlt es an menschlichen Blitzableitern!

In der Hoffnung noch für lebendig gehalten zu werden, mischen sich wandelnde Leichen in Klostertracht unauffällig unter die Leute. Alternative Kriegsschauplätze finden sich, an denen sich bei aufopfernden Tätigkeiten überschüssige Bosheit geschickt unterbringen lässt: Krankenhäuser, Kinderheime, Altenheime, Behinderteneinrichtungen...

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„Wer aber sieht nicht ein, dass, wenn die Religion wirklich gefährdet werden kann, es die Mönche aller Farben sind, welche die Kirche Gottes verpesten, das Volk verführen, die Tugend verhöhnen und das Laster mit allen seinen abscheulichen Folgen unter die Menschheit einführen?... Die Klöster sind es selbst, die jeden sachkundigen, wahrheitsliebenden Mann auffordern, diese gefährliche Brut einmal aufzudecken... Die meisten verdienen nicht nur aufgehoben, sondern geächtet zu werden. Wer von den Klöstern auch nur etwas Gutes weiß, der rücke hervor mit demselben, wir wollen es verdientermaßen würdigen... (Pater Franz Ammann, Öffnet die Augen ihr Klösterverteidiger! 1841).“

Pater Ammann weiß zumindest jede Menge Schlechtes! Einige seiner Klagen werden hier sinngemäß wiedergegeben: Nicht wenige der dauerhaft einsitzenden Patres waren (wie angesichts der Umstände kaum anders zu erwarten) Onanisten, Sodomiten, Kinderschänder etc., die die Neuankömmlinge belästigten und schikanierten, wann immer sie wollten. Schändlichste Beispiele der Lieblosigkeit, des Unfriedens und der Verfolgungssucht waren die Regel. Wie erbärmlich, fragt Ammann, ist ein solches Leben, wo man einander nicht ausweichen kann und ewig beisammen wohnen muss?

„Man kommt zusammen, ohne sich zu kennen, man lebt miteinander, ohne sich zu lieben, und stirbt, ohne beweint zu werden“, zitiert v. Corvin die Klage eines Mönchs. Das stimmt so nicht ganz! Wie nachfolgend gezeigt werden wird, kam und kommt man sich körperlich durchaus näher, wenngleich nicht unbedingt bestimmungsgemäß.

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Klosterzellen sind in Wahrheit „Wartezimmer der Leidenschaft“, in denen Mönche den Verlockungen des Lebens eben gerade nicht widerstehen können. Die fleischliche Begier vertreibt den Geist Gottes! Statt mit der Tugend einen eleganten Umgang zu pflegen und den Keuschheitsgürtel enger zu schnallen, wird die sexuelle Lust nur religiös angestrichen. Es ist schon erstaunlich, was hinter kirchturmbewehrten Festungen der Frömmigkeit alles gedeiht.

Grund der sexuellen Ausschweifungen? Wer insbesondere in seinen frühen Jahren im Kloster wie ein Sklave gehalten wird, hat das Bedürfnis sich zu entschädigen, wo immer er kann - und hat hierzu am besten außerhalb der Klostermauern Gelegenheit. Die Zeit bis zum Tod galt es angenehm zu verkürzen, was teils auch gelang. Zwischen Kaiser Joseph II. und einem Prior soll sich folgender Dialog abgespielt haben: „Wie stark sind Sie? Zweihundert Mönche, Eure Majestät. Wie, so viele? Ja, Eure Majestät, wir haben aber auch vier Nonnenklöster zu versehen (v. Corvin, Pfaffenspiegel).“

„Was die Töchter der Lust den Wüstlingen der Welt, das sind die Mönche den Betschwestern und den Stillen im Lande, denn diese Herren haben Tugenden, welche Frauen zu schätzen wissen und sind verschwiegen (v. Corvin, Pfaffenspiegel).“ Trieben sich die einen lieber in gemeinen Häusern herum, bevorzugten andere Klosterfrauen, was eigene Gefahren mit sich brachte: „Nichts ist (für Unbeteiligte) lustiger, wenn die Nonnen, von Eifersucht entflammt, einander die physischen Fehler ihrer geliebten Patres vorwerfen, die ja nicht nur einer einzigen bekannt waren (Pater Franz Ammann, Öffnet die Augen ihr Klösterverteidiger! 1841).“

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Der Müßiggang in manchem Kloster schreckte nachhaltig vom Studium ab. Die schönste Studienzeit wurde mit lärmendem auf und ab spazieren und dummem Geschwätz bis zum Mittagessen zugebracht. Nicht wenigen Patres jeden Alters wurde jede Stunde zur Qual, die sie nach der Tischzeit und voller Sättigung zubringen mussten. Die Chorstunden ausgenommen, wurde der ganze Abend mit Schwätzen und Saufen zugebracht (sinngemäß Pater Franz Ammann, Öffnet die Augen ihr Klösterverteidiger! 1841).

Freilich hatten die Patres auch zu leiden, am Silentium, an ekelhaften Meditationen oder geisttötenden Exerzitien. Alle Freitage hatten sie sich vor dem Prior auf den Bauch zu legen und die während der Woche begangenen Sünden laut zu bekennen, um von ihm dafür angemessen bestraft zu werden.

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In den Kerkern der Klöster büßten freilich weniger jene Patres, die grobe Verfehlungen, wie Vergewaltigungen, Unzucht, Kindsmissbrauch usw. begangen hatten, sondern bevorzugt diejenigen, die ihren Oberen widersprachen und gar die genannten Gräueltaten an die Öffentlichkeit zu bringen drohten. Whistleblower waren eben schon damals so ungern gesehen wie heute.

Den gottähnlichen Prior, dessen Tisch weit besser gedeckt war als der jedes normalen Bürgers, ärgerte wiederum, dass die Pfaffen zu Hofe noch besser versorgt wurden als er und viel freier waren, vor allen Dingen nach Herzenslust herumhuren konnten, während es beim Klosterleben größerer Heimlichkeit und Vorsicht bedurfte. Während vom Papst nur behauptet wird, der Stellvertreter Gottes zu sein, nahm mancher Klosterabt dessen Stelle gleich selbst ein. „Es ist besser gegen Gott sündigen, als gegen seinen Prior“, zitiert v. Corvin im Pfaffenspiegel.

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Die unnatürlichen Laster nahmen auf schauererregende Weise überhand und machten keineswegs vor Tieren halt. „Die zahlreichen Verbote, keine weiblichen Tiere in Mönchsklöstern und keine Schoßhündchen in Nonnenklöstern zu leiden, sprachen laut genug dafür, welche Wege der unterdrückte Geschlechtstrieb aufsuchte (...). Die Folgen des Zölibats zeigten sich bei den Mönchen auf eine noch widerlichere Weise als bei den Weltgeistlichen, die durch ihren Verkehr mit den Menschen doch noch Gelegenheit fanden, den mächtigen Geschlechtstrieb auf natürliche Weise zu befriedigen (v. Corvin, Pfaffenspiegel).“ Tugend verwelkt rasch hinter Klostermauern!

„Die in den Klöstern herrschende Sittenlosigkeit übertrifft die kühnste Phantasie. Um die Folgen derselben zu verbergen, wurden sehr häufig die Mittelchen der Klosterapotheke in Anspruch genommen.“ Offenbar nicht überall erfolgreich genug! „Bei Abbrechung des Klosters Mariakron fand man in den heimlichen Gemächern und sonst wo Kinderköpfe, auch ganze Körperlein versteckt und vergraben, und der Bischof Ulrich von Augsburg erzählt, dass Gregor I., der auch sehr für das Zölibat eingenommen gewesen, davon zurückgekommen sei, als einst aus einem Klosterteiche sechstausend Kinderköpfe herausgefischt wurden (v. Corvin, Pfaffenspiegel).“

Es sei fast unmöglich, alle Spielarten sündiger Mönche und Nonnen aufzuzählen, was auch keine Rolle spiele, meint v. Corvin. Die Sündhaftigkeit kirchlicher und weltlicher Mitbürger unterschiede sich im Ergebnis nur dadurch, dass sie hinter kirchlichen Mauern keineswegs immer so still gewesen wäre, wie in dieser Zeit, und weit abenteuerlicher bewältigt wurde, um vorzeitiger Erkaltung zu entgehen.

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Sexualität im Kloster ist natürlich keineswegs auf vergangene Zeiten beschränkt! Im St. Pöltener Priesterseminar surften Seminaristen 2004 bienenfleißig im Internet und sammelten über 40.000 Pornodarstellungen, unter denen sich auch zahlreiche heruntergeladene Sexfotos von Kindern unter 14 Jahren fanden. Das Seminar selbst galt als ein Dorado homosexueller Ausschweifungen.

Pikanterweise hatte die örtliche Kirchenleitung ein weit über die Landesgrenzen bekannter, selbst bei Kollegen als reaktionär verschriener Bischof inne, der Homosexualität eine „unheilbare Krankheit“ nannte, weshalb man Befallene vor Versuchung bewahren müsse. Dies hielt ihn nicht davon ab, die Staatsanwaltschaft höchstpersönlich lange Zeit vor der Versuchung zu bewahren, Rechner zu beschlagnahmen und Fangschaltungen einzurichten, um wenigstens die Kinderporno-Sammler dingfest zu machen.

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Ihren ungeheuren Reichtum erlangten die Klöster durch Schenkungen frommer Schwachköpfe und Betrug. „Hatte eine Kirche oder ein Kloster Lust nach einem schönen Landstrich, so fand sich bald im Klosterarchiv eine vergilbte Pergamenturkunde, ausgestellt von diesem oder jenem Fürsten der Vorzeit, welcher den ersehnten Landstrich dem Kloster geschenkt hatte. Im Kloster St. Medardi zu Soissons war eine förmliche Fabrik von falschen Dokumenten. Der Mönch Guernon beichtete auf dem Sterbelager, dass er ganz Frankreich durchzogen habe, um für Klöster und Kirchen falsche Dokumente zu machen (v. Corvin, Pfaffenspiegel).“

Den Reichtum an Leibeigenen und Sklaven dankten die Klöster den Kindern von Priestern und unehelichen Kindern, die zu Kirchensklaven gemacht wurden und deren Freilassung verboten war. Der „Heilige Martin von Tours (Bischof von Tours 316-397)“ soll sich sogar 20.000 Slaven gegönnt haben, was so gar nicht recht ins barmherzige Legendenbild von ihm passen will. Er benutzte offenbar weniger sein Schwert zur mildtätigen Zerteilung seines Mantels als zur Vernichtung von Kulturen und Menschen, die nicht ins christliche Konzept passten.

Besonders reich wurden Bettelorden, deren strenge Regeln es verboten, Eigentum zu haben und die äußerste Demut verlangten. Sie gehen auf den Gründer Franz von Assisi zurück, der erst beim zweiten Anlauf den päpstlichen Segen hierfür erlangte. Zunächst meinte Innozenz III., nicht zuletzt wegen der beabsichtigten Ernährung des Ordens, die in Absicht genommenen Regeln seien „für Schweine, nicht für Menschen“ (sinngemäß v. Corvin, Pfaffenspiegel)“.

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V. Corvin lässt St. Adelgonde in „Die Geißler“ erklären, warum die heiligen Anstalten der Klöster von den Wohnungen der anderen Menschen abgesondert stehen. Er sagte: „ire Wohnungen sein abgesondert von Leuten, weil sie der Welt Sch-häuser seien, dahin sie ire Sünd entlären (ihre Wohnungen stehen abseits anderer Leute, da sie die Scheißhäuser der Welt sind, in denen sie ihre Sünden entleeren).“

Das Ansehen der Klöster war im 18. Jahrhundert so hoch, dass die Meinung vertreten wurde, „der schlechteste Weltmensch sei immer noch besser als solche Ordensleute“ (Pater Franz Ammann, „Öffnet die Augen ihr Klösterverteidiger!“ 1841).

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Wenigstens eine kleine humanistische Herzerwärmung ist uns vergönnt! Die katholischen Männer- und Frauenorden stecken in einer tiefen Krise, weil es an vielen Orten eine fast dramatische Verminderung von Mitgliedern gibt, die sich noch für diese der Kirche vermeintlich elementaren Lebensform des geweihten Lebens interessieren.

All jene, denen es gelingt, die Scheinheimat der Klöster erfolgreich zu umfahren und die darauf verzichten, als Diener und Soldaten ihrer Religion das Leben Gott darzubringen, haben vielleicht auf Hermann Hesse in „Narziß und Goldmund“, 1930, gehört: „Ja, Verehrtester, die Welt ist voll von Tod, voll von Tod, auf jedem Zaun sitzt er, hinter jedem Baum steht er, und es hilft euch nichts, dass ihr Mauern baut, und Schlafsäle, und Kapellen und Kirchen, er guckt durchs Fenster, er lacht, er kennt jeden von euch so genau, mitten in der Nacht hört ihr ihn vor euren Fenstern lachen und eure Namen sagen. Singt nur eure Psalmen und brennet hübsch Kerzen am Altar, und betet eure Vespern und Matutinen (nächtliche Stundengebete)...“



Die Geißler

Wohin sich verdrängte Sexualkraft hinter dunklen Klostermauern sonst noch wenden kann, wird dieses Kapitel erhellen.



Wegweisende S/M-Studien

Um Fakire zu besichtigen, musste man vor wenigen Jahrhunderten noch keine Fernreisen unternehmen. Nicht wenige fromme Klosterbrüder schlugen sich Nägel in den Hintern, indem sie sich auf Nagelkissen setzten. Wer so etwas tat, musste weise sein, folgerte das Volk! Zumindest dürften diese für „weise“ gehaltenen Masochisten klüger gewesen sein als Leute, deren Verstandeskräfte so begrenzt waren, solche „Heilige“ auch noch massenhaft um Rat zu fragen.

Sadomasochistisch veranlagte Klostersträflinge, die bis zum dritten Grad der Seligkeit vorstoßen wollten, entdeckten vor allem die lustvollen Seiten der Geißelung. Aus der Psychologie ist bekannt, dass die menschliche Seele in der Lage ist, selbst aus Qualen Wonne zu schöpfen. Prügel, Hiebe, Schläge etc. tun normalerweise weh, egal wie sie genannt werden - und man darf annehmen, dass sie gerade aufgrund dieser physischen Beschaffenheit ausgeteilt werden. Im ausgehenden Mittelalter wurden sie zu anderen Zwecken verabreicht! Durch die verfeinerte Kultur, unter dem Schutz der römischen Kirche und besonders durch sorgfältige Pflege der ehrwürdigen Herren Jesuiten, artete dies allmählich so weit aus, dass sie, anstatt wehe zu tun, Wollust erzeugten... (sinngemäß v. Corvin, Die Geißler).

Körperstrafen aller Art durchweben die menschliche Geschichte. Das Geißeln haben die Katholiken zwar nicht erfunden, aber sie haben etwas daraus gemacht! Schon früh fand man heraus, dass beim Schlagen der Lendenmuskeln an den richtigen Stellen mit Ruten- oder Peitschenhieben, die Lebensgeister mit Heftigkeit gegen das os pubis (Schambein) zurückgestoßen werden und unkeusche, erregende Bewegungen erzeugen. Diese Eindrücke gehen sogleich in das Gehirn über, malen hier lebhafte Bilder verbotener Freuden, bezaubern durch ihre trügerischen Reize den Verstand, und die Keuschheit liegt in den letzten Zügen (sinngemäß v. Corvin, Die Geißler)“.

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Klosterbrüder und -schwestern, die sich geschickt genug (sprich bestimmte Muskeln) geißelten, vermochten also durchaus Wollust zu empfinden. Aus diesem Grunde setzte sich in der Praxis die Geißelung der unteren, möglichst nackten Körperpartien durch, obwohl die Verunstaltung der oberen Körperteile nicht minder gottgefällig gewesen wäre. „Dass untere Geißelungen Anlass zu naturwidrigster Unzucht gaben, könnte ich jedem mannigfaltig beweisen, der daran zweifeln sollte (v. Corvin, Die Geißler).“

Die sexuell orientierte Motivation gab den Ausschlag beim Streit über „Züchtigung oben oder unten“. Obwohl schon damals ärztlicherseits geraten wurde, lieber den Rücken als Hintern und Lenden zu geißeln, setzte sich Letzteres durch, „weil es dem Himmel bei weitem wohlgefälliger sei“. Eine sachliche Begründung wurde nie nachgeschoben (sinngemäß v. Corvin, Die Geißler). Den Hintern zu verhauen, war schon deshalb mit Lustgewinn verbunden, weil sich naturgemäß durch die Verleugnung von Sexualität dieselbe auf den Analbereich verlagerte.

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Klöster waren zu Zeiten „freiwillige Marteranstalten“, obwohl Geißelungen in den Gründungsstatuten der meisten Orden nicht vorgesehen waren. Sie produzierten wahre Geißelheldinnen und -helden, die unter Geißelmanie litten, was wiederum zu Hysterie, Ekstase und Verzückung führte. Solch ersatzbefriedigende Vorgänge trieben allerlei wunderliche Blüten, bis hin an die Grenzen des Wahnsinns, in denen die Vereinigung mit dem Herrn oder der Jungfrau Maria phantasiert, vielleicht sogar „erlebt“ wurde. Wer es besonders arg trieb, wurde nicht selten heiliggesprochen (sinngemäß v. Corvin, Die Geißler).

Maria Magdalena von Pazzi, eine Karmeliter-Nonne, erlangte durch ihre Selbstquälereien einen beinahe legendären Ruf. Ihr Zustand steigerte sich von einer Stufe des Wahnsinns zur andern und endlich bildete sie sich ein, förmlich mit Christus vermählt zu sein und nicht nur von ihm, sondern auch vom Heiligen Geiste Besuche zu erhalten. Die Hysterie erreichte den höchsten Grad und „der Geist der Unreinigkeit“ blies ihr die üppigsten und wollüstigsten Phantasien ein, so dass sie mehrmals nahe dran war, ihre Keuschheit zu verlieren. Zur Strafe wälzte sie sich dann auf einem Haufen Dornensträucher so lange, bis sie am ganzen Körper blutete und der „Teufel der Unzucht“ verlassen hatte. Eines gnädigen Tages machte der Tod ihren Qualen ein Ende und die arme Wahnsinnige wurde heiliggesprochen (sinngemäß v. Corvin, Die Geißler).

Zu den Hauptgeißelnarren zählt auch Elisabeth von Genton, die durch das Geißeln förmlich in bacchantische Wut geriet, was aber die Pfaffen „heilige Verzückung“ nannten. Am meisten raste sie, wenn sie, durch ungewöhnliche Geißelung aufgeregt, mit Gott vereinigt zu sein glaubte, den sie sich als einen schönen nackten Mann dachte (sinngemäß v. Corvin, Die Geißler). Schon ein mittelmäßiger Beischlaf hätte sie vermutlich geheilt (eig. Anm.).

Von Corvin über eine andere Nonne: „Bis zum Rücken entblößt lag sie der Länge nach auf harter Erde und ließ sich mit einem ungeheuren Stallbesen verhauen. Je stärker geschlagen wurde, desto verzückter wurde sie und desto inniger glaubte sie mit Jesus vereinigt zu sein. Diese innige Vereinigung mit ihrem himmlischen Bräutigam war das Ziel des sehnlichsten Verlangens der meisten Nonnen. Viele nahmen aber freilich auch hilfsweise mit einer irdischen Vereinigung mit einem erdgebundenen Liebhaber vorlieb...“

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Vermisste Sexualität (in letzter Konsequenz unerfüllte Kinderwünsche) führten der Geißel die Hand. Die „verbesserten“ Regeln des Zisterzienserordens waren besonders beim weiblichen Geschlecht mit dem Geißeln sehr freigebig. War eine Nonne gestorben, durften sich die Schwestern noch viele Wochen lang zum Heil der Seele der Toten den Hintern zerhauen (sinngemäß v. Corvin, Die Geißler).

Fromme Frauen schienen solch religiösem Unsinn am zugänglichsten gewesen zu sein. „Wollte ich alle wahnsinnigen oder hysterischen Weiber nennen, welche sich den Leib zerfetzen oder mit Ruten peitschen ließen und dafür von der römischen Kirche heiliggesprochen wurden, dann müsste ich meine Leser noch lange langweilen... (v. Corvin, Die Geißler).“

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Fremd- und Selbstgeißelungen lösten einander ab. Mitunter tauschten sich dabei Mönche und Nonnen aus. Der Abt durfte straffällige Klosterschwestern, die Äbtissin sündige Klosterbrüder geißeln, vorzugsweise als Gemeinschaftsveranstaltung.

In spanischen Karmeliterklostern des 16. Jahrhunderts war es durchaus üblich, dass sich Mönche und Nonnen zusammen disziplinierten, die Nonnen vom Beichtvater, die Mönche von der Äbtissin. Bald wurde die obere, am liebsten aber die untere Disziplin angewendet. Hatte eine Nonne Lust zum Geißeln, so bestellte sie einen Novizen auf die Zelle und befriedigte ihr Verlangen. Klagte der Gepeitschte bei der Äbtissin, so wurde hier die Lektion wiederholt... (v. Corvin, Die Geißler).

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Am portugiesischen Hof des 18. Jahrhunderts wurde eine förmliche Bußanstalt unter den jungen Hofdamen errichtet. Man geißelte sich selbst in den Vorzimmern der Königin, die an den frommen Übungen selbst teilgenommen haben soll. Die Hofdamen waren nach dem Zeugnis von Jesuiten auf das Geißeln so versessen, dass sie mit einer ordentlichen Wut danach verlangten, die kaum zu befriedigen und in Schranken zu halten war. Sogar fremde Prinzessinnen und die Damen der Gesandten wurden zu diesem wollüstig-unterhaltenden, frommen Spiel förmlich eingeladen. Jesuiten-Geißelei als Gesellschaftsspiel... (sinngemäß v. Corvin, Die Geißler).

Im dreizehnten Jahrhundert nahm die Geißelwut in Klöstern so überhand, dass Statuten sie begrenzen mussten. Es handelte sich um eine Art „allgemeiner Prügelschau“, die die zuträglichen Rationen bestimmte. Die Erlaubnis des Priors hatte einzuholen, wer sich darüber hinaus mit Extra-Geißelportionen bedienen wollte.

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Die Sado-Maso-Praktikanten dieser Tage sind zweifellos den religiösen Forscherinnen und Forschern jener Tage für deren wegweisende Körperstudien dankbar! Überspitzt formuliert könnte man sagen, die Prügelstrafe, die zumindest aus gesellschaftstheoretischer Sicht nicht völlig unsinnig war, wurde (nicht nur, aber insbesondere) durch das Christentum zur sexuellen Ersatzbefriedigung all jener Perversionen, wie sie Religionen im Allgemeinen und der Katholizismus im Besonderen hervorbringen.

Wenn in einer Gesellschaft, die Sexualität verdammt, nur das Fenster der Selbst- und Fremdgeißelungen den Blick auf nackte Körper und das Berühren derselben freigibt, darf es nicht wundern, wenn dies Mönchen, Nonnen usw. „untere“ Disziplinen beim Geißeln umso lieber machte. Wer hätte denn gewagt, außerhalb dieser Normen nackte Körper zur Schau zu stellen oder zu betrachten? Heute hängen sich junge Soldaten nackte Pin-up-Girls in den Spind (und kasernierte Frauen tun es ihnen mit nackten Männern gleich). Damals war Mönchen in ihrer nüchternen Klosterzelle die unbekleidete, üppig schöne, büßende Magdalena der liebste Schmuck, während Nonnen dem nackten, gegeißelten Jesus oder dem heiligen Sebastian den Vorzug gaben.

Man kann sich leicht vorstellen, welch seltsame Wirkungen dies auf Mönche und Nonnen haben musste, die mit dem regen Geschlechtstrieb zu kämpfen hatten. Die der Geißelung zugeschriebene „große befriedende Kraft“ versöhnte nicht mit Gott (dem sie kaum ein Grund zur Freude gewesen sein konnte). Die flächendeckenden körperlichen Verunstaltungen beruhigten lediglich den Geschlechtstrieb, leider auf denkbar perverse Weise. Kein Wunder, dass die Geißelung unbekleideter Körper auf weit größere Zustimmung stieß als das Gegenteil.



Volksseuche Geißelsucht

Die Kirche sträubte sich anfänglich gegen die Buße des Geißelns, bis sie entdeckte, „dass die Geißel ein vortrefflicher Zaum sei, womit sie den dummen Esel „Volk“ lenken könne (v. Corvin, Die Geißler)“.

Noch Anfang des 19. Jahrhunderts wurden ganze Landstriche von Bußpredigern heimgesucht. Die gesamte Bevölkerung (alt oder jung, dumm oder aufgeklärt, weiblich oder männlich) musste öffentliche Buße tun (mit einer Dornenkrone auf dem Haupte, im schwarzen Bußgewand), barfuß die Kirche durchwandeln und mit Stricken und Ketten sich geißeln. Die Trainer auf der Kanzel heizten die Stimmung kräftig an! Nicht wenige Teilnehmer büßten zu heftiges Geißeln auf dem Krankenbett. Man hatte sich mit den Händen das Gesicht zu zerfleischen und sich gegenseitig anzuspucken. Jedermann hatte sich diesem heillosen Unsinn zu unterwerfen, wollte er sich nicht als „Geheimbündler“ verdächtig machen. Es kam vor, dass den im epidemisch wirkenden Fanatismus befindlichen Geißlern von der Kanzel befohlen wurde, sich in Demut niederzuwerfen, auf den Knien zum Hochalter zu rutschen und mit der „unkeuschen, sündhaften Zunge den Kirchenboden abzulecken“ (sinngemäß von Corvin, Die Geißler).

Die Teilnahme an Geißler-Prozessionen war gleichwohl beliebt, nicht zuletzt deshalb, da trotz aller Frömmigkeit höchst unheilige Dinge vorkamen, die man praktischerweise bei den Geißelungen des kommenden Tages wieder abbüßen konnte. Selbst Könige, Prinzen und hohe Herren waren vor dem Geißelunsinn nicht gefeit und zogen mitunter den Zügen voran. „Mancher lockere Patron mochte das Bußgewand anziehen, um unter dieser Maske allerlei Unfug zu treiben und die verliebten italienischen Frauen veranlasste wohl nicht Frömmigkeit allein, sich in weiße, unkenntlich machende Gewänder zu hüllen... (sinngemäß v. Corvin, Die Geißler).“

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Sobald sich Geißelungen im entblößten Zustand durchgesetzt hatten, begnügte sich mancher Beichtvater nicht mehr damit, Selbstgeißelungen als Buße zu erteilen, sondern erteilte sie den Beicht-Schafen höchst eigenhändig. Bemühungen, solche Auswüchse zu begrenzen, stieß mitunter auf erbitterten Widerstand der Geistlichkeit.



Ehrgeizige, Heuchler und Stellvertreter

Es gab Geißelnarren die sich „auf Vorrat“ geißelten oder geißeln ließen. Geschah es nicht für vergangene oder zukünftige Sünden, dann um den Berg seiner Verdienste immer weiter zu erhöhen. Es genügte nicht selig zu werden, man wollte seliger werden als selig (sinngemäß v. Corvin, Die Geißler). Zumindest beabsichtigte man, seliger zu werden als der Geißelkollege nebenan. Die frühe Konkurrenzgesellschaft schimmert durch!

Geschummelt wird freilich überall! Wer nicht abartig genug war, sich auf diese Weise zu befriedigen, seine Zellennachbarn aber nicht durch fehlende Geißelungsgeräusche enttäuschen durfte, geißelte statt seiner die Zellenwände oder das karge Mobiliar. Dies wiederum veranlasste die Klosteroberen der Geißelung mehr Öffentlichkeit zu geben.

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Die eine Hälfte der Geißler bestand aus bußfertigen Schwachköpfen, die andere Hälfte aus Heuchlern. Letztere mögen es denn wohl gewesen sein, welche bei den Geißelungen ihre eigenen Rücken schonten und Leute mieteten, die an einem Schlagtage auf ihren Posten traten. Zartbesaitete Heuchler sollen mitunter die unschlagbare Kunst beherrscht haben, sich mit riesigem Geklapper ziemlich sanft zu schlagen (sinngemäß v. Corvin, Die Geißler).

In südlichen Ländern spielte das Geißeln bei Karfreitagsprozessionen eine Hauptrolle. Die Anzahl der Büßenden war groß, die der aufrichtig Büßenden oft klein. Clevere schoben sich schützende Unterlagen unter die Säcke! Die Umstehenden erkannten jedoch häufig am Schall, wer einen ledernen Wams, eine Weiberschürbrust oder einen blechernen Schutz unter dem Sack trug. Wenn das Licht in der Kirche gelöscht wurde, ließ sich natürlich auch ein Kirchenpfeiler peitschen. (sinngemäß von Corvin, Die Geißler).

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Könige, die nicht aufgrund der Schwere ihrer Verfehlungen unbedingt persönlich zur Geißelung zu erscheinen hatten, mussten der Kirche zumindest ihre Abgesandten zur Verfügung stellen, die vom Papst selbst „behandelt“ wurden, um dem Pfaffenhochmut Genüge zu tun (sinngemäß von Corvin, Die Geißler).

„Man könnte noch vieles berichten, über die Gläubigen und Bünde, welche durch Geißelhiebe zu Gott redeten. Allein, ich will schließen, um meinen Lesern nicht selbst zur Geißel zu werden (v. Corvin, Die Geißler).“ Dem schließen wir uns nicht vollumfänglich an, sondern versichern stattdessen, auch weiterhin uneigennützig als Gedankengeißel an der Religion arbeiten zu wollen - zu Gottes Lohn, versteht sich!



Zölibat

Nachdem das Zölibat den Grundstein für das „verpfaffte Land“ (Bayerwalddichterin Emerenz Meier) legte, und das nicht nur in Bayern, ist eine Beschäftigung damit unabdingbar. Es sollte eigentlich jedermann einleuchten, dass ein Mann, jedenfalls in der Regel, eine Frau braucht und eine Frau einen Mann. Hätte Gott das anders gewollt, darf man davon ausgehen, er hätte das anders organisiert. Aber es ist ja eine alte Erfahrung, dass sich Dummheiten auf ebenso unbegreifliche Weise verbreiten wie die Cholera (sinngemäß v. Corvin, Die Geißler).

Im Protestantismus ist es seit Jahrhunderten Frauen erlaubt, das Amt des Pfarrers auszuüben und auch heiraten darf jede Pfarrerin und jeder Pfarrer. Das Zölibat ist im Christentum das Versprechen, künftig ehelos zu leben. Es ereilt Priester, Ordensfrauen, Eremiten, geweihte Jungfrauen und andere, denen die Kirche insoweit habhaft werden kann.

Im ersten Jahrtausend nach Christus ließ es sich im Priesterbett mit dem späteren Geschlechtsfeind „Frau“ offenbar ganz gut aushalten. Sogar mit höchstgeistlicher Erlaubnis: "Was die Frage der Ehelosigkeit angeht, so habe ich kein Gebot vom Herrn (Paulus in seinen Korintherbriefen).“ Und in der Bibel ist zum Beispiel von der "Schwiegermutter des Petrus" die Rede (und der wurde schließlich nach katholischer Auffassung zum ersten Papst).

Auf den Gedanken "kein Sex für Priester" (na ja, sagen wir lieber „keinen ehrlichen Sex für Priester“) kam man immerhin schon 300 Jahre später im Jahr 306 auf der Synode von Elvira, also nicht gerade postwendend. Im Lauf dieses ersten Jahrtausends nach Christus erhöhte die Kirche dann zunehmend den Druck, „unkeusche“ (gemeint waren vernünftige) Priester zu bestrafen. Frauen, die Geschlechtsverkehr mit Geistlichen hatten, wurden gar vom Benediktinermönch Damian (1006-1072) als "Lockspeise des Satans" beschimpft. Freilich wird dieses Gericht trotzdem von der Priesterschaft bis zum heutigen Tage immer noch gerne zu sich genommen.

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Die Reformation wurde zunächst fälschlicherweise im Wesentlichen nur dem regen Ablasshandel zugeschrieben. V. Corvin empfiehlt im Pfaffenspiegel „einen tieferen Blick in die geistige Kloake des Katholizismus zu tun und zu prüfen, woher es kommt, dass gerade diejenigen, welche durch ihre Stellung vorzugsweise dazu berufen waren, den Menschen als Muster der Sitte voranzugehen, sich durch die zügellosesten sinnlichen Ausschweifungen so sehr befleckten, dass sie dadurch den allgemeinen Abscheu gegen sich hervorriefen“.

„Die schaffende und erhaltende Kraft oder Macht, die wir Gott nennen, hat allen lebenden Geschöpfen den Geschlechtstrieb gegeben. Ja, sie stellte es nicht in den freien Willen, sondern zwang dazu, ihm zu folgen. Der gewaltsam unterdrückte Geschlechtstrieb macht Tiere toll und Menschen zu Narren (sinngemäß v. Corvin).“ Besser kann man es nun wirklich nicht erklären, warum das Zölibat nicht erst mit einer Katastrophe enden wird, sondern eine war und ist!

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Die Kirche weiß natürlich um den Schaden, den das Zölibat grundsätzlich anrichtet, nimmt dies aber gerne billigend in Kauf! Die Geistlichen werden nämlich durch das Zölibat isoliert und so ihre Verbindung zu den übrigen Menschen und zum Staat zerrissen, dafür aber umso fester an die Kirche, das heißt an den Papst, gefesselt. Dieser ist es ja, von dem jeder römisch-katholische Geistliche in höchster Instanz sein zeitliches Heil zu erwarten hat. Er soll ihm Familie und Vaterland zugleich sein. Umso leichter kann die Kirche unumschränkt herrschen.

Aus denselben niedrigen Beweggründen ist auch jene katholische Praxis gestrickt, die die Diener Gottes nie zu lange in derselben Gemeinde verweilen lässt, mögen die Gläubigen dort auch noch so sehr um ihre Priester kämpfen. Am Ende schätzten die Priester die Menschen in ihren Pfarren mehr als ihre freudlosen Päpste.

Mancher hält das Zölibat gar für die größte sexuelle Perversion auf Erden - wohl zu Recht! Zum Glück geht jedoch wenigstens die Hälfte der katholischen Priester heutzutage in Deutschland fremd und widmet ihr Leben neben Gott auch der Frau (bzw. dem Mann an seiner Seite), was den Schöpfer sehr freuen dürfte. Nur seine Stellvertretung auf Erden vermag solcher Pflege sexueller Beziehungen zumindest dann wenig abzugewinnen, wenn sie sich durch leibliche Früchte äußert.

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Männer, die Männer lieben, geben gelegentlich zur Begründung an, sie machten sich eigentlich gar nichts aus männlichen Partnern. Wichtig wäre ihnen nur, dass es sich nicht um Frauen handle. Vergleichbare Gedankengänge könnten die Bischofssynode 1990 zum Beschluss bewegt haben, „der Zölibat sei das unschätzbare Geschenk Gottes“. Die objektive Kostbarkeit erschließt sich nicht ohne weiteres, wohl aber der subjektive Wert, bedenkt man den zeitlichen Zusammenhang des Zölibats mit dem Beginn der Hexenverfolgung.

Damals waren Priester verheiratet. Nicht jede Ehefrau dürfte die wochenlange Folter der der Hexerei beschuldigten Frauen lustig gefunden haben. Priesterlich-menschliche Wärme ging vielen einfach zu weit, wenn die Gequälten auf dem Scheiterhaufen verheizt wurden. Kurz, es lebte sich schlecht mit dem geschlechtsspezifischen Klassenfeind unter einem Dach. Damit nicht länger Tisch und Bett geteilt werden mussten, empfahl sich schon aus diesem Grund die rasche Durchsetzung der religiös-priesterlich orientierten Apartheid-Politik. Man kann unschwer erahnen, dass der durch das Zölibat von mörderischem Triebstau geprägte Vernichtungswille der Inquisition vielleicht ohne dasselbe wenigstens ein bisschen zurückhaltender ausgefallen wäre.

Vom Klerus wird seither verlangt, unverheiratet zu bleiben. Geschlechtliche Unabhängigkeit soll vor irdischen Nachstellungen schützen und ungeteilte Hingabe an Gott ermöglichen. Damit verbundene Hoffnungen erfüllten sich. Die Quellen geistlicher Fruchtbarkeit der in innerer Zentralverriegelung befindlichen Kirche sprudelten wie schon lange nicht mehr, und zwar Jahrhunderte lang! Lodernde Brandfackeln und brennende Scheiterhaufen künden davon bis in unsere Zeit.

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Auch die Klöster hatten bedeutenden Einfluss auf die Zölibatsschwärmerei, die sich in der Geschichte mehrfach wiederholte. Wie kaum anders zu erwarten, plagte Mönche und Nonnen dennoch der „Fleischesteufel“, bis der Tod sie erlöste. Manch fanatischen Mönchen waren die Ehe und jede geschlechtliche Berührung ein Gräuel; ja sie gingen in ihrem Eifer so weit, dass sie sogar die Frauen insgesamt verfluchten und behaupteten, dass man sie, gleich einer ansteckenden Seuche oder gleich giftigen Schlangen, fliehen müsse (sinngemäß v. Corvin, Pfaffenspiegel).

Zu Zeiten ließen sich die vermaledeiten Frauen „bekehren“ und veranstalteten etwa in Mailand einen solchen „Keuschheitsfanatismus“, dass die jungen Männer in Verzweiflung gerieten (sinngemäß v. Corvin, Pfaffenspiegel). Leider war man nie konsequent genug, was zu weiterer Fortpflanzung und zur fatalen Folge führte, dass wir uns noch heute mit diesem Thema befassen müssen.

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Eine entsprechende göttliche Eingebung in dieser Frage lässt auch bei Papst Franziskus bislang auf sich warten. Aber Hoffnung ist nicht verboten! Sein Buch „Papst Franziskus - Mein Leben, mein Weg. El Jesuita“ enthält folgenden Witz über zwei Priester: “Der eine Priester fragt: Wird ein neues Konzil den Pflichtzölibat aufheben? Der andere: Ich glaube ja. Der erste: Jedenfalls werden wir das aber nicht mehr erleben, sondern höchstens unsere Kinder.“ Wir wünschen reichlich Nachwuchs!



Der Kampf um die Priesterehe

Der Kampf um die Priesterehe, beim Apostel Paulus beginnend, wogte durch die Jahrhunderte. Schon Gregor VII. (1073- 85) versuchte, die Geistlichen von allen Banden zu trennen, durch welche sie mit der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staate verbunden waren. Sie sollten kein anderes Interesse als das der Kirche haben und dieser mit Leibe und Seele dienen. Er versuchte um jeden Preis, die Ehe Geistlicher auszurotten und gilt daher zurecht als Urheber der erzwungenen Ehelosigkeit oder des Zölibats, gegen den die Geistlichen dem Papst gegenüber allergrößten Widerstand leisteten. Der Kampf um ihre Weiber dauerte zwei Jahrhunderte, endlich unterlagen sie (sinngemäß v. Corvin, Pfaffenspiegel).

Bis zum 12. Jahrhundert blieb die Priesterheirat die Regel. Die Verdammung der Priesterehe bewog viele Gläubige dazu, von der Ehe wenig und von unverheirateten Priestern noch weniger zu halten. Ein Ergebnis, das wir bis heute beobachten können („...denn wer seinem eigenen Hause nicht vorzustehen weiß, wie kann er die Gemeinde Gottes regieren“, meinte schon Paulus).

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Ende des ersten Jahrtausends bewog der fanatische Kampf der Bischöfe um das ehelose Leben ihrer Gottesdiener viele Priester dazu, sich Jungfrauen oder Liebesschwestern ins Haus zu nehmen, mit denen sie zwar das Bett teilten, aber angeblich keinerlei sexuelle Kontakte hatten. Letzteres ist allerdings so wahrscheinlich wie die freiwillige Selbstauflösung der Katholischen Kirche.

Zum Glück kam zur damaligen Zeit die Lehre auf, beim Vater von Päpsten handle es sich immer um den Heiligen Geist, der prompt mit Sonderaufträgen betraut wurde. Liebesschwestern, die von der platonischen Liebe ihrer Pfarrer schwanger wurden, behaupteten einfach, das zu erwartende Kind werde ein Papst, den der Heilige Geist persönlich gezeugt hatte. Pech hatten freilich Liebesgefährtinnen, die dann „nur“ ein Mädchen zur Welt brachten. Wirkungslos war auch der Versuch, Ausschweifungen durch das Gebot zu verhindern, die Jungfrauen oder Liebesschwestern hätten jenseits der Gebärfähigkeit zu sein. Das schützte weder ältere Frauen noch jüngere Pfarrer vor Liebesabenteuern.



Pfaffen oder Priester

Die Kirche arbeitet seit vielen Jahrhunderten an einer praxisnahen Aufarbeitung des Geschlechtstriebes. Ebendies führt jedoch zu jener Unterscheidung, die nach v. Corvin „Geistliche“ von „Pfaffen“ trennt. Im Pfaffenspiegel wird das von ihm so erklärt: „Die Natur respektiert einen geweihten Pfaffenleib ebenso wenig wie den irgendeines anderen tierischen Organismus und kämpft mit ihm um ihr Recht. Diese Kämpfe endeten bei gewissenhaften Geistlichen, denen es mit ihrem Keuschheitsgelübde ernst war, mit unnatürlicher Befriedigung des Geschlechtstriebes, mit freiwilliger Verstümmelung“ oder gar häufig mit Selbstmord bzw. Wahnsinn.

Der schlechtere Teil der Geistlichen, die Pfaffen, folgt hingegen praktischen Ratschlägen: „Wenn mich der Teufel reizt, tue ich was er will und dann hört der Kampf auf.“ Und weiter: „Sie wissen sich, was die Befriedigung des Geschlechtstriebs anbetrifft, für die Ehe schadlos zu halten, indem sie nach Clemens VI. Ausdruck „wie eine Herde Stiere gegen die Kühe des Volkes wüten“. Der heilige Bernhard nennt diese Pfaffen wiederum „Füchse, die den Weinberg des Herrn verderben und die die Enthaltsamkeit nur zum Deckel der Schande und Wollust brauchen...“.

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Die belagerte Priesterschaft kommt heutzutage aufgrund der Abstinenz des Beichtvolks jedenfalls hierzulande zunehmend auch noch um den Genuss der Ohrenbeichte. Wie reichhaltig waren doch einst pikante Schilderungen über sexuelle Verfehlungen. Die Seitensprünge der wenigen Alten, die heute noch ohrenbeichten, sind kaum nennenswert. Trieb bleibt aber Trieb! So bleibt es dem einzelnen Priester überlassen, die Kluft zwischen erotischer Enthaltsamkeit und sexueller Erfüllung kreativ zu überbrücken.

Gerne leistet die Kirche christlichen Beistand und gestattet weltliche und sexuelle Genüsse, wenn sich Priester der nötigen Diskretion befleißigen. Nur leibhaftig werdende Kinderfrüchte, die diese Verschwiegenheit diskreditieren, sind höchst unerwünscht! Dieses bisschen Wärme für die belagerte Priesterschaft freut uns im ureigensten Interesse: Bei der Sonntagspredigt fällt die wöchentliche Ausmalung des Fegefeuers weniger furchterregend aus, die armen höllischen Flammen müssen nicht gar so hoch züngeln.

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Pfarrer A. liebt seit acht Jahren im niederbayrischen B. seine Freundin C. und lebt mit ihr zusammen. 2002 kam es zu einem kleinen „Unfall“, der zur Geburt von D. führte. Bischof E. fand, dass A. zur Geliebten C. nicht auch noch ein Kind benötigte, jedenfalls keines, zu dem er sich bekannte, und warf ihn hinaus. Am Montag, den 6. Jan. 2003, musste A. der Gemeinde seine Entlassung mitteilen, obwohl die deutschen Bischöfe für diesen Tag das Motto ausgegeben hatten: „Kindern ein Zuhause geben“. Die Pfarrgemeinde protestierte erregt! Diese Entrüstung ist uns unbegreiflich, der Bischof handelte lobenswert. Privatier A. hat jetzt viel mehr Zeit für die Familie! Wir zählen ihn gerne zu den Priestern und nicht zu den Pfaffen.

Kinder waren dem Zölibat verpflichteten Priestern nicht zu allen Zeiten Grund zur Schande und zum Versteckspielen. Vielmehr war zu Zeiten die Freude über die Ankunft von Kindern so groß, dass Festgelage veranstaltet wurden, zu der befreundete Priester und Laien gleichermaßen eingeladen wurden. Die Kinder wurden nicht in fremde Hände gegeben, sondern durften neben den mütterlichen Konkubinen im Hause bleiben. Mancher Bischof musste es mit sanften Mahnungen sein Bewenden haben lassen und empfahl „doch ja nicht bald nach der Messe Unzucht zu treiben, sondern des Nachmittags, nach geschehener Verdauung...“.



Dem Beichtstuhl der Nachtstuhl

Seit der Reformation musste sich die priesterliche Ausschweifung freilich diskret zurückziehen. Dem brüllenden Fleischesteufel wird im Verborgenen geopfert. Ohne Zölibat wären priesterliche Ausschweifungen solchen Umfanges undenkbar. Gerade „heilige“ Männer sind „entzündbar wie Streichhölzer“ (sinngemäß v. Corvin). Die wirklich Schuldigen sind freilich jene, die Zölibatsbefehle erteilen oder bewahren.

Zur Frage, ob Aids sich religiösen Wohlwollens erfreut, werden wir uns nicht äußern. Ältere Lustseuchen genossen durchaus die Förderung durch die Kirche. Ärzte klagten, dass die Lustseuche (Syphilis), welche deutsche Landsknechte aus Frankreich mitgebracht hatten, durch die Pfaffen auf grauenerregende Weise verbreitet würde (...). Der Arzt Wendelin Hock forderte den Herzog von Württemberg auf, der Liederlichkeit der Pfaffen Einhalt zu tun, da sonst das ganze Land verpestet werde (sinngemäß v. Corvin).

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Im Prinzip sind jedoch die zwischen Unschuld und Verderbtheit pendelnden Pfarrer auch nur Opfer des religiösen Betrugskartells, letztendlich selbst Betrogene, die sich schadlos halten dafür, dass anstiftende Worte gleichfalls verführter Eltern oder belabernde Worte unwissender Erzieher sie ins Religionsleben gedrängt, ja letztendlich niemand sie vor dieser scheinheiligen Gebetsmaschinerie bewahrt hatte. So von der Gesellschaft betrogen, rächen sie sich später dafür, dass man dieses bis ins Mark hinein verdorbene, sich längst verselbständigt habende und in Bosheit festgefrorene Kirchensystem gewähren lässt. Lassen sich dem Urchristentum noch durchaus brauchbare Grundgedanken abringen, verflüchtigen sich dieselben umso mehr, je älter diese Religion wird.

Wir legen daher Wert auf die Feststellung, dass dem einzelnen „Seelsorger“ noch der geringste Vorwurf zu machen ist, wenn die Kirche ihn durch Zölibat und Beichtstuhl zur Verkrüppelung seiner Sexualität und zu deren Befriedigung mit verlogensten und verbogensten Mitteln zwingt. Wie könnte ein kleines Priesterlein einem so mächtigen Trieb wie dem Sexualtrieb ungestraft die Stirn bieten?

V. Corvin prophezeite schon im Jahr 1845, am Ende seines Pfaffenspiegels, die Zustände würden sich nicht ändern, bis einst dem fluchwürdigen Zölibat und der Ohrenbeichte ein Ende gemacht würde. Unzählige Enthüllungen, die jüngsten in den USA, geben ihm seither immer wieder recht! Künftigen Generationen wird daher empfohlen, dem Beichtstuhl allenfalls das anzuvertrauen, was man sonst dem Nachtstuhl anvertraut.

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Dabei ist es gerade die vom Zölibat erzwungene Heimlichkeit, die Priester so demütigt und sie ihren Konkubinen, Lustknaben, Dirnen, Pfarrersköchinnen etc. ausliefert. Mit der Bekanntgabe pikanter Details kann ein(e) jede(r) den Pfarrer „vernichten“. Leicht zu „plündern“ sind sie obendrein, im Austausch für ein bisschen Zuneigung, das in ihr Leben fällt.

Eugen Drewermann, in Ungnade gefallener Priesterengel, seziert in „Kleriker - Psychogramm eines Ideals“ (1991) die Seele des unverheirateten Priesters. Das Ergebnis überrascht nicht! Die priesterliche Seele wird von Neid auf die in Familien lebenden Menschen zerfressen. Kein Wunder, dass die kirchlich-christliche Bereitschaft, in entscheidenden und lebenswichtigen Menschheitsfragen einzulenken, nicht gerade im Wachsen begriffen ist!

Es liegt uns wirklich fern, Pfarrer in Bausch und Bogen zu verunglimpfen. Natürlich gibt es viele liebenswerte Menschen unter ihnen. Und wir vergessen auch nicht, welche Freude humorvolle Geschichten und Filme von volkstümlichen Priestern, wie etwa Fernandel, vermitteln. Allein, es müsste doch jedem auffallen, dass solche Gestalten umso sympathischer werden, je weiter ihre Geschichten von der Religion wegführen und je menschlicher sie handeln.

Wir verkennen gerade nicht die Leistungen, die viele Priester als Seelsorger erbringen, je menschennäher umso wichtiger und erfolgreicher. Aber braucht es dazu wirklich Religion, noch dazu eine wie den Katholizismus mit seinen unsäglichen sozialen Verwerfungen, die er unaufgefordert gleichzeitig in die Gesellschaft trägt? All dies, und vieles mehr, könnte unkontaminiert religionsfrei außerhalb der Kirche geleistet werden.

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Das Zölibat wird als Ergebnis immer ungute Ausschweifungen präsentieren, offen oder im geheimen, bis in alle Zeit.

„Im Weltgewühle wohnt
Der Sünde freche Fülle,
In heil’gen Mauern thront
Unheiligkeit in Stille“,

schreibt v. Corvin im Paffenspiegel (1845).

Das „unschätzbare Geschenk“ des Zölibats ist zu stornieren, gemeinsam mit der ihm zugrundeliegenden christlichen Allmachtlehre, die in Wahrheit nicht Gott meint, sondern die Macht jener, die sie definieren.



Priester und Kindsmissbrauch

Der Katholischen Kirche kann man keinen vorsätzlichen Kindsmissbrauch vorwerfen, nein, ganz und gar nicht, sondern nur einen geradezu systemischen. Wir begegnen einer Missbrauchsschleuder mit System! Einerseits werden die Priester in ein sexuelles Leben gelockt, ja gepresst, das (korrekt gelebt wohlgemerkt) unsinniger nicht sein kann. Andererseits werden ihnen in hohem Maße Schutzbefohlene zugeführt, die zum Missbrauch geradezu einladen. Bedacht, wie stark der Sexualtrieb unser Leben bestimmt, um den sich nun einmal das ganze Leben und die ganze Welt dreht, ist es schon absurd zu glauben, die Priesterlein könnten dem in Gänze widerstehen.

Nun wird zu Recht verlangt, endlich das Zölibat aufzuheben, von dem Jesus ja noch nicht einmal wusste. Auch danach werden natürlich noch Männer ins Priesteramt streben, die sexuellen Appetit auf Kinder verspüren. Hoffnung verspricht aber die Tatsache, dass es viel weniger sein werden, weil ja auch wieder viel mehr „normal“ veranlagte und einer Heirat nicht abgeneigte Priester der Kirche zur Verfügung stünden.

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Kein Wunder, dass der Vatikan im Sommer 2003 zum Widerstand gegen die Homo-Ehe aufrief. Machte das Beispiel Schule, wo käme noch ausreichender Nachwuchs für all die pädophilen (sich sexuell zu Kindern hingezogenen fühlenden) und päderastischen (homosexuelle Neigungen zu Buben besitzenden) Priester her? Es wird geschätzt, dass etwa 23 bis 58 Prozent der katholischen Priester in den USA homosexuelle Neigungen haben. In diesen Zahlen sind jene, deren sexuelle Wünsche sich auf Kinder im Allgemeinen richten, noch nicht einmal enthalten.

Aber die Kirche verfügt über wirksame Abwehrgeschütze. Sie bekämpft sexuelle Entgleisungen ihrer Priester seit Menschengedenken mit den drei „Vs“: V-erschweigen, V-erdrängen, V-ertuschen! Seit 2002 ein Sexskandal mit bis zu 100.000 geschätzten Opfern die Katholische Kirche in den USA bis in die Grundfesten erschütterte, wird der Missbrauch von Kindern zumindest im Beichtstuhl schwieriger. Englands Kirche lässt die Beichte künftig sogar in gläsernen Beichtstühlen abnehmen. Vorsorglich sollte auch das gesprochene Wort in die Öffentlichkeit übertragen werden (eig. Anm.).

Obwohl die Kirche stets so tut, als handle es sich um einmalige Entgleisungen, wurde das Zölibat zu allen Zeiten an allen Orten von unglaublichen sexuellen Verfehlungen begleitet. V. Corvin beklagt schon in „Die Geißler“, dass Kindsmissbrauch regelmäßig nur zu Versetzungen führte, zu anderen Orten mit neuen Beichtstühlen, die den gesalbten Lüstlingen wiederum unzählige neue junge Beichtopfer zuführten. Nun, an dieser Praxis hat sich zumindest bis in die jüngste Zeit offenbar wenig geändert! Niemand wird erwarten, dass Priester vorrangig nur vom Geist der Barmherzigkeit getrieben werden, aber im Reich des Kindsmissbrauchs tut das besonders weh!

Die Statistik ist bekanntlich die Mutter der Lüge! Besonders unappetitlich ist sie, wenn sie hinsichtlich sexueller Missetaten von Priestern mogelt. Unschätzbare Beihilfe zur Fälschung leistet zunächst der Umstand, dass nicht wenige Diener Gottes zum Zeitpunkt einer Untersuchung schon verstorben zu sein pflegen. Damit die Zahlen nicht zu garstig ausfallen, verstecken sich unzählige Untaten auch noch hinter riesigen Dunkelziffern.

Um die Kinder zu schützen, wies der Vatikan schon 1962 die Bischöfe an, Kindsmissbrauch energisch zu bekämpfen. Diese schritten zur Tat! Die Eltern der Opfer wurden unter Androhung der Exkommunikation zum Schweigen gebracht, worauf die offizielle Zahl missbrauchter Kinder deutlich zurückging. Sogar Spenden von katholischen Gläubigen trugen zu sinkenden Zahlen bei, wurden sie doch zweckentfremdet, nämlich u.a. zur Finanzierung der juristischen Abwehr solcher Vorwürfe eingesetzt.

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Systematischer Kindsmissbrauch in der katholischen Kirche wird ja eher nur noch beiläufig zur Kenntnis genommen. Wird über die Spitze des Eisbergs wieder einmal bekannt, dass Priester erneut Kinder sexuell konsumiert haben, ist man in der Regel inzwischen geneigt zu sagen, „ja, halt wie fast immer und überall“.

Allerdings gibt es durchaus Qualitätsunterschiede bei der zutage getretenen kriminellen Energie. Unübertroffen perfiden Missbrauchsmethoden begegnen wir zum Beispiel, wenn Opfer beim Priestertäter und gleichzeitigem Beichtvater auch noch um die Vergebung jener Sünden nachsuchen müssen, die von diesen mit ihren Opfern vorher begangen wurden. Schon werden die Opfer zum Teil des Systems und es wird sichergestellt, dass Seelsorger nicht nur oral und anal in ihre Opfer eindringen, sondern dieselben auch noch seelisch-geistig vergewaltigen können.

Ein ehemaliges Opfer erinnert sich an seine Hilflosigkeit: "Wenn ich meiner Mutter gesagt hätte, was der Pater mit mir machte, sie hätte es mir nicht geglaubt. Ein heiliger Mann tut so etwas nicht! Wenn er mir die Beichte abnahm, ließ er mich seine Verbrechen beschreiben. So wurde mir suggeriert, dass ich auch Schuld daran hätte.“ Naturgemäß wurde dann eine Buße fällig, jedenfalls für die Opfer. Diese Sühnung bestand nun darin, jeweils einen neuen Bußgang zum Täter antreten zu müssen und sich dadurch erneuten Übergriffen auszusetzen. Aus Missbrauchssicht handelte es auf diese Weise wohl um so eine Art Perpetuum mobile.

In geschlechtsausgleichender Gerechtigkeit lassen wir hier ergänzend auch die Frau in ihrer Erscheinungsform als Nonne ins Spiel kommen. Ein Gericht hatte einem Mann Opferentschädigung zugesprochen, weil der frühere Generalvikar und oberste Jurist des Bistums Speyer ihn vielfach sexuell missbraucht und systematisch den Missbrauch von Kindern in einem Kinderheim in Speyer organisiert hatte. Räumlich günstig in der Nähe befindliche Ordensschwestern hatten über Jahre hinweg Geistlichen ihre Heimkinder zum sexuellen Missbrauch überlassen. Diese ständigen Vergewaltigungen fanden in Sälen statt, die sinnigerweise in der „Engelsgasse“ lagen. Kaum lag der richterliche Schuldspruch vor, aber auch keinen Tag früher, meinten die „Schwestern vom Göttlichen Erlöser“, es gebe „nichts zu beschönigen“, ja man habe „unbedingten Aufklärungswillen“.

Von Vorteil ist, wenn man geeignete Zutaten sozusagen aus einer Hand anbieten kann. Es gab einen Raum, in dem die Nonnen die Herren mit Getränken und Speisen bedienten, während in der anderen Ecke die Kinder vergewaltigt wurden. Und all das mussten die Nonnen noch nicht einmal für Gottes Lohn tun; denn die anwesenden Herren spendeten großzügig. Ob es sich um jene Gelder handelte, die über die Kirchensteuer von den Eltern der Opfer eingetrieben wurden, können wir leider nicht mehr nachprüfen. Auch die Nonnen durften übrigens ihre Perversionen füttern. Vor und nach den Vergewaltigungen durften sie die Kinder im kalten Keller einsperren und "mit allem hauen", was sie in die Hände bekamen. So wurden die Sünden der Kinder sozusagen schon einmal aus erster Hand fachkundig bestraft!

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Wenig überraschend teilte sich die Kirche diesen reich gedeckten sexuellen Tisch auch mit weltlichen Straftätern, insbesondere mit solchen, die in kirchennahen Einrichtungen unter dem Banner der Barmherzigkeit segelten. Der Kuchen war doch groß genug für alle! Von 1,3 Millionen Heimkindern, die nach dem Krieg bis Mitte der Siebziger Jahre in deutschen Heimen lebten, wurde etwa ein Drittel missbraucht. Die Heimkinder waren, wie man es angesichts der unüberschaubaren Anzahl von Berichten ehemaliger Heimkinder kaum anders ausdrücken kann, eine leichte Beute für Menschen, deren Verlogenheit, Bigotterie und Brutalität kaum zu überbieten war.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband beispielsweise machte in diesem Zusammenhang gar keine gute Figur. Wohl aber die Tüchtigkeit mit der es ihm gelungen sein könnte, die mühsamen Einzelvergewaltigungen von einem funktionierenden Netzwerk ablösen zu lassen. „Wir vermuten, dass es so etwas wie ein Netzwerk aus Tätern und Mitwissern gab. Und dass Kinder verteilt wurden, um sie zu missbrauchen“, sagt ein privater Rechercheur, der als Kind auch das Gymnasium im Kloster Ettal besucht hatte. Vermutlich gab es nicht nur in Speyer, sondern auch anderswo und überall, viel mehr Missbrauchsfälle als bislang bekannt. Die meisten noch greifbaren Täter wird voraussichtlich rechtzeitiges Ableben vor strafrechtlichen Ermittlungen schützen, sollten solche überhaupt nach so langer Zeit noch in Angriff genommen werden können.

Ein Betroffener erzählt, “er sei von einer Einrichtung zur nächsten weitergereicht worden, wie ein Lustknabe“. Mehrere Sommer lang sei er von seinem Heim in Feldafing nach Ettal ausgeliehen worden, wo offenbar niemandem auffiel, dass sich um diese Zeit dort alljährlich religiöse Sextouristen einfanden. Manchmal durften sich übrigens auch hier vermittelnde Nonnen an sexuellen Übergriffen an den so vorgehaltenen Kindern beteiligen. Eine Hand wäscht eben die andere! Geteilt wurde er sogar mit christlichen Interessenten in der bayrischen Landeshauptstadt. Nach sieben Jahren in Feldafing wurde er 1967 in ein vom Orden der Salesianer Don Boscos betriebenes Jugendheim in München zur Lehre geschickt. Die erste Vergewaltigung ließ nur eine Woche auf sich warten.

Hänsel und Gretel hatten es nicht nur im Märchen schwer, sondern auch im Oberammergauer Hänsel- und Gretel-Heim. Ein Ettaler Pater, der in den Fünfziger Jahren wegen schwerer Unzucht mit Kindern verurteilt worden war, wurde nach seiner Entlassung im nur vier Kilometer vom Tatort (Kloster Ettal) entfernten Hänsel- und Gretel-Heim als Hausgeistlicher eingesetzt. Vielleicht war das auch nur als eine Art „Haftentschädigung“ seitens der Kirche gedacht. Immerhin gab es im Gefängnis ja keine Kinder zum Konsumieren. Aber wenigstens erhielten die Kinder im Heim christlichen Beistand! Allmorgendlich wurden sie von der Schwester mit „Gelobt sei Jesus Christus“ geweckt. „In Ewigkeit, Amen“ antworteten die Kinder. Wir beten: Hoffentlich nicht in Ewigkeit!

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In deutsche Piusheime wanderten insbesondere schwer erziehbare Jungen. Da traf es sich gut, dass dort mitunter noch schwerer erziehbare Erzieher wirkten. Was dort so alles an jahrzehntelangem Kindsmissbrauch ablief, kommt bröselweise wieder einmal spät genug ans Licht, nämlich dann, wenn an eine geordnete strafrechtliche Aufarbeitung kaum mehr zu denken ist. Freilich hätte man viel früher leuchten können, Jahrzehnte früher! In den Heimen herrschten gefängnisartige Zustände. 1969 war einmal die Lage derart eskaliert, dass die linke Studentenbewegung „Südfront“ vierundzwanzig Jugendliche befreite und vor der Polizei versteckte. Dieselbe hätte sonst gutmeinend die Opfer postwendend wieder ihren Peinigern zur Verfügung gestellt.

Sexueller Missbrauch war an der Tagesordnung! Waren Jungen erst einmal erfolgreich missbraucht, so sprach mitunter auch nichts mehr dagegen, sie auch auf den Straßenstrich zu schicken. So konnten sich die Buben ein bisschen Taschengeld dazu verdienen und den Freiern war auch geholfen. Die Erzdiözese München-Freising versprach immerhin schon viele viele Jahre später, nämlich 2020, „die Vorfälle im Piusheim vollumfänglich und transparent aufzuarbeiten und aufzuklären“. Das gelingt umso vortrefflicher, sobald alle Beteiligten, Täter, Opfer, Mithelfer, Verschweiger, Vertuscher usw. diskret verstorben sind.

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„Schläge im Namen des Herrn“ lautet der Titel eines 2006 erschienenen Buches von Peter Wensierski, das sich mit der verdrängten Geschichte der Heimkinder in der Bundesrepublik in den Fünfziger und Sechziger Jahren befasst und deren brutalen und erbarmungslosen Alltag in kirchlichen Einrichtungen schildert. Die Gängelung durch sadistische Erzieher und unbarmherzige Schwestern prägte den Alltag dieser schwarzen Pädagogik, besonders, wenn es auch nur im Entferntesten um Sexualität ging.

Wehe dem Kind, das „armen Dienstmägden Jesu Christi“, evangelischen Diakonissen oder anderen frömmelnden Kindsmisshandlern ausgeliefert war. Die Kinder mussten Erbrochenes wieder aufessen oder wurden aus nichtigen Anlässen in Arrest- und Besinnungszellen gesperrt. Fromme Frauen und Männer schlugen ihnen die Köpfe an die Wand, ließen sie auf scharfen Kanten knien oder mit umgehängten, urinnassen Bettlaken durchs Spalier höhnender Kinder gehen. In einem Fall hatte eine Neunjährige zur Strafe ihr eigenes Grab zu schaufeln. Ständige Ohrfeigen gab es gratis! Verständlich, dass solch großartige Erziehungsleistungen nicht zum Nulltarif zu haben waren. Die älteren Jugendlichen hatten für ein Taschengeld harte Arbeit zu verrichten, Wäsche zu mangeln, Torf zu stechen...

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Kindsmissbrauch hatte die Religion auch im Gepäck bei der Betreuung entferntester Gebiete. Der größte Missbrauchsprozess in der Geschichte Neuseelands gegen Bruder Bernard offenbarte Abgründe an einer Ordensschule in St. John und stellte doch nur die Spitze des Eisbergs dar. Man spricht von einem Missbrauchsnetzwerk auf beiden Seiten der Tasmanischen See. Obwohl Dutzende von Schülern Klagen einreichten, wurden dem Ordensbruder nur 17 Fälle von Missbrauch innerhalb von 30 Jahren nachgewiesen. 25 seiner Schüler konnten nicht mehr klagen, da sie sich zuvor das Leben genommen hatten. Der (vorerst) letzte, nachdem er von diesem Prozess aus der Zeitung erfuhr. Kinder, die den Mut aufbrachten, sich über ihre Lehrer zu beschweren, wurden nicht etwa getröstet, sondern bestraft.

Der Orden entschied sich großzügig zu „pastoralen Gesten“, sprich zur Zahlung von fünf Millionen australischer Dollar als Entschädigung an die Opfer. Das Geld stammt letztendlich von den Gläubigen. Wenn man deren Kinder schon ordentlich missbraucht, sollen die Eltern wenigstens dafür bezahlen. Manche Schüler waren übrigens dreist genug, trotz der daran geknüpften Bedingung des Schweigens, ihre Fälle publik zu machen.



Feuer der Sexualität - Feuer der Gewalt

Feuer spielt bei explodierender Gewalt eine herausragende Rolle! Selten leuchtet es länger und heller als zu Zeiten, in denen religiöse Brandstifter zündeln. Das ist nicht verwunderlich, wird bedacht, welch unbewältigtes Feuer der Sexualität viele Religionen in ihren Glaubensgefangenen schüren. Frömmelnde Feuerteufel erobern doppelzüngig heiligste Menschen- und Familienwerte. Von diesen, im Namen des Glaubens eroberten Brückenköpfen lässt sich schon in Kinderherzen göttlich brandstiften!

Entzündet sich inneres Feuer nicht durch Liebe und Sexualität, wird drohender Kältetod durch Verbrennen von Hexenfleisch und Vergießen von Ketzerblut hinausgeschoben. Geschickte Werbung ist alles! Der Kirche brannten statt lodernder Scheiterhaufen, denen Ketzer und Hexen übergeben wurden, „nur bescheidene, reinigende Feuer der Vergebung“. Man vergaß leider, dass man sich nur vom eigenen Schmutz in verbrannten anderen zu reinigen versuchte.

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Geraten keine Hexenfeuer in Brand, quillt verdrängte Sexualität eben an unappetitlichen Körperecken hervor, schaffen sich abstruse Ersatzbefriedigungen Luft, breiten sich sadomasochistische Perversionen aus. Wer das nicht glaubt, muss keine Fachliteratur wälzen. Kleingedrucktes in Boulevardzeitungen genügt!

Dort, wo es sollte und müsste, im Reich des Unterleibs, brennt kein reines Feuer der Sexualität mehr. Oft glimmen nur noch Glutreste abartig vor sich hin! Schon vor vielen Jahren wurde die Sexualität aus ihrer Heimat in der Körpermitte vertrieben, um religionseigenen (Sex-)Teufeln ein Zuhause zu geben. In diesen Unterleibsregionen können sie von Priestern an religiös-sexuell beschnittenen Gläubigen genussvoll bekämpft werden.

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Gläubiger wären wir, lebte die Priesterschaft überzeugend vor, wie man ohne innere Verletzungen zu asexuellen Lebewesen mutiert. Gerade dies will nicht gelingen, denkt man an augenzwinkernd geduldete eheähnliche Beziehungen zur Pfarrersköchin oder harmlose Bordellbesuche.

Mancher Priester kann pornographisch unterwanderte Zwangsgedanken beim Lesen der Heiligen Messe nur unter Kontrolle halten, stellt er sich gottesdienstbegleitend einen saftigen Beischlaf mit der Heiligen Jungfrau vor. Dieses Verlangen macht Priester menschlich und schmerzt Kirchen. Manche Kollegen hatten es vor einigen hundert Jahren leichter! Sie verkündigten ungestraft unzüchtige Verhältnisse oder unreine Gedanken, mit rohen Späßen gewürzt, von der Kanzel (v. Corvin, Paffenspiegel). Wir verraten zum Trost, dass der Juniorchef und Heiland selbst gerne Dienste von Frauen mit sexuell orientiertem Produktangebot annahm.

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Zum Ausgleich eigener Defizite kümmert sich die Priesterschaft übereifrig um die Bewältigung der Sexualität anderer. Nicht einfach, angesichts dürftiger Sachkunde, mühsam gewonnen zwischen Selbstbefriedigung, Pfarrersköchin und Großstadtdirne. Katholische und andere religiöse Demagogen brauchen sich über erzielte Ergebnisse nicht zu wundern, nachdem sie höchste menschliche Werte mit Schmutz und Kot bewerfen.

Damit wollen wir das Unterkapitel „Religion und Sexualität“ schließen. Anhand des hier ausgebreiteten, großen „sexuell-religiösen Erfahrungsschatzes“ wird verständlich, warum sich gerade die Kirche bei der Beantwortung der Frage, ob und wie viel Sex und Erotik der Gesellschaft zuträglich sind, für besonders sachkundig hält.



                Die Fortpflanzungspeitsche

Die Religion bemächtigt sich der alles überragenden Triebkraft der Sexualität durch geschickte Erziehung zur Schuld.



Wurmstichige Äpfel

Der Psychologe C. G. Jung deutete den Paradiesapfel als Sinnbild des Lebens überhaupt. Sollte der Verzehr dieses kostbaren Apfels Erkenntnis vermitteln, dann sicher weniger das Wissen über Gut und Böse, wie die Religion behaupten zu müssen glaubt, als die Einsicht, Geschlechter haben zur Fortpflanzung von der Frucht schöner Körper zu kosten. Diesen Vorgang dem Bösen anzuhängen, sagt schon alles, aber auch wirklich alles über diese Kirche aus!

Die Paradiesgeschichte erzählt von einer Schlange, die gleichnishaft den ersten Menschen rät, diese wunderbare Frucht zu teilen, sprich sich ihrer Körper, ihrer Sexualität, ihrer Zuneigung bewusst zu werden. Damit ist die Schlange weit klüger als die sie verfluchende Religion, die das Feuer der Sexualität zum eigenen Vorteil behüten, bewachen und beherrschen will.

Ärgerlicherweise gibt es wurmstichige Äpfel. Adam und Eva wählten offenbar ausgerechnet einen von der Kirche infizierten, mit Religion verdorbenen Apfel. Nun spricht die Wurmstichigkeit eines Apfels nicht gegen dessen Qualität, denn ein Wurm kriecht niemals in eine verdorbene Frucht. Allerdings verdirbt die Anwesenheit eines Wurms den Apfel gründlich!

Solche Vorgehensweise ist aus Schilderungen zum Aufbau von Schuldgefühlen gut bekannt. Der Wurm verzehrt frische, saftige Fasern des Apfels. Verbleibendes Fruchtfleisch wird mit gelb-orangem Sünden-Urin bzw. feinkörnigem, braunem Schuldgefühle-Kot überzogen. Diese religiöse Prozedur wird so lange mit so vielen Äpfeln wiederholt, bis sich Liebende voreinander ekeln und nicht mehr so gerne ineinander beißen mögen.

Damit die Erzeugung von Äpfeln aber nicht stillsteht, zwingt der mit einem Zeugungsgebot und einem Verhütungsverbot belegte Fortpflanzungstrieb zur Sünde. Schon können sich beide Straftäter ordentlich schuldig fühlen und bedürfen der Absolution! Als Gegenleistung für den religiösen Freispruch von Schuldgefühlen müssen sie der Kirche frische, wurmfreie Äpfel bringen. Unter dem Einfluss der Religion werden natürlich auch diese schnell wurmstichig, das Ganze beginnt von vorn und die Generationen und Geschlechter werden einander immer weiter entfremdet. So ist es seit alters her und weil die Kirche bis heute nicht gestorben ist, leben wir noch immer unter und mit verdorbenen Äpfeln.



Seid fruchtbar und mehret euch

Ist einem primitiven Stamm der Zusammenhang zwischen Geschlechtsverkehr und Zeugung unbekannt, spricht man von einer außergewöhnlich rückständigen Eingeborenenkultur. Ist einer rückständigen Glaubenslehre die Verbindung zwischen erfolgloser Geburtenkontrolle und unkontrolliertem Bevölkerungswachstum unbekannt, sprechen wir von einer besonders primitiven Religion.

Auf die Katholische Kirche trifft dies zu! Bekanntlich wird die Verwendung praktikabler Verhütungsmittel verboten und stattdessen sexuelle Enthaltsamkeit empfohlen, was in der Praxis ungefähr so erfolgreich ist, wie Borkenkäfern den Verzehr von Baumrinde zu untersagen. Uralte Lebenserfahrung lehrt, dass noch nicht einmal tödlich verlaufende Krankheiten mit hoher Ansteckungsgefahr Menschen von sexueller Kontaktaufnahme abhalten. Der Aids-Virus hat vor Jahren den Beweis dafür erbracht oder jüngst erst die Corona-Pandemie! Sehr unwahrscheinlich, dass die körperliche Liebe vor Pest oder Ebola stoppt. Vielleicht macht gerade das Menschen menschlich!

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In Wahrheit verlangt die Kirche natürlich gar keine Enthaltsamkeit, sondern das glatte Gegenteil: ungehemmte Vermehrung durch ungeschützten Geschlechtsverkehr! Schließlich hat sie ihrem biblisch-göttlichen Fruchtbarkeits‑ und Mehrungsauftrag in 1. Mose, Kapitel 1, Vers 22, nachzukommen. Nur das Verbot geschützten Geschlechtsverkehrs stellt ein positives Unternehmensergebnis sicher. Inzwischen ist das Ergebnis so positiv geworden, dass die Bezeichnung „Bevölkerungsexplosion“ eine grobe Untertreibung darstellt. Damit das Planziel ungehemmter Vermehrung keinesfalls verfehlt wird, sorgt das Gebot ungeschützten Geschlechtsverkehrs selbst bei im Zölibat lebenden Priestern für erfreulichen Nachwuchs.

Das Brasilien des 18. Jahrhunderts war ziemlich menschenleer, nicht zuletzt deshalb, weil fünf Millionen Ureinwohner von „christlichen“ Einwanderern auf übersichtliche Zahlen reduziert worden waren. Ist Not am Mann, ergeht sogar an die Diener Gottes ein Fortpflanzungsbefehl! Zur Wiederauffüllung des Landes (mit linientreu gläubigen Bewohnern) ermunterte die Kirche ihre Seelenhirten, sich Geliebte zu nehmen und Kinder zu haben - ein Ruf, dem sich nur wenige Priester entzogen. Straffällig gewordene Diener der Kirche brauchten für eine Freilassung dann keine Kaution zu stellen, wenn sie sich eine Konkubine nahmen. Wer wollte da von Sünde reden, der Zweck heiligt die Mittel!

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Ein Bibelvers kommt selten allein! Häufig macht erst der zweite Vers den ersten verständlich. Die Menschheit hat neben dem Mehrungsbefehl einen weiteren Auftrag in 1. Mose, Kapitel 9, Vers 2, erhalten: „Furcht und Schrecken vor euch sei über alle Tiere auf Erden und über alle Vögel unter dem Himmel, über alles, was auf dem Erdboden kriecht, und über alle Fische im Meer; in eure Hände seien sie gegeben.“ Auch dieser Befehl will erfüllt sein, was ohne flankierende Maßnahmen des Fruchtbarkeits‑ und Mehrungswahns nicht vorstellbar wäre. Um allen Tieren auf Erden ausreichende Schrecken einzujagen, bedürfte es allerdings gar nicht so vieler Menschen, wenn man bedenkt was schon einzelne anrichten!

Diese Schreckens-Weisung wurde so gewissenhaft ausgeführt, dass zwischenzeitlich immer weniger Tiere zur Verfügung stehen, denen sich noch Furcht einflößen ließe. Ersatzweise jagt die Menschheit sich selbst Furcht und Schrecken ein: Kernenergie, atombestückte Raketen, Umweltzerstörung, Kriege, Raubzüge, Terroranschläge, Überfälle, Kapitalverbrechen und was die Kriminalstatistik sonst alles so hergibt!

                               ***       

Befehl ist Befehl, sagt die Kirche und schwingt weiter die Gebärpeitsche. Der Mehrungsauftrag gelingt so tadellos, dass Menschen in Megastädten, bereits vielfach übereinandergestapelt, über sich selbst hinauswachsen. Insgeheim wird wohl gehofft, die Wolken- und Himmelskratzer mögen so hoch werden, dass man Gott da oben persönlich ansprechen kann. Erfährt er so, dass sein Fortpflanzungsbefehl zur übertriebenen Auffüllung der Erde mit Menschen geführt hat, nimmt er ihn vermutlich sofort zurück. Schließlich ist es ein universelles Bedürfnis, so alt wie die Menschheit selbst, dem Leben nicht nur Trauer und Leid zu bereiten, sondern auch Lust und Freude zu schenken, ohne sich uferlos zu vermehren! Die Natur lebt es vor!

Die Kirche wäscht ihre Hände in Unschuld! Die explosionsartige Zunahme der Bevölkerung sei auch in Ländern zu verzeichnen, in denen der Katholizismus gar nicht staatstragende Religion sei. Wir stellen die Frage anders: Wer mag uns zu viele Menschen in Europa eingebrockt haben? Moslems, Hindus und Buddhisten wollen es ja auch nicht gewesen sein! Die Bevölkerungsexplosion fand hier lediglich früher statt. Und außerhalb Europas sind es zumindest Entwicklungen im Windschatten des Christentums, im Fahrwasser abendländischer Kultur, die für die unglaubliche Mehrung von Menschen verantwortlich sind.

Angesichts der für dieses Jahrhundert prognostizierten Verdreifachung der Weltbevölkerung sollte sich die Kirche eine göttliche Eingebung genehmigen, religiös zurückrudern und verkündigen: „Seid weniger fruchtbar und mindert euch.“ In einer Welt, die sich vor allem am Christentum orientiert, ein Signal mit voraussichtlich erdrutschartigen Auswirkungen!

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Neidvoll blickt die Religion zurück zur guten alten Zeit vom 15. Jahrhundert an rückwärts, als alles einfacher war. Die religiöse Arbeitskraft konnte noch ungeschmälert weltlichen Geschäften gewidmet werden, ohne sich mit lästigen Nebensachen wie Empfängnisverhütung und Abtreibung befassen zu müssen. Um diese Fragen kümmerten sich Frauen, die angeblich bis zu hundert Abtreibungstechniken kannten, Wurzel-, Kräuter- und Pflanzenextrakte zur Schwangerschaftsunterbrechung verabreichten, mit Bauchmassagen Fehlgeburten einleiteten und sich in der Freizeit als frühe Frauenrechtlerinnen betätigten. All dies machte sie bei der Kirche nicht gerade beliebt! Zur Belohnung durften sie später die Statistik der Hexenverbrennungen anführen.

Ihr Wissen wurde bedrohlich, als der göttliche Fruchtbarkeits- und Mehrungsauftrag neu belebt wurde. Gut und gern hätte man noch ein paar tausend Jahre so weiterwursteln können, wäre den Gläubigen der Spaß an sündigen Leibern und die Lust an frevelhafter Fortpflanzung nicht über Gebühr ausgetrieben worden. Sexuelle Ersatzbefriedigungen, wie Technisierung, Industrialisierung und Kolonisation, nahmen überhand. Plötzlich wurden viel mehr Menschen als vorher benötigt. Adel und Großkapital mahnten die Kirche, sie möge sich ernsthafter um ihre Fruchtbarkeits- und Mehrungsanweisung kümmern. Sie hatte ganz schön geschlampt und sollte die Menschenproduktion schleunigst wieder anwerfen!

Pfiffige Gläubige hatten jedoch Urlaub von der Fortpflanzungsfron genommen. Wenn sie einerseits zu schwere Säcke schleppen mussten, sich andererseits nicht töten durften, so wollten sie wenigstens keine Kinder haben. Schließlich fiel der Verzicht auf die Herstellung des Nachwuchses angesichts der von Grund auf verleideten Produktionsmethoden leicht!

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Blanke Panik machte sich unter den religiösen Seelenräubern breit. Der Aufenthalt in der Glaubenshölle war für das Bewachungsunternehmen nur so lange komfortabel, wie genügend Hauspersonal zur Verfügung stand. Frage aller Fragen war nun: Wie treibt man ausgetriebene Lust wieder ein? Das wusste die Geistlichkeit auch nicht! Gebündelter katholischer Sachverstand ging in sich und befand, es sei völlig ausreichend, wenn sich der Priester als solcher nicht mehr fortpflanze. Dieses Privileg könne aber nicht jedermann für sich in Anspruch nehmen. Der Rest ist schnell erzählt.

Viel einfacher, als Gläubigen wieder mühsam Geschlechtslust aufzuschwatzen, war es, die unfruchtbare Ehe mit einer praktischen Sünde zu bestrafen und für die Verwendung effektiver Mittel zur Geburtenkontrolle flugs eine nagelneue Todsünde vom Himmel herunter zu hangeln. Die Pflicht zur Vermehrung wurde zum moralischen Konstrukt, zum Teil einer religiös angestoßenen Fortpflanzungsethik.

Nun blieb kaum mehr Luft zum Atmen: Beischlaf war Sünde, kein Beischlaf war Sünde, erfolgloser Beischlaf war Sünde! Die Gläubigen legten sich ins Zeug! Schon rollte der Schuldsäcke schleppende Nachwuchs wieder ganz gut an! Die Fortpflanzungsraten kletterten auf neue, kirchlichen und gesellschaftlichen Machthabern genehme Höhen.

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Dieses Beispiel zeigt, dass der Wille zur Fortpflanzung, der allen Lebewesen innewohnt, verschlungenste, perverseste und destruktivste Wege gehen kann, um sein Ziel zu erreichen. Scheinbar ausgetriebene Fortpflanzungslust verschaffte sich so lange technische Ersatzbefriedigungen, bis diese Entwicklungen wieder nach mehr Menschen verlangten.

Das Gegenteil ist gleichfalls belegbar! Man könnte heutzutage sagen, der (unbewusste) Wille zur Erzielung erträglicher Bevölkerungszahlen bastle solange an lebensgefährdenden, ja lebensvernichtenden Entwicklungen, bis kaum noch jemand Kinder haben will oder kann.

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Religiöser Scharfsinn bei der Bewältigung von Fortpflanzungsfragen kommt der Intelligenz von Goldfischen bedenklich nahe, erreicht sie aber nicht ganz. Goldfische vermehren sich in einem Teich nur bis zu einer bestimmten Grenze. Der überzählige Nachwuchs wird aufgefressen.

Dem können durchaus auch unterhaltsame Seiten abgewonnen werden, wie etwa in dem apokalyptischen französischen Spielfilm „Delicatessen“ (1991). In dieser Endzeit-Groteske bessert ein findiger Metzger das rare Fleischangebot auf, indem er es bei Stellungssuchenden weniger auf deren Arbeitskraft als auf die zarten Rippen abgesehen hat.

Die apokalyptische Vision einer übervölkerten Welt, „Soylent Green“ von Edward G. Robinson, wurde bereits 1973 gedreht. Der Film schildert die Erde im Jahr 2022 als verschmutzten, überhitzten und übervölkerten Planeten. Kommt einem jetzt, im Jahr 2021, gar nicht mehr so visionär vor. Die Ressourcen sind aufgebraucht, die Umwelt ist verseucht, das Klima mörderisch. Alte und kranke Menschen können sich im Film in klimatisierten Instituten einschläfern lassen und sehen noch ein letztes Mal, wie schön diese Welt einst war. Richtige Lebensmittel kann sich nur eine in Luxus schwelgende Elite kaufen, für andere sind sie unerschwinglich. 99 Prozent der Menschen leben in Armut und von Lebensmittelrationen, bestehend aus Soylent green, yellow oder orange. Niemand weiß genau, um was es sich handelt, bis ein Detektiv aufdeckt, dass sich dahinter verstorbene Mitmenschen verbergen.

Nach dieser Schreckensvision wären wir auf dem besten Weg, einander bald verzehren zu müssen!



Schuld und Sühne

Seit der Heiligsprechung der Schrift, herausgegeben als Altes und Neues Testament, waren Gläubige gezwungen, eine nach Gutdünken der Prediger versalzene Glaubenssuppe zu verinnerlichen. Die meisten der angeordneten Gebete beschränken sich zum Glück auf intellektuelle Inhalte, die Gläubige nicht gerade mit überzogenen Anforderungen martern. Unbedarfte Schafe wurden und werden zu Schuldpaketen gebündelt und als willenlose Roboter in Kirchen gescheucht. Jeder tiefgläubige Katholik wird in einem Turm von Schuldgefühlen eingekerkert, eingelagert in bester Nachbarschaft zu seinem von der Priesterschaft vorsätzlich zerfetztem Gewissen, als Strafe für natürlichste menschliche Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen. Er wird sich selbst zum größten, ja übermächtigen Feind. Ein psychotisches Potential wird aufgebaut, das sich nur im Wahnsinn entladen kann. Eine großartige Dressurleistung!

Niemand weiß den Formenkreis der Angst erfolgreicher zu erweitern als die Religion. Schon der Pariser Bischof Wilhelm von Auvergne gab im 13. Jahrhundert offen zu, welche Funktion die von den Theologen formulierten, grell ausgemalten Höllendrohungen hatten: „Nämlich Gehorsam zu erzeugen - genauso wie das auch elterliche Drohungen den Kindern gegenüber bezweckten.“ Manchmal diente es aus Kirchensicht deren reinem Selbsterhaltungstrieb, Schwarzer Mann oder Krampus zu spielen und die Gläubigen in der Hölle der Schuldgefühle brutzeln zu lassen. Über den Klerus stellte ein Kirchenkritiker im 14. Jahrhundert jedenfalls fest: „Würden die Priester nicht von der Hölle reden, würden sie verhungern.“ Um Priester loszuwerden, sollte man also schleunigst die Hölle trockenlegen.

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Das Geschäftsmodell „Hölle“ funktioniert nun ja nur, wenn man dazu auch passende Sünden vorhält. Für besonders feinsinnig halten wir hierbei den Gedanken, ergänzend auch gleich einen naiven „Sündenbock“ bereitzustellen. Diesen Begriff verdanken wir zunächst der Bibelübersetzung Martin Luthers. Er hat den „Sündenbock“ freilich auch nicht erfunden, sondern dieser geht zurück auf Jom Kippur, dem Versöhnungstag im Judentum. An diesem Tag machte der Hohepriester die gesellschaftlichen Sünden der israelischen Nation vor der Versammlung bekannt, während er symbolisch seine Hände auf einen durch Los ermittelten Ziegenbock hielt.

Auch die teilnehmenden Gläubigen konnten bei dieser Gelegenheit ihre privaten Sünden öffentlich machen. Der Bock hingegen wurde gar nicht erst nach seinen persönlichen Sünden gefragt, sondern von einer passenden Klippe aus mit der ihm aufgebürdeten Sündenlast ins Jenseits gestürzt - und schon war man alle privaten und kollektiven Sünden los. Die klugen Juden kannten nämlich noch keine Erbsünde, die ein Volk ja niemals loswird. Sie hielten Sünden weder für übertragbar noch für vererbbar. Wir finden, der Katholizismus könnte hier noch viel lernen.

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Der Einschluss von Gläubigen gestaltet sich für diese angenehmer, wenn ihnen erzählt wird, sie würden im Jenseits für alle erlittene Unbill entschädigt. Ein preiswertes, nicht nachprüfbares Versprechen! Anfangs kam man damit gut zurecht. Seit der Neuzeit hat sich jedoch der Paradiesgedanke etwas abgenutzt. Die geistigen Produkte wurden überarbeitet. Glaubensinhalte der Katholischen Kirche werden jetzt „als Kostbarkeit angeboten, für die es sich zu leben lohnt“!

Ein richtiger Schritt in die falsche Richtung. Der Verdacht, die eigentlichen Preziosen des Glaubens verblieben weiterhin beim vermittelnden Dienstleistungsunternehmen, wurde nicht ausgeräumt. Am kostbarsten wäre die vollständige und ersatzlose Abschaffung der Jenseitssklaverei!

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Eine christliche Partei traf sich einst zur geistigen Labsal jedes Jahr im bayerischen Wildbad Kreuth. Ihr größter Sohn verteilte bei einem dieser Treffen in den Siebziger Jahren viel Labung. Wirtschaftsunternehmen wurde nahegelegt, solange eine knallharte Verelendungsstrategie zu fahren, bis die damals in Bonn regierende sozialliberale Koalition gestürzt sei. Die Parteifreunde, allesamt ideologischer Runderneuerung bedürftig, waren begeistert.

Solch menschenfreundliche Ideen hat man nicht nur in Bayern und sie sind nicht neu, schon gar nicht für Religionen! Christlich-soziale Politik wusste: Elend macht demütig, Demut macht gläubig und Gläubigkeit verlangt Ikonen. Welcher Politiker wollte nicht gerne zur anbetungswürdigen Polit-Ikone werden?

Eine angeblich sozial Schwache vertretende Partei hielt zwanzig Jahre später einen Ausgleich für überfällig. Höheren Machtinteressen zuliebe, wurde mittels einer Bundesratsmehrheit jede Reformbemühung, auch auf Arbeitnehmerkosten, so liebevoll ausgebremst, dass bei den folgenden Wahlen zum Bundestag die Wachablösung gelang.

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Viele Wege führen nach Rom, aber der Königsweg zum Elend ist und bleibt nun einmal die inflationäre Mehrung von Menschen. Nur dann, wenn der Nachwuchs die Ressourcen kräftig übersteigt, ist die Verarmung der Volksmassen garantiert - und von diesem kleinen Unterschied leben die Kirchen!

Man muss den Verelendungsstrategen zugutehalten, dass der Kirche keine Wahl bleibt. Will sie ihr Programm zur Kindermassenproduktion durchhalten, ist sie auf arme bis bettelarme Menschen angewiesen, da erfahrungsgemäß nur jene mit Kindersegen beglückt sind. Umso wohlhabender die Leute werden, umso deutlicher sinkt die Zahl der Geburten. Solche Verelendungsstrategien werden freilich ihre religiös-geistigen Drahtzieher eines Tages in einem Maß mit verelenden lassen, wie sie es sich nicht haben träumen lassen. Ein Damm bricht immer schon, ehe ihn die Fluten sichtbar überborden und meist dort, wo man es nicht erwartet...

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Der Ehrlichkeit halber ist zuzugeben, dass Geburten nicht nur von Geistlichen als Waffe benutzt werden. Das wusste man schon lange vor der Verleihung des nationalsozialistischen Mutterkreuzes für außergewöhnliche Vermehrungsleistungen - und vergaß es auch nicht nach dem Ende des Tausendjährigen Reiches.

In den Sechziger Jahren mahnten die Führer der schwarzen Bevölkerung in den USA, die Zahl der Weißen durch erhöhte Fruchtbarkeit zu überholen. Ähnlich verhalten sich die Palästinenser, die mit fast sieben Kindern pro Familie eine ernstzunehmende Gefahr für den jüdischen Staat zu werden beabsichtigen.

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Die drei großen Weltreligionen abendländischer Prägung neigen seit alters her dazu, Gottes Willen als Strafen an die Menschheit misszuverstehen und dies zur anderen Kulturkreisen fremden Grundidee von Schuld und Erlösung zu machen. Besorgt, dies allein könnte nicht ausreichen, wurden sie selbst zur Strafe, ja zur Geißel der Menschheit. Not, so weiß die Kirche, ist nicht alles, wichtig ist die richtige Vermittlung von Schuld! Als Faustregel gilt: Schuld am Elend hat der, den es trifft. Ein angenehm zu bearbeitendes Thema! Schuld ist zeitlos und heizbar wie ein Ofen, in den man gute Briketts nachlegt. Sofort lodern die Schuldgefühle wieder freudig auf!

Weil das Schüren von Gewissensqualen bei entsprechend vorgebildeten Gläubigen so einfach ist, müssen religiöse Würdenträger ihre Lebensenergie auch nicht mit übertriebener Sachlichkeit vergeuden. Die eingesparte Zeit verbleibt, um an funkelnden Strafpredigten zu feilen. Schuldgefühle-Briketts liegen nur so herum, sie sind lediglich aufzusammeln! Hier eine abschreckende Aids-Epidemie, dort eine brauchbare Pest; hier ein bescheidener Völkermord, dort eine enorme Hungersnot; hier eine kleine Dürre, dort eine gewaltige Überschwemmung; hier ein wirbelnder Wirbelsturm, dort ein riesiges Ozonloch; hier ein unbedeutender Atomunfall, dort ein brandneuer Krieg; hier ein unfreundliches Erdbeben, dort ein verschlingender Tsunami. Kurz gepresst, schon sind die Briketts brauchfertig und können verheizt werden! Alles hat seine Ursache, irgendjemand ist immer schuld: einer, einige, am liebsten (fast) alle!

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Zynische Naturwissenschaftler vertrauen den sogenannten „Mac-Murphy-Gesetzen“. Eines davon besagt, dass dann, wenn sich zwei extrem seltene Ereignisse naturgesetzlich wechselseitig völlig ausschließen, diese immer sofort und gleichzeitig eintreten. Solch ein praktisch völlig unmöglicher Fall muss vorgelegen haben, als der Religion eines Tages nichts Neues mehr einfiel, womit Schuldgefühle erzeugt werden konnten. Die Kirche war fassungslos! So etwas war noch nie passiert, durfte nie wieder passieren!

Unerschöpfliche Schuldgefühle, quasi Dauerbrenner, mussten her! Etwas, das in jeder Generation neu aufloderte, selbst wenn es sonst nichts, aber auch gar nichts mehr zum Verfeuern gab. Verfehlungen, bei denen eine durchschnittliche Todsünde sich zu Tode erschreckt und das Weite gesucht hätte. Der Gedanke der Erbsünde war geboren! Diese schwere Sünde, die so viel Schuld auf sich zog, dass sie den Samen der Sünde vererbbar machte, verlangte natürlich eine ordentliche theologische Begründung.

Die Kirche erinnerte sich an die Väter der Erbsündenlehre, an die sieben Wächter der Gnosis, die Neugeborene auf ihrem Weg zur Erde passieren müssen, um dabei alle Bosheiten der Welt aufgeladen zu bekommen. Und sofort ging sie in die Vollen! Obwohl der Sündenfall Lichtjahre zurücklag, wurde er posthum dem ersten Menschen angehängt. Schon aus diesem Grund könnte sich die Kirche mit der Evolutionstheorie nie und nimmer anfreunden. Von Generation zu Generation wurde nun die Erbsünde weitergereicht, deren Schatten seither auf unschuldige Kinder fällt. Dauersünden ziehen Dauerstrafen nach sich! Selbst für jene, die gar nicht an die Sünde glauben, aber dank ihrem Erbgut zumindest an deren psychische Entsprechungen. Im Interesse einer überschaubaren Darstellung sei uns diese etwas schludrige Darstellung der historischen Erbsündentheorie gestattet.

Nun konnten endlos Strafen Gottes für die schon bei der Geburt vom Menschen mitgeführte Schuld und Sündhaftigkeit verhängt werden. Dem Gravitationsdruck einer solchen Sünde hält kein Gläubiger stand, der Verstand sowieso nicht. Ein wahrer Dauerbrenner, hinter uns und vor uns! Darüber werden häufig die furchtbarsten aller Strafen vergessen: die Religionen! Sie sind für Menschen, die sich religiös den Verstand stehlen lassen, nicht eine, sondern die Strafe Gottes!

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Gottlob können Schuld und Schulden beglichen werden - bei unseren Seelenerlösungsbetrieben der besonderen Art! Gewinnorientierte Religionen sind in der Lage, die Last der Sündhaftigkeit abzunehmen, wenn zuvor die noch größere Last der Frömmigkeit aufgepackt wurde. Niemals hätte der Ablasshandel solch märchenhafte Einnahmen beschert, wäre nicht der römische Bischof Gregor der Große (590 - 604) auf die Erfindung des Fegefeuers gekommen. Menschliche Seelen waren fortan zu läutern, um in den Himmel zu gelangen. Lesen teurer Messen etc. verkürzte die unangenehme Wartezeit aufs Paradies. Rom stand mit dem Ablass vor allem seinen Geistlichen bei! Für zwölf Dukaten war es jenen erlaubt, ganz nach Gefallen Hurerei, Ehebruch, Blutschande und Sodomiterei zu treiben (sinngemäß v. Corvin, Pfaffenspiegel).

Eines Tages fand sich die Kirche überfordert, die unermesslichen, aus den Ablassverkäufen fließenden Summen alleine einzutreiben und erfand eine Art Franchising. Der Ablasshandel wurde teils an große Unternehmer für bestimmte Summen verpachtet, die ihn wiederum an Unterpächter weiterreichten. Für besonders sündige Mitbürger lohnte die Anpachtung eines Ablassanteils zum Selbstverbrauch.

Investitionen in die seelische Zukunft waren durchaus lohnend! Schließlich wurden die abscheulichsten Sünden vergeben: Eltern-, Geschwister- und Kindermord, Blutschande, Meineid... Manch vermögender Zeitgenosse kaufte vorsorglich Ablass für mehrere hundert Jahre ein, wohl bedenkend, dass dies zwar die natürliche Lebenserwartung deutlich überschritt, wohl aber für einzelne Sünden im Fegefeuer dreißig und mehr Jahre zu schmoren waren. Da kamen leicht einige hundert Jährchen zusammen, die kluge, wohlhabende Mitbürger rechtzeitig abzubüßen wussten.

Das vor rund 500 Jahren errichtete größte Gotteshaus des Abendlandes, der Petersdom, fasst rund 60.000 Menschen. Mehr als 100.000 passen auf den barocken Platz vor der Basilika. „Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“, soll Jesus einst verkündet haben. Als der heilige Petrus am Kreuz gestorben war, wurde er angeblich an dem Ort beerdigt, an dem heute dieser Dom steht. Der Neubau der monumentalen Kirche wurde durch den Verkauf von Ablässen finanziert, womit klar sein sollte, auf welchem Fundament diese Kirche ruht.

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Manche Naturvölker kennen nicht einmal ein Wort für „Schuld“. In der christlich-abendländischen Kultur wirft hingegen Schuldhaftigkeit lange Schatten über das kollektive Leben. Angesichts dessen, wie mit allem und jedem umgegangen wurde und wird, wandelte sich unschuldiges Leben im Rahmen einer sich selbst erfüllenden, religiösen Prophezeiung tatsächlich zur Schuld, wurde zu einer einzigen großen Sünde, wenngleich nicht zu jener, die die Kirche so schön und profitabel zu erklären weiß.



               Alte und neue Seelsorger

Sexuelle Probleme sind das Brot des Psychologen! Der moderne Mensch sucht bei Beziehungsproblemen heute lieber Psychotherapeuten statt allzuständige Priester auf. Der Religion entkommt er gleichwohl nicht. Schneller als gedacht, gelangt er zu religiös eingestanzten Schuldgefühlen. Fragen der Sexualität berühren das Reich der Religion, Fragen der Religion streifen das Hoheitsgebiet der Sexualität!

Keine Rolle spielt, ob Hilfesuchende einer Kirche angehören oder nicht. Religionen prägten die Gesellschaft bis in feinste Verästelungen und durchsetzten bewusste und unbewusste Lebensinhalte. Wandelnde Schuldgefühle auf zwei Beinen, konfessionslos oder nicht, werden in Psychologenpraxen gespült, um ihr Leid auszubreiten.

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Die Therapie, die Religionen für von ihr verbrochene Seelenkrankheiten anbieten, war und ist der Glaube. Über viele Jahrhunderte stellte er seine entlastende Funktion bereit. Erst der Niedergang der Kirche führte zur explosionsartigen Mehrung neurotischer und psychotischer Erkrankungen.

Besänftigende, verdummende Glaubensrationen werden einfach nicht mehr abgeholt. Menschen mögen sich immer weniger mit dem über viele Generationen weitergereichten Religionsbetrug zuschütten. Immer seltener ist die abtrünnig gewordene Klientel bereit, durch Konsum von Glaubensvalium ihre Ausflüge in luzidere (ungetrübtere) Bewusstseinsschichten abzubrechen. Das freut Psychologen und ärgert die Kirche! Seither hetzt die Religion ihre beißwütigsten Hunde, die Strafen Gottes, auf die Seelenkrankheiten. Wer sich vom Glauben befreit, wird von Gott mit Neurosen und Psychosen heimgesucht. Gemeint ist natürlich, wer sich von der Bevormundung der Kirche zu befreien sucht, wird zur Strafe seelisch geschlachtet.

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Auch unter Psychologen treiben sich gern schwarze Schafe unbefugt auf religionsnahem Territorium herum. Ein paar Nachhilfestunden sollten sie bei den Kollegen mit der tausendjährigen Erfahrung allerdings schon nehmen, denn diese wissen um die geheimnisvollen Zusammenhänge zwischen Glauben, Schuld und Sünde.

Die intellektuelle Grundausstattung der selbsternannten Priester aus der Psychoecke reicht nicht immer so weit. Wird erkannt, dass Neurosen und Psychosen, die versiegender Glaube aufbrechen lässt, religiösen Ursprungs sind, hält mancher Vorzeige-Analytiker die therapeutische Arbeit für beendet und postuliert: „Gesund wird nur, wer seine Religion wiederfindet!“

Mit dieser Analyse demontiert sich die Psychologie selbst! Solchen Psychologen ist es nicht gelungen, sich selbst von religiös konsumierter Dummheit zu emanzipieren. Sie finden es mühsam, in Patienten aufgespeicherte, sich als Neurosen und Psychosen entladende Destruktivität aufzuarbeiten. Attraktiver scheint ihnen, seelischen Erkrankungen wieder einen Glaubensdeckel aufzusetzen und sich durch an Wunder grenzende Schnellheilungen in den Stand der Priesterschaft zu erheben.

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Sobald die Psychokaste so tief gesunken ist, dass sie als pseudoreligiös herrschende Priesterschicht am besten weiß, wie es der liebe Gott gerne hätte, sollten sich Patienten einen nicht unwichtigen Körperteil mit analytischem Speichel befeuchten lassen und schleunigst das Weite suchen. Wir empfehlen in diesem Fall, sich besser erneut der Kirche zum Fraß vorzuwerfen. Sie bedient sich keiner kostspieligen Psychoanalyse, sondern schmiert Neurosen und Psychosen preiswert wieder mit Glauben zu.

Rennt man der Kirche religiöse Türen ein, trifft man wenigstens auch auf erhabene Baulichkeiten, auf klösterliche Paläste oder königliche Stifte mit Kunstschätzen. Religiöse Ausbeutung und gläubige Verdummung atmen zumindest mitunter tröstende Tradition und nicht die stickige Luft sonnenloser Analytikerzimmer. Außerdem wurde diese Therapie schon bezahlt - mit Blut und Schweiß von Generationen!

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Wer das religiöse Angebot übertreffen möchte, wird auf den dornenreichen Weg einer psychoanalytischen Freisprengung verdrängter destruktiver Kräfte nicht verzichten können und deren Eruptionen aushalten müssen. Sezierende Analysearbeit führt zur Aufdeckung und Auflösung lebensfeindlicher, betrügerischer, ausbeutender Unterdrückungsmechanismen uralter Religionen. Lebensreisen dieser besonderen Art gleichen daher für beträchtliche Zeiträume einer Selbstdemontage und ungewiss ist, ob die Lebenszeit hierfür überhaupt ausreicht!



         Religiös belagerte Lebensübergänge

Greift man Gegner bei der Kriegführung nach dem Zufallsprinzip an? Natürlich nicht, man geht strategisch vor, belagert Burgen, zerschlägt Waffenproduktionen, schneidet Nachschubwege ab, besetzt Nervenzentren des gegnerischen Territoriums.

Religiöse Kriegführung gegen Gläubige folgt diesen althergebrachten Grundsätzen. Menschliche Lebensübergänge werden systematisch belagert: Geburt, Kindheit, Pubertät, Liebe, Heirat, Krankheit, Alter, Tod. An diesen großen Schicksalswenden des Lebens ist die Ausbeutbarkeit von Gefühlen, Freiheit und Liebe, besonders groß. Keine wichtige Station im Leben, an der uns nicht der Beistand der Religion auf mehr oder weniger gewalttätige Weise ereilte. Kirchen verleiben sich das Leben ihrer Gläubigen-Untertanen ein, von der Geburt bis zum Tod! Unzählige Aufgaben, die jedes soziale Gebilde ohne religiöse Einmischung billiger und besser erfüllen könnte, werden von Religionen vereinnahmt und zu überhöhten, „freiwillig“ oder über Kirchensteuern zu bedienende Kosten angeboten: Kindergärten, Altenbetreuung, Krankenpflege, Waisenhäuser, Fortbildung, Büchereien, Musik, Gesang, Flohmärkte und anderes mehr. Verbunden mit dem unschätzbaren Vorteil, dort die religiöse Sklavenpflege in sublimierter Form flächendeckend ausüben zu können.

Wer nicht aufpasst, wird nicht nur besetzt, sondern in die Ferne geschickt, auf große Pilgerfahrt. Er reist nach Rom, pilgert nach Mekka, schwimmt im Ganges oder erklimmt einen der unzähligen heiligen Berge. Der frommen Stätten gibt es viele! In Europa pilgert man nach Lourdes oder ins spanische Santiago de Compostela, während einfachere bayrische Gemüter wenigstens nach Altötting wallfahren. Das mögen durchaus attraktive Reiseziele sein, vergessen wird aber leicht, wie sorglos man ohne all das schwere Religionsgepäck reisen und meditieren könnte.

In welch eisernen Griff Religionen ihre Glaubenssklaven nehmen, zeigen von ihnen veranlasste Umsiedlungsaktionen. 1947 zogen auf dem indischen Subkontinent acht Millionen Menschen in die neu gegründeten Staaten Indien und Pakistan um, statt gemeinsam weiterhin mit ihren ehemaligen Nachbarn, Hindus oder Moslems, zu beten. Damit einhergehende Gewaltausbrüche kosteten eine Million Menschenleben.

Einige der besetzten Schlüsselstellen sind besonders heilig, allen voran jene der Jugendreife und Liebe.



Liebe

Ganz besonders verwerflich sind Religionen, deren Gott sich nicht mit anderen Göttern verträgt (Regelfall), ja der so missgünstig ist, dass er gar die Liebe zu Gotteskindern anderer Religionen untersagt. In Wahrheit unverträglich sind freilich nicht solche Götter, sondern deren unerträgliche Erfinder, Eiferer und Förderer. Von allen Lebensübergängen, denen der Mensch unterworfen ist, ist jener der Jugendreife und Liebe der stürmischste und vielleicht schmerzlichste.

Wer der Kirche nicht glauben wollte, dass man vorrangig nicht etwa gottgefällig aus Liebe heiraten darf, sondern nur um ein kirchen- und pfaffengefälliges Leben mit einem religionsnahen Gemahl zu führen, der war zumindest früher nicht zu beneiden. Gestattete man sich seinen ehrlichen Gefühlen zuliebe, etwa einen Partner einer anderen Konfession zu heiraten, dann wurde man exkommuniziert. Und das ist immerhin die härteste Strafe der katholischen Kirche diesseits der Hölle. Fortan war man von allen Sakramenten ausgeschlossen, was weit weniger schlimm war als die damit oft verbundenen vernichtenden sozialen Konsequenzen.
Die vielen armen dummen Menschen, die sich so hintergehen ließen.

Wie biegsam ist doch Gottes menschengemachter Wille, so dehnbar wie die Katholische Kirche selbst. Heute, mit dem Rücken zur Wand, folgt einem solchen Verstoß wie von Zauberhand plötzlich nicht mehr automatisch die Exkommunikation! Wir erwarten aber auch noch eine ganze Reihe anderer großartiger Veränderungen, eben immer dann, wenn es gar nicht mehr anders geht und irgendein Konzil deshalb eine spektakuläre Eingebung erleiden muss. Dann werden die Sanktionen feiner justiert, gemildert, abgeschafft und, bei Bedarf, auch wieder geschärft. Sogar das Zölibat wird irgendwann nicht mehr der Weisheit letzter Schluss sein, sondern religiöser Scharfsinn wird sich eine von Gott kommende Erleuchtung gönnen und diese grandiose religiöse Bosheit reparieren.

Und irgendwann, irgendwann wird uns vielleicht sogar die brillanteste und gottgefälligste aller religiösen Umgestaltungen ins Haus stehen, nämlich die vollständige Abschaffung dieser Kirche selbst. Die zahllosen Prachtgebäude und Grundflächen versilbern wir dann und verteilen das Geld gerecht. Schon gäbe es keine Armen mehr, für die diese Religion dann noch gebraucht würde!

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Millionen Menschen türkischer Herkunft leben seit Beginn der großen Einwanderungswellen in Deutschland. Berlin soll eine der größten Städte der Türkei sein. Wir erlauben uns zu hinterfragen, ob es klug ist, immer dann, wenn die Wirtschaft eines Landes überkocht und nach ausländischen Arbeitskräften schreit, eine Völkerwanderung zu veranstalten, statt den Herd kleiner zu stellen. Schließlich kocht häufig nicht nur die Wirtschaft über, sondern die Dummheit samt ihrer Schwester „Gewinnsucht“.

Solche Wirtschaftspolitik, angeblich der Völkerverständigung dienend, führt im Gegenteil gerade zur Verbreitung der gefährlichsten Seuche, dem Völkerhass. Ganz besonders wenn man „billige“ Arbeitskräfte ins Land holt, die Unterschicht, die aufgrund mangelnder Bildung besonders schwer zu integrieren ist. Aber letztlich spielte das hierzulande ohnehin keine Rolle, da man sich um die Gastarbeiter, also unsere Gäste, außerhalb ihrer Arbeitskraft kaum kümmerte, geschweige denn nennenswerte Integrationsbemühungen unternahm.

Noch unwichtiger schien es den Betreibern solch hirnrissig unternommener Menschenumsiedlungen, dass viele der Neuankömmlinge überflüssigerweise auch noch mit einer mitunter Christen nicht rundum wohlgesonnenen Religion ausgestattet waren, einer Religion die im tiefsten Inneren Christen manchmal sogar ganz einfach für ungläubige Schweine und Männer für unbeschnittene Hunde halten soll. So blieb den Gästen wenig anderes übrig, als sich schon früh nur in ihren engen eigenen ethnischen Kolonien zu bewegen.

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Eine Suppe schmeckt man auch ab! Wer Zutaten nur beliebig in- und durcheinander rührt, erhält ein ungenießbares Mahl. Wie sollen denn so viele Menschen mit all ihren unterschiedlichen Erwartungen und Gefühlen, mit ihrem andersartigen Glauben und geschichtlichen Hintergrund in weniger als einer Generation plötzlich friedlich, vernünftig, harmonisch miteinander auskommen? Blankes Wunschdenken zumindest bei solch eingangs geschildertem fehlendem Integrationsbemühen! Mitunter reichen noch nicht einmal die Lebensspannen mehrerer Generationen zur Erzielung eines vernünftigen Ergebnisses aus.

Nun leben hierzulande, nach dieser beachtlichen Bevölkerungsverschiebung während der Wirtschaftswunderzeit, nicht nur Kinder und Alte, sondern attraktive junge Menschen beider Volksgruppen, die sich doch kaum Tag und Nacht aus dem Weg gehen können. Auf irgendwelchen wundersamen Wegen gelingt dies aber trotzdem, sonst könnte es kaum sein, dass nur ein einziges mageres, halbes Prozent aller Eheschließungen von jungen Türken in Deutschland Mischehen sind, zumindest wenn man die Doppelstaatlichkeit vieler deutschstämmiger Türken außer Betracht lässt.

Unwahrscheinlich ist, dass der Geschlechtstrieb immer dann einen großen Bogen um junge Türkinnen macht, wenn sie jungen Deutschen begegnen und umgekehrt. Verbieten Eltern beider Volksgruppen ihren Kindern entsprechenden Umgang? Wenn ja, müssen zuvor den Eltern solche Kontakte verboten worden sein! Als Straftäter hierfür kämen naturgemäß wieder die Religionen in Betracht.

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Viele Verbrechen gibt es auf Erden, aber das wahrhaft schlimmste ist eine tiefe, ehrliche Liebesbeziehung. Diese Schlüsselstelle menschlichen Lebens wird nicht nur von Kirchen belagert, sondern von verschiedensten Interessengruppen. Eltern, die bei der Schwiegertochter das ausreichende Liebe beweisende Vermögen vermissen. Schwiegereltern, die beim Schwiegersohn ein genügend Zuneigung verbürgendes Einkommen bemängeln. Adel, der bei Einheirat einer bürgerlichen Braut weniger die Verschmutzung blauen Blutes fürchtet als den Absturz in die Normalität. Schlimm genug, aber noch weit ärger ist es, dass die unerträglichsten Trittbrettfahrer die Religionen sind.

Abseits der Religion findet pseudoreligiös ausgerichteter Rassenwahn artfremdes Verlieben gleichfalls selten lustig, aber niemand wehrt sich erbitterter gegen die Hereinnahme andersgläubiger Kuckuckseier als die Kirchen. Liebe konnte zwar schon immer tödlich sein, jedoch am pikantesten schmoren amouröse Verfehlungen bei der Religion! Schlimme Sünden bedrohen die ehrliche Liebe junger Menschen unterschiedlicher Glaubensbekenntnisse! Durchbricht Liebe Konfessionsschranken, ist von der Todsünde zur Todesstrafe oft nur ein winziger Schritt.

Heiß brennende Liebe, die religiösen Morddrohungen widersteht, verkohlt leicht auf Scheiterhaufen. Können Liebende selbst unter Todesgefahr nicht voneinander lassen, endet ihre Beziehung in manchen Staaten noch heute mit der öffentlichen Lustbarkeit einer Hinrichtung.

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Kehren wir zurück zu unserem deutsch-türkischen Liebespaar. Warum „funkt“ es nicht? Sie haben es nicht einfach, zueinander zu finden! Beide Volksgruppen leben gut getrennt nebeneinander her. Entweder wurden die Türken von den Deutschen, die vom Ghettobau etwas verstehen, eingekesselt, oder die Türken verschanzten sich ohne Not in territorialen Wagenburgen grob überfremdeter Stadtviertel. Schade! Hierzu mussten nicht Millionen türkischer Gäste zum Arbeiten nach Deutschland eingeladen werden. Zuwanderer, die nicht sinnvoll eingebürgert werden, werden sich hier nicht wirklich heimisch, der Heimat aber fremd und strotzen schon aus diesem Grunde selten vor Lebenszufriedenheit.

Tatsache ist, dass mit gar nicht so wenigen unserer Einwanderer, die seit vierzig und mehr Jahren hier leben, immer noch kein vernünftiges Gespräch in deutscher Sprache möglich ist, was aber nicht heißen soll, sie hätten deswegen keinen deutschen Pass bekommen. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass wir hier von einem staatlich geförderten Import einer sozialen Katastrophe sprechen müssen. Wörter die natürlich sich „politisch korrekt“ verhaltende Mitbürger niemals in den Mund nehmen würden.

Wer ist für diese geniale Stadt- und Wohnstruktur verantwortlich, die nicht ein-, sondern ausgliedert und zulässt, dass ganze Städte in einander fremde Kulturkreise im latenten Belagerungszustand zerfallen? Es war nicht so, dass ausländischen Mitbewohnern bestimmte Stadtteile zum Bezug zugewiesen wurden. Die Zuzügler wurden in aller Stille von gemeinsamen Gewohnheiten, gemeinsamen Traditionen und vor allem ihrer Religion eingesammelt, die sie vor den „Ungläubigen“ errettete! Untereinander ließ sich vieles in der Muttersprache abwickeln, was nicht gerade einen besonderen Anreiz darstellte, im Gastland heimisch zu werden und eine fremde Sprache zu lernen.

Es gibt durchaus Einwanderungsländer, wie z.B. Kanada, die weniger glücklos agieren, weil sie neuen Gästen anfangs vorschreiben, wo sie sesshaft werden sollen, um eben gerade die oben beschriebene fatale Entwicklung zu verhindern. Als besonders unglücklich erwies sich in diesem Zusammenhang, dass man die „Gäste“ hauptsächlich zu all jenen Tätigkeiten einlud, für die man die einheimische Bevölkerung nicht mehr ordentlich bezahlen wollte. Naturgemäß reisten deshalb eher einfacher gestrickte Menschen an, die besonders leicht von der eigenen Priesterschaft eingesammelt werden konnten.

Die einheimischen Hohen Priester waren über den Rückzug der religiösen Eindringlinge ins selbst geschaffene Ghetto hocherfreut. Je unterschiedlicher sich beide religiöse Welten entwickelten, umso mehr wurde die multikulturelle Gesellschaft, die deutsch-türkische und sonstige Freundschaft gepriesen. Jeder Religion ist jede Lösung recht, solange die eigenen Glaubensschafe brav mit der Herde wandern und keine kirchlichen Bastarde zeugen. In Fragen der Liebe verstehen religiöse Konkurrenten nun einmal keinen Spaß! Wir wiederholen: Die Herrschsucht ist die Liebe der Religionen! Ihnen das Verständnis wahrer Liebe zu vermitteln, ist schwieriger als Schneebälle zu rösten. Das gilt natürlich nicht nur für religiöse Führer, sondern auch für all jene Demagogen, die geschickt den Fanatismus der Religionsfeindseligkeit in kalten, langbrennenden Nationalhass zu verkehren wissen und das Blut völkischer Fanatiker zum Sieden bringen.

Theologisches Scheidewasser, das gelernte Kleriker zwischen wahrem und falschem Glauben verströmen, scheidet wahre von falscher Liebe. Religionen ist die Reinhaltung des Glaubens, was destruktiven Wahnideologien reines Blut ist, das sich nicht rassenschänderisch mischen darf. Kreuzungen mit dem falschen Glauben an den noch falscheren Gott werden so unnachsichtig verfolgt wie die Vermählung mit dem falschen Blut der falschen Rasse. Je systematischer Erotik, Liebe und Sexualität zur Erzielung blütenweißer Frömmigkeit ausgetrieben werden, desto vollmundiger beschwören fromme Platzanweiser die Liebe unter Menschen und Nationen.

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Dem Zusammenleben multikultureller Gemeinschaften ist alles zuzutrauen, nur nicht, dass sie auf Dauer zufriedenstellend funktionieren, solange unterschiedliche Religionen mit im Boot sitzen. Religionen und ihre Götter bekriegen sich bis zum letzten Atemzug! Scheinbar friedliches Zusammenleben beruht auf kurzfristig einenden Interessen oder auf langfristig religiöse Feindseligkeiten unterdrückenden Staatsformen.

Religionen spalten Völker noch nach Jahrhunderten und Jahrtausenden scheinbar friedlichen Zusammenlebens. Ein nichtiger Anlass und das soziale Zusammenleben zerspringt in so viele Bruchstücke wie es Religionen im betreffenden Staatswesen gibt. Dem folgt wechselseitiges, blutrünstiges Abschlachten, wie man es frommen Gläubigen, die „nicht töten dürfen“, kaum zugetraut hätte. Jüngstes, leider nicht einziges Beispiel war der Zerfall des jugoslawischen Staatsgebildes in Orte der Grimmigkeit und des Hasses.

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Der nicht gering zu schätzende Konformitätsdruck unter den Zugewanderten ist oft stärker als der Assimilationsdruck des Einwanderungslandes. Das macht es Religionen leicht, Einwanderer zu Gefangenen ihrer ethnischen Gruppe zu machen. Vor diesem ungünstigen soziologischen Hintergrund werden sie nicht selten von radikalisierten Strömungen rekrutiert, wie etwa derzeit von islamistischen, die moderate Gläubige, die gleichermaßen dem Islam angehören, wie etwa noch vor nicht allzu langer Zeit in der Türkei, nur belächeln würden.

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Dabei haben es Zuwanderer auch ohne spaltende Religionen schon schwer genug, sich mit der einheimischen Bevölkerung zu mischen. Wandern Fremde ein, werden Lebensraum, Arbeit und Nahrungsmittel jedenfalls zunächst knapper. Fremdenfeindlichkeit scheint daher manchen Alteingesessenen vorteilhaft, aber eben nur vermeintlich! Werden Ausländer vernünftig integriert, und das ist harte Arbeit, kann das durchaus aussichtsreich sein. Nur Sozialromantiker halten allerdings Integration für ein von selbst funktionierendes Naturgesetz.

Im Vergleich zur Natur kann man jedenfalls sicher sein: Nichts macht die eigene Art so stark wie die Vermischung mit Fremden! Damit sind wir wieder bei der vorstehend ausreichend beschriebenen „intelligenten“ Siedlungspolitik, die Apartheid fördert, und der Religion, die Vermischung um jeden Preis verhindert.

Nach einer Untersuchung des US-Wochenmagazins Newsweek im Jahre 2004 erzielten die Länder Nordeuropas die sechs Spitzenplätze in der Welt im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit, hohes Einkommen, funktionierende Demokratie und ausgeprägtes Umweltbewusstsein. Dies verdankten sie nicht zuletzt ihrer homogenen Bevölkerungsstruktur, in der nicht blinder Goldrausch Völker zusammenwürfelte, sondern hohes Verantwortungsbewusstsein eine moderate Einwanderung begleitete. Wer Einwanderung aber so gestaltet, dass die zusammengeführten Bewohner ihre Kräfte im Kampf gegeneinander aufreiben (müssen), verpasst stattdessen genau die positiven Seiten, die Zuwanderung auch bietet. Künftige Konflikte werden geradezu mit Präzision vorprogrammiert.

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In Deutschland kam man immerhin schon vierzig Jahre nach den ersten riesigen Zuwanderungswellen darauf, dass es nicht schaden könnte, Einwanderern mehr oder weniger zwingend die Sprache des Gastlandes beizubringen. Menschen, die miteinander sprechen können, haben nun einmal zweifellos mehr Freude aneinander.

Wie wichtig vernünftige Integration wäre, zeigt der Umstand, dass deutsche Kinder intaktem Familienleben bevorzugt in Ausländerehen begegnen, wo Wärme, Wert und Sicherheit der Familie noch vorgelebt wird. Diese wiederum könnten versuchen, sich von der (auch vorhandenen) inneren Hölle der Familie zu befreien, ohne diese Werte gänzlich aufzugeben, wie es vielfach deutsche Familien taten und die so einen hohen Preis für das vermeintlich individuelle Glück bezahlen. Stattdessen wird über Parallelgesellschaften gejammert, während man die für die Zukunft überragend wichtigen Ausländerkinder durch miserable Ausbildung verkommen lässt.

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In Holland kippte kurz nach der letzten Jahrtausendwende die Stimmung! Die sich gegen den weiteren Aufbau einer multikulturellen Gesellschaft wendende Partei Pim Fortuyns wurde aus dem Nichts stärkste politische Kraft. Wurde vor Jahren noch über die Öffnung von Moscheen gestritten, zankte man sich nun über deren Schließung. Gerade die zweite oder dritte Generation muslimischer Einwanderer greift gerne auf das abfedernde soziale Netz zurück, lehnt aber sinnigerweise die dem zugrunde liegende westliche Zivilisation ab, beklagte Pim Fortuyn. Deshalb sollten Ausländer künftig so holländisch werden, dass sie als solche nicht mehr erkennbar waren. Und es sollte, jedenfalls damals, in Holland nicht mehr reichen, irgendeinen Gott anzubeten, es sollte wieder der richtige sein!

Zum Vergleich: Um die vorletzte Jahrhundertwende gab es eine massive Einwanderungsbewegung aus Polen nach Deutschland. Außer polnisch klingenden Namen vieler Mitbürger erinnert daran heute nichts mehr. Das heißt nicht, dass die Polen den richtigen Gott hatten, aber sie hatten denselben wie das Einwanderungsland.

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Wir entscheiden uns für eine uns angemessen erscheinende Variante des amerikanischen Modells „Busing“, bei dem Schulkinder in entferntere Schulen gefahren wurden, um der Rassentrennung entgegenzuwirken. Die Religionen werden in Busse gesetzt und so lange durch die Völker gekarrt, bis sie zugeben, dass alle Götter handgemacht sind und aus dem gleichen selbstsüchtigen Priesterfleisch bestehen.

Der beste Schutz sozialen Friedens zwischen verschiedenen Rassen und unterschiedlichen Kulturen ist nun einmal die Begegnung ihrer Jugend in Liebe und Sexualität. Weder Busing, Quoten, guter Wille oder Gewalt zaubern Frieden und Aussöhnung herbei, wenn die Religionen nicht entmachtet und vom Futtertrog der Liebe entfernt werden. Künftig sei es ihnen bei Todesstrafe verboten, sich der Liebe weiter als der Bannmeile eines Lichtjahres zu nähern, denn ihre Liebe ist „kälter als der Tod“!

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Seiner ethnologischen Struktur nach hätte Brasilien vor dem Zweiten Weltkrieg, die Übernahme des europäischen Nationalitäten- und Rassenwahns vorausgesetzt, das zerspaltenste, unfriedlichste und unruhigste Land der Erde sein müssen. Stattdessen traf der Emigrant und Schriftsteller Stefan Zweig auf eine für ein Einwanderungsland relativ harmonische Gesellschaft, auf Menschen, denen die von Rassenfanatikern angedichteten zersetzenden Eigenschaften völlig fehlten. Wofür sollten Rassismusparolen auch gut sein? Wie heißt es doch so schön? Alle Menschen sind farbig, auch die Weißen, sie sind rosa!

Diese Erfahrung inspirierte Zweig, in seinem Buch „Brasilien - Ein Land der Zukunft“ (1941) in einer verklärenden Beurteilung Antwort auf die Frage zu geben, wie ein verträgliches Zusammenleben aller Rassen, Klassen, Farben, Religionen und Überzeugungen möglich sei. Was sich in diesem Land zersetzt hatte, waren lediglich vehemente und darum gefährliche Gegensätze, die eine friedliche Gemeinschaft verhinderten. Das angeblich destruktive Prinzip der Mischung, „die Sünde gegen das Blut“, wurde geradezu zum Bindemittel einer nationalen Kultur.

Brasilien zeichnet sich durch eine ungehemmte Durchmischung aller Rassen und Kulturen aus, die unter Verzicht auf die degenerierte Forderung „rassisch rein“ zu einer überdurchschnittlichen Gleichstellung von Schwarz und Weiß, Braun und Gelb führte. Lediglich zwei Volksgruppen, Araber und Deutsche, verweigerten sich beharrlich. Die einen knebelt religiöser Wahn, bei den andern vernebelt der antiquierte Traum vom Herrenmenschentum noch heute manchem die Sinne.

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Werden Liebe und Anziehungskraft hintertrieben, so wird zusammenlebenden Rassen und Kulturen wirkliche Verbindung verwehrt. Das gesellschaftliche Ergebnis gleicht dann einem Teig, dem das Backpulver ehrlicher Liebe verweigert wurde. Auf diese Weise gären unter willkürlich zusammengeschütteten Menschen unversöhnliche religiöse oder ideologische Zutaten unentwegt weiter. Die soziale Gemeinschaft wird zu einem unverdaulichen Gesellschaftsbrei, der permanent in Gewalt und Eruption aufquillt. Wer könnte besser, als die Liebe, klug und harmonisch kulturelle Besonderheiten mit fremden Weltbildern aussöhnen?

Leider gilt dennoch auch für Brasilien: je dunkler die Hautfarbe, desto geringer die Chance gesellschaftlichen Aufstiegs! Die politische, wirtschaftliche und kulturelle Elite ist überwiegend weiß. Stoßen wir im heutigen Brasilien auf eine äußerst gewaltbereite Nation, dann sicher nicht deshalb, weil Stefan Zweigs Erklärungsversuch falsch wäre. Während es weitgehend gelang, die Blutschande des Rassenwahns zu besiegen, treiben sich die Geistesschande der Religion und die soziale Schande grotesker Bildungs-, Vermögens‑ und Einkommensunterschiede fröhlich weiter herum. Geballte gesellschaftliche Not führt naturgemäß zu gebündelter Kriminalität. Fachleute sprechen bereits von „sozialer Apartheid“ und einem „nicht erklärten Bürgerkrieg“.



Geburt

Die Schlüsselstelle Geburt ist nicht minder heiß umkämpft wie die der Liebe. Hier werden die religiösen Weichen gestellt, welcher Gott künftig die größte Anhängerschaft hinter sich schart. Auf Wünsche der Kinder und ihrer im Konfessionsnetz zappelnden Eltern kommt es natürlich nicht an!

So ist es bei vielen Religionen, aber kaum eine verfolgt das gezeugte Leben kompromissloser als die Katholische Kirche. Weiß sie doch besser als jeder sonst um den Wert des in bereitwillige Kinderseelen gehämmerten Glaubens. Frauen haben daher ihr Kind auszutragen, wer es auch zeugte, Gott oder Teufel, Liebe oder Vergewaltigung. Unzählige Bittgesuche vergewaltigter Frauen um eine kirchlich abgesegnete Abtreibung beschied der mächtige Vatikan negativ. Vorsorglich lag den Ablehnungsschreiben als Anlage immer eine gefürchtete Todsünde bei. Schließlich hatte der Heilige Vater die Kinder ja nicht persönlich auszutragen!

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Geistige Vergewaltiger bringen Verständnis für körperliche Notzüchtiger auf, insbesondere dann, wenn man viele Jahrhunderte lang, und bis zum heutigen Tage, auch mit von der Partie war! Nach gründlichem, religiösem Missbrauch der Frau kommt es auf ein bisschen körperliche Notzucht auch nicht mehr an. Die Kirche wäre schlecht beraten, würde sie auf profitables Trittbrettfahren verzichten. Frauen, denen eine kirchliche Abtreibungsgenehmigung wichtig ist, verbürgen die richtige Aufzucht der durch Vergewaltigung empfangenen Kinder im wahren, katholischen Glauben. Hier kennt die Kirche keinen Spaß, noch nicht einmal bei hauseigenen Nonnen!

Wenn kirchliches Erbarmen schon im eigenen Hause versagt, wird klar, warum man in Fragen von Empfängnisverhütung und Abtreibung insgesamt in dogmatischer Härte verharrt. Viele Staaten schließen sich ablehnendem religiösen Verhalten gerne an, sehen sie doch sonst die ausreichende Herstellung des Produktionsfaktors „Mensch“ schnell gefährdet. Ob Frauen dadurch in die Arme von „Engelmacherinnen“ etc. getrieben werden oder nicht, ist dabei allenfalls eine nachrangige Überlegung.

Die Schlüsselstelle Geburt wird nicht nur religiös belagert, sondern verstopft! Ein fetter, schwarzer Klumpen, der Katholizismus, steckt im Geburtskanal und unterbindet das natürliche Fließgleichgewicht zwischen Geburt und Tod, zwischen Leben und Ressourcen.



Jugend

Abnabelungsversuche vom Elternhaus gehen häufig mit Ablösungsversuchen von der ererbten Religion einher. Eine Gefahrenstelle, die Kirchen gut bekannt ist! Für die Wildwasser jugendlichen Aufbegehrens werden erfahrene Priesterkanuten abgestellt, damit potentielle Kirchensteuerzahler nicht aufs offene Meer sonderabgabenfreien Lebens treiben. Kommunion, Firmung oder Konfirmation machen dem Nachwuchs weis, er erhalte kostbare Rechte geschenkt, während er sich nur teuer dienstverpflichtet.

Einige Jugendliche retten ihren gesunden Verstand ins Erwachsenwerden hinüber. Sie wenden sich dann vehement gegen die Religion. Die kostbare Jugendzeit wurde lange genug mit allerlei Ritualen vollgestellt, die sinnvollere Lebensbeschäftigungen verhinderten. Welch anderer Übeltäter als die Religion selbst machte wohl aus frommen Ministranten, ergebenen Religionsschülern, linientreuen Theologiestudenten über Nacht bissige Kirchenfeinde und sarkastische Religionskritiker?

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Eltern sind erwiesenermaßen niemals für Fehlentwicklungen ihres Nachwuchses verantwortlich. Im ungünstigsten Fall muss der jeweils andere Elternteil zur Schuldzuweisung herhalten. Dein Sohn hat..., deine Tochter wird... Es überraschte, verhielten sich geistig-religiöse Eltern anders. Jugendlichen Protest nimmt die Kirche mit der Behauptung fehlender Zuständigkeit gar nicht erst an. Die Schuld an Entgleisungen Jugendlicher, die sich gegen die Religion wenden, wird den Erzeugern zugeschoben.

Psychoanalytisch orientierte Möchtegern-Priester stehlen der Kirche schon lange Kundschaft aus den Beichtstühlen. Jetzt bestand Gelegenheit zur Gegenoffensive. Die Kirche wilderte in Psychoanalytiker-Revieren und analysierte solch jugendlichen Religionsprotest tiefenpsychologisch. Dabei will sie herausgefunden haben, dass religiösem Protest in Wahrheit Aufbegehren gegen die leiblichen Eltern zugrunde liege. Unbewusst projiziere der Nachwuchs seinen Widerspruch gegen die Erzeuger auf die armen religiösen Stiefeltern, während in Wahrheit die geistig-religiösen Peitschenhiebe jugendlichen Aufbegehrens die leiblichen Eltern treffen sollen.

Das kann man auch anders sehen! Beispiel: A stiehlt B eine Bibel, die B wiederum vorher von C gestohlen hatte. Hier erwirbt, rein juristisch betrachtet, C einen direkten Herausgabeanspruch gegen A, ganz egal, ob er die Bibel braucht oder nicht. Die Eltern bemächtigen sich bei ihren Kindern unbewusst dessen, was ihnen die Religion selbst an Lebenskraft und Lebensfreude entwendete. Daher machen die Kinder Herausgabeansprüche zu Recht gegen die Kirche geltend. Der Nachwuchs ahnt, dass die eigenen Eltern auch nur zum Werkzeug religiös-gläubiger Unterjochung wurden und ihre selbst erfahrene Dressurleistung an der nächsten Generation zu vollbringen hatten.



Tod

Werden, Blühen und Vergehen hatten zu allen Zeiten, in allen Völkern, hohe kultische Bedeutung. Verblühen, der Tod, stellt aus religiöser Sicht den wichtigsten Lebensübergang dar. Sorgfältige religiöse Betreuung an dieser Schlüsselstelle lohnt sich für die Kirche daher nicht nur in materieller, sondern auch in geistlicher Hinsicht. Das Grenzerlebnis des Sterbens führt oft selbst jene Menschen wieder an die Pforte der Religion, die sich auf ihrer Lebensreise schon weit von ihr entfernt glaubten.

Plätze, an denen liebgewonnene Tote bestattet sind, sind unserem Seelenleben wichtig. Wir hoffen dort mit Verstorbenen, mit in uns weiterlebenden Eltern und Ahnen, vielleicht mit dem Göttlichen selbst in Verbindung zu treten und ahnen eine Schnittstelle überirdischer Macht. Gedanken an Verstorbene, Tod und Vergänglichkeit des Daseins machen melancholisch. So geschwächt werden wir zur leichten Beute der Religionen, die virtuos auf der Gefühlsklaviatur „das Lied vom Tod“ zu spielen verstehen.

Beim Gedanken an den Tod wird uns tröstender Glaube als Fixpunkt im Universum verkauft, während uns tatsächlich religiöse Leib- und Geisteseigenschaft nachstellen. Gläubige werden um tiefreligiöse Gefühle, um den Glauben an Eltern und Ahnen bestohlen, deren Platz dann religionsgestrickte, gut vermarktbare Götter einnehmen. Ohne ausreichend Freude zu leben und nicht würdig zu sterben, ist die Tragödie des Christentums, das den Tod ins Leben trägt und das Leben ins Reich der Toten hinüberlügt. Wer mag sich guten Gewissens in einer durch solche Weihe beschmutzten Erde zur letzten Ruhe betten?



                      Gut und Böse

„Wenn das Böse nur geschieht, damit die Gnade Gottes möglich wird?“ (Franz Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh).

Man kann eine neue passende Religion erdenken, wenn sie gerade gebraucht oder zumindest für nötig gehalten wird (siehe oben die Ausführungen zu den monotheistischen Religionen im Kapitel „Religionen im Allgemeinen“), man kann aber auch an einer alten festhalten, wenn das erfolgversprechender erscheint. Bayern entschied sich im 16. Jahrhundert, zu Zeiten der Reformation, am Bewährten, sprich am für sich „Guten“, also am Katholizismus festzuhalten.

Was hat man sich nun nicht schon gemüht, Gut und Böse dingfest zu machen? Dabei ist es manchmal doch so einfach: Die Guten waren in diesem Fall die Katholiken und die Bösen die Protestanten und natürlich galt das gegebenenfalls im Nachbarland genau umgekehrt. Der Kampf „Gut gegen Böse“ wurde so in Bayern vereinfachend reduziert auf „Katholizismus gegen Protestantismus“.

Nachdem damals der Adel am besten zwischen Gut und Böse zu unterscheiden wusste, sprich verstand, welcher Glaube (neben taktischen Verheiratungen überzähliger Prinzessinnen und anderem mehr) den beabsichtigten Landräubereien jeweils am zuträglichsten war, begriff man auch gleich welche Religion die gute war und damit auch die richtige. Dieselbe wurde dann der Einfachheit halber jeweils gleich der gesamten ansässigen Bevölkerung übergestülpt. Und dieser streng und religiös fundierte Absolutismus verlangte von den Untertanen auch noch bedingungslosen Gehorsam.

Im Rahmen solcher Herausforderungen darf man dann schon mal etwas härter zulangen. Das tiefkatholische München brachte es von 1575 bis 1591 auf immerhin 40 Hinrichtungen wegen religiöser Delikte. Hierzu reichte schon die Störung eines Gottesdienstes. Was wird sich Gott da gefreut haben, dass er angesichts solch drakonischer Strafen nicht mehr so häufig gestört werden konnte.

Nun dauert die Klärung von Glaubensfragen aber unglücklicherweise manchmal etwas länger. Der im darauffolgenden Jahrhundert Europa besuchende 30jährige Krieg legte zur Beantwortung dieser Fragen nach Gut und Böse den Kontinent in Schutt und Asche und endete erst, als man nicht mehr recht wusste, wofür man eigentlich kämpfte. Am Ende dieses Krieges war das Gute immer nur noch jener Glaube, der seine kriegführenden Söldner am besten bezahlte.



Baum der Erkenntnis


„...aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen, denn welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben.“ So spricht Gott in 1. Mose, 2. Kapitel, Vers 17, bekannt geworden als Sündenfall. Der hier sinnbildlich angesprochene Verlust des ewigen Lebens muss nicht die furchtbarste aller vorstellbaren Strafen sein. Gläubige vieler Religionen befinden sich lieber in einem Himmelbett als im Himmel und freuen sich am Ende ihres Lebens geradezu auf ihre seelische Vernichtung. Die Auflösung in der Allseele, im Nirwana, stoppt das Rad der Wiedergeburt, bringt Erlösung.

Wenig bewegte die Menschheitsseele mehr als die Ergründung von Gut und Böse und überforderte sie. Macht die Beschäftigung mit diesen Fragen Menschsein aus, produziert die Befugnis zur Definition von Gut und Böse Allmächtigkeit.

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Warum setzte man sich in all den Jahren so erfolglos mit der Frage nach Gut und Böse auseinander? Dem dümmsten Ansatz begegnen wir wieder einmal in abendländisch orientierten Religionen. Das Böse wurde verboten, verbannt, vernichtet! Dabei existiert nichts ohne Gegensatz: Das ewige Spiel von Schwarz und Weiß, Licht und Dunkel, Yin und Yang, Gut und Böse, durchwebt Menschen, Gesellschaft und alles Sein. Wie sollte es ein Prinzip der Schöpfung geben ohne jenes der Zerstörung, eine Welt des Bewussten ohne die des Unbewussten? Ein Leben ohne Tod, den Tag ohne Nacht? Was bliebe von einer tonal gebundenen Musik, fände nicht das harte oder männliche Tongeschlecht der Durtöne seinen Gegensatz im weichen, weiblichen Tongeschlecht, dem alle Molltonarten angehören?

Es verwunderte, wären einer Religion, die das Weibliche aus dem Gottesbild boxte, nicht auch bei der Frage nach Gut und Böse verbotene Tiefschläge gelungen. Die Kirche verband das Böse untrennbar mit dem Weiblichen. Ein eleganter theologischer Aufwärtshaken - und das Gute, das männliche Prinzip, war unangefochtener Sieger im Ring.

Wir erinnern an Augustinus und die Sache mit dem Schöpfungsdefekt. Der alte Kirchenlehrer wollte das Böse mit der Behauptung, es handle sich nur um den Mangel an Gutem, wieder in den Boxring zurückholen. Das ist bis heute nicht geglückt!

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Die Bewertungen „gut“ und „böse“ nutzen oder schaden naturgemäß immer jemandem: Staaten, Kommunen, irdischen Stellvertretern, Beamten, Männern, Frauen, Kindern, Alten, Tieren, Pflanzen... Ehrliche, engagierte Auseinandersetzungen über diese Frage sind unverzichtbar! Wir kommen zum Kern der Sache: Nirgends wird mehr gelogen, erfolgreicher betrogen als bei der Frage nach Gut und Böse! Um ein Beispiel zu nennen: Die Machenschaften des CIA waren im letzten Jahrhundert dem weltweiten terroristischen Treiben durchaus ebenbürtig. Die Besatzung des Weißen Hauses überholte es mit dem Irak-Krieg im Frühjahr 2003 sogar!



Vertauschte Regeln

Gut und Böse sind Spielernaturen. Damit beim Spiel keiner mogelt, hatten sie sich darauf verständigt, dass Gut immer in weißer Farbe erscheint und Böse ausschließlich in schwarzer spielt. Zwar könnte es genauso gut umgekehrt sein, aber an irgendwelche Regeln muss man sich schließlich halten. Eines Tages fand die Religion heraus, wie schön Gläubige hereinzulegen sind, wenn man die Farben vertauscht. Aus der Kenntnis des Bösen lässt sich Gutes ziehen, sagte sie sich und machte ihren Anhängern vor, etwas sei weiß und gut, obwohl es in Wahrheit schwarz und böse war - und umgekehrt!

Der Kirche kam dabei zugute, dass bereits Gregor I. (590 - 604) in seinen Schriften das nötige Rüstzeug zur Unterscheidung von Gut und Böse bereitgestellt hatte. Wichtig ist einzig und allein die Beschaffenheit der Bischofsnasen: „Ein Bischof darf keine kleine Nase haben, denn er muss Gutes und Böses zu unterscheiden wissen, wie die Nase Gestank und Wohlgeruch (v. Corvin, Pfaffenspiegel).“

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Leider passen Schwarz und Weiß in beide Wohnungen, sogar zur selben Zeit. Wird Gläubigen weis gemacht, ein guter, ein heiliger Krieg sei zu führen, töten sie mit Begeisterung. Versichert man ihnen, es sei ehrenvoller, sich wehrlos wie Vieh abschlachten zu lassen, sterben sie kampflos mit demselben Eifer. Schreibt sich das Gute die drastische Verringerung der Kindersterblichkeit auf die Fahne, werden Kinder bis in mütterliche Bäuche der Dritten Welt mit lebensrettenden Operationen verfolgt. Sagt man Gläubigen, das Leben sei heilig, verweigern sie Sterbenden aufopferungsvoll den Tod. Bezeichnet man ein Tier als gut, wird es gehegt und gepflegt. Als böse verleumdete Tiere werden hingegen gnadenlos ausgerottet! Erhält eine Pflanze das Prädikat „gut“, erwirbt sie hohes Ansehen. Wird sie als „böse“ diffamiert, kann sie sich nirgends mehr blicken lassen.

Während wir heute glauben, wir rackerten uns als besonders gute Menschen damit ab, unsere Lebensgrundlagen zu zerstören, sind wir doch nur die Bösewichte von morgen, die Geschäfte von Oberbösewichten besorgt haben. Ziehen wir heute gottgefällig für Kirche, König, Vaterland tötend in den Krieg, werden wir morgen nur Mörder sein, die wieder einmal auf Verbrecher hereingefallen sind.

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Schließlich erteilte die Kirche dem Spieler „Böse“ sogar religiöses Hausverbot und schloss ihn vom fröhlichen Gut-und-Böse-Spiel aus. Alles und jedes musste ausnahmslos „gut“ werden, einschließlich aller Gläubigen! „Böse“ wurde zum Aussätzigen, zum Unberührbaren erklärt, der wie ein Desperado erbarmungslos zu verfolgen war. Im Untergrund kann das Böse seither wählen, was es sein möchte: das eigentlich Böse, das eminent Böse, das satanisch Böse, das absolut Böse, das abgründig Böse, das unsagbar Böse... Die Aufgabe, dies zuverlässig zu unterscheiden, haben wir sachkundigen Religionen mit urteilssicheren Bischofsnasen (siehe oben) zu überlassen, die sich dafür für zuständig erklärt haben!

Natürlich war der Kirche klar, dass es unmöglich war, das Böse auszuschließen. Sie wollte nur die Macht des Bösen selbst ausüben und böser werden als das Böse selbst. Weiter unten, bei der Erklärung von Destruktivität als Ergebnis des verdrängten Bösen, wird dies deutlich. Bosheit wurde fortan unter dem Heiligenschein des Guten ausgelebt. Auf diese Weise ist das als das Gute verkleidete Böse nicht mehr ohne weiteres erkennbar. Boshafter kann man nicht vorgehen!

Mit der Verdrehung von Gut und Böse lassen sich Gläubige bis aufs Blut quälen! Gottesfürchtigen Untertanen war selbst bloßes Hinterfragen nicht gestattet. Wer sich wehrte, wurde mit Todsünden aller Art beworfen und bei schweren Verfehlungen der Einfachheit halber verfeuert. Um von sich abzulenken, schob die Religion alle Schuld auf eine fiktive Gestalt, den „Teufel“ oder „Satan“. Wer bei der Definition von Gut und Böse das Sagen hat, kann über Gläubige herrschen wie der liebe Gott.

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Trotz mehrfacher Abmahnungen bekannte sich die Kirche nicht zu ihrem Betrug. Gut und Böse, alias Weiß und Schwarz, schworen Vergeltung und schmiedeten einen wahrhaft teuflischen Plan. Sie hoben die alten Spielregeln auf und vereinbarten, künftig dürfe jeder beide Farben tragen, was sowohl für einzelne Spielzüge als auch für das ganze Spiel galt. Alles und jedes wurde so durcheinandergebracht, dass heute kaum noch jemand sagen kann, was gut ist und was böse. Das Böse schleicht sich ins Gute, durchwandert, durchsetzt es und umgekehrt. Auf diese Weise verkam vieles zum Boshaften, Verlogenen, Hinterhältigen, Destruktiven!

Die sich überall wiederholende tiefe Gemeinheit unzähliger Menschen ist aus nächster Nähe zu erkennen: verdorbene Familienbeziehungen, sich belagernde Ehegatten, ambivalente Liebesgefühle, streitsüchtige Nachbarn, verschlagene Verkäufer, gehässige Arbeitskollegen, niederträchtige Vorgesetzte, schäbige Volksvertreter... „Gut“ sind dabei aber alle, wollen es sein, glauben oft, dass sie es sind, auf irgendeine Weise: lauter Gute, in einer besseren Welt, auf dem Weg ins beste Jenseits, das es je gab!



Destruktivität

Warum soll man nicht „böse“ sein? Wird es von der Religion verboten, führt das gerade nicht zur Veredelung der Seelen. Das Böse löst sich doch nicht in Luft auf, sondern Gutes und (verdrängtes) Böses verschmelzen zu einem missgebildeten Klotz. Glauben und Gläubigen sieht man das auch an! Was sich nicht verschmelzen lässt, also das verbotene Böse in Reinform, nimmt die Kirche an sich, hegt und pflegt es und verfeinert es zu religiöser Bosheit, über die niemand sonst verfügen darf. Die breite Masse der Gläubigen bleibt ausgeschlossen, sonst hätte sich die Religion die viele Mühe, sie des Bösen zu berauben, gar nicht erst machen müssen.

Wir räumen ein, die kirchlicherseits stellvertretend für Gläubige ausgeübte Bosheit ließ bislang auch nichts zu wünschen übrig! Erst wenn sich die Kirche mit der Verwaltung von so viel enteignetem Bösen überfordert fühlt, stellt sie es wieder den Gläubigen zur Verfügung, damit diese ihre dadurch aufgestaute Wut bei Kreuzzügen, Hexenverbrennungen, Religionskriegen, Zwangsmissionierungen und anderen unappetitlichen Unternehmungen freisetzen können.

Damit ist es freilich nicht getan! Die so verbotene bzw. entwendete Bosheit hinterlässt bei den gläubigen Untertanen Seelenlöcher, die es zu füllen gilt. Diese werden von den Gläubigen mit unbewussten, negativen Gedanken aller Art vollgestopft, vor allem aber mit unbewusster Wut auf die katholischen Räuber selbst!

Wir fassen zusammen! Die Ausgrenzung des Bösen ist die Geburtsstunde der Destruktivität: verdrängte böse Gedanken, die man nicht leben, ja nicht einmal denken darf, mit denen sich, bei allen guten Fegefeuern, nicht einmal in Frieden sterben lässt!

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Destruktivität sucht Unterhaltung! Etwa die Leicheninflation in den Medien, die Blutorgien in Horrorfilmen, die Zerstückelungszeremonien in Computerspielen, vom Zaun gebrochene Kriege usw. ruhen auf diesem soliden Fundament. Religionen gelingt es, natürlichste Triebe so zu verteufeln, dass nur noch diabolische Aktionen mit Blut und Grauen Genuss verschaffen.

Am Aufstieg des Kriminalromans oder -films, mit immer abenteuerlicheren Zuwachsraten, wird dies deutlich. Warum werden sie wohl so gerne gelesen bzw. gesehen? Nach Ansicht von Psychologen, um das Mörderische in sich, die eigene Mordlust zu befriedigen, aber auch um sie dingfest zu machen, quasi die eigene Destruktivität zu entlarven. Kein Wunder, dass man in früheren Zeiten im Wasser von Kranken oft Teufel zu sichten glaubte. Die Verdrängung des Bösen macht krank! Verzichtete man darauf, müsste man auch nicht ständig vor den Blendwerken des Teufels auf der Hut sein, sondern könnte sich mit dem Bösen von Angesicht zu Angesicht, also mit sich selbst, auseinandersetzen. Wir empfehlen, gelegentlich in den Spiegel zu sehen.

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Die Verdrängung des Bösen in Untertanenköpfen führt jedoch auch zu unkontrollierten Reaktionen. Psychotische Ausbruchsversuche dieser destruktiven Kräfte sind von Mensch zu Mensch verschieden. Sie hängen davon ab, wie erfolgreich jemand von Religionen und Pseudoreligionen hintergangen und wie tief so produzierte Destruktivität in entfernte Gehirnwindungen verdrängt wurde. Hier kann der Katholizismus jedenfalls seine perfektesten Produkte vorweisen: Psychosen!

Selbst wenn es nicht zum Ausbruch von Psychosen kommt, bleibt destruktives Material niemals untätig, sondern rollt das Denkvermögen von hinten auf. Während das Großhirn glaubt, im Dienste des Guten zu wirken, wird es zum Sklaven eigener Destruktivität. Das erklärt die zerstörerischen Ergebnisse unendlich vieler, unendlich guter Bemühungen unzähliger guter Menschen, ja der guten Menschheit selbst.

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Die hier beschriebenen Mechanismen enden keineswegs mit dem Niedergang kirchlicher Macht. Zu profitabel sind sportlich-destruktive Vorlagen der Kirche für den Staat. Niemals ist sich die Politik zu fein, auf Dienstleistungen der Religion zurückzugreifen. Weiß sie doch um die Effektivität einer Versklavung durch den Glauben. Säkularisationen etc. lassen obrigkeitliche Bosheit oft nur vom seelsorgerisch-kirchlichen in den geistig-weltlichen Bereich wechseln. Schließlich eignet sich das verdrängte Böse nicht nur für kirchliche Zwecke, sondern auch für allerlei staatliche und sonstige Willkür. Mit destruktiven Kräften belastete Untertanen sind steuer- und ausbeutbar!



Teufel

Man täte gut daran, die hebräische Bibel vorurteilsfrei zu lesen, die im Teufel den Versucher des Menschen sieht. Diese Deutung geht auf dessen ursprüngliche Funktion als „Widerstandleistender“ oder „Ankläger“ zurück. Es handelt sich um jemand, „der hinaufsteigen will auf Wolkenhöhen, dem Höchsten sich gleichmachend, der hoch über den Sternen Gottes seinen Thron aufrichten will...“ Dem folgt gerne ein tiefer Fall, ein sogenannter Höllensturz.

Letztendlich verbergen sich dahinter Warnungen vor Hybris, vor Größenwahn, dem die Strafe auf dem Fuße folgt. Folgerichtig erscheint in Darstellungen des Judentums der Satan manchmal als Engel, der von Gott verstoßen worden ist, weil er sich über Gott stellte, selbst Gott sein wollte.

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Wenig wissen wir vom Teufel, dem Botschafter der Hölle, in seiner gegenwärtigen Gestalt! Immerhin ragt seine wirkliche Geburtsstunde deutlich aus der Vergangenheit empor. Er wurde jedenfalls in seiner heutigen Erscheinungsform aus der Taufe gehoben, als Menschen nur noch „gut“ sein sollten und all das in den Untergrund verbannt wurde, was Menschen auch ausmacht: zur rechten Zeit in der rechten Weise böse zu sein!

Wie Kaninchen aus dem Hut sind natürlich auch Teufel nicht zu zaubern. Die Religion, bemüht um bürgernahe Auftritte, forschte tief in der Volksseele und fand das passende Vorbild in heidnischen Göttern. Einer populären Vorstellung folgend, ähnelt der Teufel seither dem griechischen Gott Pan, meist schwarz und behaart dargestellt, mit Bocks- oder Pferdefüßen, Hörnern, einem Schwanz, hässlichem Gesicht, langer Habichtsnase und den Geruchssinn beleidigenden Ausdünstungen. Als Heimatadresse wurde von der Kirche die Hölle angegeben, da sich thematisch die germanische Unterwelt „Hel“ anbot.

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Wie bereits erklärt, war die Verdrängung des Bösen ursächlich für Destruktivität. Über Veranlagung und Erziehung vererbten Generationen einander immer destruktivere Seelengestalten. Ohne sich dessen bewusst zu sein, wurde jedermann zu seinem eigenen kleinen Privatteufel. Tagein, tagaus anzutreffende Resultate sprechen für sich! Nachdem Sexualität als besonders böse und zu verdrängen galt, sollten deren überdurchschnittlich destruktive Erscheinungsformen erst recht nicht überraschen. Endlose sexuelle Irrungen und Wirrungen, Abartigkeiten und Perversionen künden davon!

Bliebe die Frage zu klären, ob der Teufel Katholik ist? Religiöse Minderheiten auf der Kanalinsel Guernesey, die den Hintergrund des Romans „Teufelsschiff“ (Victor Hugo) bildet, wurden ehemals arg vom Teufel belästigt. Er hatte zu den Katholiken eine Zuneigung gefasst und suchte mit ihnen zu verkehren; woraus man schließen könnte, so der Autor Victor Hugo, dass er eher katholischen als protestantischen Ursprungs sei. Zu seinen unerträglichsten Zudringlichkeiten gehörte der Besuch der katholischen Ehebetten, wenn der Mann fest schlief, die Frau aber nur halb, was hier und anderswo zu Verwechslungen Anlass gab. Irrtümer, denen nicht wenige Geburten zu verdanken waren.

Welch seuchenartige Ausmaße diese Umtriebe auf den Inseln annahm, lehrt die religiöse Beschwörungsformel der Teufelsaustreibungen für diese Vorgänge unter dem Titel „De erroribus nocturnis et de semine diabolorum (die Fehler der Nacht und von den Teufeln)“. Diese Formel, die Hexen und Hexenmeistern Teufelsbuhlschaft, also geschlechtlichen Verkehr mit dem Teufel unterstellte, deutet gleichfalls auf eine Präferenz zum Katholischen hin.

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Wie erklärt sich nun aber die Gestalt des Teufels, soweit wir ihn als kollektive Gestalt begreifen? Vielleicht treffen sich ja bei Bedarf gesellige Privatteufel und spielen zusammen „Großer Teufel“? Möglicherweise besteht dieses geistige Konstrukt aus der Summe dessen, was unentwegt aneinander so destruktiv verbrochen wird. Öffentlich nimmt das bevorzugt die Religion zur Kenntnis, die Verwandtes wittert! Individuelle und kollektive Teufelsgestalten sind keineswegs so geheimnisvoll, wie es den Anschein hat, sondern Projektionen eigener destruktiver Seelenkräfte, die uns auf diese befremdliche Weise begegnen.

Gerne werden solch negative Vorstellungen unbewusst auf fremde, missliebige Menschen oder Völker übertragen, um sie als den Teufel zu bekämpfen, der man selber ist. Das ist weit einfacher, als sich mit seiner eigenen Schattenseite, mit seinen eigenen verdrängten Kräften, mit der eigenen Destruktivität auseinanderzusetzen.

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Begrüßenswert ist die literarische Aufarbeitung solcher Bedrohung, wie sie etwa einem Hermann Hesse im Buch „Der Steppenwolf“ (1927) gelang. Der Romanheld begegnet hierin eigenen, reißenden, ichfremden Kräften. Freilich verfügt nicht jeder über solch schriftstellerisches Talent, sondern macht sich lieber über Nachbarn her.

Man kann sich dem Phänomen des Teufels allerdings auch auf andere Weise nähern. Seine Gestalt taucht möglicherweise immer nur dann als Gegenspieler auf, um als rettendes Korrektiv einzugreifen, wenn etwas „zu heilig“ wurde. Beides „zu böse“ oder „zu gut“ ist gleich verderblich. Am Beispiel der „Himmelsleiter“ in Thekla, einem Kloster in Syrien, wird dies deutlich. Auf diesem Gemälde reißen „böse Teufel“ Gläubige auf dem Weg zum Himmelreich von der Himmelsleiter“, retten sie gewissermaßen vor dem Weg ins Nichts und sorgen wieder für Bodenhaftung.

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Personen, die das Böse jetzt immer noch „als das schlechthin Verwerfliche“ definieren, bestehen aus Dampf, zusammengemischt aus Feuer und Wasser, und sollten schleunigst wieder in diese Bestandteile zerlegt werden. Entschlösse man sich, Destruktivität zu amnestieren und unter großen Mühen zu sozialisieren, könnte nach langer Genesungszeit das sogenannte Böse wieder hoffähig werden. Denkende Menschen könnten und müssten sich wieder selbstverantwortlich für das notwendige Gute, aber auch das nicht vermeidbare Böse entscheiden.

Wurde diese geistig-finstere Suppe der Destruktivität über Jahrhunderte und Jahrtausende gekocht, wird diese Brühe kaum von einem Tag auf den andern auszulöffeln sein. Dies sollte eher als Jahrtausendaufgabe verstanden werden. Jeder kehre künftig also nicht nur vor, sondern auch hinter der eigenen Tür und suche den Teufel dort, wo er am liebsten sitzt, in sich selbst!

Solange diese ausgesperrte, verdrängte, destruktive Welt nicht ernst genommen wird, so widersinnig, so absurd, so verrückt, so zwanghaft, so verdreht, so verlogen, so heimtückisch, so verbrecherisch sie sich äußern mag, wird weder im Einzelschicksal noch im Kollektiv die Aufarbeitung gelingen - und das wäre wahrhaft teuflisch!

Während wir Nachsicht gegenüber unzähligen Privatteufeln üben, fordern wir die sündenschleudernde Kirche auf, sich endlich zu ihrem geistigen Eigentum, zur Kreation ihrer kollektiven Teufelsgestalt zu bekennen, mit der sie Gläubige so lukrativ erschrecken und ausbeuten konnte und kann!

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Bei dieser Gelegenheit könnte sie auch gleich von ihrer „Teufelsnote“ abschwören! Jeder hat wohl schon mal auf einem Klavier oder einer Gitarre geklimpert. Aber wer hätte geahnt, dass er damit seine Seele gefährdet hat? Denn hinter den Noten lauert der Teufel! So stellte man es sich zumindest im christlichen Mittelalter vor. Schon seit Pythagoras zeigte sich die Perfektion des Kosmos in den Zahlen und der Harmonie: Das einstige Quadrivium, die Krönung des Universitätsstudiums, bestand aus Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik. Mit der Perfektion war es vorbei, als sich die Religion einmischte.

Die mittelalterliche Kirche zog eine strenge Grenze zwischen „frommen“ und anderen Noten. Als Gipfel des Unerträglichen, ja Verbotenen, galt ein bestimmtes Intervall: die verminderte Quinte oder übermäßige Quarte, damals unter dem Namen „Diabolus in musica“ oder „Teufelsintervall“ bekannt. Die drei teuflischen Ganztonschritte („Tritonus“) die zum Beispiel in der Tonleiter die Noten C und Fis trennen, zerrissen, so glaubte man, den Wohlklang der Himmelsmusik und beschworen das Böse. Nicht zufällig ist er am Anfang des Songs „Black Sabbath“ der gleichnamigen Band zu hören, die gern mit schwarzer Magie kokettierte.

Die Abneigung der Kirche gegen diesen Klang lässt sich nicht ausschließlich mit der Angst vor dem Teufel erklären. Viele Mönche hatten das Gefühl, dass sie mit ihrem Gesang zur Vollendung gelangten, wenn ihr ganzer Körper unter der Resonanz von Oktaven, Quinten und Terzen vibrierte. Dissonante Intervalle dagegen, vor allem eben die verminderte Quinte, erzeugen sogenannte Schwebungen im Ohr. Die Mönche fürchteten sie. Der Physiologe Hermann von Helmholtz verglich sie gar mit dem Kratzen des Nagels auf der Haut. Vielleicht hatten die Mönche doch Recht. Gelangte die Katholische Kirche zur Vollendung, kratzte sie vielleicht nicht mehr so hartnäckig am Leben (der anderen).



Der böse Gott

Würde ein Erblasser zwei Testamente errichten, ein neues und ein altes? Richteten sich selbst geistig minderbemittelte Erben an zwei unterschiedlichen Testamenten aus, was endlosen Streit vorprogrammierte? Wohl kaum, sie würden um die Gültigkeit des einen oder anderen Testaments kämpfen! Nachdem in der Bibel zwei Menschheits-Testamente anzutreffen sind, stellt sich die Frage, welches gültig ist? Jedenfalls wir gestatten uns diese Anfrage! Nach heutiger Anschauung gilt immer das Neuere als das Bessere, Richtigere! Das war nicht immer so. Es gab Zeiten, denen das Ältere das Bewährtere und darum Verbindlichere war!

Selbst wenn sowohl das Alte als auch das Neue Testament ein Sammelsurium obskurster Fälschungen und Entstellungen sein sollte, muss nicht alles falsch sein, was darin geschrieben steht. Die Gottesgestalt des Alten Testaments weicht deutlich von der des Neuen ab: ein grausamer Gott, ein Gott zum Fürchten! Verständlich, dass modernere Religionen lieber den Plunder guter, naiver Plüschtier-Götter vertreiben, die sich gut verkaufen lassen. Das Abendland betet zu guten, im Himmel beheimateten Gotteseltern, einem freundlichen Gottvater und, brav die gesellschaftlichen Verhältnisse widerspiegelnd, einer kastrierten Gottesmutter. Dieses göttliche Elternpaar lässt seinen Menschenkindern alles durchgehen, bis hin zur Zerstörung ihrer Existenzgrundlagen.

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Vom Rauschgift eines guten Gottes lässt sich die Menschheit eben gerne verführen, trotz alledem was wir täglich sehen, erleben, was tagaus, tagein auf dieser Erde Schreckliches geschieht. Aber was wäre, wenn wir es stattdessen mit einem bösen Gott zu tun hätten, irgendeiner Kraft, die sich daran weidet, ergötzt, wie es uns ergeht, es genießt, wenn vieles noch schlimmer wird, eine Gewalt die ständig darüber nachsinnt, wie alles noch furchtbarer werden könnte?

Was also wäre, wenn man den Begriff „Gott“ nicht mehr reflexhaft mit dem Wort „gut“ unterlegen könnte und wir wirklich von einem bösen Wesen geschaffen wurden, das uns knechtet, quält, uns zu all der Destruktivität zwingt und sich dafür auch noch anbeten lässt?

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Es scheint zumindest, dass immer mehr Menschen weder Gott noch Teufel fürchten, was zu einer wahrhaft endzeitlichen Katastrophe führen könnte. Die furchtlos gewordene Menschheit schickt sich an, beiden gemeinsam auf der Nase herum zu tanzen. Sie schreit geradezu nach einem Gott, der wieder das Fürchten lehrt. In großer Eile werden daher neue Götter, wie etwa der Atomgott, fabriziert, vor denen man wieder zittern kann! Kein Wunder, dass das Karzinom des Bösen unaufhaltsam wächst. Der Schrei nach einem furchtbaren Gott, in alttestamentarischer Härte, wird vielleicht nicht mehr lange ungehört verhallen und nimmt Gestalten an, deren verschleierte Umrisse schon sichtbar werden!



Gutsein schützt vor Hölle nicht

„Tugend zieht nicht zwangsläufig Glück und Verbrechen nicht notwendig Unglück nach sich (Victor Hugo)“, jedenfalls im Diesseits. Wenn dem so ist, muss die Hölle helfen! Sarkastische Kirchenkritiker glauben, der Katholizismus gleiche mit seiner „Hölle“ nur den Überschuss des Lebens, das Glück, aus. Verständlicher formulierte es der Weltbürger Peter Ustinov: „Hölle, das ist wahrscheinlich, wenn man schlecht geheiratet hat“. Jedenfalls lohnt die Überlegung, wie man sich vor Höllenqualen schützen kann. Eugen Drewermann, Buchautor und schonungsloser Sezierer der Katholischen Kirche, postulierte: „Glauben schützt vor Hölle nicht!“ Davon sind wir überzeugt. Aber auch Gutsein schützt vor Hölle nicht! Man kann sich nämlich auch gegen das Böse, gegen notwendige, aber ungelebte Bosheit versündigen.

Wer in die Hölle kommen sollte, wird über fehlende Gesellschaft „guter“ Menschen nicht klagen müssen: gute Teilnehmer von Erschießungskommandos, gute Gräuelmediziner der Konzentrationslager, gute Entwickler von Massenvernichtungswaffen, gute Forscher-Tierquäler der Kosmetikindustrie, all die guten Menschen und braven Arbeitstiere, die treu und edel, ja mit dämonischem Fleiß, ihre alltäglichen Pflichten am Arbeitsplatz oder sonst wo erfüllten, ganz egal wie viel an Mensch und Natur, Tier und Pflanze tagaus tagein, direkt oder indirekt dadurch vernichtet wurde.

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Versäumt wird, bei jedem neuen Lebenssachverhalt die Frage nach Gut und Böse zu stellen! Wie gut oder böse darf man, wie gut oder böse muss man sein? Ebenso wie die zu Unrecht den Gegenständen selbst zugeordneten Farben nur durch unsere Sinne gemischt und den Gegenständen verliehen werden, erhält das Leben nur durch das richtige Verhältnis von Gut und Böse seine stimmige Bemalung. Dies setzt aber voraus, dass die Grundfarben „Gut“ und „Böse“ selbst rein sind und nicht so widerwärtig verfälscht von Religionen vorgesetzt werden.

„Gutsein“ kann ebenso leicht in Schuld verstricken wie „Bösesein“. Man kann am gelebten „Guten“ wie am ungelebten „Bösen“ schuldig werden, und umgekehrt! Dies gilt insbesondere für die verlogene christliche Forderung, Böses mit Gutem zu vergelten. Böses kann man vergeben. Wer es aber belohnt, macht sich mitschuldig!



Erlösung

Was macht Bucklige glücklich? Wenn sie andere Bucklige sehen! Sind diese noch buckliger als sie selbst, macht sie das überglücklich. Mangels andrer Quellen der Freude machte eine Generation die nächste hässlicher. Keine Niedertracht in der allerlei verdrängten bösen Gedanken Platz bietenden Katholiken- und sonstigen Glaubensstirn, um die nicht gebetet wurde! Und wer diese Religion nicht geschenkt haben wollte, wurde eben mit ihr zwangsernährt. Der Ruf nach Erlösung, nach einem dem Tod den Stachel raubenden Erlösungsglauben, wurde schließlich für Gefangene der Religion unvermeidbar.

Erlöser gab es viele. Am radikalsten versuchte der Philosoph Friedrich Nietzsche die Erlösungsfrage zu erledigen. Er erklärte Gott kurzerhand für tot. Seither informiert uns kaum widerlegbares Toiletten-Gekritzel: „Nietzsche ist tot“, Unterschrift: „Gott!“ Der Philosoph fühlt sich missverstanden. Er erklärte nur den altersschwachen Christengott für tot! Gleichwohl prophezeite der Philosoph, dass dessen Schatten noch über Jahrhunderte den Verstand verdunkeln würde - und hatte zweifellos recht.

Treffend formulierte er: „Erlöster müssten sie mir aussehen, die Erlösten.“ Viele Erlöste schlurfen gar bucklig durchs Leben. Manche fühlen sich so nachhaltig erlöst und dauerhaft entrückt, dass sie von der Psychiatrie mechanisch oder chemisch angenagelt werden müssen. Immer wieder finden Erlöser Gehör, die zum Heiland anderer werden, aber in Wahrheit nur sich selbst erlösen wollen! Anständige Menschen arbeiten um des Ruhmes oder Geldes willen, unanständige wollen die Menschheit erlösen, lehrt ein weiser Spruch, den man in diesem Zusammenhang bedenken sollte.

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Dem wegbrechenden Eckstein des Erlösungswerks danken wir die falsche Fragestellung nach Erlösung. In Wahrheit geht es um die Erlösung der Gläubigen von der Seuche der Religionen, um die Abschaffung der einen erlösenden Himmel über Gläubige stülpenden Religionen, der in Wahrheit nur Kerkerfunktionen dient.

Was über so viele Jahre und Generationen in Menschen angekettet und geknechtet wurde, braucht Zeit zur Besinnung und Rückbildung, im Einzelnen, im Kollektiv. Wir beten, Gott möge uns von den Religionen erlösen. Aber was ist schon ein einziges Gebet gegen Tausende von Religionen?

Es gibt Erlöser, die zumindest im Film Krankheitseinsicht erkennen lassen. Der Filmklassiker „To Be or Not to Be“ lässt einen einfachen Soldaten den Führer mit „Heil Hitler“ grüßen. Die zuversichtliche Antwort: „Ich heile mich selbst!“ Das wäre wahre Größe im Leid gewesen, die der Diktator leider in der Realität nicht besaß. Seine Erlösungskrankheit verschlang zwanzig Millionen Menschen und produzierte jede Menge Schutt und Asche!

Wir bitten fortan nicht mehr um Erlösung vom Bösen, sondern um Erlösung des Bösen aus dem Destruktiven! Nur bei Rückbildung unbeherrschbar gewordener Destruktivität zum lebbaren Bösen, nur durch die Bewusstmachung des in die Verdrängung hinein verleugneten Bösen, winkt Erlösung.



Salz des Lebens

In „Jenseits von Gut und Böse“ versucht der Philosoph Friedrich Nietzsche eine Neubewertung der Moral, eine Umwertung bisher höchster Werte. Jenseits von Gut und Böse wollen wir uns nicht stellen, die Freilegung genügt durchaus. Soll wirklich alles in Gutheit erstarren, ohne das Böse erfrieren? Wer wollte sich von Geburt an zu Tode betten, statt farbenfroh zu leben, sich gegenseitig mit Gutsein anziehend, mit Bösesein abstoßend? Beides ist in Menschen angelegt, Gutes und Böses, einander von Herzen gut, aber auch von Herzen böse zu sein! Auf dieser Basis müssen wir uns unablässig prüfen und uns immer wieder entscheiden, für das Gute oder für das Böse, für das Richtige oder das Falsche.

Die Formulierung „wir“ ist freilich nicht korrekt. Religionen im Allgemeinen, und die Katholische Kirche im Besonderen, sollten sich nicht mehr mit Fragen nach Gut und Böse befassen. Ihnen gerät alles zum destruktiven Unterdrückungsbrei, bei dessen Inhalt man wahrlich von „Mächten des Bösen“ sprechen kann. Warum sollten diese religiösen Unternehmen weiterhin ihre Geisteskräfte durch Nachdenken über Gut und Böse verschwenden, wenn sie unzählige lukrative Tagesgeschäfte zu bearbeiten haben?

In manchen Kirchengemälden wird das Böse dämonisch entstellt abgebildet. Gute Engel tragen martialische Gewänder und Schwerter, um im Kampf dagegen zu bestehen. Es gibt aber auch Gemälde, auf denen das Gute mit dem Bösen musiziert oder tanzt. Gut und Böse, Liebe und Hass, so zu leben, so zu tanzen, dass Verschmelzen einerseits und Auseinanderbrechen andererseits verhindert werden, ist nur noch wenigen Menschen gegeben.

Wer zur rechten Zeit gut und zur rechten Zeit böse sein kann, wird den harmonischen Takt des Lebens spüren. Lassen wir nicht noch einmal die Monopolisierung der Frage nach Gut und Böse in der Weise zu, dass so Wenige so Viele so lange so gnadenlos religiös ausbeuten wie in der Vergangenheit. Gut und Böse sind, richtig gelebt, das Salz des Lebens!



                   Menschenrechte

Unzählige Köpfe rollten in Frankreich für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Die fehlende Schwesterlichkeit wollen wir an dieser Stelle noch ausnahmsweise und widerwillig übersehen. Weltweit starben zahllose Menschen für die Verankerung von Grundrechten in den Verfassungen. Zu viel Freiheit hält aber offenbar kaum jemand aus! Zu schön ist es, Glaubenssklave zu sein. Weise Grundgesetzmütter und gereifte Verfassungsväter berücksichtigen dies! In kaum einem Grundgesetz fehlt der Hinweis, das Recht auf religiöse Sklaverei sei unantastbar. So etwa in Deutschland in Artikel 4, Satz 2.

An der Pforte zur Religion werden blutig erstrittene Menschenrechte freiwillig abgegeben. Die masochistisch veranlagten Gläubigen freuen sich eben auf geistig-seelische Sadogänge bei ihrer Hausreligion. Nichts, was Religionen nicht mit gläubigen Untertanen anstellen könnten! Sie schicken sie mordend in Kriege oder verurteilen sie zum kampflosen Opfergang. Sie nötigen sie zu abstrusen Körperhaltungen angeblicher Frömmigkeit oder füllen ihre Freizeit mit geisttötenden Pflichten. Sie sperren sie lebenslang mit einem Schweigegelübde ein oder verurteilen sie, mit zehntausend Rosenkränzen betörenden Glaubensgefasels, zu narkotisierender Bearbeitung des Verstandes. Das Beste daran: Gläubige tun das, zumindest scheinbar, gerne und freiwillig!

Demokratie und Menschenrechte sind eine feine Sache, es fehlt nur an Religionsverträglichkeit! Gott ist kein Demokrat, über dessen große Gesetze kleine Menschen befinden könnten, finden die Kirchen im wohlverstandenen eigenen Interesse. Schade! Gerne würden wir den passenden Papst in geheimer Abstimmung persönlich wählen und bei der Besetzung der Konzile ein Wort mitreden, bevor wir die Religionen ganz zum Teufel jagen. Das wirkte einerseits zunehmender Vergreisung angenehm entgegen, andererseits würden Frauen in Schlüsselpositionen katapultiert und der Geschlechtsproporz aus Jahrtausende alter Schieflage befreit. Aber Gott lässt sich nicht dreinreden und hat angeblich all das untersagt. Und deshalb kann man noch immer an jeder Kirchentüre oder Klosterpforte zwischen den Zeilen lesen: „Eintritt für Hunde und Grundrechte verboten!“ Besonders unerwünscht: „Eintretender Verstand!“

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Jenseits der Menschenrechte waltet göttliches Erbarmen erbarmungslos! Aber es gibt Ausnahmen, beispielsweise wenn Grundrechts-Treter, denen man sich innerlich verbunden weiß, in Schwierigkeiten geraten! Der bekannte Personen- und Menschenrechtsfresser Pinochet wurde in einer Londoner Klinik von seiner blutigen Vergangenheit eingeholt. Ihm wurde vorgeworfen, tapfer und unerschrocken in Chile Zehntausende wehrloser Studenten in wenig mehr als Luft aufgelöst zu haben. Diese schweben seither als Desaparecidos, als Verschwundene, am südamerikanischen Himmel und fliegen Warteschleifen auf späte Gerechtigkeit.

Der Kirche war die Gefangennahme des Generals einmalige Gelegenheit, das Fenster der Barmherzigkeit und Vergebung kurz, aber weit aufzustoßen. Der Papst persönlich forderte Gnade für den alternden Diktator! Wusste man doch wie wertvoll solche Signale an dessen menschenverachtende Kollegen waren! So wurde allen signalisiert, dass man in der Stunde der Not für sie da war, um sich für ihre Hilfe in Sachen Katholizismus zu revanchieren und zu bedanken.

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Warum wird die Freiheit des Glaubens nicht an die Kette der Menschenrechte gelegt? Warum schützen Verfassungen ihre Grundrechte so unzureichend vor Religionen? Leicht erklärbar! Die beste Verfassung kann Gedankenfreiheit nicht behüten. Religionen nutzen diese Schwachstelle, um Schwachköpfen Gedankenfreiheit zu verbieten!

Kirchen nehmen freie Gedanken mühelos gefangen und waschen sie gründlich. Nach Gehirnwäschen sind so bearbeitete Gedanken kaum wiederzuerkennen. Während Waschgänge normalerweise säubern, werden Gedanken durch religiöse Waschungen bis zur jeweils nächsten Reinigung immer schmutziger. Eines Tages kann selbst die beste chemisch-geistige Reinigung sie nicht mehr säubern!

Menschenrechte und Religion bekämpfen einander wie Gut und Böse bis in alle Ewigkeit. Kaum gelingt unter schweren Geburtswehen die Trennung von Staat und Religion (Laizismus), schon lauert im Dunkel wieder der Gottesstaat, um die Verdammten dieser Erde besser auszubeuten, als es gerissenem Kommunismus und skrupellosem Kapitalismus vereint je gelänge.



             Abschied von der Religion

Es wird ein langer Abschied von der Religion werden, auch hier in diesem Buch! Zu viele Bemerkungen haben wir der Religion hinterherzuwerfen. Wir lassen jedenfalls die Vernunft nicht länger an die Kette religiöser Finsternis legen!

„Jedermann weiß, wie unduldsam die religiösen Glaubenssätze sind und welche Gewaltherrschaft sie über die Seelen ausüben“, schreibt Gustave Le Bon in „Die Psychologie der Massen“. Natürlich wird das geschwächte Ich-Bewusstsein des Einzelnen in der Masse nun nicht nur von der Religion ausgebeutet, sondern von Demagogen jeglicher Couleur, und besonders gerne von solchen, die sich an der Spitze eines Staates herumtreiben. Aber niemand hat sich früher und perfekter darüber hergemacht als die Religionen und sie werden die letzten sein, die sich von diesem Futtertrog vertreiben lassen.

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Abschied von der Kirche zu nehmen, heißt natürlich nicht, sich von Gott zu verabschieden, was die Kirche zur seelischen Abschreckung gerne unterstellt. Leider ängstigt aber viele Gläubige gerade dieser Gedanke - und das nicht von ungefähr. Sie befürchten, der Bruch mit ihrer Kirche bedeute auch einen Bruch mit Gott! Zu dicht wurde das Glaubensnetz der Kirche über die Jahrtausende und über unzählige Generationen gewoben, als das sich das aus der Sicht von Gläubigen anders darstellen könnte. Und höchst ungern lässt die Kirche ihre mit Spinnenlist erbeuteten Gläubigen los. Aber man löst sich nicht von Gott, wenn man sich von den seelisch gewalttätigen Religionen löst und deshalb muss dieser Weg, so schmerzhaft er auch sein mag, unbedingt und konsequent gegangen werden. Gott ist schließlich bei Gläubigen weit beliebter ist als seine missratenen Kirchen und weit mehr Deutsche glauben an Gott als etwa an die christliche Botschaft.

Jedenfalls wir halten unerschütterlich am Gottesglauben fest! Ein gottgefälliges Leben zu führen, gelingt umso besser, je weniger sich Religionen und Kirchen einmischen! Vielleicht sind wir ja im weitesten Sinne sogar alle zusammen Gott, vom fernsten Fixstern bis zum erdnächsten Regenwurm, vom feinsten Windhauch bis zur unsichtbarsten Strahlenkraft. Ein Gottesbild, bei dem ein jedes und alles zusammenhängt, ineinander wirkt und voneinander abhängig ist.

Wer Gott bislang vergeblich suchte, mag einmal auf seinen Körper achten. Probleme mit wahrhafter Gläubigkeit, mit Gottesfürchtigkeit jenseits der Religion, hat nur, wer noch nie unter lebensbedrohlicher Verstopfung litt oder von einer schweren Krankheit gefangen genommen wurde. Spätestens dann wird erfahren, dass Gott existiert! Zunächst und zuallererst setzt uns der eigene Körper uneinnehmbare, ja göttliche Grenzen, ist für uns (auch) Gott, weshalb ihm göttlichen Respekt zu erweisen sich absolut empfiehlt. Betrachtet man hingegen, wie mit diesem Gottesgeschenk, gerade auch und von den Religionen, umgegangen wird, muss man schon am individuellen und kollektiven Verstand verzweifeln. Schon deshalb hat der zu Unrecht zur Instanz für öffentliche Vernunft ernannte Glaube als gesellschaftlicher Verdummungsfaktor ausgespielt.

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Götter sind vergänglich, altern, entschlafen - neue Götter werden geboren. Wie heißt es so schön: „Der Mensch kann keinen einzigen Wurm herstellen, aber Götter macht er haufenweise.“ Allein im Hinduismus soll es 30 Millionen Götter geben! Im alten Athen sollen auf 5.000 Einwohner immerhin 3.000 Götterstatuen gekommen sein. Besonders umsichtig finden wir, dass man dort sogar einem völlig unbekannten Gott opferte für den Fall, dass man einen vergessen hatte!

Götter zu betreiben, ist nun einmal ein rentables Geschäft, wie in jeder Kirche, an jeder Pilgerstätte zu besichtigen ist. Für die Götter selber muss das nicht unbedingt zutreffen:

„Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn’ als euch Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren“

(aus Prometheus, Johann Wolfgang Goethe)

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Wenn schon Götter vergänglich sind, muss es nicht unbedingt auch der Mensch sein, denkt sich manche Religion. Der christliche Umgang mit dem Tod erinnert an den alten französischen Karneval. Am Mardi Gras, dem Faschingsdienstag, trug man eine Puppe durch die Straßen, „le bonhomme carnaval (der Karnevalsmann), die am Ende des Tages aufgehängt, verbrannt oder ertränkt wurde, „um den Tod zu töten“, gerade so wie das Christentum, das den Tod „umbringt“, indem sie ihn in ein ewiges Leben umlügt. Gerne in ein solches, wie es die Kundschaft gerne hätte! In Bayern wäre zum Beispiel der Schweinsbratenhimmel ein wohlbestelltes Jenseits.

Es ist auch andernorts sehr schwierig, einen von irdischen Lustbarkeiten gereinigten Himmel dingfest zu machen. Die erfahrene deutsche Sprache leitet das Wort „Himmel“ übrigens unter anderem von “Heimat“ ab. Jedenfalls könnte die Heimat unser Himmel sein, würde nicht immer wieder zu emsig religiös daran gearbeitet, sie zur Hölle zu machen. Damit sollte jedermann klar sein, aus welchem Himmel, aus welchem Heimathimmel die Kirche den Menschen reißt mit ihren fragwürdigen Jenseits-Konstrukten.

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Das Leben sei des Lebens einziger Grund, postuliert mancher Philosoph! Religionen wirken hierzu wie ein Gegenentwurf, der Menschen stattdessen zwischen Wänden aus gehemmten Trieben und verdrängten Schuldgefühlen umherirren und farbiges Leben verenden lässt, wie einen exotischen Vogel im Käfig. Naivität und Dummheit von Gläubigen erfahren durch Glauben ihre höchste Weihe, lassen sie doch ihre Sehnsucht nach Klarheit und Wahrheit ausgerechnet durch deftige Bußpredigten im Namen des Allmächtigen von jenen befriedigen, die edelmütig angeblich Böses bekämpfen und dabei doch nur eigene Vorteile und persönliche Verdorbenheit im Sinn haben. Die unverdrossen und immer wieder versuchen, das „Unerklärbare in uns und über uns (Franz Werfel, Stern der Ungeborenen)“ begreiflich zu machen. „Nichts ist hartnäckiger im ewig Menschlichen als der Wunsch, der Wirklichkeit eine doppelte Bedeutung zu geben und den platten Dingen einen göttlichen Hinterhalt zu legen (Franz Werfel, Stern der Ungeborenen).“

Die von zeitresistenten Kirchen in leeren Zeremonien vorgeblich erfahrbar und fruchtbar gemacht werdenden Charismen (Gnadengaben), können sich nur deshalb als solche präsentieren, da sie außer den sie verkündigenden, oft gleichgültigen und gottlosen Lippendienern kaum jemand durchschaut. Aus diesem Grund ist an allzu vielen kirchlichen Tätigkeiten wenig religiös Relevantes zu entdecken. Fest mit beiden Beinen im Diesseits verankerte Menschen werden zu von krankhafter Sorge um das Jenseits besessenen Gläubigen umgebaut.

„Es gibt kein Jenseits! Der verdorrte Baum ist tot für immer, der erfrorene Vogel kommt nie wieder zum Leben und ebenso wenig der Mensch, wenn er gestorben ist. Man mag noch eine Weile an ihn denken, wenn er fort ist, aber auch das dauert ja nicht lange...“, schreibt Hermann Hesse in „Narziß und Goldmund“, 1930. Dies muss zwar auch keine verbindliche Auskunft über Existenz oder Nichtexistenz eines wie auch immer gearteten Jenseits sein, die uns hier gereicht wird, aber noch weniger kompetent äußern sollten sich all die unwissenden Gotteserklärer.

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Dabei sind häufig die sich unter der Priesterschaft befindlichen, vom tiefsten Grund ihres Wirkens überzeugten oder auch nicht überzeugten Glaubenswächter in letzter Konsequenz oft selbst nur verblendete Gottesdiener und (wenngleich meist gut dotierte) Opfer eines Götzendienstes im Dienste ihrer Organisationen, die außer leitenden Wahngebilden keine wirklichen Repräsentanten ausweisen. Wir fürchten, viele „bekehren“ andere nur, weil sie sich selbst schon fluchtartig verlassen haben!

Die Religionen sind, allen voran, verantwortlich für diese schon ziemlich lang und unendlich gründlich aus dem Ruder laufende Welt. Mit unseren schwachen Augen können wir die Mächte der Finsternis zwar auch nicht durchschauen, dass sie sich aber am liebsten in einer religiös stark aufgeladenen Welt tummeln, ist offenkundig. Nur selten gehen heiligen Orten keine unreinen einher! Mit den bewährten Mitteln der Täuschung, Bestechung und der guten alten Hinterlist werden die Gläubigen auf Kurs gehalten.

Die Kirchen und ihre Rädelsführer, christliche und sonstige Vergebungsterroristen, werden vergeblich an die Pforte der Verzeihung klopfen. Ihre eigensüchtigen Warnungen vor immer beliebiger werdenden, auf das Diesseits bezogenen Lebensformen ohne Religion können wir nicht teilen. Nur weil man sich keinen Glauben mehr befehlen lässt, muss man im Sinne eines gedeihlichen Zusammenlebens und im Interesse aller noch lange nicht auf ethische Grundsätze, moralisches Verhalten und ureigenste religiöse Gefühle verzichten.

Gerade das verderbliche kirchliche Monopol hierauf, das immer mehr Menschen durchschauen und verabscheuen, verleitet doch dazu, die Dinge im Übrigen schleifen zu lassen. Die Essenz des moralischen Urbewusstseins der Menschheit, das in den zehn Geboten überliefert worden sein soll und zum ethischen Grundprogramm mehrerer großer Menschheitsreligionen, ja zum Manifest der Menschenwürde schlechthin geworden ist, kommt weit besser ohne sie vertreibende Religionen zurecht.

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Selbst aus medizinischer Sicht lässt sich die Notwendigkeit des Glaubens nicht länger begründen. Beten hilft nicht immer! Eine breit angelegte medizinische Studie der renommierten Harvard Medical School fand 2005 heraus, dass Herzkranken die Fürbitten fremder Leute nicht wirklich beistanden. Patienten, für die vor, während und nach einer Bypass-Operation gebetet wurde, hatten genauso viele Komplikationen wie diejenigen, für die nicht gebetet wurde. Mehr noch: Patienten, die wussten, dass Gott für sie angerufen wird, ging es am Ende sogar am schlechtesten. Das gibt zu denken! Immerhin gaben Profis, nämlich Mönche und Nonnen in zwei Klöstern sowie die Mitglieder eines Gebetsseminars, ihr Bestes.

Skeptiker, die die Studie ohnehin für reine Geldverschwendung halten, fühlen sich bestätigt. Wahrhaft Gläubige lässt das Ergebnis jedoch kaum an der Kraft ihrer Gebete zweifeln, „denn man hätte noch nie erlebt, dass Gott bei einem Test mitmache“. Offenbar machte er auch bei George W. Bush nicht mit. Obwohl dieser nach seinem Amtsantritt 2,3 Millionen Dollar für Gebetsstudien lockermachte, war an den katastrophalen Ergebnissen seiner Amtsführung nicht zu zweifeln.

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Nach einer ernstzunehmenden Studie sollen Kirchgänger aber wenigstens messbar länger leben als Gottesdienstmuffel, insbesondere jene Gläubige, die ihrem spirituellen Zuhause mindestens einmal pro Woche die körperliche Aufwartung in einer Kirche gönnen. Konsequent zu Ende gedacht, widersprechen sich damit freilich diese dem Paradies verpflichteten Gläubigen selbst, da sie ihr Glaube länger als ihre verderblichen Mitbürger von ihrem jenseitigen Lebensziel fernhält. Statt froh in den Tod zu gehen, erblicken wir ans Leben genagelte Gläubige.

Die Kirche sorgt sich sogar um den Zeitvertreib von Sterbenden zwischen Ableben und Jüngstem Gericht. Am Ende kocht das Fegefeuer die arme Seele vielleicht nicht rechtzeitig gar! Juan Rulfo lässt in „Pedro Páramo“ den Pfarrer am Bett der sterbenden Susana San Juan vorbeten: „Ich schlucke schaumigen Speichel. Ich kaue Erdschollen, die von Würmern wimmeln, und die Würmer verschlingen sich in meiner Kehle und kratzen an der Gaumenwand... Mein Mund fällt ein, verzieht sich zu Grimassen, die Zähne durchbohren und verschlingen ihn. Die Nase wird weich. Die Gelatine der Augen schmilzt. Die Haare brennen in einer einzigen Flamme...“ Warum sollten selbst Sterbende auch noch wenigstens eine ruhige, lebenswerte Minute ohne sie begleitende religiöse Straftäter beanspruchen dürfen, die sie mit einer „letzten Ölung“ belagern?

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Die Religion wirft uns vor, wir lebten heute in Zeiten schlimmster Gottvergessenheit, ja in einer zeitgenössischen Gottesfinsternis. Zum Glück sind wir nicht allein! Niemand hat vor lauter Machtgier Gott gründlicher vergessen als die großen Weltreligionen. Sie und all ihre kleinen Religionsverwandten, die gleichwohl mit ungebrochenem Selbstbewusstsein den Anspruch erheben, moralische Großmächte zu sein.

Nach außen beruft sich die Kirche darauf, einen Glaubensschatz zu hüten. Zu erkennen sind freilich nur materielle Kostbarkeiten, die seitens der Religion durch Ausbeutung höchster Ideale von Gläubigen angehäuft wurden. Wird die Glaubenssuppe nur geschickt genug mit den sozialen Erfordernissen der Gläubigen, von der Geburt bis zum Tod, verrührt, so werden die Inhalte einer Religion quasi zum Teil der DNA eines Volkes. Praktisch wirkend wie eine zweite Haut, hat uns die Kirche zuverlässig am Haken, da fortan alles und jedes einen von wenigen beherrschten religiösen Filter zu durchlaufen hat, aus dem zu Entrinnen fast zur Unmöglichkeit wird.

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Mit der Verbreitung kompatibler Zerrbilder Gottes versuchen die Religionen hartnäckig, ihr Bekehrungswerk, sprich Beherrschungswerk, aufrecht zu erhalten bzw. zu vollenden. Der Herrschaftsbereich Gottes wird dabei systematisch verkleinert und immer mehr davon unter die eigene Kontrolle gebracht. Während auf das Befreiende des Glaubens hingewiesen wird, findet sich im Kleingedruckten nur Einengendes zum Wohle der Kirche.

Evangelium ist eine Äußerung oder Schrift, an deren Richtigkeit man bedingungslos glaubt und die man als höchste Instanz für das eigene Handeln anerkennt (etwa: „das ist ein Evangelium für mich“). Papst Benedikt XVI. mahnte gleich nach Amtsantritt zu Bibeltreue und warnte davor, die christliche Lehre nach eigenem Gutdünken auszulegen. Die überlieferten Worte von Jesu Christi dürften nicht verfälscht werden! Niemand könne das Evangelium verändern, nur weil es seiner Meinung nach zu beschwerlich für den modernen Menschen sei.

Recht hat er! Wenn man zweitausend Jahre lang eine Glaubenslehre zusammengebogen und zusammengelogen hat, lässt man andere da nicht gerne herumfummeln. Am Ende würde dieses „Evangelium des Todes“ gar wieder zu dem, was das Evangelium ursprünglich sein wollte und sein sollte, zur „Frohen Botschaft“.

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Wessen Gott wird das wohl sein, der angeblich jeden gleich liebt und doch in seinen Häusern den hohen und höchsten religiösen Würdenträgern eines Volkes seine allerbesten Plätze reserviert? Menschen sind daher weit besser beraten, sich auf die wahre Quelle des Glaubens zu besinnen, sprich nur an den Gott in sich zu glauben und sich nicht an die Abgabe des Verstandes zugunsten religiöser Machtbefugnisse anderer zu gewöhnen. Wir lassen uns jedenfalls nicht mehr sagen, wo der liebe Gott wohnt...

Was für Vorteile sollte eine Religion haben, die die Mühseligen und Beladenen unaufgefordert tagaus tagein aufs Neue belädt und doch nur in diffuser religiöser Sprache irdische, allzu irdische Bedürfnisse artikuliert? Die Grundanliegen des Menschen, die ewige Sehnsucht nach Glauben, Ordnung, Vernunft und geistigem Wachstum, sollten daher niemals religiösen Freibeutern anvertraut werden.

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Jeder Weihnachtsmarkt gestattet, die „unfehlbaren Religionsstraßen zum Himmel“ zu begehen und die hartnäckige Verzahnung von Frömmigkeit und Geschäft zu besichtigen. Christliche Gurkenhobel, festliche Werkzeuge, katholische Schlüpfer, gesegnete Wärmflaschen und fromme Reißnägel reißen uns in tief besinnliche Stimmungslagen. Herkunft, Zusammensetzung und Qualität der Produkte verlieren sich im Halbdunkel des Weihnachtsgeschäfts.

Warum etwas für Religionen zahlen, seelisch, geistig und körperlich, wenn Glaube kostenlos zu haben ist? Der Himmel gehört allen und Gottes Wärme ist auch in unseren Herzen! Glauben kann man überall, nicht nur in dekorativen Gebetshäusern, wo die größten aller Lebenslügen ihren Auftritt haben. Von den Vorzügen unserer bürgerlichen Existenz im gegenwärtigen Zustand sind wir im Übrigen nicht so überzeugt, dass wir deren religiöse Übertragung in den jenseitigen Bereich, wie subtil auch immer, für unbedingt erforderlich halten. Vom himmlischen Brot ist insoweit sowieso wenig zu halten.

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All dies beantwortet natürlich nicht die Frage nach Gott selbst. Es könnte sich kaum um Gott handeln, ließe er sich definieren, in ein Bild pressen, seine unerforschlichen Ratschlüsse ausspionieren oder gar für tot erklären. Mit falschen Antworten auf richtige Fragen lassen sich nur einträgliche Kirchen betreiben! Wie sollten ausgerechnet die untauglichen Seelenverbesserungsanstalten der Religionen die unvergängliche Existenz Gottes, die absolute Wahrheit der Bibel und anderes mehr „beweisen“ können? Die Kirche tut es, den in dieser Behauptung liegenden Widerspruch kühn überspringend und macht das, was zu beweisen war, einfach zur Beweisgrundlage.

Ein so vermessener religiöser Ansatz kann aber immerhin noch klüger sein als ein wissenschaftlicher, etwa jener des britischen Forschers Stephen Udwin, dem es gelang zu errechnen, dass Gott mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 Prozent existiert. Als gläubiger Christ sei er hingegen sogar zu 90 Prozent sicher. Wir sind hingegen zu 100 Prozent überzeugt, weder der religiösen, der wissenschaftlichen oder sonst irgendeiner schwachsinnigen Beweisführung zu bedürfen.

Schreiben wir der Kirche und der Wissenschaft die Worte von Victor Hugo ins Stammbuch: „Gott ist der Begriff, der uneinschränkbar dem Menschen innewohnt. Vernunftschlüsse, Streitigkeiten, Leugnungen, philosophische Systeme und Religionen gehen über ihn hinweg, ohne ihm etwas anzuhaben.“ Gott sei Dank! Das gestaltlose Sein des Unerkennbaren wird sich auch der Kirche nicht offenbaren, zumindest nicht außerhalb realisierbarer Einkünfte.

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Durchschnittliche Religionshasser sind der Auffassung, Glaube verblödet und macht blind. Wenn es damit nur getan wäre! Glaube macht intolerant, archaisch, grausam, ja mörderisch. Die kompliziertesten religiösen Stützgerüste werden gebaut, um über einem Nichts ein „Fundament der Wahrheit“ zu basteln, das nicht nur geglaubt werden soll, sondern muss!

In welch eisigen Griff Gläubige so genommen werden können, lehrt das Judentum. Wie oben schon erwähnt, vermuteten die derben Römer, die Juden hätten irgendwas, zumindest einen Eselskopf, im Allerheiligsten. Einen unsichtbaren, gestaltlosen Gott wollten sie sich gar nicht erst vorstellen. Bei der Eroberung des jüdischen Tempels fanden sie freilich weder einen Tierkadaver noch sonst etwas. Ein völlig unsichtbarer, gestaltloser, nur noch im Verstand als beheimatet geglaubter Gott, wie ihn die Juden anbeten, kommt vielleicht dessen Wesen am nächsten, erlaubt aber allen Kräften des Unbewussten sich zu entfalten und gibt auch jedem denkbaren Wahnerleben Raum. Die jüdische Lehre beweist es!

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Ihre alten Kirchenlehrer wussten um die Kraft geistiger Religionsbauten: „Lehre und Gesetz halten ein Volk besser zusammen als ein Reich. Sie sind der wehende Atem Gottes. Deshalb ist es klüger, eine unsichtbare Gottheit, umgeben von einer Mauer aus Worten, zu verehren, an Stelle einer sichtbaren, von Mauern aus Granit geschützt. Der Geist ist elastisch! An die Stelle des Wortes treten ggf. Zeichen, an die Stelle der Schrift Chiffren.“ Religionen, die so meisterlich wie das Judentum in der Lage sind, mit einem solchen geistigen Ansatz sogar im Ausland das Fremde in sich aufzunehmen, ohne darin unterzugehen, sind praktisch unbesiegbar.

Eine solche Religion erlaubte den Juden selbst in der Ferne, in alle Welt zerstreut, religiös-geistig als eigene Gemeinschaft zu überleben und nicht aufzugehen im jeweiligen Gastvolk, was ihnen freilich gleichzeitig auch oft zum Verhängnis wurde. Es ist ganz furchtbar, wenn Völkermorde wie beispielsweise jener im Dritten Reich an den Juden oder zuvor von den Türken an den Armeniern verübt werden.

Eine Erklärung drängt sich jedoch auf: Eine fremde Volksgruppe, die aufgrund ihrer Tüchtigkeit und Intelligenz einerseits viele Neider generiert, aber andererseits von einer Religion beherrscht wird, die es ihr nicht gestattet, sich mit Menschen anderen Glaubens, insbesondere mit jenen im Gastland, zu mischen, ja die mit diesen noch nicht einmal im Tod vereint sein darf und deshalb sogar eigene Friedhöfe beansprucht, dann muss die Frage doch erlaubt sein, ob das nicht irgendwann (auch entsetzliche) Konsequenzen haben kann? Nicht weniger tragisch und vermutlich folgenreich ist es, wenn eine solch aufstrebende Volksgruppe in ein Land einwandert, dessen Religion ihrerseits den bereits ansässigen Bewohnern nicht gestattet, sich mit den ankommenden Menschen fremden Glaubens zu mischen!

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Jedenfalls bringt eine Religion, die einen so gestaltlosen Gott zu definieren und dessen Botschaft zu formulieren versteht, die Macht ihrer Religionsführer zu einem absoluten Höhepunkt. Schon aus diesem Grund sind selten jene die mächtigsten (Religions‑)Götter, die von den glücklichsten Gläubigen angebetet werden.

Dabei weiß unsere Seele auch ohne Religionen und Kirchenoberhäupter um Gott: „So wie es keine Menschenseele gibt, die nicht alles erlebt, äußerlich und innerlich, was die Welt an Erfahrungen darbietet. Ohne das gäbe es ja keine Gleichheit vor Gott. Der Unterschied der Seelen liegt nicht in ihrer Fähigkeit oder Unfähigkeit, die tiefsten Erfahrungen zu machen, sondern nur in dem Grade der Artikulation, mit welcher sie diese Erfahrungen zur Kenntnis nehmen dürfen (sinngemäß Franz Werfel in „Stern der Ungeborenen“).“

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Warum genügt es Menschen nicht, einfach zu leben, weshalb müssen sie auch noch unbedingt wissen wofür? Man muss nicht alles wissen! Selbst mit der Frage kann man gut leben, ob Schicksal veränderbar ist oder jeder Versuch, es zu korrigieren, gleichermaßen vorherbestimmten Gesetzen folgt, und zwar indem man die Antwort getrost der göttlichen Vorsehung überlässt. Auch das Wunder der Willensfreiheit gestattet jedenfalls nicht, Naturgesetze zu durchbrechen. Gottgedachte Spuren können weder Päpste, Großayatollahs, Oberrabbiner noch sonstige Religionsaufseher voraussehen. Ebenso wenig lässt sich endgültig beweisen, dass Gott „nicht würfelt“, wie die Wissenschaft behauptet! Unsere Gottesfurcht speist sich jedenfalls aus all der Willkür, dem Zufall und der Widersprüchlichkeit, denen wir tagein tagaus begegnen und die unser Leben so begrenzt und unberechenbar machen, dass wir sie mit dem Allmächtigen verbinden.

„Der Zweifel eint, das Urteil trennt“, meint Peter Ustinov: „Das völlige Fehlen von Zweifeln sei eigentlich Extremismus, sei schlichtweg verrückt.“ Deshalb überlassen wir die letzten Urteile gerne andern und pflegen mit Ustinov den Zweifel an der uns religiös verkündigten Wahrheit als „Quelle der Inspiration“: Unglaube erlaubt klarer zu sehen als Glaube!

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„Jenen vertrauen, die noch nach der Wahrheit suchen, aber allen misstrauen, die sie gefunden haben“, lautet eine große Lebensweisheit. Es existiert zumindest keine dem Menschen zugängliche ewige Wahrheit, aber es macht Menschen sympathisch und vertrauenswürdig, dem Ideal der Wahrheitssuche zu folgen, ohne das Gefundene gleich als ewig gültig verkünden zu müssen. Wie recht hat doch jenes spanische Sprichwort: „Los ideales son como las estrellas, no las podemos alcanzar nunca, pero nos pueden orientar (Ideale sind wie die Sterne, wir können sie nie erreichen, aber sie können uns leiten).“

„Ich habe für mich ein Gesetz und das ist die Wahrheit! Allerdings sollte man nur deshalb nach Wahrheit streben, weil es eine solche, postuliert, nicht gibt und nicht geben darf (sinngemäß Ödön von Horváth)“.

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Nichts ist so unbefriedigend wie ein Glaube ohne Umrisse, was zur Religion führt. Das Unfassbare der Welt, des Kosmos, nötigt zum Glauben (sinngemäß Victor Hugo). Wünsche nach Beständigem und Erklärbarem in diesem Universum ständig wechselnder, geheimnisvoller Dinge sind verständlich. Wer sie sich erfüllt, liefert sich freilich weihrauchschwingenden, leicht um den Verstand bringenden religiösen Verdummungsanstalten aus, in denen sich der ganze gesunde Menschenverstand verbeten lässt und einem heiligen Stumpfsinn weicht. Wenig verwunderlich, vor allem wenn Frömmigkeit sich in mechanischen Wiederholungen, sich in Rosenkranz, Gebetsmühlen und anderen geisttötenden Werkzeugen der Frömmigkeit erschöpft. Wem der Stoff ausging, fand zumindest noch vor einiger Zeit auf der Webseite „www.betentutgut.de“ die erforderlichen Anregungen zur Beseitigung noch überlebender Gehirnzellen.

Dabei wünschte man, die Menschen würden, statt geist- und verstandestötender Rosenkranz-Gehirnwäsche, wirklich beten, denn „angesichts der beiden großen blinden Gewalten, des Schicksals und der Natur, findet der Mensch gerade im Gebet in seiner Ohnmacht eine Stütze (sinngemäß Victor Hugo)“. Die leidenschaftlich in einer Brust gesammelten Mächte des Gebets lassen sich zum Glück auch ohne den eigensüchtigen Beistand von sich als fachkundig ausgebenden Kirchen erahnen und erfahren.

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„Lustig gelebt und selig gestorben, das heißt dem Teufel die Rechnung verdorben“, verrät ein norddeutsches Sprichwort. Das mag ein wenig oberflächlich sein, aber, ewigen Wahrheiten widerstehend, kann jedenfalls jeder ein bergendes, schützendes Haus bauen, in realer und seelischer Hinsicht - einen Fetzen Beständigkeit in der Vergänglichkeit des Seins.

Niemand verpflichtet zur Ewigkeit, außer Religionen! Eine solche existiert jedoch nur für Kinder und Liebende. Nirgends ist freilich die Dekadenz des Zeitalters leichter erkennbar als daran, dass Menschen selbst dieses bisschen Beständigkeit opfern. Sie richten sich noch nicht einmal mehr für die Dauer ihrer Lebenszeit ein, sondern für immer kürzere Zeiträume, sowohl in ihrer privaten Welt als auch im öffentlichen Leben. Wer glaubt, diese kuriosen zeitgenössischen Auswüchse ließen sich nur durch eine groteske Jenseits-Schau eindämmen, dem sei gesagt, dass nur kultivierte Diesseitssinnlichkeit für eine Versöhnung von „Fleisch, Geist und Seele“ Sorge trägt. Vom Leben nach dem Tode bleibt uns nur eine unverlässliche Interpretation durch Verdammnis predigende Interpreten, auf die wir gerne verzichten. Niemand sollte sich vor einem ja nun einmal auch nicht zuverlässig bestreitbaren Leben nach dem Tode fürchten, wenn er im Diesseits mit Anstand gelebt hat.

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Um auf der spirituellen Leiter voranzukommen, segeln wir fortan lieber unter eigener religiöser Flagge und bewältigen die Suche nach dem wahren Leben besser ohne etablierte Religionen. Bis das nachstellungsfrei möglich ist, glauben wir nur an den lieben Gott und an sonst nichts und absolvieren Kirchgänge allenfalls aus purer Höflichkeit oder zu touristischen Zwecken.

Gegen Gotteshäuser als Begegnungsstätten, in denen man sich über die Endlichkeit des Lebens, ewige Wahrheiten, letzte Dinge und anderes austauschen kann, ist nichts, aber auch gar nichts einzuwenden. Eine Umwidmung der mit Blut und Schweiß von Generationen errichteten Kirchenbauten zu Restaurants oder Discos ist daher abzulehnen.

Kirchen sind hoch willkommen als persönliche Meditationsstätten, zu denen jeder Zutritt hat, um seinen Frieden mit Gott zu machen und nach seiner Fasson selig zu werden. In aller Stille, versteht sich, ohne dass arglos Meditierende von irgendjemand mit irgendeinem Glauben belästigt oder von irgendeiner Religion „bekehrt“ oder besser „verkehrt“ werden. Wer einen Anker im Himmel haben möchte, soll nur ja nicht jenen der Religionen werfen.

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Selbst die Beschränktheit des Atheismus kann die Existenz Gottes nicht verleugnen. Der Atheist glaubt an nichts und vergisst, dass dies nur eine negative Form des Glaubens darstellt. Deshalb können wir den materialistischen Atheismus auch nur für eine Religion halten, wenngleich für eine vergleichbar schlechte. Wir wenden uns ausdrücklich gegen jene zynischen Zeitgenossen, die als besten Beweis gegen die Existenz Gottes den desolaten Zustand der Welt anführen. Vielmehr bekundet gerade die elende Situation des Planeten, dass es auf Erden nicht um den Inhalt von Religionen, sondern um deren Herrschaft geht.

Gegen den Versuch, den Menschen auf seine biologischen und physikalischen Prinzipien zu reduzieren und die bloße Biochemie der Hirntätigkeit für Religion und Weltanschauung verantwortlich zu erklären, wehren wir uns gleichermaßen. Unbestrittenerweise gibt es neben dem naturwissenschaftlichen auch einen ästhetischen, ja religiösen Zugang zur Wirklichkeit. Die entscheidende Frage ist nur, wer hat die Befugnis zu dessen Interpretation? Radikal zurückgeschnitten, verbleibt doch vom Inhalt des Glaubens nicht mehr als ehrfürchtiges Ahnen, ein religiöses Grundgefühl, wie es die Philosophen nennen, das zwar dem Verstand, doch nicht der Ahnung verschlossene Unfassbare.

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Von diesen grundsätzlichen Erwägungen einmal abgesehen, sind die Anliegen atheistischer Verbände durchaus der Beachtung wert. In Deutschland gehört zum Beispiel etwa ein Drittel der Bevölkerung keiner der beiden Großkirchen an. Kirchenaustritte lassen nun den Anteil der Konfessionslosen zwar langsam aber stetig ansteigen, was sich aber nicht in einer entsprechenden Steigerung der politischen Bedeutung dieser wachsenden Bevölkerungsgruppe abbildet.

Andererseits verfügen die christlichen Großkirchen bis heute über einen einzigartigen Einfluss, von ihrer Monopolstellung im Sozialwesen angefangen bis zu ihrem immensen Besitz an Grund und Boden. Man denke auch an das Kirchensteuerprivileg, an die Kirchen vom Staat zufließenden riesigen Geldbeträge und an den als ordentliches Lehrfach anerkannten Religionsunterricht. Hinzu kommen eine Vielzahl von eigenen Publikationsorganen und entsprechende Einwirkungsmöglichkeiten auf die übrigen Medien.

Während viele Kirchenmitglieder immer seltener vorbehaltlos die christlichen Glaubenslehren akzeptieren, finden sie dennoch oft nicht den Weg zum Kirchenaustritt. Da hindern mutwillig aufgebaute bürokratische Hürden oder die irrige Meinung, mit den Kirchensteuern würde eine Art Beitrag geleistet zur Erfüllung sozialer Aufgaben. Dieses Geld könnte, anders organisiert, viel wirkungsvoller, sinnvoller und einflussfreier eingesetzt werden als über das religiöse Machtmonopol.

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Wie freut vor dem Hintergrund absolutistisch-religiöser Wahrheitsansprüche der Ausspruch eines indischen Gurus, der meinte, „Gott sei zu groß, um in eine einzige Religion zu passen“. Das klingt zumindest schon nach einem Schritt in die richtige Richtung, nach offenen und gleichberechtigt in Konkurrenz miteinander tretenden Glaubensbekenntnissen, von denen wenigstens keines mehr den Anspruch erheben kann, alleinseligmachend zu sein.

Überlegt man, wie gleich Menschen sind, in ihren Bedürfnissen, in Freude und Leid, ist es von nicht zu überbietender Kuriosität, dass gerade „Götter“ sie so entfremden, dass sie einander wegen religiöser Hirngespinste die Köpfe einschlagen. Die tiefere Ursache, dass sie nämlich eine davon profitierende Geistlichkeit durch unsinnigste, Jahrhunderte und Jahrtausende lang gepflegte Glaubenstraditionen darauf verpflichtet hat, wird selten durchschaut. „Und deshalb, nur deshalb kann der Mensch seinem Mitmenschen alles verzeihen bis auf eines: dass er nach einem anderen Ritus zu seinem Schöpfer betet (Ephraim Kishon).“

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Die alten Heiden pflegten zu sagen: „Wen die Götter verderben wollen, den schlagen sie zuerst mit Blindheit.“ Nichts macht blinder als besinnungsloser Glaube. Es kann doch nicht angehen, dem unbändigen kirchlichen Gesinnungsterror noch länger die Herrschaft über die Vernunft zu gestatten. Noch immer haben vernünftige Menschen versucht, ausufernden Glauben auf ein lebbares Maß zurückzustutzen. Selten mit durchschlagendem Erfolg! „Die Erziehung der Jugend den Pfaffen aus den Händen zu winden“, forderte v. Corvin im „Pfaffenspiegel“ schon 1845.

Religionen sollten zumindest für Gläubige mit einem starken Hang zur Beschränktheit reserviert bleiben, deren Lebenszweck darin besteht, sich freiwillig in den höllischen Schlund der allein seligmachenden Kirche zu werfen und bei denen die kirchliche Interpretation des sich mit ziemlicher Ambivalenz mitteilenden Willen Gottes auch nicht mehr viel zusätzlichen Schaden anrichten kann. Sich dem Geheimnis des religiös verunstalteten Glaubens zu öffnen, heißt schließlich nur, sich dem Mysterium der Dummheit in den Rachen zu werfen. Vielleicht trägt die ganze Schuld an der religiösen Misere auch nur ein berühmter Arzt des Altertums, der irrtümlich glaubte, Weihrauch schärfe den Verstand.

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Wahrscheinlicher als der rechtzeitige Abschied von der Religion ist die endgültige Verabschiedung der Vernunft. „Intelligent Design (Begabter Entwurf)“ nennt sich eine evangelikale Fundamentalbewegung in den USA, die zu uns herüber schwappt und dagegen kämpft, dass die Evolutionstheorie in den Schulen gelehrt wird.

Auch in der Alten Welt sollen sich nach dem Wunsch dieser Bewegung die von den Wellen der verschiedensten Zeitgeister bedrohten Schifflein der Gläubigen wieder widerspruchslos um ihren Admiral scharen, den Kräften der Auflösung entgegenarbeiten, dem gefährlichen Gift der Demokratisierung des Glaubens widerstehen, seiner Verwässerung durch Beliebigkeit Einhalt gebieten und der Diktatur des Relativismus abschwören.

Auf dass das Wort Gottes nicht zerrüttet werde von ständigen Modewechseln, sollen Christen darauf verzichten, „Zeitgeistsurfer“ zu sein, sondern sich stattdessen mit neuen fundamentalistischen Gedanken dem Nihilismus der modernen Welt entgegenstellen. Wer mag davon wohl profitieren?

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Noch weniger empfiehlt sich die Rückbesinnung auf noch weiter zurückliegende und verblichene, angeblich bessere Religionen. Niemand bewies dies überzeugender als die Nationalsozialisten mit dem Versuch der Schaffung einer „heidnisch-arischen Religion“. Dieselbe Empfehlung kann genau für die deren Muster folgenden modisch-modernen Religionen ausgesprochen werden, die auf immer neuere und abstrusere Gedanken kommen, wie man den Fesseln des Daseins entfliehen könnte. Eine Linie, die nicht gerade ist, ist und bleibt nun einmal krumm! Es erfordert viel Kraft, den Tod der Religion zu überstehen, ohne auf neue Götzen hereinzufallen.

Wie viel positive Kraft könnte freigesetzt werden, würde sie nicht so destruktiv von engstirnigen religiösen Moralaposteln verbraucht, die so tun, als plumpste am Jüngsten Tage tatsächlich das christliche Paradies vom Himmel. Religionen führen auf geradem Wege zu einem finalen Ausbruch der Bosheit, der Niedertracht und der Menschenverachtung und lassen die Menschheit für ein böses Pack halten, dessen größte Lust ist, anderen Unlust zu bereiten.

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Als unverbesserliche Illusionisten empfehlen wir religiöse Entgiftungskuren gegen die die Wahrheit zurüstenden Altäre. Zum Schutz gegen den so ewig wie Gezeiten an die Küsten der Vernunft anbrandenden Glauben, sollte lieber der Gott des Verstandes respektiert werden. Schließlich ist höchst beweiskräftig bekannt, dass kurzfristig und oft drastisch bestraft wird, wer gegen ihn verstößt. Die an jeder religiösen Weltanschauung abprallende Vernunft sollte daher den Abschied von der Religion leichter machen.

Der erste Versuch scheiterte! Am 10.11.1793 wurde mit einem feierlichen Staatsakt in Paris die „Religion der Vernunft“ an die Stelle Gottes gesetzt und im Chorraum von Notre Dame ein „Tempel der Vernunft“ errichtet. Allegorische, die Tugend, Wahrheit, Wissenschaft und Freiheit darstellende Gipsstatuen schmückten den Raum. Am 7.6.1794 erläuterte Robespierre vor dem Konvent seine Moraltheorie und seinen Katechismus, dessen erster Artikel die Existenz eines „höchsten Wesens“ und die „Unsterblichkeit der Seele“ anerkannte. Im zweiten und dritten Artikel wurden die Pflichten gegenüber dem höchsten Wesen angeführt.

Statt zu denken, wurde also nur eine Rochade der göttlichen Führungskraft vorgenommen und anstelle der Abschaffung der Religion von den Gläubigen verlangt, von nun an vor einem Altar voll Licht dessen hellste Flamme, die Vernunft, anzubeten. Es ist halt zu schön und bequem, von den Religionen geschaffene, gläubig-hündische Abhängigkeiten für eigene Zwecke, hier für Robespierres Terrorgesetze, auszubeuten.

Weil man aber Ideologien ebenso wenig erschießen kann wie Religionen, sollte man lieber auf die große Pilgerfahrt gelebter Vernunft gehen und dies solange, bis durch rational-humanitären Glanz gewinnende, geistige Befreiungskriege sämtliche Religionen sturmreif geschossen wurden. Schließlich ist es an uns, Gerechtigkeit auf Erden zu verwirklichen. Und hierzu bedarf es des Verstandes und nicht beliebig interessenlastig manipulierten Glaubens. Sollten Menschen nur Geister sein, die die Erde besuchen, wie die australischen Aborigines glauben, dann sollte ihnen wenigstens der nötige Geist belassen werden.

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Beides stimmt, das mit dem Himmel und der Hölle! Nur die zeitliche Ordnung der Erzählung ist falsch. Die Vertreibung aus dem Paradies des Unbewussten ist in vollem Gange, nur die Hölle, die an seiner Stelle gebaut wird, ist noch nicht fertig. Keine gute Zeit für Lebensanschauungen, die wieder in einen ewigen Kreislauf einbinden und Worte wie „Abfall“ und „Schmutz“ vergessen machen wollen. Dabei wäre es hoch an der Zeit, die Bilder ewiger Verdammnis auf einer Erde, die „nur zu einem Tal der Tränen taugen soll“, hinter uns zu lassen.

Die Kirchen, die Weltreligionen spielen die Schlüsselrolle bei der Lösung der Jahrhundertprobleme dergestalt, wie es ein österreichischer Kabarettist sinngemäß ausdrückte: „Die kleinen Leuten sollen glauben was sie wollen und die Religionsführer endlich das Maul halten.“ Er darf sich unserer Unterstützung sicher sein! Warum beschränken sich Religionen nicht auf Sport und segnen zum Beispiel alleinseligmachende Stemmbögen (sinngemäß nach Ödön von Horváth) oder ernennen einen Schutzpatron der Eispickel?

„Er glaubte nur an den lieben Gott, sonst an nichts…“, so beschreibt Victor Hugo eine seiner Hauptfiguren, den Sonderling Gilliat, in „Das Teufelsschiff“. Warum, zum Teufel, belässt man es nicht dabei? Nun, Victor Hugo verrät in „Das Teufelsschiff“ auch warum: „Der Glaube hat eine unbeschreibbare und merkwürdige Sucht nach Form.“ Und schon eilt sie herbei, die verehrte Priesterschaft, um die Suchtkranken, und sich damit vor allem auch selbst, mit Religion glänzend zu versorgen.

Ephraim Kishon klagte, es sei nicht einfach gleichzeitig Satiriker und fromm zu sein. Entweder sei man Humorist oder man sei gläubig. Beides zusammen ginge selten gut! Wenn man erlebt, dass kaum etwas Menschen mehr zusammenführt als Heiterkeit, kann man davon ausgehen, dass Gott dieselbe liebt! Von all den humorlosen Religionen wird man das kaum behaupten können.

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Niemand vermag um die Existenz einer jenseitigen Welt zu wissen, außer natürlich unseren religiösen „Sabelotodos“ (spanisch für „Klugscheißer“), und schon gar nicht um Machtstrukturen, die dort bestehen könnten. Wie sollte jemand auch nur erahnen können, ob und inwieweit Geister dieser jenseitigen Welt in unser Leben hinein Einfluss nehmen? Immerhin spricht aber einiges tatsächlich für die Existenz einer solchen uns maßgeblich beeinflussenden, ja vielleicht beherrschenden Welt. Dazu genügt schon die Betrachtung und Bewertung all der Unvernunft, die sich das menschliche Leben gestattet. Und um das zu erklären, wird von den Religionen gerne die geistige Figur des „Teufels“ bemüht (siehe oben und unten). Da machen sie es sich freilich ein bisschen zu einfach!

Sollte uns das Angebot erreichen, irgendwann als solch jenseitige dämonische Wesen auf der Erde zu herrschen, würden wir unsere Macht zweifellos über die Religionen und über den von ihnen vertriebenen Glauben ausüben. Damit würden all die Personen, die sich jeweils erfolgreich an deren weltliche Spitze stellen konnten und scheinbar Macht ausüben, auch zu nichts anderem als zu bloßen Opfern, die ihren Dienst an einer übermächtigen Gottesidee zu verrichten haben. Weiterhin wäre klar, dass in letzter Konsequenz die gesamte Priesterschaft in diesem System lediglich bessere Plätze erobern konnte und behalten möchte, was nichts aber auch gar nichts daran änderte, dass auch sie nur von ihrer Religion Beherrschte sind. Vielleicht verhält es sich ja wirklich so und wir sollten dem Heiligen Vater und anderen Religionsfürsten dieses Gedankenangebot kostenfrei zur Prüfung übermitteln!

Mit anderen Worten: Wir wären allesamt Gefangene übermächtiger geistig-religiöser Systeme - und damit kämen wir dem Erlösergedanken schon bedenklich nahe, wenn wir diesen freilich anders interpretieren als die verehrte Priesterschaft: Wir möchten doch nur von der Seuche der Religionen befreit, ja erlöst werden!

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Die Ruinen der Religionen stehen auf unhaltbarem Grund. Führen wir endlich einen Kreuzzug gegen das Kreuz und andere vergleichbar mächtige religiöse Symbole und beginnen mit der Wiedereroberung heiligsten Menschenlandes, des Diesseits. Daseinsverdüsternder Glaube hat die Menschheit zu lange, über viele Jahrhunderte und Jahrtausende, gefangen gehalten.

Ein Kreuzzug der nicht einfach werden wird! Wir kämpfen gegen religiös-geistige Ordnungen, die sich über die ganze Welt und bis in die letzten Winkel der Gesellschaften erstrecken und deren Kathedralen und Tempel in Frömmigkeit manchmal den Himmel zu berühren scheinen. Zu viele Menschen können nicht über ihren Glauben hinausdenken und ohne ihn fürchten sie in tiefstes Verderben zu stürzen.

Erst wenn die Menschheit sich von Kirchen und Konfessionen, vom Morast der Religionen und ihren geistigen Hinterlassenschaften erfolgreich befreit hat, kann sie in einem Diesseits leben, in dem die Schöpfung wieder aufatmet. Leider eher erst morgen als heute; denn das Auslaufmodell „Religion“ wird sich noch viele, viele Jahre lang auslaufen, auslaufen müssen. Schließlich hat es sich ja auch viele, viele blutige Jahre lang eingelaufen.

Auf ein verträgliches Zusammenleben wird man sich nur außerhalb religiöser Bevormundung einigen können, da dem Glauben nicht gerade daseinserhellende Kräfte zugesprochen werden können. Wer genug Religionen probegeglaubt hat, wird seinen Frieden mit der Religion machen und uns recht geben! Mitunter gibt es weise Menschen, selbst wenn es sich um Könige handelt. Ein englischer Monarch soll Untertanen, die sich von seiner Handauflegung Wunder versprachen, mit auf lateinisch gemurmelten Worten gesegnet haben: „Gott gebe euch weniger Glauben und mehr Verstand.“ Dem ist in Glaubensfragen wirklich nichts hinzuzufügen! Glauben wir lieber fortan an die einzige wirkliche Offenbarung, nämlich jene, die wir in den Augen eines geliebten Wesens lesen (Wilhelm Raabe).

Wenn in jedem Zeitalter, jeder Kultur, jeder Gesellschaft das Grundbedürfnis des Glaubens nach Befriedigung verlangt, dann müssen wir endlich lernen damit zu leben, ohne gleichzeitig und immerwährend immer und immer wieder nur Ausbeutungsmechanismen Tür und Tor zu öffnen. Solange das nicht gelingt, ist kein Weltfrieden in Sicht, sondern stattdessen hausgemachtes Unglück soweit das Auge reicht!

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Sollten Leser aufgrund vorstehender Überlegungen glauben, Kirchen, Religionen, ja Gott selbst wegen angeblicher Beschimpfung den Staatsanwalt zu Hilfe schicken zu müssen, würden wir das durchaus als Kompliment für unsere Arbeit in Betracht ziehen. Und ängstigten würde uns das keineswegs! Wissen wir doch, dass man Gott so klein und irdischer Hilfe bedürftig niemals machen kann, dass ihn hausgemachtes Strafrecht beschützen könnte oder müsste. Gott würden wir niemals lästern, nur bezüglich der Verwünschung von Kirchen und ihren Betreibern, die sich seiner so oft und dreist bedienen, machen wir gerne eine Ausnahme. Wir setzen uns nämlich aus Gottesfürchtigkeit, im Gegensatz zur Kirche mit ihrer „geweihten“ Priesterschaft, nicht an dessen Stelle. Wer so hoch sitzt, erliegt natürlich leicht dem Irrtum, er sei es, der als Gott strafrechtlichen Schutzes bedarf.

Der Abschied von der Religion sollte selbst jenen leicht fallen, die sich durch die Hinterfragung solchermaßen praktizierten Glaubens vielleicht falsch verstanden, angegriffen oder beleidigt fühlen. In letzter Konsequenz handelt es sich doch nur um einen zum Geschwür verkommenen Glaubensmoloch, der alles und jedes verschlingt, auch diejenigen, die glauben, von alledem zu profitieren. Wiederholt sei nochmals: Der Abschied von der Religion bedeutet nicht den Abschied von Gott, sondern nur von seinen Betreibern! „Glaube“ ist schließlich nur die zweite Macht, „Wollen“ die erste. Die Berge, welche dem Sprichwort nach der Glaube versetzt, sind nichts gegen das was der Wille vermag (Victor Hugo). Also setzen wir endlich den Willen gegen den Glauben!

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Wem der Abschied von der Religion nun noch immer zu schwer fällt und der ohne Religionsgemeinschaft gar nicht auskommen mag, sollte wissen, dass es längst eine Religion gibt, die im eigentlichen Sinne keine mehr ist und viel von dem zu leisten vermag, was man von vernunftgesteuertem Glauben erwarten darf: Jener Teil der „unitarischen Kirche“, die zwar im weitesten Sinne aus dem Christentum hervorgegangen ist, die aber nichts mehr mit demselben verbindet:

* vollständige geistige Freiheit in religiösen Belangen
* uneingeschränkter Gebrauch der Vernunft im religiösen Bereich
* weitgehende Toleranz gegenüber den verschiedenen religiösen Ansichten und Praktiken (zum Glück nicht volle Toleranz, eig. Anm.)

Die Unitarier sind nach ihrem Selbstverständnis eine Religionsgemeinschaft freien Glaubens, eine freiheitliche, nichtchristliche, pantheistische und humanistische Religionsgemeinschaft in der Tradition der Religionsauffassung der Aufklärung. Kaum jemand kennt sie und sie sind, jedenfalls in Europa, so gut wie bedeutungslos. Zu viel Verstand hält die Welt eben nicht aus!

Sie besitzen kein religiöses Dogma und sind deshalb eine freie Religionsgemeinschaft. Es gibt aber Grundgedanken der Gemeinschaft, die dem Einzelnen als Interpretationsmöglichkeit angeboten werden. Zentrale Grundsätze sind der Glaube an die Einheit allen Seins, das vom Wesen des Göttlichen durchdrungen ist, und der Glaube an die menschliche Vernunft. „Freiheit, Vernunft, Toleranz“ werden hochgehalten, was so angenehm von Christen und anderen Religionssträflingen unterscheidet. Sie glauben an ein zusammenhangstiftendes Weltprinzip, das sie gerne als das Göttliche bezeichnen.

Religiosität wird als dem Menschen angeborene Sinnstiftungsfähigkeit angesehen, durch die er sein Leben mit Sinn erfüllen kann und durch die er freiheitlicher, toleranter und liebesfähiger wird. Die Interpretation der Welt bleibt dabei unbedingt dem Einzelnen überlassen. Damit wird auch die Verantwortung für das eigene Handeln und Unterlassen vom Menschen als unverzichtbar eingefordert.

Gemeinsame unitarische Glaubensaussagen werden in Form von „Grundgedanken“ in unregelmäßigen Abständen durch Konsens innerhalb der Gemeinschaft den sich wandelnden Überzeugungen der Mitglieder und womöglich auch den Erkenntnissen der Zeit angepasst und schließlich auf einer Hauptversammlung beschlossen. Die Grundgedanken der Deutschen Unitarier sind damit das erste historische Beispiel für eine Religionsgemeinschaft, die auf den religiösen Überzeugungen der einzelnen Mitglieder gegründet ist und deren gemeinsame Glaubensaussagen basisdemokratisch festgestellt werden, wobei diese wiederum nur dann verbindlichen Charakter haben, wenn sich ein Unitarier über die Unitarier allgemein äußert und nicht nur seine persönlichen Überzeugungen.

Sehr sympathisch ist dabei allein schon die Tatsache, dass der berühmte Urwalddoktor Albert Schweitzer weniger in der protestantischen Kirche und Lehre seine geistige Heimat gefunden hat, sondern eher bei den Unitariern.

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Mit einem einzigen tröstlichen Satz wäre aber auch alles über Glauben, Religion und Gott gesagt:

                          „Alles Ding währt seine Zeit,
                              Gottes Lieb in Ewigkeit.“

           (Paul Gerhardt, Theologe und Kirchendichter)



            Hokuspokus - Aberglaube

Vom Aberglauben ausgehende Gefahren können gar nicht überschätzt werden! Das geht soweit, dass er Bewohner von Häusern, ja ganzen Orten, in denen es „umgeht“, töten kann. Die Bemühung von Aberglauben kommt nicht selten der Bestellung von Missgeschick gleich! Wer sich näher mit dieser Materie befasst, ist angesichts der damit verbundenen intellektuellen Zumutungen oft hochgradig selbstmordgefährdet und muss um seinen Verstand fürchten. Sorgen muss man sich jedoch nicht mehr um den Verstand aktiv praktizierender abergläubischer Personen, deren Geisteskraft schon lange verloren ging. Aberglaube zieht Spinner und Verrückte an, wie der Leichnam die Fliegen. Jede Suche nach den wirklichen Motiven, die Menschen freiwillig ihr Gehirnschmalz abzugeben veranlasst, lässt in gehobener Ratlosigkeit zurück.



Wahrsager, Vorherseher, Gesundspucker

Weissager, Wahrwisser, Vorherseher, Prophezeier, Hellschauer, Vorausahner, Gespenstergucker, Gesundspucker, Kartenleger, Höllenkundler, Handleser, Orakeldeuter, Mühlhiasl-Ausleger, Glückskeks-Füller, Palmblätterbeschrifter, Sternspäher, Wahrträumer, Bleigießer, Geisterklopfer, Spukbeschwörer, Knochensplitterwerfer, Eingeweidedeuter, Kaffeesatzleser, Kristallkugelbetrachter, Tische-Rücker, Wünschelrutengänger, Wasseradernaufspürer, Erdstrahlenjäger, Feng Shui-Berater, Geomantie-Kundler, Transzendentalarchitekten, Bhagwan-Erleuchter, Säulensitzer, Nagelbrett-Strapazierer, Krishna-Bettelmönche, Astrologen, Parapsychologen, Nostradamus-Interpreten und viele viele weitere Personen und Personengruppen sind unermüdlich Wahrheit und Zukunft auf der Spur.

Nicht minder unerschöpflich sind die Hilfsmittel, die den Rat der Sterne oder anderes begreifen lehren, um atemberaubende Weissagungen zu ermöglichen! Schlussfolgerungen werden gezogen aus dem Verhalten von Wasser, aus den Lauten von Mäusen, aus der Figur von Zwiebelsprossen, aus den Umrissen von Wolken, aus dem Zustand von Kuhfladen, aus der Gestalt von Reisern, aus Kontakt mit Toten, aus verkohlten Lorbeerzweigen und und und… Steine wehren den bösen Blick ab, Korallen schützen vor Dämonen, Glöckchen verscheuchen böse Geister, Amulette bewahren vor Bösem. Manchmal hilft es beim Gesundbeten schon jemand anzuspucken, wie es manche Zigeuner und andere tun. So vorgebildet machen wir uns jetzt auch einmal ein bisschen verdient im Kaffeesatzlesen: Jeder kann aus Umfang und Stärke der Geruchsbelästigung von Blähungen ohne nähere Analyse auf die Qualität der Gesundheit des Eigentümers schließen!

Manches Blendwerk ist freilich leicht zu durchschauen. Zum Beleg übernatürlicher Kräfte wird gern von Geistheilern erzählt, die mit viel Hokuspokus böse Geister aus krankem Vieh vertreiben. Das Wunder gelingt, für einige Zeit geht es den Tieren besser. Diese Mechanismen funktionieren freilich nicht so, wie sich einfältige Bauern das vielleicht vorstellen. Behandelt wird nicht das Vieh, sondern der Mensch. Solches Unglück ist oft hausgemacht. Unbewusst werden Tiere falsch gefüttert, schlecht gehalten, ja geschädigt oder verletzt. Der Glaube an die Kraft von Hexen oder Zauberern kehrt diesen Prozess für einige Zeit um, bis die nächste (kostenpflichtige) „Behandlung“ (des Menschen durch den Menschen) unumgänglich wird.

Wahrsagen etc. ist, strenggenommen, ein bloßer Wunsch nach Vorherwissen, nur ein Traum von Wahrheit. Mit ganz unglaublichem Fleiß wird an den bescheidenen Gefilden der praktischen Vernunft vorbeigeschrammt. Zumindest der Unterhaltungswert kommt nicht zu kurz!

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Das erste Horoskop in einer Zeitung erschien schon im Jahr 1930 und bediente den Glauben an die kosmische Kraft der Sterne. Eine lohnende Dienstleistung! Immerhin lesen inzwischen 77 Prozent der Deutschen Horoskope. Diese gedruckten Geistesblitze sind freilich nur ein kleiner Teil eines großen Gewerbes, das sich gerne von astrologischer Massenware distanziert: „Es handle sich beim Zeitungshoroskop lediglich um Vulgärastrologie, weil zu pauschal, zu oberflächlich und zu mehrdeutig. Komplexes würde auf einfache und mechanische Folgerungen reduziert, während gleichzeitig nichts aber auch rein gar nichts erklärt würde.“ Leider gilt das für die Zunft insgesamt!

Seriöse Astrologie behauptet, anhand von Sternbildern und Planetenkonstellationen durchaus belastbare Zukunftsaussagen treffen zu können. Und, warum sollten Politiker auch minder abergläubisch sein als die Durchschnittsbevölkerung? So verdanken wir bis heute wohl so manche weltpolitische Entscheidung von Rang, vielleicht hin bis zu einem kleinen Weltkrieg, der Geburtshilfe von Astrologen. Wir wollen den Sternen die kosmische Kraft auch gar nicht absprechen, sondern stellen nur die wahrsagende Gabe ihrer zahlreichen Interpreten in Abrede.

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Das Beispiel des Zeitungshoroskops macht deutlich, dass es im Grunde nur ein Bedürfnis zu befriedigen gilt, mit welchen Mitteln ist im Vergleich hierzu völlig unwichtig. Bei den meisten Zeitungshoroskopen werden zunächst willkürliche Ereignisse (z.B. „Heute begegnen Sie der Liebe“) aufgeschrieben und danach mit Sternzeichen zusammengeführt (etwa durch „Ziehen der Sternzeichen“). Die Verlage sind klug genug, für die Ausführung dieser okkulten Tätigkeit nicht teure und schon gar nicht jeweils dieselben Wahrsager zu beschäftigen. Das wiederum erklärt, warum die Horoskope verschiedener Zeitungen Unterschiedliches vorhersagen. So kann jeder Interessent das für ihn passende Horoskop herauspicken. Empfehlung: Zehn Zeitungen prüfen und jene mit der günstigsten Zukunftsprognose kaufen. Verständlich, dass Horoskope eher günstig als ungünstig ausfallen. Zeitungen leben nun einmal vom Verkauf und nicht von ihrer Verwertung als Altpapier.

Gebildete Abergläubische würden sich freilich niemals mit einem kostengünstigen Zeitungshoroskop zufriedengeben, sondern lassen sich lieber von einem keltischen Baumhoroskop oder einem tibetanischen Edelhoroskop hereinlegen, die von geistigen Wahrsager-Sternen mittlerer Größe und Leuchtkraft nicht ganz billig erstellt werden. Wohl den Ländern, in denen die Stellung eines Horoskops als unabdingbare Heiratsvoraussetzung gilt, wie z.B. in Indien, mag mancher hochmotivierte (Wahrsage-)Berufsanfänger hierzulande denken, der sich um seine künftige Beschäftigung sorgt.

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Tierfreunde sind mit der chinesischen Astrologie gut bedient! In der wiederkehrenden Abfolge von jeweils 12 Jahren wird jedem Jahr ein eigenes Tierzeichen zugeordnet. In der Legende rief Buddha alle Tiere zu einem Festtag. Die Ratte erzählte der Katze wahrheitswidrig, dass dieses Fest erst einen Tag später gefeiert würde. Sie selbst ritt rechtzeitig auf dem Rücken des Büffels und erreichte es als Erste. Buddha belohnte alle erschienenen Tiere, indem er je ein Jahr nach ihnen benannte: Ratte, Büffel, Tiger, Hase, Drache, Schlange, Pferd, Schaf, Affe, Hahn, Hund und Schwein.

Die leer ausgegangene Katze aber verfolgt seitdem die Ratte, um sich zu rächen. Wer also mit der Qualität seines chinesischen Horoskops nicht zufrieden ist, sollte den verantwortlichen Vorhersager mit „Du Ratte!“ beschimpfen.

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Vorhersagen sind im Übrigen manchmal gar nicht so schwierig wie man denkt. Gewiefte Astrologen lassen beispielsweise ihre zu druckende Astro-Ausgabe vom August erst im September erscheinen und können so „zukünftige Ereignisse“ wie sie sich erst im September ereignet hatten, glaubwürdigkeitsfördernd schon in der Augustausgabe „vorhersagen“. Ja, astrologische Aussagen können sogar weltkriegsentscheidend sein. Die Engländer beschlagnahmten kurzentschlossen Nostradamus und ließen ihn die deutsche Niederlage rechtzeitig moraluntergrabend vorhersagen.

Kein Wunder, dass Astrologen versuchen, ihren Beruf schützen zu lassen. Erlaubt er doch immer wieder abergläubische Herrscher zu beeinflussen, und schon ist man als Vorhersager selbst an der Spitze der Macht, ohne die Ochsentour über Parteien etc. antreten zu müssen.

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Prophetie, Weissagung oder Offenbarung sollen die Zukunft unter dem Einfluss besonderer göttlicher Erleuchtung vorausverkündigen. Weigert sich dieselbe in dieser Form einzutreffen, umso schlimmer für die Zukunft (frei nach Hegel). Am besten kommt die Prophetie weg, wenn sie sich auf wissenschaftliche Methoden oder Argumente gründet. Dann spricht man von einer Prognose. Wetter- und Aktienprognosen lehren freilich, dass es selbst hier mit zutreffenden Aussagen nicht immer gut bestellt ist. Propheten trauen sich deshalb in der Regel lieber nur allgemeinere Vorhersagen zu. Handeln sie wissenschaftlich, lassen sie sich gern als Futurologen ansprechen.

Wahrsagerei unterscheidet sich von den wissenschaftlicheren Methoden der Zukunftsvorhersage insofern, als sie meist keine theoretischen Grundlagen besitzt und praktisch aus dem Nichts Schlussfolgerungen zieht, während die Wissenschaft erst über die Theorie zur Prognose kommt. Nicht selten bemühen Parapsychologen dennoch wissenschaftliche Erklärungen für die Funktionsweise der Vorhersage, etwa „dass die Karten im Tarot durch das Unterbewusstsein beim Mischen beeinflusst würden“.

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Nur in einem einzigen Fall klappt die Vorhersage der Realität relativ zuverlässig und zwar im Falle der sogenannten sich selbst erfüllenden, negativen Prophezeiung, was gar nicht so selten ist. Ein Unglück wird vorhergesagt und sich davon angesprochen fühlende, abergläubische, das Unglück herausfordernde Menschen können es oft gar nicht eilig genug haben, es sich zuzulegen. Das freut die Branche, denn in allen anderen Fällen konnte noch nie bewiesen werden, dass Hellseherei & Co. funktionieren. Übrigens, ein probates Mittel für Kristallkugel- und sonstige Weissager ist es, absprungwilligen Kunden entsprechend ungünstige Zukunftsprognosen in Aussicht zu stellen, was diese meist zum weiteren Verbleib veranlasst.

Wie die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V. anhand von Vorhersagen prominenter Wahrsager alle Jahre wieder für das Vorjahr belegt, ist die Trefferquote jedes Mal sehr gering. Das wollen wir keineswegs nur negativ verstanden wissen! Die Entwicklung der Aktienkurse, zumindest während der turbulenten Zeit um die letzte Jahrtausendwende, wurde von Hellwahrsehern gleichwohl immerhin noch zutreffender vorhergesagt als von abgeklärten Börsengurus. Entgegen der herrschenden Meinung in der Wahrsage-Gemeinschaft rechnen wir ihr allerdings die Vorhersagen von „Trends“ nicht zu. Sie werden von denen prophezeit, die sie machen - und das ist ja noch nicht einmal eine mechanisch-dilettantisch-parapsychologische Kunst.

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Manche Geisterseherei gibt sich so seriös, dass man sie auf den ersten Blick gar nicht mit der leichtfertigen Gesellschaft der Spiritisten, Knochenwerfer oder Eingeweidedeuter in Verbindung bringen möchte. Feng Shui ist eine alte taoistische Vision und Naturerfahrung; die Idee, dass das Land gefüllt ist mit Energie, Leben und Kraft. Es gilt, die empfindliche Balance der Natur zu erhalten. Der Glauben an das Chi (oder Ki), die unsichtbare Lebensenergie, ist die wichtigste Grundlage des Feng Shui.

So weit, so überzeugend! Dennoch handelt es sich bei „Feng Shui“ um chinesische Wahrsagerei (Geomantie = europäisches Feng Shui), die nicht einmal davor zurückschreckt, Wolkenkratzer in Harmonie mit ihrer Umgebung zu bringen. Dabei sollte ein ersatzloser Abriss solcher unsere Umwelt ohnehin beleidigender Gebäude die Geister der Luft und des Wassers weit geneigter gemacht werden, jedenfalls wenn man überlegt, wie viele „verstockte Energien“ sich gerade in Hochhäusern festsetzen.

Manchmal hilft Feng Shui auch erst in letzter Minute. Ein Wolkenkratzer in Hongkong erwies sich, wegen Verstoßes gegen elementare Grundregeln des Feng Shui, als unvermietbar. Er stand ganz einfach völlig unharmonisch zur falschen Zeit am falschen Platz in der falschen Gegend! Ein zu Rate gezogener Großmeister veranlasste zum Glück einige innere Umbauten und ersparte so die komplette Wiedererrichtung. Wir gehen davon aus, dass sein Honorar weit unter der Kostenschätzung für einen vollständigen Neubau lag.

Zu denken geben auch die oft nach Feng-Shui-Gesichtspunkten angeordneten Gräber in Asien. Sie stehen, aus Laiensicht betrachtet, kreuz und quer im Weg herum, was angesichts der kleinen Bauten offenbar bezahlbar ist. Die asiatischen Städte sehen hingegen ziemlich rechteckig aus. Sollte der Aberglaube zwar nicht am gesunden Menschenverstand zerschellen, sondern nur dort kapitulieren, wo er unbezahlbar wird (Städteplanung), könnte vielleicht eine Feng-Shui-Steuer weiterhelfen. Bis dahin sollte man es jedenfalls in Großstädten mit der Einholung eines Feng-Shui-Rates zur räumlichen Anordnung von Möbeln etc. in seiner Wohnung sein Bewenden haben lassen, der nicht ganz so teuer sein dürfte.

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Seit die Esoterik auch durch Datenkanäle jagt, vervielfacht sich die Zunft der Zukunftshellsehvorausschauer. Man kann sich nicht nur auf den einschlägigen Seiten telefonisch beraten lassen, sondern gleichermaßen als Berater bewerben. Personal wird dringend benötigt! Nun werden Menschen, die auf die Kraft der Sterne vertrauen, nicht selten unheilbar beratungssüchtig. Dann flattern Rechnungen über mehrere tausend Euros nur so ins Haus. Immerhin hat, wer das Universum, vertreten durch fachkundige Astrologen, fernmündlich befragt, durchschnittlich ein bis zwei Euro die Minute zu berappen. Das summiert sich!

Ob das Preis-/Leistungsverhältnis stimmt, lassen wir offen: Shirana bietet Hellsichtiges für 1,78 Euro/Minute. Der Preis für kartengestütztes Hellsehen wird dagegen frei ausgehandelt, wobei der erzielte Verdienst zweifellos über der Stütze für Sozialhilfeempfänger liegen wird. Berufserfahrene Kartenmischer legen eine Kurzlegung schon in fünf bis sieben Minuten hin, Lebensberatung inklusive. Das mit „Skatkarten oder Orakelkarten ins Licht gebrachte Dunkel“ entschlüsselt sich spätestens bei der Abrechnung der Kosten. Vistano bietet zum Schnäppchenpreis intuitives Kartenlegen für nur 0,79 Euro/Minute. Magic Woman ist ein bisschen teurer, findet dafür aber mit uns gemeinsam „den Weg aus der Finsternis“ (1,63 Euro/Minute).

Um die vielen Betrüger im Netz wissend, bietet uns Gabi Tscheikiki „hellsichtiges, ehrliches Kartenlegen“ an. Klar, dass das mit 1,94 Euro/Minute seinen Preis hat. „Kartenlegen und Pendeln?“ Dieses Angebot schlagen wir aus, denn über dem Abgrund der Kartenpendler pendeln wir zu diesem Zeitpunkt ja längst. Das Runen- und Pendel-Angebot legen wir erst recht beiseite, da wir mit dem Runengehabe schon zur Nazizeit Pech hatten.

Selbst Energieübertragung durchs Internet soll funktionieren. Wie? Fragen wir Crowley: „Bei mir erfahren Sie die Wahrheit!“ Zweifellos! Bei Hellseherin Mina melden wir uns gerne. Nach langer Zeit ist sie endlich wieder Online und bietet heute „nur für kurze Zeit“ ihre Leistungen zum „Aktionspreis“! Zuletzt landen wir bei Rosi „In Liebe und Wahrheit...“ Schon schnappt die Schuldenfalle endgültig zu. Kein Problem! Wir fangen oben wieder an und lassen uns wegen der zusätzlich erworbenen finanziellen Lebensschwierigkeiten astromäßig beraten!

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Warum nur fragen die Leute so viel überteuerten Aberglauben nach? Es geht weit preiswerter! An Silvester tragen Italienerinnen, bis hin zur letzten Oma, rote Unterwäsche. Das bringt Glück - zumindest Dessous-Herstellern! Dem Endverbraucher Nutzen bringt eher der spanische Brauch, um Mitternacht zu jedem der zwölf Glockenschläge, die das neue Jahr einläuten, eine Weintraube zu essen. Er darf sich etwas wünschen und Vitamine werden obendrein konsumiert. Gefährlicher ist der Neujahrsmorgen in Japan. Traditionell werden Mochi serviert, ziemlich klebrige Reisklöße. Deren Verzehr bringt nur dann Glück, wenn man nicht zuvor an Speiseröhren-Verklebung stirbt - ein Schicksal, das allein 1998 immerhin 21 Japaner ereilte.



Geist und Geister

Von Religionen zu Geistern ist kein allzu weiter Weg. Es handelt sich schließlich um nahe Verwandte. Eine gefährliche Vermischung der heiligen Grenze zwischen Religion und Geisterwesen, befürchtet dennoch jede Kirche. Die Katholische Kirche vermutet in ihnen all jene Geistwesen, die sie nicht zum eigenen Vorteil bearbeiten und eingemeinden konnte.

Viele Worte verraten, dass wir auf rätselhafte Weise von Geistern abhängig sind. Manches im Leben be“geist“ert uns. Hin und wieder haben wir „Geist“esblitze. Bei großen Gefühlsaufwallungen sind wir „geist“esabwesend. „Geist“esgegenwärtig schützen wir uns vor Unglück. Manchmal verlassen uns alle guten „Geister“, was angesichts des Zustandes des Planeten immer häufiger der Fall zu sein scheint. „Geist“reiche Menschen färben das Leben bunt. Ver“geist“igte Philosophen werden von transzendenten, die Grenzen der sinnlichen Welt überschreitenden Begriffen geplagt. Auf Jahrmärkten unterhalten uns „Geist“erbahnen. Verlassene Orte verwandeln sich in „Geist“erstädte. In „Geist“erhäusern tanzen uns „Geister“ auf der Nase herum. Goethe war von seiner letzten Liebe nicht nur be„geist“ert, sondern sogar be„geist“et. Und nun setzt alledem noch Corona mit „Geisterspielen“ und „Geisterkonzerten“ die Krone auf!

Ohne Geister könnten wir weder geisteskrank werden, noch könnten Psychiater in angeblich funktionsgestörten Gehirnen chemisch, elektrisch oder chirurgisch auf Geisterjagd gehen. Schon vor Jahrhunderten rückte man Geistern zu Leibe. Sie wurden verleugnet, abgesetzt, verboten oder gar ihrer Astralleiber (nach dem Tod fortlebende, unsichtbare Körper) beraubt.

Primitiver Geisterglaube, wie er Naturvölkern nachgesagt wird, wagt sich heute nicht mehr an die Öffentlichkeit. Geister- und Ahnenkult Eingeborener glaubt die Welt von Geistern belebt, die gefürchtet werden. Es mag primitiv scheinen, werden im Inneren von Menschen beheimatete Geister nach außen projiziert. Dennoch ist das weit klüger, als wenn moderne Menschen diese Welt verleugnen, um dann umso primitiver dem abenteuerlichsten Aberglauben zu erliegen. Verdeckt und unbemerkt plagen uns die Geister der Vergangenheit und Gegenwart! Respekt ist jedenfalls angezeigt. Victor Hugo nannte Geister „die unsichtbaren Raubvögel der Unendlichkeit“.

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Harmlose Verkleidungen von Menschen lassen sich vielleicht noch mit einem bestimmten „Image“, das bedient werden soll, erklären. Aber welche Geister mögen in Personen hausen, die sie zu Sonderlingen stempelnde Frisuren tragen lassen, ihnen abenteuerliche Hüte auf den Kopf setzen, sie in papageienbunte Anzüge stecken oder mitten in Friedenszeiten mit Stahlhelmen auf dem Kopf in bunt maskierten Motorfahrzeugen über städtische Straßen reiten lassen. Vielleicht wird eines Tages der Verdacht bestätigt, dass sich nur unzählige Geister mit uns Lebenden maskieren und ihren Schabernack treiben.

Originelle Suchtgeister hausen in fröhlich weiter inhalierenden Kettenrauchern, denen bereits zwei und mehr Raucherbeine fehlen oder treiben fröhliche Säuferlebern von einem Alkoholexzess zum andern. Ist Geistern nach Gesellschaft, treiben sie gemeinsam Spuk. Sie erfinden geisttötende Beschäftigungen wie Fließbandarbeit, Motorsportvereine, Fußball-Fanclubs, Fortsetzungsromane, Fernsehserien... Manchmal pflegen sie schwarzen Humor und sorgen so dafür, dass sich mehr Menschen das Leben nehmen als bei Verkehrsunfällen getötet werden.

Geschäftstüchtige Geister lassen Karten legen oder an Horoskope glauben. Furchtsame Menschen misstrauen schwarzen Katzen und weißen Klosterschwestern, in denen Unglücksgeister vermutet werden. Gern wird vergessen, in Herbergen Zimmer oder Stockwerke mit der Nummer 13 einzubauen. Der Vorwurf eigenen Aberglaubens wird entrüstet zurückgewiesen, wohl aber werden die zu beherbergenden Gäste verdächtigt, abergläubisch zu sein!

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Die schlechte Reputation der Geister führte dazu, dass sie kaum noch als Projektionen spuken wollen, sondern sie gingen, wie jede unterdrückte Freiheitsbewegung, vermehrt in den Untergrund. Jetzt kommen sie als unerkannte Geisteskrankheiten zur Welt oder lassen sich etwa als sogenannter „Fortschritt“ begeistert feiern! Modernen Gespenstern begegnet man deshalb zukunftsorientiert in schrillen Lebensformen oder zerstörerischen Produkten, die immer rascher im Konsumrausch und Modewahn unserer Wegwerfkultur ihr Sekundenleben aushauchen. Wir sind in der Lage, Wasser, Luft und Erde so geschickt zu vergiften, dass wir uns schon für progressiv halten, gelingt es, dieses Treiben etwas zu verlangsamen oder diese Elemente an der einen oder anderen unwichtigen Ecke gar wieder notdürftig zu reparieren.

Mit den zum Machbarkeits‑ und Fortschrittswahn treibenden Gespenstern wird man sich frühestens ernsthaft befassen, wenn alles zu Tode erforscht, zum Erbrechen verändert, bis zur Haltlosigkeit modernisiert, mit letzter Raffinesse verbessert, bis zur akuten Lebensgefährlichkeit fortschrittlich geworden ist...

Vielleicht lassen es die Geister auch nicht zum Äußersten kommen? Christa Wolf lässt in „Störfall - Nachrichten eines Tages“ (1993) einen Stallarbeiter glauben, es gäbe Außerirdische: „Geist-Wesen, die uns in jeder Beziehung weit voraus wären, hätten die Erde fest unter Kontrolle. Sie ließen es weit kommen, mit dem Wahnsinn der Menschheit. Erst in allerletzter Sekunde, wenn diese drauf und dran sei, sich endgültig zu zerstören, würden sie eingreifen.“ Hoffentlich! Wenn nicht, gibt es einen noch größeren, unbesiegbaren Geist: „Die Natur ist aller Meister Meister, sie zeigt uns erst den Geist der Geister (Johann Wolfgang von Goethe).“



Hexen und Verfolgung

Hexen gibt es, seit es Menschen gibt. Einst handelte es sich der Erzählung nach um weise Frauen, die sich in der Kräuter-, Heil- und Geburtskunde auskannten. Sinnigerweise verwendeten Scharfrichter bei peinlichen Befragungen von Hexen später als Wahrheitsdrogen genau jene halluzinogenen Pflanzen, deren Gebrauch man den angeklagten „Hexen“ vorwarf. In der Hand des Fachmanns verwandelten sich eben, wie von Zauberhand, böse Gewächse in gute. Das erinnert durchaus an „moderne“ Vorgänge in der Psychiatrie. Konsequenter hätten wir es freilich gefunden, wenn die Scharfrichter Selbstanzeige erstattet, sich gleichfalls der Hexerei bezichtigt und sich anschließend verfeuert hätten.

Erst zu Zeiten der Hexenverfolgung wurde also der negative Begriff der „Hexe“ geprägt. Was könnte ursächlich gewesen sein? Vielleicht hatten sich die gescheiten Frauen ganz einfach zu viele Feinde gemacht. Weit bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden Frauen ja als „weibliche Blaustrümpfe“ von der Kirche verdächtigt, zu klug geworden zu sein, um noch zu glauben. Das war freilich eine schlimme Verfehlung, die man möglichst flächendeckend allen Menschen wünschen wollte.

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Im Mittelalter fiel der Kirche plötzlich auf, dass die Frau, mittels ihrer Gebärfähigkeit, gar in Konkurrenz zu Gott treten könnte bei der Erschaffung des Lebens - und schon galt die Vagina als Einfallstor zur Hölle. Ein Tor bei dem bekanntlich viele religiöse Diener bis zum heutigen Tage vor und auch nach einer Geburt noch gerne ein- und ausgehen. Kein Wunder, dass man dann bei systemrelevanten Religionsfrauen, wie etwa der Jungfrau Maria, lieber auf eine unbefleckte Empfängnis zurückgriff.

Auch der Ärzteschaft waren die althergebrachten Schamaninnen als unliebsame Konkurrenz ein Dorn im Auge. Verbündete fand sie zu ihrem Glück in der Kirche, der die Heilkundlerinnen ja auch schon lange bei ihrem Glaubens- und Machtanspruch im Weg war. Das Vertrauen der Menschen in die Heilkunde brachte ihrer Meinung nach ab vom Pfad zu Gott, dem alleinigen Herrscher im Himmel, und zu den Pfaffen, den inkompetenten Gebietern auf Erden. Erklärung mag auch sein, dass die Viehpest oft die Hexenpest im Gepäck hatte. Es mussten ganz einfach dunkle Mächte am Werk sein - und dafür musste jemand brennen.

Interesse an Hexenverfeuerungen äußerte auch der Adel, der so verhinderte, dass mancher Junker, der sich in eine schöne Bauernmaid verknallt hatte, sie aufgrund religiös veranlassten Ablebens nicht mehr ehelichen konnte. Schon war verhindert, dass sie sich in eine vermeintlich vornehmere Sippe einbringen konnte. Natürlich spielten auch in der nichtadeligen Bevölkerung vergleichbar verwerfliche Beweggründe eine Rolle.

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Weitere Erklärungen werden als Ursache gehandelt. Ein religiös-politisches Kalkül, um mit den Opfern das Volkswissen über wirksame Geburtenkontrolle auszurotten? Dienten verhasste Frauen als Sündenböcke für Katastrophen jener Tage? Beruhte Hexenglaube auf bloßem Wahnerleben? Die Hexenprozesse und grausamen Verfolgungen waren allzu oft auch nur ein Mittel, um kirchliche Glaubensdogmen und Machtansprüche durchzusetzen oder finanzielle Raubzüge zu rechtfertigen. Zugrunde liegt vermutlich ein wüstes Gebräu von alledem und vielem mehr!

Das alles ist aber noch nichts gegen die geradezu psychotische Angst des Katholizismus, Petrus Kirche könnte eines Tages in die Hände einer Frau fallen. Schon könnte man Kinder vielleicht nicht mehr so leichtfertig missbrauchen und Untaten nur noch in begrenzterer Zahl begehen - eine Horrorvorstellung! Und so wurden dreihundert Jahre lang in Europa vornehmlich Frauen verfolgt, gefoltert, verbrannt, vernichtet. Etwa drei Millionen wurde der Prozess gemacht, ca. 40.000 bis 100.000 Menschen (Schätzungen stark schwankend) fielen dem Hexenwahn zum Opfer, allerdings eben nicht nur dem Wahn, sondern auch kühler Berechnung!

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Gibt es dennoch Hexen, Besenreiterinnen der Lüfte, die durch unentschlüsselbare Zaubertätigkeit in die unbewussten Welten unserer Seelen galoppieren? Können Hexen „hexen“? Natürlich nicht! Jedenfalls nicht ohne Menschen, die sich ihnen „freiwillig“ ausliefern. Hokuspokus-Menschen erschließt der an tiefste Ängste rührende Hexenglaube intuitiv die Schwächen eines hierfür anfälligen Publikums. Ihr Glaube an die eigenen Fähigkeiten als Hexe hängt allerdings von der Überzeugung anderer ab, sie seien Hexen oder Zauberer mit übernatürlichen Kräften.

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Warum liefern sich Menschen solch subtiler Manipulation aus? Zahllos waren und sind die Ängste, die sogenannten Hexen ihre Klientel zutreiben. Hilfe und Beistand wollen erlangt sein! Manche versichern sich der „Macht“ einer Hexe, um Konkurrenten aus dem Weg zu räumen. Rachsüchtige wiederum hoffen mit Hilfe solcher Zauberei Dritten zu schaden. Andere suchen im vermeintlichen Wirken einer Hexe nur eine rationale Erklärung für ganz normal erlittene Schicksalsschläge. Liebende glauben mitunter, nur mit Hilfe von Hexerei Geliebte erobern zu können.

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Wer sich mit Hexen einlässt, im Guten wie im Bösen, hat fortan Grund, sich zu fürchten. Menschen, die anderen Macht über sich einräumen, liefern sich diesen aus! Nicht weil diese wirkliche Herrschaft besäßen, sondern weil Betroffene sich vor dem eigenen Unbewussten und dessen Projektionen fürchten. Und Hexen machen sich diese destruktiven Kräfte mittels Ausbeutungsmechanismen zunutze, die heute, mit grob unterschätzten Gefahren, in Wahrsagerei, Esoterik und mancher Psychotherapie fortwirken.

So sehr diese Vorgänge irrationalen Mustern zu folgen scheinen, letztlich geht es, wie überall, ums Geschäft. Ohne Gewinn ist schließlich (fast) alles nichts! Zu Zeiten, in denen die Angst boomt, wird die Dienstleistung der Hexe zum Selbstläufer. Angst nährt die Angst und fördert die Ausbeutung weiter. Vor wenigen Jahrhunderten blühte all dieser Aberglaube noch nicht im Verborgenen, sondern präsentierte sich offen.

Manchmal überschlägt sich die Entwicklung! Die Kirche des 14. bis 18. Jahrhunderts begab sich durch die Vielzahl der von ihr fast freudig angenommenen Feind- und Angstbilder (Ketzer, Hexen, Juden, Teufel, Muselmanen) in den Status einer belagerten Stadt, in der die Inquisition eine Art Erlösung darstellte.

In solchen Zeiten werden die Rollen austauschbar. Hexe und Opfer kann jeder werden. Jeder fürchtet jeden! Zu Recht! Allerlei sachfremde Motive werden aufgearbeitet, offene Privatrechnungen bequem beglichen, missliebige Personen mit dem Vorwurf der Hexerei aus dem Weg geräumt. Die Erbfolge wird günstig beeinflusst. Der materielle Besitz von „Ketzern“ oder „Hexen“ lässt sich zum Nulltarif einverleiben. Der Staat kann Schuldige für Misswirtschaft, Hungerperioden, ja Aufstände verantwortlich machen. Nicht zuletzt werden Sadismus und sexuelle Abartigkeiten befriedigt.

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Dem Nachwuchs zuliebe stellen wir zunächst die Frage, ob es auch „gute“ Hexen gibt. Kinder sind ja für Zauberei und okkulte Praktiken anfällig. Der Autor Preußler schrieb das Buch „Die kleine Hexe“, um Kindern die Angst vor bösen Märchenhexen zu nehmen. Wir schlagen in diesem Fachbuch nach. Es handelt von einer kleinen Hexe, die sich vor dem Hexenrat wegen ihrer guten Taten zu verantworten hat. Dies erschüttert die hiesige Religion in ihren Grundfesten. Vom christlichen Weltbild aus betrachtet kann eine Hexe nie und nimmermehr positiv wirken. Solches traut das Christentum nicht einmal der Frau als solcher zu! Insoweit kann man den Verlust des Leitbildes weiser gerechter Frauen, hervorgegangen aus den Priesterinnen des germanischen Altertums, als Urbild des Guten, Fruchtbaren und Gerechten, und im Märchen der Frau Holle fortlebend, nur bedauern.

Wenn überhaupt, sollte zumindest der Hexennachwuchs besser dem Leitbild der „guten“ Hexe folgend unterrichtet werden. Angesichts der ruinösen Darstellung der Hexe in kirchlichen und anderen Märchenbüchern, kann Image-Verbesserung schließlich nicht schaden. Die Mechanismen, die dem Wirken der „guten“ Hexe zugrunde liegen, sind freilich dieselben wie bei der „bösen“ Hexe. Hieran ändert auch die Verniedlichungsform „kleine“ Hexe nichts. Daher lehnen wir das Hexenwesen grundsätzlich ab. Wer trotzdem dran glaubt, ist selber schuld!

Und das tun mehr Menschen als man denkt! Das uralte Bild der Hexe wurde so facettenreich wie nie zuvor. Noch immer rührt es an tiefste menschliche Ängste und konfrontiert mit Fragen nach Ursprung und Sinn von Leiden und Tod. Wenn dieser Tage das „Hexen-Dasein“ einen Boom erlebt, liegt das wohl an den Unerklärlichkeiten unserer durchtechnisierten und rationalen Welt, der Skepsis gegenüber der Schulmedizin oder einer Orientierungssuche, die viele Menschen wieder auf vorchristliche, natürliche und vertraute Rituale zurückgreifen lassen. Das moderne Hexentum könnte durchaus zu einer weltweiten Religion werden. In den USA soll es etwa zwei Millionen Hexen geben und dreißig dieser Hexengruppen sollen sogar offiziell von der Kirche anerkannt sein.

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Neben guten und bösen Hexen gibt es Kinderhexen, zumindest in Kinshasa (Hauptstadt des Kongo). Sie sind dort für all das verantwortlich, was die Kolonialmacht Belgien, der Diktator Mobutu und schließlich schlimmste Bürgerkriegs-Gemetzel mit zwei bis drei Millionen Toten dem Land einbrockten. 30.000 bis 40.000 Straßenkinder werden der Hexerei bezichtigt und gejagt! Will man nicht eine ganze Generation aufgeben, kommt man um die schwierige Aufgabe nicht herum, echte von falschen Kinderhexen zu unterscheiden.

Das Studium der hierzu verwendeten Hilfsmittel lehrt, dass dies leicht herauszufinden ist. Erpresste Geständnisse bewährten sich schon beim Umgang mit erwachsenen Hexen und Hexerichen. Vor Verwandten oder Nachbarn bezichtigen sich Kinder dann gern der Hexerei, bevor bereits Vierjährigen mit Bügeleisen, glühenden Kreuzen oder Peitschen der Teufel ausgetrieben wird. Nicht selten werden sie von selbst ernannten Propheten, Exorzisten, ja den eigenen Eltern getötet. Da loben wir doch wieder die kleine Teufelsaustreibung der christlichen Taufe! Manch ein Kind, das in Kinshasa Glück hat, wird schon als Säugling auf den Müll geworfen, hat es Pech, wird es erst später aus dem Haus gejagt oder ermordet.

Fanatische Sekten nehmen sich im Kongo der Hexenbedrohung an und verzeichnen enormen Zulauf. Kostenlos werden Listen an interessierte Erzeuger verteilt. Bei sorgfältiger Abarbeitung können diese erkennen, ob ihre Kinder mit bösen Mächten paktieren. Nachwuchs, der nachts ins Bett macht, Dinge fallen lässt oder sich sonst auffällig verhält, ist verdächtig. Besonders tüchtige Sektenführer heilen dann die Kinder durch erzwungenes wochenlanges Hungern oder Würgen, „damit das Böse erbrochen wird“. Wie immer verwechseln sich die eigentlichen Hexen mit ihren Opfern!

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Was wären der Klerus, die Wissenschaft, das Rechtswesen und die wackere Bürgerschaft ohne das Dogma von der „bösen“ Hexe. Keiner weiß, wann die Wellen der nächsten Hexenverfolgung und der sich darin kristallisierende Schrecken der Religion wieder in unsere Wohnstuben schwappen. Dummheit und sexueller Notstand sind an kein Zeitalter gebunden!

Lüsternes Wachpersonal wird gerne wieder Frauen die Kleider vom Leib reißen. Zölibatär gehaltene Priester begeben sich bei jungen, nackten Frauenkörpern auf die beglückende Suche nach verräterischen Hexenmalen. Abartig veranlagte Folterknechte gönnen sich handwerklich-sadistische Unterhaltung! Verdrängte Mordgedanken erfreuen sich kollektiver Befriedigung!

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Manche Menschen errichten, nur mit Hammer und Schraubenzieher bewaffnet, technische Meisterwerke. Andere gebieten über einen riesigen Werkzeugkasten und können kaum einen Nagel in die Wand treiben. Dritte zertrümmern beim Ausholen mit einem Hammer treffsicher das eigene Gehirn. Letzteren begegnen wir posthum in den Autoren und Vollstreckern des sogenannten „Hexenhammers“. Ein literarischer Leckerbissen, der die Zermalmung missliebiger, bevorzugt weiblicher Zeitgenossen in rechtlich geordnete Bahnen lenkte. Dieses Buch soll unter anderem auch die exzellenten Flugeigenschaften von Besenstielen analysieren.

Um den Vernichtungsapparat in Schwung zu bringen, war das Herausfoltern von Namen angeblicher Komplizen das wichtigste Anliegen der Hexenprozesse. Das stellte die Folter niemals vor unüberwindbare Schwierigkeiten. Wenig überraschend stieg die Zahl der Angeklagten in dem Maße, wie Hexenprozesse abgehalten wurden.

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Dabei ist es weit einfacher, Hexen zuverlässig zu enttarnen. Der scharfsinnige und gelehrte englische König Jakob I. ließ alle in Frage kommenden Weiber bei lebendigem Leib sieden, kostete von der Brühe und entschied je nach dem Geschmack: „Das war eine Hexe“, oder „das war keine“. Es sei höchlich zu bedauern, so Victor Hugo in „Das Teufelsschiff“, dass den Königen von heute solche Begabungen fehlten, die so geeignet sind, den Nutzen des Königtums darzutun.

Weniger geeignet sind hiesiger Auffassung nach Gottesurteile, um Ketzer und Hexen zuverlässig von unbescholtenen Bürgern unterscheiden zu können. Ödön von Horváth erzählt in einem seiner Prosabände unter dem Titel „Der Stolz Altenaus“, dass in diesem Ort vier Ketzer verbrannt wurden. Sie waren Protestanten geworden, nachdem sie herausgefunden hatten, dass der Pfarrer ihren Frauen nachstellte. Die Frauen blieben katholisch während man die Männer fesselte und in einen Teich warf. Nun wurde Gott gefragt, ob er ihre Fesseln lösen wollte. Aber der Weltenlenker hielt gerade Mittagsschlaf und wollte leider nicht. Da half auch das beste Gottesurteil nichts!

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Der „Hexenhammer“ kann seine christlich-religiöse Geburt nicht verleugnen. In den Falten dunkler Kutten lauern religiöse Schrecken wie im Schatten eines Hinterhaltes, um im geeigneten Moment gegen Gläubige zu ziehen. Destruktive Erbauung, sadistische Befriedigung und pseudosexuelle Ausbeutung munden halt erst so recht mit Gottes Segen!

Wo die Gnade Gottes ist, ist Erleuchtung nahe. Im vorliegenden Falle erreichte sie die Verantwortlichen bereits wenige hundert Jahre nach dem Anwerfen der Verbrechensmaschinerie. Das Ende der Hexenverfolgung drohte, so unterhaltsam sie gewesen sein mag! Der Jesuit Spee von Langenfeld fand es durchaus logisch, dass die zwangsläufig zum Schuldbeweis führende, mit Folter unterlegte Fragetechnik der Inquisition ebenso regelmäßig wie angewandt zum Erfolg führte. Juristisch, religiös und sadistisch überzeugend traktierte Opfer gestanden ausnahmslos jede zur Last gelegte Tat.

Aus diesem Grund entwarf er seine „Cautio criminalis“ (1631), den literarischen Grundstein zum Ende der Hexenverfolgung. Der Abschied fiel den Beteiligten leicht, fühlten sich doch die gröbsten Abartigkeiten recht gut befriedigt! Der Spaß war nicht zu kurz gekommen! Hexenverbrennungen erfreuten sich männlicher- aber auch weiblicherseits großer Beliebtheit, zumindest bei denen, die nicht selbst Feuer fingen. Zwischen Menschen sind immer Unstimmigkeiten offen, die sozialverträglich im Sinne geltender Anschauungen beigelegt sein wollen!

Die Kirche würdigt noch heute gebührend, dass es einem jungen Pater aus den eigenen Reihen gelungen war, ihre persönlich angeborenen religionstragenden Verbrechen zu beenden. Die Feiern werden so geschickt und zurückhaltend abgehalten, dass bis zum heutigen Tage nicht ernsthaft diskutiert wird, was kirchlich-religiöse Rädelsführer und kuttentragende Staatsverbrecher über Jahrhunderte angerichtet haben. So belastet wenigstens dieser Massenmord nicht unnötig unser Gemüt. Lediglich Geschichtsbücher und Lexika retten die Erinnerung an diese Ereignisse mit der erfrischenden Kürze weniger Zeilen in die Nachwelt hinüber.

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Waren blinde Volkswut, in geistiger Nacht dumpf tötende Menschenhorden die treibenden Kräfte dieser über Jahrhunderte legal mordenden Maschinerie des Schreckens? Mitnichten! Die Speerspitze rekrutierte sich aus hochgebildeten Ständen, besonders aus den Reihen gelehrter Gesetzeskenner. Wir vernehmen es gelassen. Zeigen doch jüngste Beispiele unserer nationalsozialistischen Vergangenheit mit Blut- und Volksgerichtshöfen, dass Bildung vor widerlichsten Irrungen und Wirrungen des menschlichen Geistes kaum schützt. Professoren und Studenten waren mit die leidenschaftlichsten Bekenner zum Nationalsozialismus, die eifrigsten Bücherverbrenner. Die intellektuellen Stützen der Nation selbst rissen die Säulen der Aufklärung ein! Wie wollen wir sie treffend bezeichnen? Am besten als gelehrte Unwissende, denen jenes Verständnis und Mitgefühl fehlt, das Menschen vor allem ausmacht, egal auf welcher Bildungsebene!

1914 lieferten Dichter tonnenweise Gedichte zur Sterbebegeisterung der Massen. Die Weisheit der Philosophen teilte sich in der Erklärung mit, der Krieg sei „das reinigende, vor der Erschlaffung bewahrende Stahlbad der Völker“. Der „gebildete“ Stand war nicht weniger trunken vom Blutdunst des Krieges als der Rest des Volkes. Geschickt geschürter Völkerhass hatte sich einfach „auszubluten“.

Also zu glauben, die Mitwirkung von Ärzten, Theologen, Juristen und anderen, allesamt gelernte Akademiker, schütze vor destruktiver Aufarbeitung verdrängter Hasspotentiale, ist ungefähr so intelligent wie Autos von Nummernschildern abzumontieren. Schwer nachvollziehbar, warum viel einfaches Volk immer noch glaubt, gebildeten Ständen träufelten Wahrheit und Verstand nur so aus den aufgerissenen Mäulern.

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Der Kanzler Wiguläus Kreittmayr, Jurist, trimmte vor 250 Jahren Bayern zu einem blutrünstigen Inquisitionsstaat. Dank eines bahnbrechenden Strafgesetzbuches, des 1751 in Kraft getretenen „Codex Criminalis“, wurde gerädert und gevierteilt wie nie zuvor in Europa. Die Mühe war nicht umsonst! Ganz Europa nannte den Erneuerer „Folterkanzler“. Während die Nachbarländer Goethe, Kant oder Lessing lasen, wurden bayerische Bürger, nach abwechslungsreicher Tortur, gesellig geköpft und verbrannt. Von ihm könnten sogar die unbelehrbaren Gotteskrieger des heutigen fundamentalistischen Islams hinzulernen. Wer nicht kleinzukriegen war, wurde in der vorstehend beschriebenen Weise „katholisch“ gemacht, was mit folklorehaft-katholischer Volksfrömmigkeit wenig gemein hatte.

Die Landeshauptstadt München beleidigt bis zum heutigen Tage eine Straße in der Nähe des neuen Justizzentrums mit Kreittmayrs Namen. Ergänzend erinnert eine freundlich gesonnene Steintafel an ihn, angebracht an jenem Haus, in dem er starb. Berechtigt war das allemal. Immerhin machte er sich doch auch um die Vermeidung der Kräfteverschwendung von Folterknechten verdient: "Bey verspürender Ohnmacht ist mit der Tortur so lang innezuhalten, bis sich der Delinquent wiederum erholet."

Hätte man ihn doch nur zu Lebzeiten persönlich einschmelzen können! Immerhin wurde im 2. Weltkrieg sein Denkmal eingeschmolzen, leider nur aus militärischen Gründen. Einen Krieg mit noch größeren Grausamkeiten zu führen, schien noch wichtiger als das Grauen dieses „Ehrenmals“ zu erhalten. Das wollte die Stadt München 1958, zur 800-Jahr-Feier, mit einer Neuerrichtung korrigieren. Aber ein ehrenwerter Prädikatsjurist, damals Oberbürgermeister der Stadt, gab den Kampf für die Wiederaufstellung dieses Denkmals schließlich auf als die Münchner Abendzeitung schrieb: "Kreittmayr fasste den aus Jahrhunderten her geschwemmten Dreck einer verwahrlosten Rechtspflege noch einmal wie in einer Kloake zusammen…"

Dem Humanisten und Aufklärer von Feuerbach gelang Anfang des 19. Jahrhunderts die Abschaffung der Folter und anderer Missbräuche in der bayerischen Kriminaljustiz. Seine Bewunderer kämpfen bis heute vergeblich um die Aufstellung eines Ehrenmals, zumindest in München.

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Der Erfolg des Strafrechts beruht auf seiner abschreckenden Wirkung. Schon mit der bloßen Drohung einer Denunziation als Hexe oder Hexerich waren die Zeitgenossen einzuschüchtern. Jeder Staat schätzt bequemes Instrumentarium zum Ausschalten von Störern. Selbst die angeblich lichtvollen Zeiten unserer aufgeklärten Gegenwart haben das nicht vergessen! Ungern wird auf die Möglichkeit verzichtet, missliebige, unangepasste oder sonst im Weg stehende Personen komfortabel aus dem Verkehr ziehen zu können. Dies gilt zugunsten von Behörden und Privatpersonen gleichermaßen.

Die frisch erfundene Psychiatrie sprang selbstlos in die herbe Lücke abgeschaffter Hexenprozesse. Psychiater helfen mitunter Querulanten ruhig zu stellen, verhasste Nebenbuhler auszuschalten oder ungeliebte Ehepartner an Irrenhäuser loszuwerden. Bloßer Verdacht psychiatrischer Nähe wirkt sich im Übrigen angenehm ruinös auf Karrieren aller Art aus!

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Ob zu viele oder zu wenig Menschen in Irrenanstalten versickern, soll hier nicht hinterfragt werden. Es genügt daran zu erinnern, wie schnell Menschen ohne Strafprozess hinter Gittern verschwinden. Gefängnisse dieser besonderen Art tragen liebenswürdig nach Hilfe klingende Namen: Heilanstalt, Landeskrankenhaus, Nervensanatorium, psychiatrisch-dynamische Waldklinik... Wie zu Zeiten der Hexenverfolgungen wird geglaubt, solches Schicksal beträfe immer nur andere!



Teufelsaustreibung und Taufe

Ende des letzten Jahrtausends hatten wir uns, laut katholisch-kirchlichem Melderegister, mit sage und schreibe 1.758.640.176 Teufeln herumzuschlagen, die die Welt in eine zumindest latent dämonische Bedrohung verwandeln. Nicht jeder Mitbürger bewältigt diese Herausforderung und wird „besessen“! Wie schon erwähnt, verleugnen Kirche und Religion bei Besessenheit gerne die Elternschaft, obwohl sie hier ihr vollkommenstes Erziehungsprodukt präsentieren könnten.

Ererbtes und anerzogenes Maß geistiger Vergewaltigung und religiöser Verdummung kann menschliche Urnatur nicht unbegrenzt ertragen. Was Religionen verteufeln, wird irgendwann, oft erst nach Generationen, erbrochen. Früher nannte man das Besessenheit, heute heißt man es Psychose.

Trotz rapide zunehmender Teufel werden religiöse Teufelsaustreibungen selten! Dies liegt am steilen Aufstieg der Psychiatrie, die heute für Besessenheit zuständig ist. Wegen harter Verteilungskämpfe wagt sich deshalb die kirchliche Teufelsaustreibung nur noch unter dem angesehenen Namen „Exorzismus“ unter die Leute. Seit dem Kultfilm „Rosemaries Baby“ (1968) Teil der Allgemeinbildung.

Kirchliches Handwerk der Teufelsaustreibung bei Besessenen und psychiatrisches Kunsthandwerk der Psychosenbehandlung bei Geisteskrankheiten unterscheiden sich nicht wesentlich. Wer das zweifelhafte Glück hat, statt besessen zu sein, „nur“ unter einer Psychose zu leiden, hat nicht unbedingt mehr zu lachen. Lediglich die Folterinstrumente und die Verkleidung des heilenden Personals unterscheiden sich. Die psychiatrische Variante der Teufelsaustreibung bevorzugt ärztlich-weiß, die Kirche exorziert „auf Teufel komm' raus“ in priesterlichem Schwarz.

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Wir beschäftigen uns zunächst mit dem religiösen Heilungsansatz: Kommt Besessenheit zum Ausbruch, werden Betroffene dem Teufel als Erzeuger untergeschoben, aus dessen Klauen es die Opfer zu befreien gilt. Die Religion eilt als geistiger Retter in höchster seelischer Not herbei und erlöst die Armen aus den Fängen des Satans. Wegen der mangelhaften analytischen Vorgehensweise leider mit mäßigem Erfolg!

Verkannt wird vor allem der hohe religiöse Eigenanteil an der Produktion von Besessenheit. Undurchschaut blieb bis heute die von der Religion schamlos übertriebene, destruktiv-geistige Einkerkerung gläubiger Menschen. Man wollte und will nicht wahrhaben, dass die Verteufelung der animalischen, triebhaften Natur so Geknechtete zu armen und/oder wahren Teufeln macht.

Statt die eigene diabolische Vorgehensweise geistig zu durchdringen, wird die Ursache misslungener Teufelsaustreibungen an fernen Höllenküsten gesucht. Vermutet wird, die religiösen Knechtungsversuche hätten bei besessenen Gläubigen nicht nachhaltig genug angeschlagen, um sie endgültig dem teuflischen Versucher zu entreißen. Die Überdosis religiöser Triebknechtung wird für eine bedauerliche Unterdosierung gehalten. Angesichts eines so resistenten Widersachers hält man es für geboten, noch früher, massiver und gezielter einzugreifen.

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Um ganz sicher zu gehen, dass die verehrte religiöse Mitgliedschaft beizeiten und gleichzeitig endgültig von allen guten Geistern verlassen wird, wurde der Beginn der Abwehrschlacht auf den Zeitpunkt der Taufe vorverlegt. Seither werden schon bei der ersten Ölung die notwendigen exorzistischen Handlungen durch die Gebete des Kleinen Exorzismus vorgenommen. Dieser soll sämtliche Geister und Dämonen bei der Geburt austreiben und die Erbsünde tilgen. Nach aller Erfahrung kann aber leider diese edelmütige Austreibung großer Teufel aus kleinen Kindern dunklen Mächten wenig anhaben. Erfolgreich ist die Religion freilich allemal damit, im Lauf der Jahre aus kleinen Kindern große Teufel zu machen!

Besonders wichtig ist der Kirche in diesem Zusammenhang die Reinigung der Frau. Neugeborene, insbesondere Mädchen, sind so sehr von der Erbsünde verunreinigt, dass sie ihre Mütter gleich mit verschmutzen. Mancherorts wurden noch im letzten Jahrhundert Gebärende einige Wochen nach der Geburt ausgesegnet, erst dann konnten sie wieder an der Kommunion teilnehmen. Frauen, die einen Sohn zur Welt brachten, galten schon etwas früher als „gesäubert“. Unbedingt logisch finden wir das nicht, stammt doch der „Schmutz“ auch vom Mann!

Vielleicht nutzt die Taufe so wenig, weil für den zur frühen Lebensstunde praktizierten Exorzismus noch keine speziellen Geisterkenntnisse vorgeschrieben sind. Eine Nottaufe kann sogar jedermann durchführen. Aufgrund mangelhafter Qualifikation kommt also weiterhin nicht nur erbsündenbelasteter Nachwuchs zur Welt, sondern er bleibt es auch. Das soll kein Vorwurf sein! Wahrer Erfolg setzte voraus, dass sich die eigentlichen Teufel, Kirchen und Religionen, selbst abschafften, was diese ebenso wenig wollen wie andere, vollgefressene staatliche oder zivile Verwaltungsapparate. Die geistigen Altlasten der Religion werden uns noch über Jahrhunderte erhalten bleiben!

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Wenn das wichtige Sakrament der Taufe völlig versagt, muss in Fällen schwerer Besessenheit von Hand eingegriffen werden. Durch diesen Großen Exorzismus wird das optimale Zusammenwirken der Anrufung Gottes, der Fürsprache aller Heiligen, des Handauflegens und der Befehle an den Teufel sichergestellt. Diskretion ist oberstes Gebot, das Ergebnis tabu, es sei denn, es klappt ausnahmsweise einmal!

Die Erfolgsbilanz spricht für sich! Ein Beispiel für unzählige: In einem orthodoxen Kloster in Ostrumänien wurde im Juni 2005 eine angeblich besessene Nonne bei einem Teufelsaustreibungs-Ritual an ein Kreuz gekettet und geknebelt. Nach drei Tagen am Kreuz, ohne Nahrung und Wasser, starb die 23-Jährige. So lebt ihr Teufel vermutlich weiter und wird uns schon bald in Gestalt alter und neuer Teufelsaustreiber wieder erscheinen. Die Kirche sehen wir erneut um eine bittere Erfahrung im erfolglosen Kampf gegen den Teufel bereichert.

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Bitte nicht vergessen, unverzichtbare Austreibungsutensilien wie Kruzifix, spirituell aufgeladenes Weihwasser und Olivenöl bereitzuhalten! Nichts ist der Dämonenbekämpfung abträglicher als mangelnder Sachverstand und unzureichendes technisches Können. Selten flößt man dem Teufel schon im Rahmen einer einmaligen Sitzung den nötigen Respekt ein, um das gewünschte therapeutische Ergebnis zu erzielen. Gängiger Formulierungsvorschlag: „Ich beschwöre dich Satan, Fürst dieser Welt, weiche aus diesem Geschöpf!“ Wer sich lange Sätze schwer merken kann, verwende die Kurzversion: „Satan, fahre aus diesem Körper!“ Es soll Exorzisten geben, die erfolgreich auf Liebenswürdigkeit setzen und den ungebetenen Gast höflich bitten, „sich zu verziehen“.

Ob Kleiner Exorzismus, Großer Exorzismus: Immer mehr Menschen verfallen dem Teufel, wie die Kirche besorgt feststellt. Diese Beobachtung kann freilich auch jeder Laie machen, in Anbetracht alltäglichen menschlichen Wirkens.

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Nach den Todesfällen bei zu eifrigen Teufelsaustreibungen, ließen die Priester ihren Auftrag gerne vergammeln. Um das Betriebsergebnis wieder zu verbessern, gab der Vatikan 1999 dem Exorzisten mit der 84‑seitigen Lederausgabe „De Exorcismis“ aktualisierte Richtlinien an die Hand. Sie gehen zurück auf das „Rituale Romanum“ aus dem Jahr 1614 von Papst Paul V. Dies ermöglicht nun einem größeren Priesterkreis als bisher durch Austreibung von Teufeln das vorhandene Defizit an sadomasochistischer Befriedigung aufzufüllen. Dieser mühsam reformierte Große Exorzismus darf jedoch auch im alten Gewande ausgeführt werden, wenn es der Dingfestmachung von Teufeln dienlich ist.

Die Schar der Gläubigen gönnt Exorzisten ihr Befriedigungserlebnis umso eher, je mehr sie sich beim Zuschauen visuell mit ergötzen darf. Je nach persönlicher Vorliebe und kollektivem Zeitgeist können Teufel durch verbale Erniedrigung bis zum massiven Einsatz körperlicher Gewalt, von einfacher Geißelung bis zu hochgradiger Verbrennung, ausgetrieben werden. Der öffentliche Erfolg beruht darauf, dass auch hier Besessene mit den die Besessenheit auszutreiben versuchenden Teufeln verwechselt werden!

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Neuerdings kann der Teufel sogar an der Hochschule studiert werden. Pater Amoth, 40.000facher erfolgreicher Kämpfer gegen die Dämonen, hielt im Frühjahr 2005 in der päpstlichen Universität einen Exorzismus-Kurs für Geistliche. 120 Priester erfuhren für die entgegenkommende Seminargebühr von nur 180 Euro sämtliche Aspekte über Teufelsaustreibung und Befreiungsgebet. Der großen Nachfrage wegen soll es irgendwann auch einwöchige Blockseminare geben.

Vorbeugen ist aber allemal besser als heilen! Der Pater empfiehlt deshalb zur Prävention u.a. ein tägliches, fünfminütiges Rosenkranzgebet - dann blieben die Dämonen weg. Die Kirche kann wahrlich froh um ihren Teufel sein. Was wäre sie ohne ihn? Nachdem der Glaube schwindet, bedarf die Kirche sogar wieder vermehrt des Satans. „Wer nicht an den Teufel glaubt, zweifelt auch an der christlichen Botschaft“, ließ sich sinngemäß Papst Johannes Paul II. zitieren.

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Jahrtausendelangem religiösem Wirken zu dankender Sadismus und Masochismus sind Phänomene, die, zumindest unbewusst, in der Bevölkerung weit verbreitet sind. Die Religion konnte nicht erwarten, bis in alle Ewigkeit die Ernte notwendig werdender Teufelsaustreibungen unbehelligt einzufahren. Ärzte und Psychiater witterten eigene Befriedigungsmöglichkeiten und begannen, in diesem heiligen Jagdgebiet zu wildern.

Teufelsaustreibungen seien der gefährlichste Schwindel bei der Behandlung von Geisteskrankheiten, mahnen Psychiater. Mit der mächtigen Kirche legt man sich gleichwohl nicht an, „da es keine wissenschaftlich gesicherten Verfahren gäbe, um zwischen Besessenheit und Krankheit zu unterscheiden“. Lieber wendet man sich nur gegen ganz spektakuläre Fälle, in denen es Exorzisten gelingt, den Teufel samt Exorzierten mit finalem Ergebnis auszutreiben. Im Übrigen belässt man die religiösen Rituale bei der Religion: „Spirituelle Reinigung sei schließlich insbesondere in all jenen Fällen wichtig, in denen der Patient sehr gläubig sei.“

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Man muss kein Prophet sein, um dem weiteren Niedergang des Exorzismus eine große Zukunft vorherzusagen. Dies liegt an mangelnder Normung, Montage und Serienfertigung religiöser Teufelsaustreibungen, wie sie längst erfolgreich in die Vorhölle Psychiatrie Eingang gefunden haben. Die exorzistische Handarbeit der Kirche besteht noch aus ermüdenden Sitzungen, in denen pro Monat gerade einmal insgesamt magere zehn Teufel ausgetrieben werden können.

Die Psychiatrie setzt den Teufel hingegen mit modernstem Waffenarsenal chemisch-pharmazeutisch, elektrisch oder gehirnchirurgisch außer Gefecht. Dabei verwechselt freilich auch sie die zu verscheuchenden Teufel nicht nur mit den Besessenen, sondern verwandelt sich in die Teufel, die sie vorgibt auszutreiben. Zum Glück merkt das kaum jemand, am wenigsten die „Helfer“ selbst.

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Religionen sind nur noch von begrenztem Nutzen, werden die von ihnen mühsam produzierten Teufel von konkurrierenden Einrichtungen ausgetrieben. Der Teufel plagt vorzugsweise Christen und Gläubige anderer, aus dem jüdisch-christlichen Erbe hervorgegangener Religionen. Ernten fortan Dritte, wäre es sinnlos weiterhin zu säen und höchste menschliche Werte, wie Liebe und Sexualität, ja das Leben selbst, in den Schmutz zu ziehen und religiös zu verteufeln. Kirchen, geht in euch! Warum wollt ihr weiter Menschen produzieren, die eines Tages in Psychosen ihrer eigenen Schattengestalt, ihrer religiös verteufelten animalischen Natur, begegnen müssen - und sei es nach Generationen?

Wie immer sich die Religionen entscheiden, solange es Teufel gibt, müssen wir wählen: Wollen wir uns künftig Teufel noch von der Religion oder lieber fortan von der Psychiatrie austreiben lassen? Da wir im religiösen Bereich wenigstens rudimentär geistig-analytische Heilungsansätze erkennen, halten wir kirchlichen Exorzismus der medikamentös orientierten Bankrotterklärung der Psychiatrie für überlegen. Freilich steht der Zeitgeist gegen uns!



Neue Erlöser

Wo gottähnliche Menschen sind, ist Erlösung nahe! Sind Teufel selbst nach Vergabe schwerster Neuroleptika-Dosen chemisch-pharmazeutisch unbesiegt und randalieren in Wahnkranken weiter, erinnert sich die Psychiatrie ihrer geistig-analytischen Zweigstelle, die Wahnkranke im Zwiegespräch von den Ketten des Bösen erlöst.

In dieser modern-exorzistischen Variante wird nicht dem Teufel, sondern dem „Unbewussten“ befohlen. Ist dieses unkooperativ, klappt die Wunderheilung und Erlösung vom Bösen nicht auf Anhieb (Regelfall), werden Besessene unverzüglich zurück ins Medikamentengefängnis geworfen, nicht selten lebenslänglich. Dabei erkannte schon Freud: „Dem Unbewussten kann man nicht befehlen!“ Es müsste auch ein bemitleidenswerter Teufel sein, der sich von Priestern oder Psychiatern befehlen ließe.

Aller Anfang ist eben schwer! Wunderheilungen sind selten, selbst für neue Erlöser. Auch moderne Erretter vor dem Bösen werden die Ochsentour berühmter, geschichtlich überlieferter Erlösergestalten auf sich nehmen müssen. Der Kampf zwischen Religion und Psychiatrie um die Luftherrschaft bei Teufelsaustreibungen wird noch lange weiter toben.

Wir verzichten in diesem Zusammenhang auf die Deutung einer Vision, die Anfang des letzten Jahrhunderts C. G. Jung, Schweizer Psychiater und Mitbegründer der Tiefenpsychologie, im Alter von 12 Jahren hatte. Dieser Phantasie zufolge ließ Gott ein riesiges Exkrement auf den nicht gerade klein geratenen Petersdom in Rom fallen, das denselben zerschmetterte. Beim Versuch, eine Zugfahrkarte nach Rom zu lösen, wurde Jung ohnmächtig und verzichtete fortan auf einen Besuch der ewigen Stadt.

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Religion und Psychiatrie machen es sich zu einfach, eigene Destruktivität durch Erlösung anderer zu entlasten. Jeder wird sich selbst erlösen und eigene Teufel verjagen müssen, statt mit persönlicher Niedertracht die Bosheit anderer auszutreiben.

Boshaftigkeit schreitet allzu gerne satt, bequem und selbstzufrieden im Bild des „guten“ Menschen einher, wie wir im Kapitel „Gut und Böse“ detailreich dargelegt haben. Warm verpackt in scheinheiligem Verhalten werden die Tage damit verbracht, darauf zu warten, dass die Schöpfung, ja am besten Gott persönlich, das große Werk der Erlösung übernimmt. Die Tätigkeit des bislang damit befassten Erlösers kann man ja bestenfalls als unbefriedigend bezeichnen. Bis es mit der Erlösung klappt, kann man daher unverdrossen so destruktiv weiterleben wie bisher!

Erlösung durch eine Einzelperson, auch wenn sie von Gott gesandt werden sollte, ist unserer Überzeugung nach kaum zu erwarten, sondern allenfalls durch die gesamte Gemeinschaft, die eine Gesellschaft formt, die die natürlichen Bedürfnisse des Menschen respektiert, die die Wahrheit zu schätzen weiß, in der jeder Brot hat, die gerecht ist und die auch Platz für die Seele lässt.



Satanismus

Interesse an satanistischen Glaubensrichtungen befindet sich in starkem Aufwärtstrend, natürlich erst recht in den Heimatländern Teufel produzierender Religionen. 650 satanische Kulte gibt es alleine in Italien, mehr als doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Jahr für Jahr lässt sich etwa eine halbe Million Italiener exorzieren.

Satanisten glauben, die jahrtausendealte religiöse Vergewaltigung ausnehmend elegant abstreifen zu können. Wie schon der Name vermuten lässt, wird statt Gott der Teufel angebetet. Treffen finden standesgemäß in sich für elitär haltenden Zirkeln im Untergrund statt. Die Streiter glauben sich einer antireligiösen, antichristlichen, antigläubigen Bewegung zugehörig. Unfreiwillige Selbstsatire bleibt unvermeidbar. Satanisten laufen keiner minder religiösen Fahne hinterher, nur eben mit umgekehrtem Vorzeichen!

Man sollte also im Reich der Satanisten keine intellektuelle Überforderung erwarten. Eine religiöse Bereicherung stellt der Kult ebenfalls nicht dar. Aber das Gottesbild hat immerhin einiges hinter sich, vom Tiergesicht bis zum hingerichteten Menschen. Warum sollte es abwechslungshalber kein teuflisches Antlitz tragen? Hierin kann sich gut und gerne jeder erkennen und zum Bürgererschrecken taugt es allemal!

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Ganz von vorn fängt niemand an, nicht einmal der Satanist. Vom verhassten religiösen Klassenfeind werden Organisation und liturgische Elemente abgekupfert. Um sich vom Vorbild abzuheben, ziehen sendungsbewusste Satanisten aber mit dem allgemeinen Dienstgrad „Frater“ statt Pater in den Glaubenskrieg.

Was treiben sie in ihrer Freizeit? Sie sperren Leute in Särge, foltern mit Elektroschocks oder laden zum Essen ein. Stimmt die Mondstellung, sollen im Rahmen ritueller Handlungen schon einmal auch gekochte Kinder serviert werden. Mit den schmackhaftesten Zubereitungsarten machen Bücher vertraut, die sogar im Handel erhältlich sein könnten. Wichtig ist vor allem die kunstgerechte Schlachtung. An Werktagen werden übrigens eher Abgetriebene verspeist. Der Ordnung halber wird darauf hingewiesen, dass nicht jeder Satanist solche Straftaten begeht.

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Damit sie der Religionsgegner nicht unterwandert, tuckern sie vorzugshalber in unterirdischen Fahrwassern und geben sich vornehm zugeknüpft gegenüber privater und öffentlicher Neugier. Besonders ungeliebt sind feindliche Kundschafter und Spähtrupps aus der Familie der Sektenpfarrer und Religionswissenschaftler.

Ist Aufklärung so schwierig, behelfen wir uns mit Phantasie. Wer über etwas gesunden Menschenverstand verfügt, weiß, dass dort, wo Religion ist, Sexualität nicht weit sein kann. Und das ist zweifellos ein besonderes Merkmal für Religionen, die uns im Kleid der Antireligiosität heimsuchen. Dieses bewährte Wissen leitet sicher und zuverlässig in menschliche Abgründe und fördert beim Satanismus Menschliches, Allzumenschliches, eben Sexuelles zutage. Satanisten sollten daher der Einfachheit halber gleich unter dem einenden Dach einer staatstragenden Religion verweilen.

Wir missgönnen Beteiligten sexuelle Ausschweifungen keineswegs. Reicht aber der pubertäre Glaubenssprung nicht viel weiter als bis zum religiös-rituell ausgeführten Beischlaf, bedarf es doch nicht gleich einer neuen Religion. Der Amtskirche sind orgiastische Exzesse auch nicht fremd, sie sind nur etwas aus der Mode gekommen. Ein bisschen frischer Wind könnte hier nicht schaden!

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Geteiltes Leid ist halbes Leid! Ebenso wie die Staatskirchen werden auch die Satanisten von Nachwuchssorgen geplagt. Ausgeklügelte Rituale und Drogen sollen daher die Rekrutierung von Jungblut erleichtern und Novizen helfen, zu paradiesischer Nacktheit und mehr zu stehen. Die von den Anfängern gezeigte Scheu und Zurückhaltung sind verständlich, da der Mitgliederbestand nicht weniger überaltert ist als beim religiösen Klassenfeind und nicht mehr gerade verschwenderisch mit körperlichen Vorzügen versehen. Der Zahn der Zeit nagte schon arg an primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen, was nicht jeder Satans-Neuling ohne Rauschgift aushält.

Erotische Choreographie der Kulthandlungen, geschmackvolle Komposition der Gewandung, sexuell ausgerichtete Liturgie, positiver Kerzenschimmer, negativer Heiligenschein können gleichwohl Erotik und Sexualität eine prickelnde Kulisse bieten. Aber muss man sich deswegen gleich zu einer Antireligion verlaufen?

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Damit könnte es mit der Beurteilung von Satanisten sein Bewenden haben. Unter dem löchrigen Dach kämpferischer Antireligiosität wuchert jedoch allerlei sonstiger Aberglaube, der an Dummheit sogar etablierte Religionen übertrifft, was ja gar nicht so einfach ist. Allerlei schwarzfelliges Getier, das das Unglück hat, solcher Primitivausgabe von Religion in die Hände zu fallen, wird bei angeblich kultischen Schlachtungen verbraucht! Besitzer schwarzer Hunde und Katzen sollten diese besonders vor der Walpurgisnacht am 30. April und vor Sonnwende weiß anstreichen oder Hausarrest verhängen, da sich sonst die Lebenserwartung ihrer Lieblinge rapide verkürzen könnte.

Selbst schwarzes Federvieh kann über eine Gleichbehandlung im Bösen nicht klagen. Es wird zum fröhlichen Umtrunk zu Schwarzen Messen geladen. Da die Tiere nicht mitbechern dürfen, sorgen sie wenigstens mit ihrem Blut für die abartigen Saufgewohnheiten ihrer Gastgeber. Schmerzloser hätte sich freilich dasselbe Schlachtungsergebnis beim Metzger nebenan erzielen lassen.

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Natürlich gibt es im Reich der Satanisten weit schlimmere Betriebsunfälle als die vorstehend beschriebenen Kulthandlungen. Zuweilen zerfleischt ein Satansbraten in teufelsfürchtigem Übereifer einen anderen oder gar Dritte. Vom Gesamtergebnis her betrachtet, floss freilich bislang deutlich weniger Blut als bei der Amtskirche. Man sollte also nicht zu streng urteilen, auch wenn einzelne Fälle schon zu denken geben!

1998 trafen sich italienische Ungeheuer, gemixt aus einer Mischung von Drogen, Satanskult und Death Metal Rock, in einer Vollmondnacht zu einem Teufelsritual und schlachteten bei dieser Gelegenheit zwei Nachwuchssatane der eigenen Gruppe mit unzähligen Messerstichen ab. In der jungen Frau glaubten die Teufelsjünger eine Verkörperung der Jungfrau Maria zu erkennen und deren Freund hielten sie für einen Engel. Folgerichtig verhalfen sie beiden wieder zu einem religions- und bestimmungsgerechten körperlosen Zustand. Dies beweist, dass die Bestien des Satans der christlichen Religion, und damit Wahnerleben, weit näher sind, als sie ahnen.

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Feinschmecker richten Schwarze Messen in einer keltischen oder germanischen Variante aus. Man gönnt sich ja sonst nichts! Ach ja, die Variante: Von Teilnehmern mitzubringende Kultsteine werden zu einem magischen Steinkreis ausgerichtet. Das Risiko einer Ahndung ist gering! Nur wenige beleidigungsfähige Germanen oder Kelten, die das nicht lustig finden könnten, weilen noch unter uns.

Das Böse ist eben immer und überall! Vorsichtshalber fragen wir beim Engelsforscher in Rom an. Die tröstliche Nachricht: Derzeit kommen auf jeden Menschen 99 Engel. Die kann aber auch heutzutage jeder dringend brauchen, selbst wenn sie nicht mehr das sein sollten, was sie einst waren. Man hat sogar den Eindruck, als bedürften inzwischen Schutzengel ihrerseits des Schutzes. Schutzengel-Tage, Schutzengel-Partys, Schutzengel-Stammtische werden veranstaltet, ja sogar Rabatte und Vergünstigungen für Schutzengel gewährt.



Sekten und Sektierer

In modernen Städten wuchern Wegwerfsekten: Schnellservice für eilige Zeitgenossen, die nach Selbsterfahrung dürsten. Religiös und esoterisch unterernährte Kunden wählen auf beliebigen Wühltischen des Glaubens, lassen ihr Karma auspendeln, wenden sich spiritueller Bewusstheit zu. Freizeitschamanen halten an jeder Straßenecke einen Rockzipfel Gottes hoch, andere winken mit einem exotischen Religionskick samt Instanterleuchtung. Der versponnenste Prophet findet seine Gemeinde!

Soziale und gesellschaftliche Bindungen sind bei diesen neuen Augenblicksreligionen meist nicht zu lockern, wie bei den sogenannten „harten“ Sekten. Zu lockern sind jedoch die Geldbörsen! Diesseitige Interessen schimmern durch jenseitige Missionen. Irdisches, Allzuirdisches treibt solch narzisstisch-unverbindlicher Esoterik die Kundschaft zu. Lebenshilfe der besonderen Art, kosmische Energieströme zur Optimierung des Leistungsvermögens im beruflichen Alltag und anderes mehr, kann es aber auch nicht zum Nulltarif geben.

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Wirklich erkannt worum es geht, haben die Hubbard-Jünger der Scientology-Sekte. Während Kirchen aus Religionen ein Geschäft machten, wandelten Scientologen ihr Unternehmen zur Kirche um, zum Tempel des Geldverdienens. Bloße steuerliche Gründe unterstellt, wäre dies ethisch unangreifbar. Als Religion für gewinnorientierte Einsteiger insoweit durchaus zu empfehlen.

Vorwerfbar sind jedoch zu große moralische Mängel der Scientologen beim Geldverdienen. Ohne an der Qualität angebotener Erleuchtungskurse herummeckern zu wollen, könnten sie mit 100.000 Euro pro Person schon ein bisschen überteuert sein. Unfein scheint auch die Nötigung der Mitglieder, im Vorgriff auf zu erwartende Erbschaften Kredite in gleicher Höhe aufzunehmen.

Rekrutierung und Pflege des Mitgliederbestandes wird gleichfalls übertrieben. Einmal gefangen, entkommt kaum jemand dieser Religion des abartigen Geldverdienens. Wer sich den Weg in die Freiheit nicht freischießt, bleibt Scientology meist auf ewig treu. Freilich bleibt strafmildernd zu berücksichtigen, dass Scientologen der Nachwuchs nicht gerade zur Tür hereingetragen wird, wie gebräuchlichen Religionen durch die Taufe.

Immer mehr Firmen übernehmen dieses Patentrezept! Angestellte beten morgens Firmengründer an und leiern abends unternehmerische Glaubensbekenntnisse herunter. Selbst Kampfsportarten werden nicht mehr zum Spaß betrieben, sondern in pseudoreligiösen Lebensanschauungen vergraben, was jedenfalls hierzulande neu ist.

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Unzählige Bettelsekten erfahren wenig Achtung! Verübelt wird, dass eingesacktes Geld nach Fernost reist, wo der Bettelmönch und sein Betreiber gern gesehen sind. Jugendschutz wird selten überspannt, wenn für die heilige Aufgabe des Geldeinsammelns sechzehnstündige Arbeitstage angesetzt werden. Zumindest haben die Jugendlichen ein ordentliches Zuhause im Achtbettzimmer und sind nicht völlig unterernährt! Nicht jeder hat es so leicht wie unsere Kirchen. War früher hierzulande die Religion die Stütze des Staates, so ist heute der Staat die Stütze der Religion. Unsere Kirchen müssen nicht hausieren gehen, da der Staat per Kirchensteuer für sie zwangsbettelt.

Die religiöse Fürsorge weiterer Sekten müssen wir nicht beschreiben. Zu ähnlich sind sie einander im Geldverdienen durch die erfolgreiche Wahnvermittlung, anders zu sein als alle anderen. Etablierte Religionen würden die Arbeitskraft ihrer Priester zur Bekämpfung von Sekten jedoch kaum verbrauchen, blieben diese auch langfristig etwas Besonderes. Leider verhalten sich viele Sekten ihrem eigenen Anliegen auf Exklusivität gegenüber kontraproduktiv. Tief im Herzen hegen sie den Wunsch aller Religionen, jeder Mensch auf Erden möge die Wahrheit kirchlicher Vermögensbildung erkennen und sich ihrer Bewegung anschließen. Früh werden Schlüsselstellen besetzt, von der Wiege bis zur Bahre. Kirchen fürchten zu Recht, Sekten könnten sich zu erfolgreich am Futtertrog des Glaubens bedienen.



                Religion und anderer Aberglaube

Dass Glaube etwas ganz anderes sei als Aberglaube, ist unter allem Aberglauben der größte (Karlheinz Deschner, deutscher Religionskritiker)! Nichts ist hartnäckiger im ewig Menschlichen als der Wunsch, der Wirklichkeit eine doppelte Bedeutung zu geben und den platten Dingen einen göttlichen Hinterhalt zu legen (Franz Werfel, „Stern der Ungeborenen“).

Religion und Aberglaube gehen mit der Zeit und verändern nur immer wieder ihr Antlitz. In dieser nüchtern-wissenschaftlichen Zeit wird zwar weniger an Hasenohren oder Eselschwänze geglaubt, stattdessen werden aber technische Amulette getragen, Erdstrahlen gemessen, Außerirdische geortet, Gedankenströme decodiert...

Es wird nicht einfacher sein, den weit verbreiteten Aberglauben zu besiegen als die Kirchen zu entmachten. Sie ruhen auf demselben Fundament. Der Aberglaube entflammt die Welt - der Glaube auch! Nächte, die die Dunkelheit mit ihren Gespenstern bevölkern, werden nicht heller, wenn man sie mit Aberglauben oder Religion füllt. Beide beuten innere Wünsche aus, die so alt sind wie die Menschheit, etwa dass wir Glück haben möchten, Dingen magische Kräfte zuzuordnen hoffen usw. Die Sache der Vernunft steht sowohl im Kampf gegen die Religion als auch gegen den Aberglauben nicht zum Besten!

                               ***       

Aberglaube ist der Religion, Religion ist des Aberglaubens liebster Feind, obwohl sie doch gleichermaßen das Leben beschwindeln. Beide halten sich einander uneingeschränkt überlegen und sehen im Gegner Ketzer. Dabei sind sie beliebig austauschbar! Entscheidend ist, was sich im offiziellen Sprachgebrauch der Bezeichnung „Glauben“ erfreut und die Lizenz erringt, mit dem vernichtenden Wort „Aberglauben“ strafen zu können. Dies aber ist keine Glaubensfrage, sondern eine reine Frage der Macht!



                                                 ***       

Bei „Religion und anderer Aberglaube“ handelt es sich um das im Jahr 2021 überarbeitete Kapitel 11 des Buches „Sterbehilfe für Planeten“ (2002). Dieses Buch ist vergriffen, aber noch vereinzelt antiquarisch erhältlich, z.B. hier:

                                        www.zvab.com

Es kann aber auch als pdf-Datei heruntergeladen werden:

     http://guenther-golem.de/public/pdf/download-01.pdf


                                                 ***       



Religion und anderer Aberglaube

Religionen im Allgemeinen

Katholizismus im Besonderen
* Heiligstes des Heiligen
* Bild Gottes
* Heilige Schriften sind nur Papier
* Heiliger Geist
* Heilige, Selige und Wunder
  ** Heiliger oder Narr
  ** Heiligsprechung
  ** Heilige Knochen
  ** Wen wundert`s
* Euer Heiligkeit
* Wie senil ist ein Konzil
* Menschwerdung Gottes - Gottwerdung des Menschen
* Kreuz und Kreuzigung
* Gräuel zum Grauen
* Großgrundbesitz und Großvermögen
* Kampf gegen die Mafia
* Theodizee-Gedanke
* Ohrenbeichte
* Machteinstieg von oben
* Religion und Moderne
* Eierlegende Wollmilchsau des Glaubens

Religion und Wahnerleben
* Das Fundament geistiger Erkrankungen
* Religiös aufgearbeitete Mordlust

Religion und Sexualität
* Grundstein des Glaubens
* Klöster und Friedhöfe
* Die Geißler
  ** Wegweisende S/M-Studien
  ** Volksseuche Geißelsucht
  ** Ehrgeizige, Heuchler und Stellvertreter
* Zölibat
  ** Der Kampf um die Priesterehe
  ** Pfaffen oder Priester
  ** Dem Beichtstuhl der Nachtstuhl
* Priester und Kindsmissbrauch
* Feuer der Sexualität - Feuer der Gewalt

Die Fortpflanzungspeitsche
* Wurmstichige Äpfel
* Seid fruchtbar und mehret euch
* Schuld und Sühne

Alte und neue Seelsorger

Religiös belagerte Lebensübergänge
* Liebe
* Geburt
* Jugend
* Tod

Gut und Böse
* Baum der Erkenntnis
* Vertauschte Regeln
* Destruktivität
* Teufel
* Der böse Gott
* Gutsein schützt vor Hölle nicht
* Erlösung
* Salz des Lebens

Menschenrechte

Abschied von der Religion

Hokuspokus - Aberglaube
* Wahrsager, Vorherseher, Gesundspucker
* Geist und Geister
* Hexen und Verfolgung
* Teufelsaustreibung und Taufe
* Neue Erlöser
* Satanismus
* Sekten und Sektierer

Religion und anderer Aberglaube

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